Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollschuldentstehung bei Nichtgestellung von Versandgut für Stationierungsstreitkräfte
Leitsatz (NV)
1. Die unterbliebene Gestellung von Zollversandgut führt grundsätzlich zur Zollschuld entstehung. Seine Behandlung als Truppenzollgut ist nur dann abgabenunschädlich ("es sei denn"), wenn alle Voraussetzungen für die Abfertigung zur bleibenden Truppenzollgutverwendung gegeben waren.
2. Zu den wesentlichen Erfordernissen für den Übergang in die Truppenzollgutverwendung (1.) unter Abgabenbefreiung gehört das Vorliegen eines schriftlichen Liefervertrags mit der Beschaffungsdienststelle und eines bei erfolgter Lieferung ausgestellten Abwicklungsscheins.
Normenkette
EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, d; EWGV 222/77 Art. 13; AnO DDR vom 29. 8. 1990 § 2; Deutsch/sowjet. Aufenthalts- u. Abzugsvertrag Art. 16 Abs. 2, 12; Anlage 3 Abschn. I
Tatbestand
Auf Anmeldung durch die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die ein Speditionsunternehmen betreibt und ein offenes Zoll lager unterhält, wurden am 13. November 1990 ... Kartons mit japanischen Geräten der Unterhaltungselektronik zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren (T 1) abgefertigt. Lieferer der Geräte war die X- GmbH in Y (alte Bundesländer), Empfänger das sowjetische Handels- und Versorgungsunternehmen in F (Beitrittsgebiet). Da die Waren bei der Bestimmungszollstelle nicht gestellt wurden, setzte das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) gegen die Klägerin Zoll und Einfuhrumsatzsteuer fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Durch die Nichtbeendigung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens infolge Nichtgestellung der Waren sei gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der (Zollschuld-) Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 -- VO -- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 201/15) eine Zollschuld entstanden.
Dies sei nicht deshalb zu verneinen, weil dem Frachtbrief zufolge ("allenfalls") Waren in den Bereich des sowjetischen Unternehmens gelangt seien. Die truppenzollrechtlichen Vergünstigungsvoraussetzungen -- Lieferung zur Verwendung durch die sowjetischen Truppen, ihre Mitglieder oder deren Angehörige (Art. 16 Abs. 2 des deutsch-sowjetischen Aufenthalts- und Abzugsvertrages -- AAV -- vom 12. Oktober 1990, BGBl II 1991, 258) -- seien nicht erfüllt. Der erforderliche Nachweis durch einen entsprechenden -- schriftlichen -- Liefervertrag und durch Abwicklungsschein gemäß der Anordnung zur Zoll- und Verbrauchsteuerentlastung von Waren, die an die Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR geliefert werden (AnO), vom 29. August 1990 (Gesetzblatt der DDR I 1990, 1608) sei nicht geführt, auch nicht durch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte nachträgliche Bescheinigung der Streitkräfte vom 11. April 1992. Durch Zeugenbeweis könne er nicht erbracht werden. Aus dem Ergebnis der Außenprüfung bei der X-GmbH könnten keine Schlüsse zugunsten der Klägerin gezogen werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt in erster Linie eine nicht genügende Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VO. Das FG habe die vorgelegten Unterlagen nicht darauf untersucht, ob eine Erreichung des Ziels des gemeinschaftlichen Versandverfahrens trotz formal nicht ordnungsgemäßer Abwicklung zu bejahen sei, und die Erhebung der angebotenen Zeugenbeweise zu Unrecht unterlassen. Eine Beweismittelbeschränkung komme gemeinschaftsrechtlich nicht in Betracht. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte das FG zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß die Ware, wie auch der hier zu berücksichtigende Bericht über die Prüfung bei der X-GmbH ergebe, den richtigen Empfänger erreicht hätte. Auf einen schriftlichen Beschaffungsvertrag komme es nicht an, zumal das Truppenzollrecht Schriftform nicht vorschreibe. Beschaffungsverträge in Schriftform seien zudem bis Ende des Jahres 1990 nicht verlangt worden. Die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VO enthaltene Einschränkung ("es sei denn") sei im übrigen in Übereinstimmung mit der damaligen Verwaltungspraxis selbst dann zu berücksichtigen, wenn die Zollschuldentstehung auf Art. 2 Abs. 1 Buchst. c VO zu stützen wäre. Maß gebend sei insoweit, daß sich Erhalt und Bezahlung der Waren durch das sowjetische Unternehmen aus den Unterlagen ergäben, die spätestens seit Januar 1991 dem HZA vorgelegen hätten. Es widerspräche dem Zweck der truppenzollrechtlichen Steuervergünstigung, würde sie versagt, obwohl der steuerbegünstigte Verbleib der Ware feststehe.