Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben, wenn die Steuerbehörde eine Abweichung von den Vorschriften bei der Erfüllung der dem Steuerpflichtigen im Interesse der Steuerüberwachung obliegenden Pflichten duldet und Infolgedessen Steueransprüche verkürzt werden.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 3; MinöStG § 8 Abs. 3, 5; MinöStDV § 22 Abs. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3 Nr. 4

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin besitzt die Bewilligung zur Verteilung von steuerbegünstigtem Mineralöl, das zum unmittelbaren Verheizen bestimmt ist. Sie belieferte in den Jahren 1962 bis 1965 u. a. die Firma A in B, der von dem Beklagten am 12. März 1962 ein Händlererlaubnisschein erteilt worden war. Da diese Kundin auch von anderen Mineralölfirmen Heizöl bezog, aber keine Zweitausfertigung ihres Erlaubnisscheins besaß, hatte sich die Klägerin eine Fotokopie des Erlaubnisscheins gefertigt und zu ihren Akten genommen. Am 1. August 1964 wurde die der Firma A erteilte Erlaubnis zur Verteilung steuerbegünstigten Mineralöls widerrufen und ihr Erlaubnisschein eingezogen. Die Klägerin, die hiervon keine Kenntnis hatte, lieferte danach bis 17. März 1965 noch insgesamt 58 335 kg Heizöl an die Firma A.

Aufgrund dieses Sachverhalts forderte das Hauptzollamt (HZA) durch Steuerbescheid vom 3. August 1965 von der Klägerin 19 979,70 DM Mineralölsteuer. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück.

Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage machte die Steuerpflichtige geltend, daß die Erhebung der Mineralölsteuer gegen Treu und Glauben verstoße.

Bei der Lieferung des Mineralöls an die Firma A sei die Klägerin davon ausgegangen, daß diese Händlerin die Erlaubnis zur Verteilung steuerbegünstigten Heizöls besitze. Der Widerruf der Bewilligung sei ihr erst am 13. Juli 1965 bekanntgeworden. Man könne ihr nicht vorwerfen, daß sie diese Tatsache schon früher hätte kennen können und müssen.

Die Klägerin habe die Lieferungen an die Firma A aufgrund der ihr vorliegenden Fotokopie des inzwischen eingezogenen Erlaubnisscheines vorgenommen. Diese Handhabung, die darauf zurückzuführen sei, daß es die HZA früher abgelehnt hätten, Mehrausfertigungen von Erlaubnisscheinen zu erteilen, sei dem HZA bekannt gewesen und von ihm geduldet worden. Die Steuerpflichtige habe deshalb darauf vertrauen dürfen, daß die Existenz einer Fotokopie des Erlaubnisscheines der Firma A ausreiche und den gesetzlichen Vorschriften entspreche.

Der Beklagte sei ferner verpflichtet gewesen, die Steuerpflichtige von der Entziehung des Erlaubnisscheines in Kenntnis zu setzen. Denn er hätte erkennen können und müssen, daß aufgrund der verwendeten Fotokopien Mineralöllieferanten veranlaßt werden könnten, die Firma A weiterhin zu beliefern. Das HZA habe die Pflicht gehabt, die damit verbundenen steuerrechtlichen Folgen abzuwenden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der gegen das Urteil des FG erhobenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision hat keinen Erfolg.

Für das von der Klägerin zur Verteilung an andere Verwender bezogene steuerbegünstigte Heizöl bestand eine bedingte Mineralölsteuerschuld, die bei der Übernahme dieser Ware von dem jeweiligen Lieferer auf sie übergegangen war (§ 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes – MinöStDV –). Diese Steuerschuld wurde, wie das FG zutreffend ausgeführt hat und von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt wird, in Höhe von 19 979,70 DM dadurch in ihrer Person unbedingt, daß sie nach dem 1. August 1964 bis 17. März 1965 insgesamt 58 335 kg Heizöl an die Firma A lieferte. Denn da die genannte Firma zu dieser Zeit nicht mehr im Besitz eines gültigen Erlaubnisscheines war, wurde dieses Mineralöl verbotswidrig an andere Personen abgegeben und damit trat eine Bedingung ein, unter der die dafür gewährte Steuervergünstigung wegfiel (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 MinöStDV).

Gegenüber der Erhebung der von ihr danach geschuldeten Mineralölsteuer durch das HZA kann sich die Klägerin, wie die Vorinstanz im Ergebnis ebenfalls richtig entschieden hat, nicht auf Treu und Glauben berufen. Dieser auch im Steuerrecht anerkannte Grundsatz kann allerdings im einzelnen Fall eine rechtliche Schranke für die Geltendmachung eines nach dem Gesetz begründeten steuerrechtlichen Anspruchs bilden. Das ist der Fall, wenn – worauf sich die Klägerin beruft – die Steuerbehörde durch ein nachhaltiges (oder nachdrückliches) Verhalten gegenüber dem Steuerpflichtigen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, zu dem die Geltendmachung des Steueranspruchs in einem nicht zu vertretenden Widerspruch steht und deshalb mit dem allgemeinen Rechtsempfinden nicht vereinbar ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 68 S. 378 – BFH 68, 378 –, BStBl III 1959, 146, BZBl 1959, 214; VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BFH 70, 341, BStBl III 1960, 127, und VII 175/61 U vom 21. Mai 1963, BFH 77, 201, BStBl III 1963, 390). Diese Voraussetzung ist jedoch hier nicht erfüllt.

