Leitsatz (amtlich)

1. Verpflichtet sich in einem Lohnverarbeitungsvertrag der Werkunternehmer (Ölmühle) die Nebenerzeugnisse (Rapsschrot) käuflich zu einem festvereinbarten Preis zu übernehmen, so liegt hinsichtlich der Nebenerzeugnisse ein abgeleiteter Erwerb dann nicht vor, wenn von vornherein feststeht, in welchen Fällen der Werkunternehmer zur Übernahme der Nebenerzeugnisse berechtigt ist.

2. Dem Werkunternehmer steht bei der Ausfuhr der von ihm gewonnenen Nebenerzeugnisse Ausfuhrhändlervergütung nicht zu.

 

Normenkette

UStG § 16 Abs. 1; UStDB § 70 Abs. 1 Nrn. 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Antragstellerin - Astin -) besitzt eine Ölfabrik. Sie schloß mit der X-AG im Juni 1956 einen Lohnverarbeitungsvertrag ab, der sie je Monat zur Verarbeitung einer bestimmten Menge von Raps der Ernte 1956 unter Garantie einer Ausbeute von 40 v. H. Rüböl und 55 v. H. Rapsschrot gegen Gewährung von Schlaglohn verpflichtete. Der bei der Lohnverarbeitung gewonnene Rapsschrot war nach Ziff. 3 des Vertrags entweder an die Rapslieferanten der X-AG auf Grund kontrahierter Schrotrücknahme zurückzuliefern oder in Ausnahmefällen, in denen keine Rücknahmeverpflichtung vereinbart war, durch die Astin von der X-AG zu einem festvereinbarten Preis käuflich zu übernehmen.

Streitig ist, ob die Astin für den ihr überlassenen Rapsschrot, den sie nach Holland ausführte, Ausfuhrhändlervergütung (AHV) erhalten kann.

Das FA gewährte zunächst für den Vergütungszeitraum IV/1956 die beantragte AHV, forderte sie jedoch, nachdem eine Vergütungsprüfung bei der Astin stattgefunden hatte, durch den Rückforderungsbescheid vom 29. August 1957 mit der Begründung zurück, die Astin habe den Rapsschrot nicht erworben, sondern hergestellt. Das FA verwies dabei auf das Urteil des Senats V 203/55 U vom 15. Juni 1956 (BFH 63, 85, BStBl III 1956, 229).

Die für den Vergütungszeitraum I/1957 beantragte AHV lehnte das FA mit Vergütungsbescheid vom 29. August 1957 mit der gleichen Begründung ab.

Einspruch und Berufung blieben erfolglos.

Mit der Revision beantragt die Astin, das Urteil des FG aufzuheben und die beantragte AHV zu gewähren.

Sie rügt unrichtige Rechtsanwendung und Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten. Eine unrichtige Rechtsanwendung sieht sie in der Annahme des FG, sie habe den Rapsschrot im eigenen Interesse und für eigene Zwecke verarbeitet. Das FG habe die Frage, ob die X-AG ihr den Rapsschrot geliefert habe, nicht offen lassen dürfen. Im Streitfall sei die wirtschaftliche Interessenlage entscheidend anders gelagert als in den vom FG angeführten Entscheidungen des BFH. Die X-AG sei nämlich in den meisten Fällen verpflichtet gewesen, das Nebenprodukt an ihre Vorlieferanten zurückzuliefern. Daraus folge, daß der Rapsschrot für Zwecke und im Interesse der X-AG gewonnen worden sei. Die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit hinsichtlich des Werklieferungs- und Kaufvertrages stelle deshalb eine Fiktion dar. Vielmehr liege in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen Gestaltung ein Werkvertrag und ein davon getrennter Kauf vor. Die Gewährung der AHV entspreche im übrigen auch ihrem Sinn, nämlich die deutschen Ausfuhrhändler durch Entlastung von der auf den ausgeführten Waren ruhenden Umsatzsteuer im Ausland konkurrenzfähig zu machen.

Einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten sieht die Astin in der Feststellung des FG, daß der Rapsschrot, der Gegenstand des Verfahrens sei, "von einer unbedeutenden Ausnahme abgesehen" ausschließlich aus denjenigen Partien stamme, bei denen eine Rücknahmeverpflichtung der Anlieferer nicht vorgesehen gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Rb., die nunmehr als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2 Nr. 1 FGO), hat keinen Erfolg.

