Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ist die Verringerung der Einkünfte eines Betriebes im Zonengrenzgebiet nicht ausschließlich auf die Zonengrenznähe, sondern auch auf andere Gründe zurückzuführen, und haben die Verwaltungsbehörden mit Rücksicht hierauf den beantragten Zonengrenzerlaß nicht in der sonst üblichen Höhe, sondern zu einem geringeren Betrage ausgesprochen, so kann hierin ein Ermessensfehler solange nicht erblickt werden, als die anderen Gründe nicht so schwerwiegend sind, daß sie unabhängig von den Voraussetzungen des Zonengrenzerlasses oder in Verbindung mit der Lage des Betriebs in Zonengrenznähe allgemeine Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 AO rechtfertigen oder erforderlich machen würden.
Normenkette
AO § 131
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des zu erlassenden Betrages an Vermögensabgabe bei einem Abgabepflichtigen mit Vermögen im Zonengrenzgebiet.
Der Revisionskläger betreibt im Zonengrenzgebiet ein Sägewerk mit Holzhandlung. Nachdem das Finanzamt (FA) seinen auf Tz. 29 der Verwaltungsanordnung des Bundesministers der Finanzen über den Erlaß von Vermögensabgabe und Soforthilfeabgabe aus Billigkeitsgründen vom 19. Juli 1954 - VAO - (BStBl I 1954, 380) gestützten Antrag auf Erlaß von Vermögensabgabe wegen Vermögens im Zonengrenzgebiet abgelehnt hatte, gewährte die Oberfinanzdirektion (OFD) mit ihrer Beschwerdeentscheidung von den in den Jahren 1953 bis 1956 fällig gewordenen Vierteljahrsbeträgen einen Teilerlaß und wies die Beschwerde im übrigen als unbegründet zurück. Die OFD (Revisionsbeklagte) sah die Voraussetzungen für einen Zonengrenzerlaß nach Tz. 29 VAO in Verbindung mit den Richtlinien des Bundesministers der Finanzen (BdF) im Erlaß vom 7. Mai 1955 (LA-Kartei § 203 Abs. 5 Karte 8) im einzelnen als erfüllt an. Sie hielt aber einen Erlaß mit Rücksicht darauf, daß die anzuerkennende Geringfügigkeit der Einkünfte nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers nicht ausschließlich eine Auswirkung der Zonengrenzziehung sondern mit auch darauf zurückzuführen sei, daß ausländisches Schnittholz zu einem sehr niedrigen Preis importiert und außerdem das Holz als Verbrauchs- und Wirtschaftsgut immer mehr durch Pappe verdrängt werde, nicht in Höhe eines Drittels, sondern nur in Höhe eines Viertels der jährlichen Leistungen für vertretbar. Auch der Rückgang des Betriebsvermögens sei nur geringfügig und rechtfertige daher einen höheren Erlaß ebensowenig wie die nicht ungünstige Vermögenslage des Revisionsklägers.
Die Berufung, mit der ein Erlaß in Höhe der Hälfte der Jahresleistungen begehrt wurde, hatte keinen Erfolg. Auch die Vorinstanz sah die Voraussetzungen für einen Zonengrenzerlaß dem Grunde nach für gegeben an. Im Hinblick darauf, daß der Rückgang der Umsätze und Einkünfte nur zu einem Teil auf die Auswirkung der Grenzziehung, nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers aber zum überwiegenden Teil auf die - oben in der Beschwerdeentscheidung erwähnten - anderen Umstände zurückzuführen sei, erscheine dem Finanzgericht (FG) der Erlaß der rückständigen Vierteljahresleistungen für die Zeit von 1953 bis 1956 höchstens in Höhe von einem Viertel als vertretbar.
Mit der nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rb. wird wiederum ein Billigkeitserlaß in Höhe der Hälfte der Vierteljahrsbeträge der Jahre 1953 bis 1956 begehrt. Gerügt werden unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts und Ermessensmißbrauch. Die durch die Zonengrenzziehung eingetretene willkürliche Begrenzung im Einkauf und Verkauf habe für den Revisionskläger die entscheidenden negativen Einflüsse auf den Ertrag erbringen müssen. Daß es der Sägeindustrie im allgemeinen - also im ganzen Bundesgebiet - im fraglichen Zeitraum nicht gut gegangen sei, dürfe das Gericht nicht veranlassen, wegen dieser allgemeinen wirtschaftlichen Erschwernisse den Erlaßspielraum einzuengen. Damit werde das Unrecht im LAG nur noch vergrößert. Der Gebrauch der normierten Billigkeitsvorschriften könne im Zweifel nur großzügig sein, wenn sie ihren Sinn erfüllen sollten. Daß im Streitfall der Betrieb nicht nur geographisch, sondern auch kostenmäßig ein Grenzbetrieb sei, brauche als Faktum nicht bewiesen zu werden. Die Zonengrenzlage sei nach allen Beweisanzeichen die entscheidende Ursache für das Vegetieren des Betriebs. Das FG habe den falschen Gebrauch des billigen Ermessens der OFD nicht erkannt.