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es vertritt -- nunmehr -- die Auffassung, die Zollschuld sei bereits durch Entziehen des Versandguts aus der zollamtlichen Überwachung entstanden (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c VO); eine "Entlastung" gemäß Buchst. d a.a.O. scheide mithin aus. Die Entlastungsvoraussetzungen lägen im übrigen nicht vor, und zwar selbst dann nicht, wenn die Belieferung der Streitkräfte einer Ausfuhr gleichzuachten wäre. Es fehle insoweit an der erforderlichen Abfertigung zur bleibenden Zollgutverwendung, die nicht nachholbar sei. Die Klägerin könne nicht besser behandelt werden als die Lieferanten, die ein vorgeschaltetes Versandverfahren ordnungsgemäß erledigt hätten. Zudem seien die materiellen Vergünstigungsvoraussetzungen (Beschaffungsvertrag, Abwicklungsschein) nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist, da nicht begründet, zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Vorentscheidung ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin schuldet die gegen sie festgesetzten Eingangsabgaben, weil sie, wie sich aus den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG ergibt, durch Nichtgestellung des Versandguts, das sie als Hauptverpflichtete des für sie eröffneten Versandverfahrens der Bestimmungszollstelle zu gestellen hatte -- Art. 13 der seinerzeit geltenden Verordnung (EWG) Nr. 222/77 des Rates vom 13. Dezember 1976 (ABlEG 1977 L 38/1) --, die Voraussetzungen des Zollschuldentstehungstatbestandes nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VO erfüllt hat -- Art. 5 der (Zollschuldner-)Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 des Rates vom 18. April 1988, ABlEG L 102/5; (vgl. auch Hohrmann in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, B/41 Rz. 87 a und b) --, womit auch die Einfuhrumsatzsteuer in ihrer Person entstanden ist (§ 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes). Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch die Entscheidung, daß Gründe für ein Nichtentstehen der Zollschuld gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d, letzter Teilsatz VO ("es sei denn") nicht vorliegen.
1. Der Senat kann offenlassen, ob im Streitfall anstelle des bezeichneten Zollschuld entstehungstatbestandes nicht erfüllter zollverfahrensrechtlicher Pflichten derjenige der Entziehung von Waren aus der zollamtlichen Überwachung eines Zollverfahrens (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c VO) heranzuziehen wäre (zur Entziehung im Rahmen des Zollgutversands etwa Senat, Urteil vom 13. August 1985 VII R 93/81, BFHE 144, 311, 313), mit der Folge, daß eine Anwendung von Buchst. d, letzter Teilsatz a.a.O. von vornherein ausschiede. Ebenfalls kann unentschieden bleiben, ob bei einer Konkurrenz beider Entstehungstatbestände Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VO vorrangig anzuwenden wäre (so die seinerzeitige Verwaltungspraxis; vgl. Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung -- VSF -- Z 0901 Abs. 7; s. jetzt aber Art. 204 Abs. 1 des Zollkodex). Auch wenn zugunsten der Klägerin von der Anwendbarkeit dieser Vorschrift ausgegangen wird, ergibt sich im Streitfall, daß die unterbliebene Gestellung, wie das FG entschieden hat (keine "Befreiung" von der Zollschuld; UA S. 5 f.), nicht ohne "wirkliche" Auswirkung auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Versandverfahrens geblieben ist.
2. Das Erfordernis der Gestellung des Versandguts bei der Bestimmungszollstelle gehört zum Wesen des Versandverfahrens (Senat, a.a.O.). Unterbleibt die Gestellung, wie im Streitfall, gänzlich, so wird der Zweck des Verfahrens beeinträchtigt, dessen ordnungsgemäße Abwicklung gestört. Der Verfahrenszweck wurde allerdings unter der Geltung der VO -- von den besonders geregelten Fällen des Nachweises ordnungsgemäßer Durchführung des Versandverfahrens bei Abfertigung einer ohne Gestellung ausgeführten Ware zum freien Verkehr in einem Drittland abgesehen -- als erreicht gewertet, wenn das nicht gestellte Versandgut unter zollamtlicher Überwachung unverändert (wieder) ausgeführt worden war (VSF, a.a.O., Abs. 8 Buchst. c). Die Belieferung ausländischer Stationierungsstreitkräfte könnte (wie im Ausfuhrerstattungsrecht; Senat, Urteil vom 13. Juli 1995 VII R 3/95, BFH/NV 1996, 278) als Sonderfall der Ausfuhr gelten (vgl. auch § 3 Abs. 4 AnO). Das kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen dafür -- zugleich für die Abgabenfreiheit als Truppenzollgut -- erfüllt werden. Insoweit bedarf es der Abfertigung zur Truppenzollgutverwendung unter Beachtung der dafür geltenden Bedingungen. Selbst wenn mit der Klägerin angenommen wird, daß der Rechtsgedanke des früheren § 57 a Abs. 3 des Zollgesetzes zu berücksichtigen ist (vgl. auch VSF, a.a.O., Satz 1), läßt sich über die auch materiell- rechtlichen Grundvoraussetzungen der Truppenzollgutverwendung nicht hinwegsehen. Eine Behandlung "wie abgefertigt" mit abgabenrechtlich heilender Wirkung könnte somit nur anerkannt werden, wenn die Abfertigung selbst hätte stattfinden können (vgl. hierzu den mit Senatsurteil vom 12. September 1989 VII R 24/87, BFHE 158, 185, 189 f., entschiedenen Fall des Erlöschens der durch Nichtgestellung von Versandgut entstandenen Steuerschuld bei Nachweis steuerlagerrechtsgemäßer Behandlung).