Die Klägerin hat gegenüber der Vorinstanz geltend gemacht, daß das HZA es früher abgelehnt habe, für Mineralölerlaubnisscheine Mehrausfertigungen zu erteilen. Sie sei deshalb ebenso wie andere Firmen darauf ausgewichen, von den Erlaubnisscheinen ihrer Kunden Fotokopien für ihre Akten zu fertigen, und habe aufgrund dieser Unterlagen steuerbegünstigtes Heizöl an andere Verwender abgegeben. Der Beklagte habe diese Handhabung gekannt und geduldet. Trotzdem habe er die Klägerin nicht von der Einziehung des der Firma A erteilten Erlaubnisscheins in Kenntnis gesetzt.

Es kann nach Ansicht des Senats dahingestellt bleiben, ob diese Sachdarstellung der Klägerin zutrifft und ob das von ihr behauptete Verhalten des Beklagten und seiner Aufsichtsorgane als nachhaltig oder nachdrücklich in dem oben genannten Sinne angesehen werden kann. Denn dieses Verhalten ist jedenfalls nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand des Inhalts zu begründen, daß einer Inanspruchnahme der Klägerin für die durch ihre Lieferungen an die Firma A angefallene Mineralölsteuer Treu und Glauben entgegenstehen würden.

Der Umstand, daß ein HZA es ablehnt, Mehrausfertigungen von Mineralölerlaubnisscheinen zu erteilen, und es duldet, daß Verteiler steuerbegünstigten Heizöls deshalb ihre Kunden aufgrund von selbstgefertigten Kopien der Erlaubnisscheine beliefern, kann nämlich bei den beteiligten Steuerpflichtigen lediglich die Annahme rechtfertigen, daß für die ordnungsgemäße Abgabe des Mineralöls an andere Verwender nicht bei jeder einzelnen Lieferung der amtlich erteilte Erlaubnisschein vorgelegt zu werden brauche. Durch ein nachhaltiges Verhalten der Behörde von dieser Art kann infolgedessen auch nur ein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen darauf begründet werden, daß er bei der Abgabe steuerbegünstigten Heizöls an andere Erlaubnisscheininhaber nicht gegen steuerrechtliche Vorschriften verstößt, wenn er sich dabei im Einzelfall nicht den Erlaubnisschein vorlegen läßt.

Unberechtigt wäre es dagegen, dieser Handhabung durch die Verwaltung zu entnehmen, daß die materiellen Bedingungen unter denen die Steuerbegünstigung des Heizöls gewährt wird, und zu denen es bei der Verteilung an andere Verwender gehört, daß diese im Besitz einer gültigen Erlaubnis sind, nicht bei jeder einzelnen Angabe eingehalten werden müßten. Denn eine Vorschrift, die wie § 22 Abs. 2 Satz 1 MinöStDV vorschreibt, daß der Lieferer steuerbegünstigtes Mineralöl nur abgeben darf, wenn ihm ein gültiger Erlaubnisschein des Beziehers vorliegt, dient lediglich der Ordnung des für die Überwachung der gewährten Steuervergünstigung notwendigen Verfahrens. Wird eine solche Verfahrensvorschrift von den Steuerpflichtigen bei der Wahrnehmung der ihnen im Interesse der steuerlichen Überwachung obliegenden Pflichten allgemein und mit Duldung der Behörden nicht beachtet, so können diese sich allenfalls darauf verlassen, daß die von ihnen geübte Handhabung der Überwachungsbestimmungen als solche keine nachteiligen steuerrechtlichen Folgen für sie haben werde. Dagegen können sie nicht davon ausgehen, daß sie auch für die Erfüllung der materiellen Bedingungen, von denen die ihnen gewährte Steuervergünstigung abhängt, nur insoweit einzustehen brauchten, als ihre Einhaltung durch die Beachtung der steuerlichen Überwachungsbestimmungen, so wie sie allgemein gehandhabt werden, gewährleistet wird.

