Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerberichtigung bei fehlerhafter Beurteilung der Voraussetzungen

 

Leitsatz (NV)

Für die Vorsteuerberichtigung ist die Beurteilung des Vorsteuerabzugs in einer unabänderbaren Steuerfestsetzung, in der der Abzug zugelassen worden war, maßgebend.

 

Normenkette

UStG 1980 § 15a

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) -- ein Arzt mit insoweit steuerfreien Umsätzen -- errichtete im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft 1980 und 1981 eine Eigentumswohnung. Er vermietete sie unter Verzicht auf die Steuerbefreiung an einen gewerblichen Zwischenvermieter und machte aus Rechnungen von Bauhandwerkern über Bauleistungen zur Herstellung der Wohnung den Abzug der gesondert ausgewiesenen Steuern als Vorsteuerbeträge geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte das Zwischenmietverhältnis an und ließ den Abzug (von ... DM für 1980, von ... DM für 1981 und von ... DM für 1982) als Vorsteuerbeträge zu. Die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1980 bis 1982 sind nach Aufhebung des den Umsatzsteuerbescheiden jeweils beigefügten Vorbehalts der Nachprüfung durch Bescheide vom 2. September 1982 (für 1980), vom 2. März 1983 (für 1981) und vom 11. April 1986 (für 1982) nicht mehr änderbar.

Nach einem Wechsel des gewerblichen Zwischenvermieters erklärte der Kläger in der Umsatzsteuererklärung für 1988 steuerfreie Mietumsätze, einen Vorsteuerberichtigungsbetrag nach §15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 vom ... DM und -- unter Berücksichtigung eines Steuerabzugsbetrags (§19 Abs. 3 UStG 1980) -- eine Umsatzsteuerzahllast von ... DM. Er führte hierzu aus, es seien keine die Einschaltung eines gewerblichen Zwischenvermieters rechtfertigenden Gründe mehr gegeben. Am 8. Oktober 1990 beantragte der Kläger, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung gemäß §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern und die Umsatzsteuer auf 0 DM herabzusetzen. Zur Begründung macht er u. a. geltend, er vermiete nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Zwischenvermietung steuerfrei an Endmieter und brauche nach der Entscheidung V 629/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1990, 272) keine Berichtigung des Vorsteuerabzugs hinzunehmen. Das FA lehnte es durch Bescheid vom 9. Oktober 1990 ab, die Umsatzsteuerfestsetzung für 1988 zu ändern.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nach erfolglosem Vorverfahren statt. Es verpflichtete das FA antragsgemäß, die Umsatzsteuer für 1988 gegen den Kläger auf 0 DM herabzusetzen. Zur Begründung führte es u. a. aus: Das FA hätte schon das erste Zwischenmietverhältnis nicht anerkennen dürfen. Es hätte von der Steuerfreiheit der Mietumsätze ausgehen müssen. Diese unzutreffende rechtliche Beurteilung dürfe nicht nach §15 a UStG 1980 berichtigt werden. Die Steuerfestsetzungen, in denen Vorsteuerbeträge berücksichtigt worden seien, dürften -- soweit möglich -- nur nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften geändert werden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Zur Begründung führte es u. a. aus: Das FG habe §15 a UStG 1980 unzutreffend ausgelegt. §15 a UStG 1980 setze nicht voraus, daß der Vorsteuerabzug im Erstjahr zu Recht gewährt wurde. Die Vorschrift lasse eine Korrektur stets zu, wenn die Verwendung des Wirtschaftsguts in den folgenden Kalenderjahren zu einer anderen Beurteilung -- auch aufgrund geläuterter Rechtsauffassung -- führe als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Außerdem verstoße der Kläger gegen Treu und Glauben, wenn er sich nunmehr auf die Steuerfreiheit der Vermietung berufe.

Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FA ist nicht zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1988 verpflichtet. Die in der Festsetzung enthaltene Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß §15 a UStG 1980 ist rechtmäßig.

1. Eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge ist vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern (§15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980). Unter den im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsguts für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse sind die Umstände der Umsätze zu verstehen, die der Unternehmer mittels des bezeichneten Wirtschaftsguts ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983). Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung qualifiziert werden. Dabei ist für die rechtliche Würdigung der Umsätze im Erstjahr grundsätzlich die zutreffende Beurteilung maßgebend, nicht aber eine von dieser abweichende Behandlung (§15 Abs. 2, 3 UStG 1980) durch die Beteiligten.

a) Für die Prüfung, ob in den Folgejahren eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen ist, besteht regelmäßig keine Bindung an die rechtliche Beurteilung des Umsatzes im Erstjahr. Ist die Steuerfestsetzung für das Erstjahr jedoch unanfechtbar und nicht mehr (z. B. nach §164 Abs. 2, §165 Abs. 2, §173 Abs. 1 AO 1977) änderbar, bewirkt die Bestandskraft in Verbindung mit der Unabänderbarkeit, daß die der Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrunde liegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die Anwendbarkeit des §15 a Abs. 1 UStG 1980 selbst dann "maßgebend" ist, wenn sie unzutreffend war. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr -- gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr -- zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980 gegeben. Der Vorsteuerabzug kann gemäß §15 a Abs. 1 UStG 1980 zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen berichtigt werden.

Die durch die Bestandskraft in Verbindung mit Unabänderbarkeit eintretende Gestaltung der im Erstjahr maßgebenden Rechtslage für das Erstjahr gebietet es, den Fall so zu behandeln, wie wenn für das Folgejahr eine Gesetzesänderung eingetreten wäre (vgl. zur Änderung der Verhältnisse durch Gesetzesänderung: BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983). Allerdings darf das Verfahrensrecht die Berichtigung nicht verbieten.

b) Der Senat hatte in seinem Urteil vom 27. Juni 1991 V R 106/86 (BFHE 165, 304, BStBl II 1991, 860) ausgesprochen, daß eine fehlerhafte Beurteilung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des §15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ("für sein Unternehmen") nicht in einem Folgejahr nach §15 a UStG 1973 berichtigt werden darf.

Er hat ferner in seinen Urteilen vom 3. Dezember 1992 V R 87/90 (BFHE 170, 472, BStBl II 1993, 411), und vom 21. Januar 1993 V R 15/91 und V R 111/91 zu den Vorsteuerabzugsvoraussetzungen des §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 ausgeführt, daß bei gleichbleibender Verwendung und unveränderter gesetzlicher Regelung bezüglich der Verwendungsumsätze eine spätere andere rechtliche Beurteilung als im Erstjahr nicht zur Vorsteuerberichtigung nach §15 a UStG 1980 führt. Die letztgenannte Aussage begrenzt der Senat im Hinblick auf die für den Streitfall maßgeblichen Erwägungen auf die Fälle, in denen die Steuerfestsetzung für das Erstjahr noch änderbar und nicht unanfechtbar ist.

2. Im Streitfall sind die Umsatzsteuerfestsetzungen 1980 bis 1982, in denen das FA den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen -- zu Unrecht -- zugelassen hat, unanfechtbar und nicht mehr änderbar. In ihnen ist eine steuerpflichtige (nicht abzugsschädliche) Grundstücksvermietung als für den Vorsteuerabzug maßgebende Verwendung der Bauleistungen zur Herstellung der Wohnung zugrunde gelegt worden. Im Streitjahr 1988, einem Folgejahr innerhalb des Berichtigungszeitraums, war die Vermietung der Wohnung -- anders als nach der bindenden Beurteilung für das Erstjahr -- zutreffend als steuerfrei (§4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) zu beurteilen; denn nunmehr wird -- anders als im Erstjahr -- die Vermietung als steuerfrei behandelt, während seinerzeit -- wenn auch zu Unrecht -- eine steuerpflichtige Vermietung angenommen wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64931

BFH/NV 1998, 94

HFR 1998, 123

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