1. AHV steht der Astin u. a. dann zu, wenn der ausgeführte Gegenstand im Inland erworben und im Inland von ihr weder bearbeitet noch verarbeitet worden ist (§ 16 Abs. 1 UStG in Verbindung mit § 70 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStDB).

Die Frage, ob die im Rahmen eines Werkleistungsvertrags anfallenden Nebenprodukte als originärer oder als abgeleiteter Erwerb des Werkunternehmers anzusehen sind, hat der Senat in den beiden Urteilen V 288/58 U vom 18. Oktober 1962 (BFH 75, 774, BStBl III 1962, 547) und V 244/60 U vom 10. Oktober 1963 (BFH 77, 732, BStBl III 1963, 588) dahin entschieden, daß ein abgeleiteter Erwerb jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn die Verarbeitungsmaßnahmen, soweit es sich um die Gewinnung der Nebenprodukte handelt, im eigenen Interesse und für die eigenen Zwecke des Beauftragten durchgeführt werden.

Von diesen Grundsätzen ist auch die Vorentscheidung ausgegangen. Sie hat hierzu festgestellt, daß die Astin den Rapsschrot für ihre eigenen Zwecke und im eigenen Interesse selbst gewonnen hat. Dies bestreitet allerdings die Astin mit dem Hinweis darauf, daß die X-AG "in den meisten Fällen" verpflichtet gewesen sei, das Nebenprodukt (Rapsschrot) an ihre Vorlieferanten zurückzuliefern. Die Astin sei aus diesem Grunde verpflichtet gewesen, der X-AG einen Schrotbericht einzureichen.

Die Astin übersieht jedoch bei ihrem Einwand, daß das FG einen originären Erwerb nur für die Fälle angenommen hat, in denen die X-AG nicht verpflichtet gewesen ist, den Rapsschrot an ihre Vorlieferanten zurückzuliefern. Die Fälle, in denen eine Rücklieferungsverpflichtung der X-AG bestanden hat, sind nicht Gegenstand des Streites.

2. Die Vorinstanz hat über die von der Rechtsprechung des Senats entwickelten Grundsätze hinaus angenommen, daß der zwischen der Astin und X-AG über die Schrotausbeute abgeschlossene Kaufvertrag an der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung nichts ändere. Denn es bedeute keinen wirtschaftlichen Unterschied, ob der verarbeitende Unternehmer die Verarbeitungsmaßnahmen als Werkleistender oder als Käufer vornehme. Entscheidend sei, daß die Nebenerzeugnisse gewonnen würden, nachdem zuvor eindeutig feststehe, daß der verarbeitende Unternehmer sie - sei es als Werklohn, sei es als konkretisierter Kaufgegenstand - behalten dürfe. Diese Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat sie aus der Auslegung des Lohnverarbeitungsvertrages nach dessen Wortlaut und Sinn gewonnen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Vertrages war die Astin zur Übernahme des Schrots, für den eine Rücklieferungsverpflichtung durch die X-AG nicht bestand, berechtigt und auch verpflichtet, und zwar zu einem festen Preis. Die Auffassung des FG findet auch darin eine Stütze, daß die käufliche Übernahme des Schrots durch die Astin im Lohnverarbeitungsvertrag selbst vereinbart ist und daher einen Bestandteil dieses Vertrages bildet. Lohnverarbeitung und Kauf des Rapsschrots durch die Astin stehen daher in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang.

Demgegenüber greift auch der Hinweis der Astin nicht durch, daß der Senat der zivilrechtlichen Gestaltung dann die Anerkennung nicht versagt habe, wenn für sie wirtschaftlich beachtliche Gründe vorlagen. Die Astin kann sich dabei insbesondere nicht auf das Urteil des Senats V 157/60 U vom 31. Januar 1963 (BFH 76, 544, BStBl III 1963, 198) berufen. Denn der Sachverhalt dieser Entscheidung weicht in wesentlichen Punkten von dem des Streitfalles ab. In dem entschiedenen Fall hat die Steuerpflichtige auf Grund eines mit der Deutschen Bundesbahn (DB) abgeschlossenen Vertrages Lokomotiven zerlegt, einen Teil des daraus gewonnenen Schrotts erworben und weiterveräußert. Nach der Zerlegung hatte die Steuerpflichtige etwa 40 v. H. des Gesamtgewichts der zerlegten Lokomotive (NE-Metall, Ersatzstücke und Werkstoffe) zurückzuliefern. Hinsichtlich des übrigen gewonnenen Schrotts hatte sich die DB vorbehalten, ihn der Zerlege-Firma zu überlassen. Dies ist jeweils auf Grund eines besonderen Verkaufschreibens geschehen. Nach den Ausführungen des Urteils wollte die DB bis zum Abschluß der Zerlegung Eigentümerin des Schrottes bleiben, weil sie die Entwicklung der Schrottpreise im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages nicht übersehen konnte und die Weiterlieferung des Schrotts an mit ihr zusammenarbeitende Schrottverkaufswerke steuern wollte.

