Leitsatz (amtlich)
1. Nur ein rechtswirksamer Bescheid ist geeignet, die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs.1 Satz 3 AO 1977 zu wahren und nach § 171 Abs.3 Satz 1 und Satz 2 AO 1977 Ablaufhemmung herbeizuführen.
2. Der in der fehlerhaften Zustellung eines Steuerbescheides (Zinsbescheides) liegende Bekanntgabemangel wird durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung zu diesem Bescheid geheilt.
3. Die Regelung des § 171 Abs.3 Satz 1 und Satz 2 AO 1977 ist (im Unterschied zu der des § 146a Abs.1 AO) nicht sachverhalts-, sondern (dem Wesen der Festsetzungsverjährung entsprechend) verwaltungsaktbezogen: Wird der angefochtene Bescheid aufgehoben, so entfällt die durch dessen Anfechtung ausgelöste Rechtswirkung der Ablaufhemmung, sofern nicht die Sonderregelung des § 171 Abs.3 Satz 3 AO 1977 eingreift.
4. Nicht verwaltungsakt-, sondern sachverhaltsbezogen dagegen ist § 174 Abs.4 AO 1977: Unter den dort genannten Voraussetzungen (vor allem im Rahmen der in § 174 Abs.4 Satz 3 AO 1977 bestimmten Frist) ist die Finanzbehörde befugt, einen Sachverhalt, der Gegenstand eines aufgehobenen Bescheides war, neu zu regeln. Der aufgehobene Bescheid muß allerdings auch in diesem Falle rechtswirksam gewesen sein.
Orientierungssatz
Für die wirksame Bekanntgabe eines einheitlichen Steuerbescheids an Ehegatten, die sich nicht gegenseitig zur Empfangnahme von Steuerbescheiden bevollmächtigt hatten, war es vor Inkrafttreten (1.1.1986) der in § 155 Abs. 5 AO 1977 enthaltenen Neuregelung grundsätzlich erforderlich, jedem der beiden Ehegatten eine Ausfertigung des Steuerbescheids zuzustellen (vgl. BFH-Rechtsprechung). Hat nur der Ehemann den Einkommensteuerbescheid angefochten und Aussetzung der Vollziehung beantragt, so erstreckt sich eine im Rahmen der Einkommensteuererklärung stillschweigend erteilte Empfangsbevollmächtigung nicht auf den Zinsbescheid (Aussetzungszinsen).
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 3, § 171 Abs. 3 Sätze 1-2; AO § 146a Abs. 1; AO 1977 § 171 Abs. 3 S. 3, § 174 Abs. 4, 4 S. 3, §§ 157, 237 Abs. 1 S. 1, § 239 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155 Abs. 3, 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) gegen ihn und seine zusammen mit ihm zur Einkommensteuer veranlagte Ehefrau erlassenen Einkommensteuerbescheide 1964 bis 1967 mit dem Einspruch und den Einkommensteuerbescheid 1968 im Wege der Sprungklage angegriffen. Der insoweit beim FA beantragten Aussetzung der Vollziehung hatte das FA entsprochen. Nachdem in der Einkommensteuersache 1968 (im Revisionsverfahren) ein Vorbescheid ergangen war, nahm der Kläger seine Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 1964 bis 1967 am 20.März 1984 zurück.
Mit Bescheid vom 2.April 1984, der an den Kläger und seine Ehefrau gerichtet war, setzte das FA für die ausgesetzten Einkommensteuerbeträge 1964 bis 1967 ab 1.Januar 1977 Aussetzungszinsen in Höhe von insgesamt 5 580 DM fest. Der Einspruch war erfolglos. Im anschließenden Klageverfahren wies der Berichterstatter darauf hin, daß im Hauptsacheverfahren allein der Kläger Rechtsbehelfe eingelegt und vorläufigen Rechtsschutz begehrt habe, die Aussetzungsverfügung aber ebenso wie der Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen an den Kläger und seine Ehefrau gerichtet gewesen seien (Zugang der Verfügung vom 31.Juli 1986: 11.August 1986). Daraufhin hob das FA mit Bescheid vom 13.Oktober 1986 seinen (nur in einer Ausfertigung zugestellten) Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 2.April 1984 in Gestalt der (dem gemeinsamen Bevollmächtigten des Klägers und seiner Ehefrau in zweifacher Ausfertigung zugestellten) Einspruchsentscheidung vom 23.August 1984 "ersatzlos auf" und erklärte in Übereinstimmung mit dem Kläger und dessen Ehefrau den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Unter Berufung auf § 174 Abs.4 der Abgabenordnung (AO 1977) setzte das FA nunmehr mit Bescheid vom 16.Dezember 1986 allein dem Kläger gegenüber die Aussetzungszinsen in Höhe von 5 580 DM fest.