Die Revisionsbeklagte ist demgegenüber der Auffassung, es stelle bereits ein weitgehendes Entgegenkommen dar, wenn Zonengrenzbetrieben auch dann ein Erlaß von Vermögensabgabe zugebilligt werde, wenn noch kein außergewöhnlicher Vermögensverfall eingetreten sei. In dem vorliegenden Fall sei der Rückgang der Einkünfte und Umsätze offensichtlich nicht nur auf die weitgehende Verdrängung des Holzes als Verbauchs- und Wirtschaftsgut, sondern auch auf die Hohen Rundholzpreise zurückzuführen. Wollte man diese Tatsachen, unter denen wohl alle Sägewerke in der Bundesrepublik zu leiden hätten, als besonderen Grund bei Gewährung eines Zonengrenzerlasses berücksichtigen, so würde dies gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstoßen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die VAO vom 19. Juli 1954 und der ergänzende Erlaß des BdF vom 7. Mai 1955 (Erlaßrichtlinien) enthalten keine Rechtsnormen, sondern vom BdF den Finanzbehörden gegebene Richtlinien für die Ausübung des in § 131 AO für den Erlaß von Abgabeleistungen eingeräumten Ermessens. In früheren Urteilen hatte der Senat zwar ausgesprochen, daß die auf Grund des § 203 Abs. 5 LAG ergangenen Verwaltungsanordnungen rechtsnormähnlichen Charakter hätten und von den Steuergerichten zu beachten seien. Diese Auffassung hat der Senat aber im Anschluß an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 1 BvR 314/60 vom 21. Februar 1961 (BStBl I 1961, 63) aufgegeben (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - III 67/60 U vom 2. März 1962, BFH 75, 21, BStBl III 1962, 277; III 243/60 U vom 1. Februar 1963, BFH 76, 663, BStBl III 1963, 242; III 176/61 S vom 23. August 1963, BFH 77, 605, BStBl III 1963, 541 und III 74/60 U vom 20. November 1964, BFH 81, 205, BStBl III 1965, 73). Die in Tz. 29 der VAO und in den Erlaßrichtlinien getroffene eingehende Regelung der Erlaßvoraussetzungen bei Abgabepflichtigen mit Vermögen im Zonengrenzgebiet stellt ebenso wie die Regelung des Vermögensabgabeerlasses wegen Vermögensverfalls eine präzisierte Gruppenregelung dar, deren Sinn es ist, die Beantwortung der Frage, ob eine einen Erlaß rechtfertigende Härte vorliegt, zu schematisieren und so zu vereinfachen, daß die Entscheidung über den Erlaß den Finanzämtern überlassen werden konnte (vgl. auch BVerfG-Urteil vom 21. Februar 1961, a. a. O.). Mit dieser Regelung hat der BdF das der Verwaltung in der Generalklausel des § 131 AO eingeräumte Ermessen selbst dahin gebunden, daß in der Regel bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen ein Erlaß zu gewähren ist. Die Vorinstanz ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß die objektivierte Erlaßregelung der VAO und der Richtlinien vom 7. Mai 1955 für die Frage der Zulässigkeit des Erlasses in erster Linie zu beachten ist. Dies gilt auch für die Regelung über das Ausmaß des Erlasses, das sich nach Tz. 9 der Erlaßrichtlinien "nur nach den Verhältnissen des einzelnen Falles richten" könne. Die Revisionsbeklagte, die wie die Vorinstanz das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Billigkeitserlaß wegen Zonengrenzlage dem Grunde nach bejaht hat, glaubte, bei der Erlaßentscheidung dem Umstand Rechnung tragen zu müssen, daß außer dem von ihr anerkannten Grunde der Zonengrenzlage auch noch andere Gründe zu einer Verringerung der betrieblichen Einkünfte beigetragen hätten, nämlich die allgemein schlechte Lage in der deutschen Sägeindustrie infolge billiger Holzimporte und infolge Verdrängung des Rohstoffes Holz durch Pappe. Diese Gesichtspunkte, die von der Revisionsklägerin selbst vorgetragen wurden, mußte die Revisionsbeklagte gemäß Tz. 8 Abs. 1 der Erlaßrichtlinien berücksichtigen. Auch insoweit liegt eine Ermessensbindung der Verwaltung durch den BdF vor. Die genannte Einschränkung durch den BdF in Tz. 8 Abs. 1 der Erlaßrichtlinien überschreitet nicht den gesetzlichen Rahmen des Ermessens. Denn das Erlaßverfahren für Abgabepflichtige mit Vermögen im Zonengrenzgebiet ist ein besonderes Erlaßverfahren außerhalb des Rahmens allgemeiner Billigkeitsmaßnahmen, vermag letztere nicht auszuschließen und verstößt jedenfalls