Leitsatz (amtlich)
1. Auch die Beitreibung von Umsatzsteuer gehört zur Steuer-"Verwaltung".
2. Die Finanzämter und ihre Verwaltungsangehörigen (Vollstreckungsstellen, Vollziehungsbeamten) haben sich in Umsatzsteuer-Beitreibungssachen ausdrücklich als Hilfsstellen der Oberfinanzdirektion zu bezeichnen.
3. Soweit eine Oberfinanzdirektion in Umsatzsteuer-Beitreibungssachen tätig wird, sind ihre Verwaltungsakte durch Verwaltungsangehörige des Bundes zu zeichnen.
Normenkette
GG Art. 87 Abs. 1 S. 1, Art. 108 Abs. 1 S. 1, Art. 103 Abs. 1; FVG § 9; AO § 304; ZVG § 31 Abs. 1
Tatbestand
Der Bf. war zusammen mit seinem Bruder bis zum Jahre 1950 Gesellschafter einer OHG, die durch sein Ausscheiden mit Wirkung vom 1. Januar 1951 aufgelöst wurde. Der zum Abwickler bestimmte Bruder führte das Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fort; die Gesellschaft wurde nach Maßgabe des § 158 HGB abgewickelt. Durch gerichtlichen Vergleich wurde 1951 vereinbart, daß die zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Grundstücke auf beide Gesellschafter als Miteigentümer nach Bruchteilen (zu je ein halb) übertragen werden sollten.
Eine bei der aufgelösten Gesellschaft 1955 durchgeführte Betriebsprüfung ergab Umsatzsteuernachforderungen gegen die Gesellschaft von über 22 000 DM; die Steuerfestsetzung ist nicht mehr anfechtbar. Da die Umsatzsteuer nicht bezahlt wurde, betrieb das Finanzamt die Vollstreckung in drei noch ungeteilte Grundstücke der OHG. Auf seinen Antrag wurden am 11. Februar 1957 auf diese Grundstücke Sicherungshypotheken für die Bundesrepublik Deutschland eingetragen. Das Amtsgericht ordnete auf Betreiben eines anderen Gläubigers die Zwangsversteigerung der Grundstücke an. Am 12. März 1957 ließ es den vom Finanzamt beantragten Beitritt zur Zwangsversteigerung zu Das Finanzamt zog den Beitrittsantrag zurück; es stellte ihn am 7. Januar 1958 aber erneut; das Amtsgericht ließ den Beitritt am 13. Januar 1958 abermals zu. Am 7. Juli 1958 wurden die Grundstücke auf den Bf. und seinen Bruder als Miteigentümer zu je ein halb umgeschrieben. Den Antrag des Bf., das Finanzamt möge die Einstellung der Zwangsversteigerung beantragen, auch die Sicherungshypotheken löschen lassen, lehnte das Finanzamt ab. Die dagegen vom Bf. eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion am 21. November 1958 als unbegründet zurück; als Rechtsmittel gegen die Beschwerdeentscheidung bezeichnete sie die Berufung an das Finanzgericht als gegeben. Das Versteigerungsgericht hob mit Beschluß vom 22. Juni 1960 das Versteigerungsverfahren, soweit die Vollstreckung "durch das Finanzamt" erfolgte, gemäß § 31 Abs. 1 des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) auf. Das Finanzgericht verwarf im Urteil vom 4. August 1960 die Berufung des Bf., mit der er sich gegen das Betreiben der Zwangsversteigerung durch die Finanzbehörden wandte, als unzulässig, weil der in Umsatzsteuersachen gegebene Beschwerdeweg an den Bundesminister der Finanzen nicht ausgeschöpft sei. Der Bf. werde zunächst noch eine Entscheidung des Bundesministers der Finanzen herbeiführen müssen, bevor er den Rechtsweg vor den Steuergerichten mit dem Erfolg einer sachlichen Prüfung beschreiten könne. Eine Fristversäumnis werde ihm mit Rücksicht auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung in der Beschwerdeentscheidung nicht entgegengehalten werden können. Das Finanzgericht legte die Kosten dem Bf. auf, sah aber aus § 314 AO von der Erhebung von "Gebühren und Auslagen der Rechtsmittelbehörde für das gegenwärtige Berufungsverfahren" ab.