Der hiergegen unmittelbar beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage hat dieses mit der Begründung entsprochen, der Bescheid vom 2.April 1984 sei dem Kläger und seiner Ehefrau nur in einer Ausfertigung zugestellt worden und sei daher nicht wirksam. Der Einspruch habe keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs.3 AO 1977 bewirken können. Auch § 174 Abs.4 AO 1977 biete keine Rechtsgrundlage für den ursprünglichen Bescheid, weil diese Vorschrift einen "fehlerhaften" Bescheid voraussetze, bei einem unwirksamen Bescheid dagegen nicht eingreife.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 174 Abs.4 AO 1977. Es meint, diese Vorschrift gelte auch dann, wenn --wie hier-- der ursprüngliche, aufgehobene Bescheid mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht wirksam geworden sei.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das FG der Klage stattgegeben und den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 16.Dezember 1986 aufgehoben. Dieser Verwaltungsakt war rechtmäßig. Seinem Erlaß stand insbesondere der Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht entgegen.
1. Auf Zinsen, die nach § 237 Abs.1 Satz 1 AO 1977 bei Aussetzung der Vollziehung entstehen, sind gemäß § 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977 die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Das bedeutet vor allem, daß für die Festsetzung solcher steuerlichen Nebenleistungen (§ 3 Abs.3 AO 1977) die §§ 155 ff. AO 1977 und für die Änderung bestandskräftiger Zinsbescheide die §§ 172 ff. AO 1977 maßgeblich sind. Die Festsetzungsfrist für Zinsen beträgt ein Jahr (§ 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Sie beginnt in Fällen der streitigen Art mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs.1 Satz 2 Nr.4 AO 1977 a.F. --jetzt § 239 Abs.1 Satz 2 Nr.5 AO 1977--) und richtet sich im übrigen nach den §§ 169 ff. AO 1977. Die Festsetzungsfrist ist also gewahrt, wenn vor ihrem Ablauf ein Zinsbescheid den Bereich der für die Zinsfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat (§ 169 Abs.1 Satz 3 Nr.1 AO 1977).
2. Die Verjährungsfrist begann, nachdem der Kläger seine Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 1964 bis 1967 am 20.März 1984 zurückgenommen hatte, mit Ablauf des Jahres 1984 und endete bei normalem Verlauf mit Ablauf des Jahres 1985.
3. Der Verjährungsablauf war durch den Einspruch gegen den Zinsbescheid vom 2.April 1984 (und die anschließende Klage) gemäß § 171 Abs.3 Satz 1 und Satz 2 AO 1977 zunächst gehemmt worden. Nach dieser Vorschrift läuft, soweit gegen einen vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassenen Bescheid ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden worden ist.
Dem FG ist zwar darin beizupflichten, daß nur ein wirksamer Bescheid geeignet ist, die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs.1 Satz 3 AO 1977 zu wahren und nach § 171 Abs.3 Satz 1 und Satz 2 AO 1977 Ablaufhemmung herbeizuführen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11.Oktober 1989 X R 31/86, BFHE 158, 491, 498). Nicht zu folgen ist dem FG aber insofern, als es die Wirksamkeit des Bescheides vom 2.April 1984 verneint hat.
a) Die (eindeutige und vollständige) Benennung des falschen Zinsschuldners (§ 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977 i.V.m. § 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977) im ursprünglichen Zinsbescheid allein hat nicht zu dessen Nichtigkeit (wegen Unbestimmtheit des Inhaltsadressaten) geführt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl. 1965/1988, § 157 AO 1977 Tz.5).
b) Die Frage, ob ein Zinsbescheid wirksam bekanntgegeben wurde, ist nach den Grundsätzen zu beurteilen, die für die zugrunde liegende Steuerart und deren Regelung durch Steuerbescheide maßgeblich sind (§ 239 Abs.1 Satz 1, 1.Halbsatz AO 1977).