dann nicht gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, wenn der Erlaß dazu dient, wirklich nur die besonderen Nachteile auszugleichen, die durch die Lage des Betriebes in Zonengrenznähe bedingt sind. Wenn die Revisionsbeklagte dem Umstand, daß auch noch andere Gründe zur Verringerung der betrieblichen Einkünfte des Revisionsklägers beigetragen haben, dadurch Rechnung trug, daß sie statt des nach Tz. 10 der Erlaßrichtlinien üblichen Erlasses in Höhe eines Drittels der Vermögensabgabe-Vierteljahrsbeträge den Erlaß nur in Höhe eines Viertels aussprach, so ist dies eine sachgerechte Differenzierung dieser besonderen Billigkeitsmaßnahme. Ein Ermessensfehler kann hierin solange nicht erblickt werden, als die anderen Gründe, die zur Verringerung der betrieblichen Einkünfte beigetragen haben, nicht so schwerwiegend sind, daß sie unabhängig von den Voraussetzungen des Zonengrenzerlasses oder in Verbindung mit der Lage des Betriebs in Zonengrenznähe allgemeine Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 AO rechtfertigen bzw. erforderlich machen würden. Im übrigen lautet Tz. 10 der Erlaßrichtlinien dahin, daß ein Erlaß bis zu einem Drittel im Normalfall genügen werde, sofern nicht die Lage des Falles eine andere Entscheidung erfordere. Die Gerichte haben im Ermessensnachprüfungsverfahren nur darüber zu befinden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind ober ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Hält sich der nach pflichtmäßigem Ermessen erlassene Verwaltungsakt innerhalb des Ermessensspielraums, so ist das Gericht nicht befugt, einen höheren oder niedrigeren Erlaß innerhalb des gesetzlichen Ermessensrahmens auszusprechen und damit sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörden zu setzen. Die Vorinstanz hat sich an diese Grundsätze gehalten und die Beschwerdeentscheidung als im gesetzlichen Rahmen des Ermessens liegend erachtet. Dieser Entscheidung, die im wesentlichen auch auf dem Gebiet des Tatsächlichen liegenden Umständen beruht, stimmt der Senat zu.
Die Einwände des Revisionsklägers, die sich gegen die Erhebung der Vermögensabgabe überhaupt richten, die "wegen ihrer statischen Eigenschaft zur ungerechtesten Abgabe des 20. Jahrhunderts geworden" sei, betreffen nicht Fragen der Rechtsanwendung und Auslegung, sondern rechtspolitische Fragen, die an den Gesetzgeber zu richten wären. Verwaltung und Gerichte sind im Rechtsstaat an die bestehenden Gesetze gebunden, soweit sie mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Einklang stehen. Eine Grundgesetzverletzung ist nicht substantiiert dargetan und auch nicht ersichtlich. Die Anwendung des § 131 AO ist durch § 203 Abs. 5 LAG ausdrücklich gewährleistet, so daß in Fällen wirklicher Not Billigkeitsmaßnahmen zugunsten eines Abgabepflichtigen getroffen werden können und müssen, und zwar gegebenenfalls auch anstelle oder neben einem Zonengrenzerlaß. Ein solcher Anlaß ist im Streitfall nicht gegeben, wie die Vorinstanz festgestellt hat. An diese ebenfalls im Tatsächlichen liegende Feststellung des FG als Tatsacheninstanz ist der Senat als Revisionsinstanz grundsätzlich gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Zulässige und begründete Revisionsgründe sind auch insoweit vom Revisionskläger nicht vorgebracht worden.
Abwegig ist hier schließlich auch der Einwand des Revisionsklägers, in der VAO vom 19. Juli 1954 sei eine Orientierung der Billigkeit am Ertrag vernachlässigt und die Vermögensverfall-Komponente zu stark herausgestellt worden, was eine Mißachtung gerechter Billigkeitsgrundsätze bedeute. Denn gerade im Streitfall wird die in Tz. 29 der VAO vom 19. Juli 1954 vorgesehene Billigkeitsmaßnahme bevorzugt am Ertrag orientiert, wo hingegen ein Vermögensverfall weder vorliegt noch Voraussetzung für eine Erlaßmaßnahme bei Abgabepflichtigen mit Vermögen im Zonengrenzgebiet ist. Nur über diesen Fall ist aber hier zu entscheiden. Es erübrigt sich daher, auf diesen Einwand näher einzugehen, da er für den Streitfall nicht entscheidungserheblich ist.
Fundstellen
Haufe-Index 412408 |
BStBl III 1967, 274 |
BFHE 1967, 14 |
BFHE 88, 14 |