Leitsatz (amtlich)
Auch nach der gegenüber dem alten Umsatzsteuerrecht (§ 10 Satz 1 UStDB 1951) veränderten Fassung des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 gehört zum Entgelt alles, was für die Leistung aufgewendet wird. Freiwillig an den Leistenden gezahlte Beträge werden dann aufgewendet, um die Leistung zu erhalten, wenn zwischen dieser und der Zahlung eine innere Verknüpfung besteht.
Normenkette
UStG 1967 § 10 Abs. 1; UStDB 1951 § 10
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hat der Umsatzbesteuerung des Klägers und Revisionsbeklagten (Steuerpflichtiger), eines selbständigen Taxifahrers, im Jahre 1968 u. a. die von diesem vereinnahmten Trinkgelder zugrunde gelegt. Nach erfolglosem Einspruch entsprach das FG dem Klagebegehren des Steuerpflichtigen und vertrat folgende Auffassung: Der Entgeltsbegriff sei im UStG 1967 (§ 10 Abs. 1 Satz 2) gegenüber dem alten Umsatzsteuerrecht (§ 10 der UStDB 1951) dahin geändert worden, daß zum Entgelt nur das gehöre, was der Empfänger einer Leistung vereinbarungsgemäß aufzuwenden hat, um die Leistung zu erhalten. Da es sich bei den Trinkgeldern um freiwillige Zahlungen und nicht um vereinbarte Aufwendungen des Fahrgastes handle, könnten diese nicht zum Entgelt gerechnet werden; durch die Trinkgelder solle auch nicht eine besondere Leistung des Steuerpflichtigen abgegolten werden (abgedruckt in EFG 1971, 565).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des FA, die es im wesentlichen wie folgt begründet:
In dem hier entscheidenden Punkte sei der Entgeltsbegriff im neuen Umsatzsteuerrecht gegenüber dem des alten nicht geändert worden. Durch die Einfügung des Wortes "vereinbarungsgemäß" sollte lediglich zum Ausdruck gebracht werden, daß anders als im alten Recht aus systematischen Gründen im neuen Recht die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Soll-Besteuerung) die Regel und die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) die Ausnahme bilden sollte. Das FA bezieht sich insbesondere auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben.
Der Steuerpflichtige beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er teilt die Auffassung des FG.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Durch § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 ist der Entgeltsbegriff im neuen Umsatzsteuerrecht nicht in dem von der Vorinstanz ausgeführten Sinne geändert worden. Das ergibt sich aus dem im Sachzusammenhang zu betrachtenden Wortlaut der Vorschrift in Verbindung mit ihrer Entstehungsgeschichte sowie der in der Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - Bundestags(BT)-Drucksache VI/2817 - geäußerten Absicht der Bundesregierung, diese Rechtslage durch das Änderungsgesetz klarzustellen.
Der Wortlaut der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 kann nicht für sich allein, sondern nur zusammen mit den Sätzen 3 und 4 der Vorschrift gesehen werden, mit denen er in untrennbarem Zusammenhang steht. Diese drei Sätze enthalten die Legaldefinition des Entgeltsbegriffs im Umsatzsteuerrecht. Nach dem Wortlaut dieser Sätze ist ihr Inhalt jedoch nicht eindeutig. Während in Satz 2 davon die Rede ist, daß zum Entgelt alles gehört, was vereinbarungsgemäß für eine Leistung aufzuwenden ist, stellen die Sätze 3 und 4 bei der Frage der Entgelte von dritter Seite und der Regelung der durchlaufenden Posten allein auf die tatsächliche Gewährung bzw. die Vereinnahmung (und Verausgabung) ab. Diese Fassungen sind daher in sich widersprüchlich und lassen aus sich heraus eine eindeutige Auslegung nicht zu, ob der Gesetzgeber durch die Fassung des Satzes 2 den Entgeltsbegriff (gegenüber dem UStG 1951) dahin gehend ändern wollte, daß nach neuem Recht das, was vereinbarungsgemäß aufzuwenden ist, zum Entgelt gehört, oder ob aus den Fassungen der Sätze 3 und 4 zu folgern ist, daß der Entgeltsbegriff im UStG 1967 insoweit unverändert gelassen werden sollte und dem Wort "vereinbarungsgemäß" in Satz 2 eine andere Bedeutung beizumessen ist.
Die Beantwortung der Frage, welche Auslegung dieses widersprüchlichen Wortlauts dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich indessen aus der Entstehungsgeschichte des UStG 1967.