Dies bedeutet für den Streitfall, daß es zur wirksamen Bekanntgabe des Bescheids vom 2.April 1984 (erlassen also vor Inkrafttreten der in § 155 Abs.5 AO 1977 n.F. enthaltenen, erst ab 1.Januar 1986 geltenden Neuregelung; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.Februar 1989 IX R 181/85, BFH/NV 1989, 557 m.w.N.) grundsätzlich erforderlich gewesen wäre, jedem der Adressaten eine Ausfertigung zuzustellen (§§ 122 Abs.1, 124 Abs.1, 155 Abs.1 AO 1977 i.V.m. § 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977; vgl. BFH-Urteil vom 26.März 1985 VIII R 225/83, BFHE 143, 491, BStBl II 1985, 603, und auch BFH-Beschluß vom 2.März 1989 VIII S 9/88, BFH/NV 1989, 625, 626). Ein Fall wirksamer gegenseitiger Bevollmächtigung (BFH-Urteil vom 11.Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474) lag nicht vor; eine im Rahmen der Einkommensteuererklärungen stillschweigend erteilte Vollmacht konnte sich hier schon deshalb nicht auf die Zinsschuld erstrecken, weil insoweit ein Steuerschuldverhältnis nur gegenüber dem Kläger bestand.
Der in der fehlerhaften Zustellung liegende Bekanntgabemangel ist jedoch im Streitfall dadurch geheilt worden, daß die den Zinsbescheid vom 2.April 1984 betreffende Einspruchsentscheidung vom 23.August 1984 --in doppelter Ausfertigung-- dem gemeinsamen Bevollmächtigten beider Ehegatten zugestellt wurde (vgl. dazu BFH-Entscheidungen vom 8.Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, BStBl II 1982, 700, 703, zu 2 b; vom 19.Mai 1983 IV R 125/82, BFHE 139, 1, BStBl II 1984, 15, 17; vom 18.März 1986 II R 214/83, BFHE 147, 99, BStBl II 1986, 778, und vom 31.Januar 1989 VII B 98/88, BFH/NV 1989, 620, 622). Das FG hat diesen Umstand nicht beachtet.
4. Die durch Einspruch und Klage ausgelöste Ablaufhemmung hat sich aber im Streitfall letztlich nicht auswirken können. Sie betraf nur den Bescheid vom 2.April 1984 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung. Mit der Aufhebung dieser beiden Verwaltungsakte am 13.Oktober 1986 entfielen grundsätzlich die an ihre Wirksamkeit geknüpften Rechtsfolgen (§ 124 Abs.2 AO 1977; vgl. dazu näher: Tipke/Kruse, a.a.O., § 124 AO 1977 Tz.1 und Tz.2 vor § 130 AO 1977, jeweils m.w.N.), einschließlich derjenigen, die in § 171 Abs.3 Satz 2 AO 1977 vorgesehen sind.
a) Die Festsetzungsverjährung ist verwaltungsaktbezogen: Für ihren Beginn, den weiteren Verlauf und für ihren Eintritt ist Anknüpfungspunkt eine bestimmte Steuerfestsetzung. Diese Art Verjährung ist gemäß § 169 Abs.1 Satz 1 AO 1977 dadurch gekennzeichnet, daß der bei Fristablauf hinsichtlich eines bestimmten Steueranspruchs bestehende Regelungszustand (ungeachtet seiner Übereinstimmung mit der materiellen Rechtslage und eventueller offenbarer Unrichtigkeiten - § 169 Abs.1 Satz 2 AO 1977) festgeschrieben wird: Von dem in § 169 Abs.1 Satz 3 AO 1977 festgelegten Zeitpunkt an darf die bestehende Steuerfestsetzung weder aufgehoben noch geändert, die unterlassene Steuerfestsetzung nicht mehr nachgeholt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Weise ein Steueranspruch tatsächlich geregelt wurde, sondern darauf, ob dies in rechtswirksamer Weise geschehen ist. Darum muß ein Bescheid, um den Lauf der Festsetzungsfrist beeinflussen zu können, nicht nur wirksam werden (vgl. Senatsurteil in BFHE 158, 491, 498, sowie die Nachweise bei Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO 1977 Tz.12, und in BFH/NV 1989, 625, 626), sondern auch (bis zur Fristwahrung gemäß § 169 Abs.1 Satz 3 AO 1977) wirksam bleiben; wird er aufgehoben, kann er regelmäßig nicht mehr auf die Festsetzungsverjährung einwirken.