Mit der Rb. begehrt der Bf., unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung dahin zu erkennen, daß, nachdem der Rechtsstreit durch Aufhebung des Versteigerungsverfahrens nach § 31 Abs. 1 ZVG in der Hauptsache erledigt sei, das Land die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Er wiederholt sein früheres Vorbringen und trägt insbesondere noch vor: Das Finanzgericht hätte ihn auf die Möglichkeit, daß die Berufung wegen Nichtausschöpfung des Verwaltungsweges als unzulässig verworfen werden könnte, hinweisen müssen. Er hätte dann schon damals vorgebracht, daß er seinerzeit nach Einlegung seiner Beschwerde und nach Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion auch im Bundesfinanzministerium verhandelt habe, und daß ihm dort erklärt worden sei, für die Entscheidung über die Beschwerde sei das Bundesfinanzministerium unzuständig, und er deshalb keine sachliche Entscheidung seiner Beschwerde über das Bundesfinanzministerium herbeiführen könne. Nach seiner Meinung habe er den Verwaltungsweg ausgeschöpft. Im übrigen sei in Sachen, in denen "die Umsatzsteuer nur mittelbar berührt" werde, wie im Beitreibungsverfahren, zur Entscheidung über die Beschwerde die Oberfinanzdirektion zuständig; in Umsatzsteuerbeitreibungssachen könne das Finanzamt niemals Hilfsstelle der Oberfinanzdirektion sein. Der Rechtsstreit sei inzwischen in der Hauptsache erledigt, weil, wie dem Finanzgericht bereits angezeigt, das Zwangsversteigerungsverfahren aus § 31 Abs. 1 ZVG durch Beschluß des Amtsgerichts vom 22. Juni 1960 aufgehoben worden sei. Streitig sei deshalb nur noch die Frage der Tragung der Kosten.
Im Schreiben vom 28. Mai 1960 an das Finanzgericht hatte der Bf. diesem mitgeteilt, die Frist für den Antrag der Oberfinanzdirektion auf Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens, dessen einstweilige Einstellung die Oberfinanzdirektion bewilligt habe, sei ohne weiteren Antrag der Finanzverwaltungsbehörde abgelaufen, so daß nach § 31 Abs. 1 ZVG zu verfahren sein werde.
Die Oberfinanzdirektion beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. hat Erfolg.
1. Dem Finanzgericht kann nicht darin beigepflichtet werden, daß die Berufung als unzulässig zu verwerfen war. Zwar trifft es zu, daß die Umsatzsteuerverwaltung nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) den Bundes finanzbehörden zusteht und daß, wie auch der Senat ständig entschieden hat, zur "Verwaltung" der Umsatzsteuer auch die Beitreibung wegen Umsatzsteuer ansprüche gehört. Auch in Umsatzsteuerbeitreibungssachen haben Bundesfinanzbehörden mitzuwirken (z. B. bei Anträgen auf Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Vollstrekkungsschuldners an die Vollstreckungsgerichte) bzw. zu entscheiden (z. B. bei Pfändungen); deshalb bestimmt § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) zutreffend, daß die Umsatzsteuer durch die (hier in erster Instanz tätig werdende) Oberfinanzdirektion verwaltet wird, und zwar durch Verwaltungsangehörige des Bundes, die dem Oberfinanzpräsidenten unmittelbar unterstehen. Wirken die Finanzämter, die Landesbehörden sind, bei der Bearbeitung einer Umsatzsteuer-Beitreibungssache mit, so tun sie das "als Hilfsstellen" (als Umsatzsteuerstellen) der Oberfinanzdirektion gemäß § 9 Abs. 2 FVG; vgl. auch Nr. 4 (1) Abs. 2 (3) der Ersten Verwaltungsanordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzverwaltung (1. DAFVG) vom 23. November 1950; sie haben sich ausdrücklich als solche Hilfsstellen der Oberfinanzdirektion zu bezeichnen (vgl. u. a. das Urteil des erkennenden Senats VII 80/61 U vom 22. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 166, Slg. Bd. 76 S. 456; ferner Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 91). Es ist auch richtig, daß nach dem im Streitfall noch anzuwendenden § 304 AO a. F. (vor dem Steueränderungsgesetz vom 13. Juli 1961 -- StÄndG 1961 --, Achter Abschn. Art. 17, Nr. 15 Buchst. a) zur Entscheidung über Beschwerden, denen nicht abgeholfen wurde, in Umsatzsteuer-Beitreibungssachen, in denen ein Finanzamt als Hilfsstelle der Oberfinanzdirektion tätig geworden war, der Bundesminister der Finanzen zuständig war (vgl. für Beschwerden in Umsatzsteuer-Stundungssachen das Urteil des Bundesfinanzhofs II 266/52 U vom 3. September 1953, BStBl 1953 III S. 297, 298, Slg. Bd. 58 S. 17; ferner Fließbach, Steuer und Wirtschaft -- StuW -- 1955 Sp. 417 ff.). Nicht zutreffend aber war es, daß die Vorinstanz deshalb, weil der Bf. im Einklang mit der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung der Beschwerdeentscheidung gegen sie das Finanzgericht anrief, die Berufung als unzulässig verwarf. Der Bf. rügt nicht mit Unrecht, daß die Vorinstanz ihn auf die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung wegen Nichtausschöpfung des Verwaltungsweges hätte hinweisen müssen. Dann hätte die Vorinstanz erfahren, daß der Bf. im Bundesfinanzministerium vorgesprochen hatte, und daß ihm erklärt worden war, das Bundesfinanzministerium sei zur Entscheidung über die Beschwerde in der Streitsache nicht zuständig. Unter diesen Umständen aber bedurfte es ausnahmsweise aus Gründen der Prozeßökonomie nicht noch eines formellen schriftlichen Anrufens des Bundesministers der Finanzen. Die Vorinstanz hätte hiernach die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Allerdings war vom Finanzgericht bereits nur noch über die Kosten zu entscheiden, da der Rechtsstreit, wie der Bf. zutreffend vorgetragen hat, infolge der Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens durch Beschluß des Versteigerungsgerichts vom 22. Juni 1960 in der Hauptsache erledigt war. In der Kostenfrage richtet sich die Entscheidung danach, ob der Bf. oder die Oberfinanzdirektion, wenn in der Sache selbst zu entscheiden wäre, obgesiegt hätte.
