Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis von Folgebescheid zu negativem Grundlagenbescheid/Nichtbescheid
Leitsatz (NV)
1. Keine Änderung des Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid mehr möglich, wenn ein Grundlagenbescheid wegen Eintritts der Feststellungsverjährung wie auch der Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen kann.
2. Können im Einkommensteuerbescheid bereits berücksichtigte Besteuerungsgrundlagen wegen Fristablaufs nicht mehr gesondert festgestellt werden, liegt in diesem Umstand kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, gleich, ob hierzu ein negativer Feststellungsbescheid ergeht oder nur eine Mitteilung erfolgt.
Normenkette
AO §§ 118, 169 Abs. 1, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, § 181 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war im Streitjahr (1993) an zwei Erbengemeinschaften beteiligt. Für dieses Jahr gaben die Kläger eine Einkommensteuererklärung ab, in der auch die Einkünfte aus den Erbengemeinschaften I und II aufgeführt waren.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) legte dem Steuerbescheid vom 24. Mai 1995 die Einkünfte des Klägers aus der Erbengemeinschaft II erklärungsgemäß zugrunde. In der Folge wurde die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr mehrfach wegen anderer Punkte geändert, zuletzt durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 5. April 2001. Eine bereits am 23. November 1995 beim FA eingegangene Feststellungserklärung der Erbengemeinschaft II für das Streitjahr wurde nicht bearbeitet. Erst in einem Schreiben vom 23. April 2001 teilte das FA mit, dass wegen Eintritts der Feststellungsverjährung kein Feststellungsbescheid für die Erbengemeinschaft II für das Streitjahr mehr ergehen werde.
Einen daraufhin gestellten Antrag des Klägers, die Einkommensteuerfestsetzung für 1993 erneut zu ändern und dabei die Einkünfte aus der Erbengemeinschaft II unberücksichtigt zu lassen, lehnte das FA wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist ab.
Im Einspruchs- und im Klageverfahren machten die Kläger geltend, die Mitteilung des FA vom 23. April 2001 sei ein bei der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigender (negativer) Grundlagenbescheid, für dessen Rechtswirksamkeit --so sinngemäß-- es unbeachtlich bleibe, dass er nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen sei. Dem für den Folgebescheid zuständigen FA komme keine endgültige Prüfungskompetenz bezüglich der festzustellenden Einkünfte zu. § 155 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) erlaube nur eine vorläufige Maßnahme des für den Folgebescheid zuständigen Wohnsitzfinanzamtes.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1577 veröffentlichten Gründen abgewiesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1993 ohne Ansatz von Beteiligungseinkünften aus der Erbengemeinschaft II zu verpflichten.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet, sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Entscheidung des FG, aus § 175 Abs. 1 AO folge keine Verpflichtung zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1993, ist rechtsfehlerfrei.
1. Zu Recht hat das FG einen Anspruch der Kläger auf Änderung aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verneint.
a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid von Amts wegen zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) erlassen, aufgehoben oder geändert wird, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt. In diesem Sinne ist im Streitfall der Einkommensteuerbescheid Folgebescheid, während der nicht ergangene Feststellungsbescheid Grundlagenbescheid gewesen wäre. Es kann infrage gestellt werden, ob die Mitteilung des FA vom 23. April 2001, dass ein Feststellungsbescheid über die Einkünfte der Erbengemeinschaft II nicht mehr ergehen wird, ein --negativer-- Grundlagenbescheid ist. Das Schreiben beschreibt zutreffend eine verfahrensrechtliche Rechtslage, ohne dass insofern ein gesetzlicher Regelungsbedarf bestand und ohne dass hierdurch tatsächlich etwas konstitutiv geregelt worden wäre. Das spricht dagegen, in dem Schreiben einen Verwaltungsakt, also eine "Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls" (§ 118 AO) zu erkennen. Es ist auch nicht formell als Verwaltungsakt ergangen, da es keine entsprechenden Merkmale (wie Bezeichnung als Bescheid o.ä. oder Rechtsbehelfsbelehrung) aufweist.
b) Dahingestellt bleiben kann, ob dem Schreiben des FA gleichwohl im Hinblick auf die abgegebene Feststellungserklärung für das Streitjahr die Eigenschaft eines --negativen-- Grundlagenbescheides beizumessen wäre. Die begehrte Änderung der Einkommensteuer für das Streitjahr kommt jedenfalls wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr in Betracht.
aa) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 AO). Zutreffend hat das FA in der Einspruchsentscheidung den Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer wie auch der Feststellungsfrist für die Einkünfte der Erbengemeinschaft II mit dem 31. Dezember 1999 berechnet. Das FG ist dem gefolgt.
bb) Der Ablauf der Festsetzungsfrist für einen Folgebescheid kann allerdings gemäß § 171 Abs. 10 AO gehemmt werden. Die Festsetzungsfrist endet danach nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Ergehen des Grundlagenbescheides.
Der Ablauf der Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid ist seinerseits insoweit unbeachtlich, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung (im Folgebescheid) von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nichtabgelaufen ist (§ 181 Abs. 5 Satz 1 AO). Dabei bleibt aber § 171 Abs. 10 AO außer Betracht, d.h., dass die in dieser Norm angeordnete Ablaufhemmung suspendiert ist, wenn und soweit sie nur durch einen erst nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangenen Grundlagenbescheid ausgelöst würde. Mit anderen Worten: ergeht ein gesonderter Feststellungsbescheid nicht mehr in offener Feststellungsfrist, kann er seine Bindungswirkung zulässig nur noch für Steuerfestsetzungen in offener Festsetzungsfrist entfalten (s. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. November 2006 II R 13/05, BFH/NV 2007, 641).
2. Auch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bietet keine Grundlage für einen Anspruch der Kläger auf geänderte Steuerfestsetzung.
Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Weder der Ablauf der Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid noch das Unterlassen einer gesonderten Feststellung innerhalb der Feststellungsfrist stellen ein solches rückwirkendes Ereignis dar, wie es der BFH in seinem in Sachen der Kläger ergangenen Urteil in BFH/NV 2007, 641 im Einzelnen begründet hat. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und sieht insoweit von einer nur wiederholenden Wiedergabe der Gründe ab.
Fundstellen
Haufe-Index 1849413 |
HFR 2008, 168 |