b) Die durch den Bescheid vom 2.April 1984 hervorgerufenen und durch seine Aufhebung beendeten Rechtswirkungen erstreckten sich nicht auf den Bescheid vom 16.Dezember 1986.
Der gemäß § 169 Abs.1 Satz 3 Nr.1 AO 1977 (hier i.V.m. § 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977) fristwahrende Bescheid und derjenige, mit dem der abgabenrechtliche Anspruch geltend gemacht wird, müssen grundsätzlich identisch sein. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 169 Abs.1 Satz 3 Nr.1 AO 1977 ("der", nicht "ein" Bescheid) und dem Sinn der Festsetzungsverjährung, die darauf abzielt, im Interesse des Vertrauensschutzes innerhalb bestimmter Fristen die endgültige Regelung eines abgabenrechtlichen Anspruchs herbeizuführen (§ 47 AO 1977).
Dieser Identitätsgrundsatz gilt auch im Bereich der Ablaufhemmung. Er wird bestätigt durch die Sonderregelung des § 171 Abs.3 Satz 3 AO 1977 (deren Voraussetzungen im Streitfall nicht vorliegen).
c) Dem Auslegungsergebnis stehen die BFH-Urteile vom 26.November 1974 VII R 45/72 (BFHE 114, 522, BStBl II 1975, 460) und vom 20.Juli 1988 I R 81/84 (BFH/NV 1989, 78, 79) nicht entgegen. Beide Entscheidungen (nach denen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides die Ablaufhemmung nicht rückwirkend wieder beseitigt) sind zu § 146a Abs.1 der Reichsabgabenordnung (AO) ergangen. Diese Vorschrift stellte für die Ablaufhemmung entscheidend auf den dem Rechtsbehelf zugrunde liegenden Sachverhalt ab (vgl. auch das Senatsurteil in BFHE 158, 491, 498). Gemäß § 171 Abs.3 Satz 2 AO 1977 dagegen kommt es insoweit, dem Charakter der Festsetzungsverjährung entsprechend, entscheidend auf die Regelung des Sachverhalts im angefochtenen Bescheid an:
Wird die Steuerfestsetzung, an der die Verjährung nach den §§ 169 ff. AO 1977 ausgerichtet ist, durch Aufhebung beseitigt, entfällt auch die Bezugsgröße für den Lauf der Verjährungsfrist.
Auch im übrigen passen die in der Rechtsprechung zu § 146a Abs.1 AO angeführten Argumente nicht auf die jetzige Rechtslage: Im Rahmen der Festsetzungsverjährung stellt sich im Anschluß an die Aufhebung eines für den Fristenlauf bedeutsamen Bescheides nicht die Frage nach der rückwirkenden Beseitigung seiner Rechtswirkungen, sondern allenfalls die nach der Möglichkeit ihrer Fortgeltung in einem anderen Verwaltungsakt. Diese Frage ist aufgrund der zuvor dargelegten Erwägungen grundsätzlich zu verneinen und nur ausnahmsweise, im Geltungsbereich des § 171 Abs.3 Satz 3 AO 1977, zu bejahen: Nur soweit es zu einer Kassation durch Urteilsspruch gekommen ist, soll die verjährungshemmende Wirkung der bisherigen Regelung auch für den neuen Bescheid bedeutsam bleiben.