Für die Abfertigung zur bleibenden Truppenzollgutverwendung müssen die Voraussetzungen vorliegen, die sich aus innerstaatlichem (und ggf. zwischenstaatlichen) Truppenzollrecht ergeben. Eine "Beweismittelbeschränkung" kann in diesem Erfordernis nicht gesehen werden. Für die Beurteilung, ob sich die Nichtgestellung als Pflichtverletzung im Rahmen des Versandverfahrens nicht wirklich auf die ordnungsgemäße Verfahrensabwicklung ausgewirkt hat, ist eine Rechtsentscheidung zu treffen, bei der die für das anschließende Zollverfahren geltenden Bedingungen berücksichtigt werden müssen.
3. Die truppenzollrechtlichen Bedingungen für das Verfahren und die Abgabenfreiheit ergeben sich nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 31. August 1993 VII B 80/93, BFH/NV 1994, 210; vgl. auch BFH/NV 1996, 278) für Fälle der hier vorliegenden Art -- Lieferung von Waren aus einem besonderen Zollverkehr aus dem Bundesgebiet in seinem früheren Umfang -- jedenfalls in erster Linie aus der einigungsrechtlich fortgeltenden AnO. Nach ihr (§ 2) muß ein Lieferauftrag der Streitkräfte erteilt sein, und müssen die gelieferten Waren zum Gebrauch oder Verbrauch durch die Streitkräfte oder deren Mitglieder bestimmt sein, was alles in dem vorgesehenen Abwicklungsschein zu bestätigen ist. Der Liefervertrag mit der amtlichen Beschaffungsstelle/dem sowjetischen Handelsunternehmen muß, wie aus der Aufmachung des Abwicklungsscheins gemäß dem amtlichen Muster -- Bestandteil der Rechtsnorm -- folgt ("Datum und Nr. des Vertrages"), in Schriftform vorliegen (ebenso Schießl, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1995, 6 f.); die truppenamtliche Empfangsbestätigung ist auch darüber zu erteilen, daß die Waren zur begünstigten Verwendung "bestimmt sind", mithin bei der Lieferung abzugeben. Dieselben Voraussetzungen gelten nach zwischenstaatlichem Truppenzollrecht (Art. 16 Abs. 2, Abs. 12 mit Anlage 3 Abschn. I Abs. 2 AAV; Abwicklungsschein gemäß Art. 3 Abs. 1 mit Anhang 4 des später geschlossenen Verwaltungsabkommens vom 25. November 1991, VSF Z 6604). Für den Streitfall kommt es somit nicht darauf an, ob und ggf. inwieweit (auch) Bestimmungen des zwischenstaatlichen Truppenzollrechts heranzuziehen sind (vgl. auch das jüngste einschlägige Senatsurteil vom 4. Juni 1996 VII R 92/95, BFH/NV 1996, 942).
4. Die Voraussetzungen, die nach den vorstehenden Ausführungen (Nr. 2 und 3) für einen Übergang des nicht gestellten Versandguts in die Truppenzollgutverwendung gelten, sind nicht erfüllt. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß das Versandgut an die sowjetische Empfangsdienststelle geliefert worden ist (vgl. aber UA S. 6/7), so fehlt es jedenfalls an dem erforderlichen schriftlichen Liefervertrag mit der Beschaffungsdienststelle und einem bei erfolgter Lieferung ausgestellten Abwicklungsschein. Hierbei handelt es sich um wesentliche Erfordernisse, deren Fehlen abgabenschädlich ist. Den angebotenen Beweis hat das FG mit Recht als untauglich angesehen. Der später ausgestellte Abwicklungsschein war zudem unbehelflich. Erst recht unmaßgeblich sind Schlüsse, die die Klägerin aus dem Bericht über die Prüfung bei der X-GmbH oder aus der angeblichen, vom FG indes nicht festgestellten Bezahlung der Ware durch die Streitkräfte gezogen wissen will. Auch wenn die Bezahlung feststände, wäre die Klägerin nicht schon aus Rechtsgründen entlastet. Sie kann nicht günstiger gestellt sein als ein Lieferer, der das vorangegangene Versandverfahren ordnungsgemäß abgewickelt, aber die Bedingungen der Truppenzollgutverwendung und der mit ihr verknüpften Abgabenbefreiung nicht innegehalten hat und somit mit den Abgaben belastet bleibt.
Bei der vorstehend getroffenen Entscheidung, daß unter den hier gegebenen Umständen die Zollschuld in der Person der Klägerin entstanden ist, bestehen an der Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d VO keine Zweifel. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, wie sie die Klägerin angeregt hat, kommt mithin nicht in Betracht (vgl. dessen Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
Fundstellen
Haufe-Index 421641 |
BFH/NV 1997, 79 |