Aus dieser ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber den Entgeltsbegriff im neuen Recht nicht in dem hier in Rede stehenden Sinne ändern wollte, sondern lediglich beabsichtigte, die Steuererhebung technisch für den Regelfall von der sog. Ist-Besteuerung (Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten - § 11 UStG 1951) auf die sog. Soll-Besteuerung (Besteuerung nach vereinbarten Entgelten - § 14 UStG 1951, § 69 UStDB 1951) umzustellen.
Bereits der Regierungsentwurf eines UStG (BT-Drucksache IV/1590) enthält in § 9 Abs. 1 im wesentlichen die jetzt geltende Fassung des § 10 Abs. 1 UStG 1967. Hierzu ist in der Begründung "Zu § 9" ausgeführt: "... Aus technischen Gründen, insbesondere, um eine ordnungsmäßige Durchführung des Vorsteuerabzuges zu ermöglichen, ist grundsätzlich die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten - Solleinnahmen - vorgesehen (Ausnahme s. Begründung zu § 19)." In der Begründung "Zu § 19" heißt es: "Im System der Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug muß die Sollversteuerung insbesondere deshalb die Regel sein, weil auch der Vorsteuerabzug nur nach dem Soll, d. h. nach den für die Vorumsätze vereinbarten Entgelten technisch einwandfrei durchgeführt werden kann (vgl. Begründung zu § 9). ..." Ähnliche Ausführungen enthält der Schriftliche Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30. März 1967 (BT-Drucksache zu Drucksache V/1581) unter "Allgemeines" Nr. 6 sowie unter "Im einzelnen" unter "Zu § 10".
Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Sätze 3 und 4 in § 10 Abs. 1 UStG 1967 gegenüber ihrer Fassung im alten Recht (§ 10 Satz 2 UStDB 1951 und § 5 Abs. 3 UStG 1951) im wesentlichen unverändert gelassen hat, diese Sätze aber nur dann sinnvoll sind, wenn der Entgeltsbegriff in dem hier streitigen Umfang durch das neue Recht nicht geändert worden ist und daß die gegenüber der Fassung des § 10 Satz 1 UStDB 1951 geänderte Wortfassung des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 (Einfügung des Wortes "vereinbarungsgemäß") sich nach den oben aufgezeigten Materialien daraus erklärt, daß lediglich im Hinblick auf die Technik der Steuererhebung die Besteuerung nach der Solleinnahme (den vereinbarten Entgelten) zur Regelbesteuerung werden sollte, ergibt sich daher nach Auffassung des Senats die allein sinnvolle Auslegung des Entgeltsbegriffs dahin, daß auch nach neuem Recht zum Entgelt alles gehört, was für die Leistung aufgewendet wird. (Im Ergebnis ebenso u. a. Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Aufl., § 10 Tz. 4; Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 10. Aufl., §§ 1 bis 3 Tz. 458; Schüle-Teske, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 10 Tz. 11; Sölch-Ringleb-List-Müller, UStG-Mehrwertsteuer, Kommentar, § 10 Tz. 2 und 4.)
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird bestätigt durch Art. 1 Nr. 7 des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - BT-Drucksache VI/2817 -, durch den zur Beseitigung der durch die derzeit geltende Fassung entstandenen Zweifel in dem hier interessierenden Umfang der Wortlaut wiederhergestellt wird, wie er im alten Recht (§ 10 Satz 1 UStDB 1951) enthalten war. In der Begründung hierzu wird ausgeführt: "Die geltende Fassung des Satzes 2 sollte lediglich zum Ausdruck bringen, daß bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten zunächst die Solleinnahmen die Bemessungsgrundlage bilden. Die Neufassung macht deutlich, daß auch bei der Soll-Besteuerung die Umsatzsteuer letztlich nur nach der Gegenleistung bemessen wird, die der Unternehmer tatsächlich erhalten hat. Darüber hinaus soll sie durch die Streichung des Wortes 'vereinbarungsgemäß' klarstellen, daß auch freiwillig gewährte oder kraft Gesetzes und nicht auf Grund einer Vereinbarung geschuldete Gegenleistungen zum Entgelt gehören."
Da auch freiwillig an den Leistenden (Unternehmer) gezahlte Beträge aufgewendet werden, um die Leistung zu erhalten, wenn zwischen der Zahlung und der Leistung des Unternehmers eine innere Verknüpfung besteht (vgl. Urteil des RFH V A 500/34 vom 19. Juli 1935, RStBl 1935, 1152, sowie die Anmerkung in HFR 1972, 37 zu dem Urteil des BFH V R 74/68 vom 19. August 1971), gehören auch die im vorliegenden Fall an den Steuerpflichtigen gezahlten Trinkgelder zu seinem Entgelt.
Das vorinstanzliche Urteil, das die Rechtslage verkannt hat, war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1972, 405 |
BFHE 1972, 79 |