Hieraus folgt nicht, daß der Finanzbehörde in Fällen der streitigen Art eine Neuregelung des zugrunde liegenden Sachverhalts endgültig verwehrt wäre. Ob und unter welchen Voraussetzungen außerhalb des § 171 Abs.3 Satz 3 AO 1977 anstelle des aufgehobenen ein neuer Bescheid ergehen darf, richtet sich im neuen Abgabenrecht nach der mit einer besonderen Verjährungsregelung ausgestatteten Spezialvorschrift des § 174 Abs.4 AO 1977 (s. dazu unter 5.) bzw. nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (s. dazu unter 6.).
5. Seine Rechtfertigung findet der angefochtene Bescheid in § 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977 i.V.m. § 174 Abs.4 AO 1977. Danach können u.a. dann, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (Satz 1). Dabei ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden (Satz 3). Eine solche Korrektur ist auch gegenüber Dritten möglich, wenn diese an dem Verfahren, das zur Aufhebung des fehlerhaften Bescheides geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs.5 Satz 1 AO 1977). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a) Zuzustimmen ist dem FG darin, daß der aufgehobene Bescheid rechtswirksam gewesen sein muß. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus der Gesetzesfassung, weil Fehlerhaftigkeit in bezug auf Verwaltungsakte grundsätzlich als Oberbegriff für jegliche Art von Rechtsmängeln zu verstehen ist (vgl. z.B. Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8.Aufl. 1988, S.3 ff.). Aus dem Gesetzeszusammenhang und dem Zweck der §§ 172 ff. AO 1977 ergibt sich indes, daß auch § 174 Abs.4 AO 1977 nicht eingreift, wenn der ursprüngliche (hier der aufgehobene) Bescheid nichtig ist: Vorausgesetzt wird in diesem Zusammenhang --ebenso wie in den übrigen Korrekturvorschriften-- ein der Bestandskraft fähiger Bescheid. Diese Eigenschaft fehlt einem nichtigen (von Anfang an rechtsunwirksamen) Bescheid (vgl. die Ausführungen oben zu 3.). Ein Bescheid ist aber nicht nichtig, wenn seine anfängliche Mangelhaftigkeit später beseitigt wird.
b) Rechtsfehlerhaft ist das FG-Urteil, weil es den ursprünglichen Zinsbescheid als rechtsunwirksam angesehen und nicht berücksichtigt hat, daß der Bekanntgabemangel durch die Zustellung der Einspruchsentscheidung vom 23.August 1984 geheilt worden war (s.o. unter 3. b). Die Heilung ist durch die Aufhebungsverfügung des FA vom 13.Oktober 1986 nicht ungeschehen gemacht worden. Anders als im Rahmen der §§ 169 ff. AO 1977 (s.o. unter 4.) kommt es bei § 174 Abs.4 AO 1977 nur darauf an, daß der Zinsbescheid wirksam geworden, nicht auch darauf, daß er wirksam geblieben ist: Die Korrekturfolgen sollen nicht nur bei Änderung, sondern ausdrücklich auch bei Aufhebung des ursprünglichen Bescheids eintreten. - Diese Regelung ist, anders als § 171 Abs.3 Satz 2 AO 1977, sachverhalts-, nicht verwaltungsaktbezogen.
6. Allgemeine Rechtsgrundsätze stehen dem Erlaß des neuen Zinsbescheides vom 16.Dezember 1986 ebenfalls nicht entgegen. Weder nach dem Text der Aufhebungsverfügung und des Schriftsatzes des FA vom 13.Oktober 1986 ("aufgrund eines Formfehlers") noch nach der Vorgeschichte oder den Begleitumständen durfte der Kläger davon ausgehen, er werde wegen der Zinsschuld nicht mehr in Anspruch genommen werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 11.Juli 1986 VI R 105/83, BFHE 147, 113, BStBl II 1986, 775, 776).
7. Auf Art.97 § 15 Abs.2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Diese Vorschrift enthält eine auf zinslose Stundungen begrenzte Ausnahmeregelung.
8. Das angefochtene Urteil beruht auf anderen Erwägungen und war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif; die Klage war abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Fundstellen
Haufe-Index 63087 |
BFHE 161, 398 |
BFHE 1991, 398 |
BB 1990, 2106 |
BB 1990, 2106-2108 (LT) |
DB 1990, 2252 (T) |
HFR 1990, 662 (LT) |
StE 1990, 385 (K) |