Im Streitfall verhält es sich aber gerade anders. Im Vertrag vom 11. Juni 1956 hatte die Astin den Rapsschrot zu einem festen Preis übernommen. Auf Grund des mit den Rapslieferanten abgeschlossenen Kontrakts stand von vornherein fest, in welchen Fällen die Astin zur Übernahme des Schrots berechtigt war. In diesen Fällen hatte die X-AG an dem Rapsschrot überhaupt kein Interesse mehr, von der Zahlung des Kaufpreises dafür abgesehen. Sie hat sich daher auch keinerlei Verfügungsrecht daran vorbehalten. Es hat auch keinen Verkauf des Schrots, nachdem er gewonnen war, mehr stattgefunden. Dies war im Hinblick auf die Vereinbarung im Vertrag vom 11. Juni 1956 auch nicht mehr erforderlich. Es sind lediglich Rechnungen erteilt worden.

Eine andere rechtliche Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn der Astin erst im Anschluß an die Verarbeitung der Schrot verkauft worden wäre. Das trifft aber nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die insoweit nicht angegriffen werden, nicht zu. Infolgedessen gehen auch die Ausführungen der Astin fehl, es sei ihr die Verfügungsmacht dadurch übertragen worden, daß ihr die X-AG gestattet habe, über den Schrot zu verfügen.

3. Auch der Hinweis der Astin, daß die von ihr vertretene Auffassung mit der Behandlung desjenigen Rapsschrots durch die Finanzverwaltung übereinstimme, der von Landhändlern übernommen werde, greift nicht durch. Denn die Verfügung der OFD Kiel S 4169 A - St 51/510, auf die sich die Astin beruft, geht davon aus, daß der anfallende Rapsschrot an die Händler zurückzugeben ist. Es entpricht auch der Auffassung des Senats, daß in diesen Fällen eine Ölmühle nicht befähigt ist, über den angefallenen Rapsschrot zu verfügen. Ein solcher Sachverhalt liegt aber im Streitfall nicht vor.

4. Die Astin sieht einen Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten darin, daß nach den Feststellungen des FG nur bei unbedeutenden Ausnahmen eine Rücknahmeverpflichtung bestanden habe. Die Astin hat dargelegt, daß nach den dem FG vorgelegten Unterlagen für insgesamt 85 520 kg eine Rücknahmeverpflichtung gegeben gewesen sei, während die von der X-AG überlassene Schrotmenge nur 58 371 kg betragen habe. Es mag sein, daß die Feststellungen des FG insoweit fehlerhaft sind. Auf den fehlerhaften Feststellungen beruht jedoch das Urteil nicht. Das FG hat nämlich hinsichtlich des Rapsschrots, den die Astin zurückzuliefern hatte, festgestellt, daß die Rücklieferungsverpflichtung sich nicht auf die volle Schrotausbeute von 55 v. H., sondern nur auf eine solche von 50 v. H. bezogen habe, so daß die Differenz von vornherein der Astin verblieben sei. Die Astin habe demnach auch in diesen Fällen hinsichtlich des Überhangs von 5 v. H. die Verarbeitung im eigenen Interesse und für eigene Zwecke durchgeführt. Diese Auffassung entspricht den Grundsätzen der Entscheidung des Senats V 203/55 U vom 15. Juni 1956 (BFH 63, 85, BStBl III 1956, 229).

Da der Astin unter diesen Umständen die AHV nicht zusteht, weil sie den ausgeführten Rapsschrot nicht erworben, sondern selbst gewonnen hat, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412840

BStBl II 1968, 328

BFHE 1968, 283

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