Aus diesen Gründen erstreckt sich ein etwaiger, aus dem oben geschilderten Verhalten der Steuerbehörde herzuleitender Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen nicht auf die steuerrechtlichen Folgen, die sich daraus ergeben, daß er steuerbegünstigtes Mineralöl zuwider der ihm erteilten Bewilligung an andere Personen abgibt, die im Zeitpunkt der Lieferung nicht im Besitz einer gültigen Erlaubnis zum Bezug solchen Mineralöls waren. Die Klägerin könnte sich deshalb gegenüber ihrer Inanspruchnahme durch das HZA nur dann auf Treu und Glauben berufen, wenn ihre Steuerpflicht in der bloßen Verletzung des § 22 Abs. 2 MinöStDV begründet wäre. Das trifft aber nicht zu; vielmehr ist im Streitfall die bedingte Mineralölsteuerschuld dadurch in der Person der Klägerin unbedingt geworden, daß sie steuerbegünstigtes Heizöl an einen Dritten geliefert hat, der im Zeitpunkt der Abgabe nicht im Besitz einer gültigen Erlaubnis war. Damit hat sie eine materielle Bedingung nicht eingehalten, an welche die für das Mineralöl gewährte Steuervergünstigung geknüpft war. Für die Erfüllung dieses steuerschuldbegründenden Tatbestandes (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 MinöStDV) ist es aber ohne Bedeutung, daß die Klägerin zugleich die der Überwachung der Steuervergünstigung dienende Verfahrensvorschrift des § 22 Abs. 2 MinöStDV verletzt hat.

Die Klägerin kann gegen ihre Inanspruchnahme zur Zahlung der Mineralölsteuer unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben auch nicht einwenden, daß es das HZA pflichtwidrig unterlassen habe, sie von der Einziehung des der Firma A erteilten Erlaubnisscheines in Kenntnis zu setzen. Eine derartige Mitteilung würde zwar verhindert haben, daß die Steuerpflichtige die genannte Firma weiterhin mit Heizöl belieferte und dadurch die für dieses Mineralöl bestehende Steuerschuld unbedingt wurde. Es ist ferner richtig, daß eine Steuerbehörde unter bestimmten Umständen verpflichtet sein kann, einen Steuerpflichtigen auf die Gefahr steuerlicher Nachteile hinzuweisen. Jedoch ist hier ein solcher Fall nicht gegeben.

Geht man von der Sachdarstellung der Klägerin aus, so war allerdings die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß frühere Lieferer der Firma A – wie geschehen – auch nach der Einziehung des ihr erteilten Erlaubnisscheines aufgrund der bei ihren Akten befindlichen Fotokopien steuerbegünstigtes Heizöl liefern würden. Es wäre ferner als eine nicht unwesentliche Ursache der darin für die Lieferfirmen liegenden Gefahr anzusehen, wenn der Beklagte die Verwendung der genannten Fotokopien in der von der Steuerpflichtigen behaupteten Weise gekannt und geduldet haben sollte. Jedoch darf demgegenüber nicht übersehen werden, daß der eigentliche Grund für die die Steuerpflicht der Klägerin auslösenden Lieferungen darin lag, daß sie – wie sie selbst angibt – von der weiteren Gültigkeit des der Firma A erteilten Erlaubnisscheines ausgegangen war. Dieser gute Glaube der Steuerpflichtigen an die Bezugsberechtigung der Firma A ist aber nicht auf die Handhabung der steuerlichen Überwachungsbestimmungen durch den Beklagten, sondern darauf zurückzuführen, daß ihr von der genannten Kundin einmal der Erlaubnisschein vorgelegt worden war und sie mit deren Wissen eine Fotokopie hiervon für ihre Akten gefertigt hatte. Es liegt auf der Hand und mußte auch der Steuerpflichtigen bewußt sein, daß sie sich damit hinsichtlich der künftigen Lieferungen auf die Redlichkeit der Firma A verließ. Das bedeutet, daß der Vertrauenstatbestand, der die Klägerin veranlaßte, steuerbegünstigtes Heizöl an einen tatsächlich nicht bezugsberechtigten Verwender abzugeben, seine Grundlage nicht in einem Verhalten des HZA, sondern in der Person ihres Abnehmers und ihren geschäftlichen Beziehungen zu diesem hatte. Die angebliche Verwaltungsübung des Beklagten konnte dagegen in diesem Zusammenhang nur insofern Bedeutung für die Klägerin haben, als sie möglicherweise davon ausgehen durfte, daß sie durch die bloße Nichtvorlage des nach ihrer Ansicht noch gültigen Erlaubnisscheines nicht gegen steuerrechtliche Überwachungsbestimmungen verstoßen würde. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß vom Standpunkt des HZA aus die Gefahr, daß ein Steuerpflichtiger die Verwendung von steuerbegünstigtem Mineralöl nach dem Widerruf der ihm erteilten Bewilligung und der Einziehung des Erlaubnisscheines unter Hintergehung seiner bisherigen Lieferanten fortsetzen werde, im allgemeinen nicht sehr nahe liegt.

Es erscheint dem Senat unter diesen Umständen zweifelhaft, ob der Beklagte im Hinblick auf die durch das Steuergeheimnis geschützten Interessen der Firma A überhaupt befugt gewesen wäre, anderen Personen von der Entziehung der Erlaubnis Kenntnis zu geben. Keinesfalls bestand aber eine Rechtspflicht der Zollbehörde zu einer solchen Mitteilung an die früheren Lieferer dieser Firma.

Die Vorinstanz hat deshalb zu Recht in der Geltendmachung des Mineralölsteuer-Anspruchs durch den Beklagten keinen Verstoß gegen Treu und Glauben erblickt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514769

BFHE 1970, 439

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