Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslandsaufenthalt für sich genommen kein Entschuldigungsgrund für die Versäumnis einer Ausschlussfrist nach § 79b FGO
Leitsatz (NV)
- Der Auslandsaufenthalt eines Klägers entschuldigt die Versäumnis einer Ausschlussfrist zur Mitteilung der entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel nicht, wenn ein Hindernis für die Einsicht in dessen Steuerakten durch seinen Bevollmächtigten nicht gegeben und auf dieser Grundlage die Bezeichnung des Klagebegehrens möglich ist.
- Bei dieser Sachlage kann das FG ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Fairnis im Gerichtsverfahren trotz des Auslandsaufenthalts an der festgesetzten Ausschlussfrist festhalten.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 2, § 79b
Tatbestand
I. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) erhob gegen den Einkommensteuerbescheid für 1991 des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) am 22. Dezember 1998 Klage mit dem Hinweis, diese könne noch nicht begründet werden, weil sich der Kläger im Ausland aufhalte und der Inhalt des Steuerbescheids und der Einspruchsentscheidung mit ihm noch nicht habe erörtert werden können. Daraufhin gab das Finanzgericht (FG) der Prozessbevollmächtigten durch Verfügung vom 28. Dezember 1998 mit Ausschlussfrist bis zum 1. März 1999 auf, eine schriftliche Vollmacht vorzulegen, den Gegenstand des Klagebegehrens zu benennen und die Klage zu begründen.
Mit Telefax vom 1. März 1999 bezeichnete die Bevollmächtigte als Gegenstand des Verfahrens die Einkommensteuerveranlagung des Klägers für 1991 und übersandte eine Ablichtung der ihr erteilten Generalvollmacht des Klägers mit dem Hinweis, sie könne diesen wegen dauerhaften Auslandsaufenthalts nicht erreichen und deshalb auch die Klage nicht begründen. Das Original der Generalvollmacht könne sie nicht aus der Hand geben, weil es sich um das einzige Exemplar handele; dieses benötige sie zur Vorlage insbesondere bei Behörden.
Das FG wies die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 2. März 1999 darauf hin, dass die Vorlage einer Telefax-Vollmacht nicht den prozessrechtlichen Anforderungen genüge. Vielmehr müsse dem FG auch im Streitfall Einsicht in die Vollmacht zur Feststellung einer bestehenden Originalvollmacht und zur Anfertigung einer Kopie für die Gerichtsakten gewährt werden.
Daraufhin beantragte die Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 12. März 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, nach wie vor halte sich der Kläger nicht in Deutschland auf. Mangels Kontakts mit ihm könne die Klage nicht begründet werden, so dass auch hinsichtlich der Klagebegründung Wiedereinsetzung zu gewähren sei.
Nachdem die Klage am 9. Juni 1999 begründet und die Originalvollmacht in der mündlichen Verhandlung vom 17. August 1999 vorgelegt worden war, wies das FG die Klage wegen verspäteter Vorlage der Vollmacht als unzulässig ab. Den während des Revisionsverfahrens ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid vom 6. September 2000 hat der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Mit der Revision rügt er Verletzung des Verfahrensrechts.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer für 1991 unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids für 1991 vom 6. September 2000 auf null DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen.
Dabei kann dahinstehen, ob die Abweisung wegen fehlenden Nachweises der (Original-)Vollmacht i.S. des § 62 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hätte erfolgen dürfen oder ob insoweit der Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 2000 GmS-OGB 1/98 (Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2000, 2340) Veranlassung gibt, auch Fotokopien von Vollmachtsurkunden ―wie sie im Streitfall vor Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist vorgelegt worden war― für den Nachweis der Vollmacht als ausreichend anzusehen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 17. September 2001 III B 24/01, BFH/NV 2002, 209, und vom 29. Oktober 2001 III B 77/00, BFH/NV 2002, 219).
Denn die Klage ist schon deshalb unzulässig, weil der Kläger innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 FGO sein Klagebegehren nicht bezeichnet und auch trotz diesbezüglicher Aufforderung auf der Rechtsgrundlage des § 79b FGO keine Angaben zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismitteln gemacht hat.
a) Innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich mitgeteilt, dass "Gegenstand des Klagebegehrens die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer für 1991" sei und dass sie keine Gelegenheit gehabt habe, mit dem Kläger über die Angelegenheit zu sprechen oder Einsicht in die Steuerunterlagen zu nehmen.
b) Dieser Hinweis stellt keine hinreichende Bezeichnung des Klagebegehrens i.S. des § 65 Abs. 1 FGO dar.