2. Die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion hätte gleichfalls nicht aufrechterhalten werden können. Die Finanzverwaltungsbehörde hat es zur Anwendung des § 31 Abs. 1 ZVG kommen lassen. Infolge des Beschlusses des Versteigerungsgerichts vom 22. Juni 1960, durch den das Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben wurde, "soweit die Vollstreckung durch das Finanzamt . . ." erfolgte, hat der Bund die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen. Die Zwangsversteigerung wurde aufgehoben, weil die Finanzverwaltungsbehörde innerhalb der in § 31 Abs. 1 ZVG gesetzten Sechsmonatsfrist weder einen Antrag auf Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens gestellt noch die erneute Einstellung des Verfahrens beantragt hatte. Die Oberfinanzdirektion hat im Schreiben vom 23./25. Januar 1961 dazu ausgeführt, daß die Finanzverwaltungsbehörde insbesondere deshalb dem Zwangsversteigerungsverfahren nicht wieder beigetreten ist, um Unannehmlichkeiten aus einem etwaigen Schadenersatzprozeß zu vermeiden, wenn wider Erwarten die Rb. des Bf. Erfolg haben sollte. Außerdem ist die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion in der Umsatzsteuerbeitreibungssache des Bf. von Verwaltungsangehörigen des Landes, nicht, wie es § 9 Abs. 1 FVG vorschreibt, von Verwaltungsangehörigen des Bundes gezeichnet worden. Das Verfahren der Oberfinanzdirektion entsprach somit nicht den Vorschriften der Art. 108 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 1 Satz 1 GG.
3. Auch die vollstreckungsrechtlichen Maßnahmen des Finanzamts standen mit Art. 108 Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Einklang. Sowohl der Antrag der Finanzverwaltungsbehörde auf Eintragung von Sicherungshypotheken als auch der Antrag auf Zulassung des Beitritts zur Zwangsversteigerung, die rechtlich betrachtet Ersuchen an das Gericht darstellten, waren vollstreckungsrechtliche Verwaltungsakte, "Verfügungen" im Sinne des § 91 AO, die mit Rechtsmitteln im Verfahren vor den Steuergerichten anfechtbar sind (vgl. Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1959 S. 355 I 2 e letzter Absatz mit weiteren Nachweisen). Diese Verfügungen betrafen Umsatzsteuer-Vollstreckung. Das Finanzamt hatte sie also als Hilfsstelle der Oberfinanzdirektion zu treffen (siehe oben 1.). Das ist nicht geschehen. Das Finanzamt hat am 8. Februar 1957 lediglich als "Finanzamt" X. "Vollstr.-Stelle" ohne Kenntlichmachung der Tätigkeit als Hilfsstelle der Oberfinanzdirektion wegen der "vorstehenden, vom Finanzamt" X "verwalteten Steuerforderungen" die Eintragung von Sicherungshypotheken zugunsten der Bundesrepublik Deutschland, "vertreten durch das Finanzamt" X., dieses vertreten durch seinen Vorsteher, beantragt. Demzufolge hat das Amtsgericht die Sicherungshypotheken eingetragen. Ebenso wurden die Anträge vom 2. März 1957 und vom 7. Januar 1958 auf Zulassung des Beitritts zum Zwangsversteigerungsverfahren lediglich vom "Finanzamt" X. "Vollstr.-Stelle" an das Versteigerungsgericht wegen der "hier" geschuldeten Steuern gestellt. Dementsprechend wurde vom Versteigerungsgericht der Beitritt "des Antragstellers" "auf Antrag des Finanzamts" X., "Gläubigers", "wegen des dem Gläubiger zustehenden Anspruchs . . ." auf Grund des vollstreckbaren Antrags vom . . . zugelassen. Der die Versteigerung aufhebende Beschluß des Versteigerungsgerichts vom 22. Juni 1960 lautete entsprechend: "Das Verfahren, soweit die Vollstreckung durchdas FA" X. "erfolgt, wird gemäß § 31 Abs. 1 ZVG aufgehoben".
Die Vorentscheidungen waren daher aufzuheben. Auf die Berufung war der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und dem Bund, da der Bf. ohne diese Erledigung in der Sache obgesiegt hätte, gemäß §§ 307, 309 AO die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen. Die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 320 Abs. 4 AO. Da es im Streitfall um die Vollstreckung, und zwar um Grundstückszwangsversteigerung, geht, ist der volle Wert der zu vollstreckenden Forderung für die Vorinstanzen anzusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 411859 |
BStBl III 1965, 735 |
BFHE 1966, 646 |