aa) Das Tatbestandsmerkmal "Gegenstand des Klagebegehrens" ist durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) für den bis dahin verwendeten Begriff "Streitgegenstand" eingefügt worden, ohne dass damit eine sachliche Änderung beabsichtigt war (BTDrucks 12/1061, S. 14). Auslegung und Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO sollten lediglich von dem Meinungsstreit über den Rechtsbegriff "Streitgegenstand" freigehalten werden. Die bisherige Rechtsprechung zu § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ist daher weiter anwendbar (BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16, m.w.N.). Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78 (BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99) ist zur Bezeichnung des Streitgegenstands ―jetzt: des Gegenstands des Klagebegehrens― vorzutragen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung liegt, inwiefern also der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Aufgrund des Vortrags muss das Gericht in die Lage versetzt werden, das Klagebegehren zu ermitteln, um die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 1999 X R 20/98, BFH/NV 1999, 1603, m.w.N.). Dabei bestimmen sich die Anforderungen an die Substantiierung des Begehrens nach den Umständen des Falles (vgl. Senatsurteil vom 14. Juni 2000 X R 18/99, BFH/NV 2001, 170).
bb) Im Streitfall hat der Kläger bis zum Ablauf der nach § 65 Abs. 2 und § 79b FGO gesetzten Ausschlussfrist nicht dargestellt, worin er die Verletzung seiner Rechte durch den Änderungsbescheid sieht.
Sowohl das Begehren auf Kassation des angefochtenen Bescheids in der Klageschrift als auch die Mitteilung, "Gegenstand des Verfahrens sei die Einkommensteuerveranlagung des Klägers für 1991", lassen nicht erkennen, weshalb sich der Kläger durch den Steuerbescheid in seinen Rechten verletzt sieht. Der Gegenstand des Klagebegehrens ergibt sich im Streitfall insbesondere nicht aus den Umständen des Verwaltungsverfahrens, die ggf. zur Bestimmung des Klagebegehrens heranzuziehen sind. So kann für die Auslegung einer Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Änderung eines Steuerbescheids das aus dem Antrag ersichtliche Begehren berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BStBl II 2002, 306).
Vergleichbare Anhaltspunkte bietet der Ablauf des Verwaltungsverfahrens im Streitfall nicht, weil auch der Einspruch gegen den angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid ohne Begründung eingelegt wurde.
c) Ebenso hat der Kläger die Ausschlussfrist für die Mitteilung der entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel nach § 79b FGO nicht gewahrt.
d) Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers, sie habe wegen des Auslandsaufenthalts des Klägers nicht mit diesem über die Angelegenheit sprechen können und habe auch keine Gelegenheit gehabt, Einsicht in die Steuerunterlagen zu nehmen, vermag die Fristversäumnis nicht zu entschuldigen. Das Festhalten des FG an der festgesetzten Ausschlussfrist verstieß auch nicht gegen den Grundsatz der Fairness im Gerichtsverfahren.
aa) Der Grundsatz der Fairness im Gerichtsverfahren umfasst den Anspruch der Prozessbeteiligten darauf, dass der Richter das Verfahren u.a. so gestaltet, dass er sich nicht widersprüchlich verhält. Außerdem verpflichtet dieser Grundsatz den Richter zur "Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation" (s. dazu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 26. April 1988 1 BvR 669, 686, 687/87, BVerfGE 78, 123, 126 f., NJW 1988, 2787; vom 28. Februar 1989 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372, 376 f., NJW 1989, 1147; vom 7. Oktober 1996 1 BvR 1183/95, juris Nr: KVRE271099601; vom 24. November 1997 1 BvR 1023/96, NJW 1998, 1853, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1999, 301; vom 6. April 1998 1 BvR 2194/97, NJW 1998, 2044; s. auch BFH-Beschluss vom 30. Januar 1996 V B 89/95, BFH/NV 1996, 683; Senatsurteile vom 16. März 1999 X R 41/96, BFHE 188, 528, BStBl II 1999, 565, m.w.N; vom 25. August 1999 X R 30/98, BFH/NV 2000, 439).
bb) Dies vorausgesetzt kann die Fristversäumnis nicht als entschuldbar und die Aufrechterhaltung der Frist durch das FG nicht als rechtswidrig angesehen werden. Denn ein Hinderungsgrund, die Steuerakten des FA einzusehen und auf deren Grundlage den Gegenstand des Klagebegehrens insbesondere im Hinblick auf die Verböserung der Steuerfestsetzung durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid zu bezeichnen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Auslandsaufenthalt des Klägers und die darauf ggf. beruhende Unmöglichkeit, von ihm Auskünfte zu den Besteuerungsmerkmalen zu erhalten, konnten diesen Ermittlungsmaßnahmen offenkundig nicht entgegenstehen.
Fundstellen
Haufe-Index 846308 |
BFH/NV 2002, 1591 |