Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifierung von Fruchtsäften; Anwendung tariflicher Grenzwerte

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Auslegung von Grenzwerten des GZT.

2. Fruchtsäfte, deren Dichte bei 15 Grad C den Grenzwert des GZT von 1,33 g/cm3 auch nur geringfügig überschreitet, gehören zur Stelle A der Tarifnr. 20.07 GZT 1980/1981. Das gilt auch dann, wenn sich die Mehrmenge nur in der dritten oder einer höheren Dezimalstelle auswirkt.

 

Normenkette

GZT 1980/1981 Tarifnr. 20.07

 

Tatbestand

Auf Antrag des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) fertigte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) in der Zeit vom November 1980 bis März 1981 vier Sendungen eines Apfelsaftkonzentrats zum freien Verkehr ab. Entsprechend der Anmeldung des Klägers, die Ware besitze bei 15° C eine Dichte unter 1,33 g/ccm, wies sie das HZA der Tarifst. 20.07 B I a 2 aa des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu (,,Fruchtsäfte . . . mit einer Dichte bei 15° C von 1,33 oder weniger . . .") und erhob mit vorläufigen Bescheiden entsprechend den Zoll. Die Untersuchung der bei den Abfertigungen jeweils gezogenen Proben ergaben eine Dichte (bei 15 °C) von 1,334, 1,337, 1,333 und 1,334. Das HZA ordnete daraufhin mit endgültigen Bescheiden in der Fassung von zwei Einspruchsentscheidungen die Waren der Tarifst. 20.07 A II a (,,Fruchtsäfte . . . mit einer Dichte bei 15 °C von mehr als 1,33 . . .") zu und forderte Zoll nach.

Das Finanzgericht (FG) gab der Anfechtungsklage hinsichtlich der Bescheide vom November 1980 und Januar 1981 statt und wies die Klage im übrigen ab. Zur Begründung führte es aus: Der Wortlaut der beiden fraglichen Tarifpositionen kennzeichne die Grenze nach einem in g/ccm ausgedrückten Wert der Dichte, ohne eine eindeutige Aussage über die Genauigkeit dieses Abgrenzungsmerkmals zu treffen. Es sei daher erforderlich, daß der für die Unterscheidung maßgebende Grenzwert nicht nur in seiner Größe definiert, sondern auch bestimmt werde, mit welcher Genauigkeit er zu handhaben sei. Da der Tarifwortlaut darauf keine klare Antwort gebe, müsse das maßgebende Kriterium durch Auslegung ermittelt werden. Diese Auslegung führe zum Ergebnis, daß in der Tarifnr. 20.07 GZT das Merkmal der Dichte mit einer Genauigkeit von 0,01 g/ccm gelte.

Seine - vom FG ausdrücklich zugelassense - Revision begründet das HZA wie folgt: Das FG habe die Tarifst. 20.07 B GZT falsch ausgelegt. Der angegebene Dichtewert von 1,33 sei ein absoluter Grenzwert, dessen eindeutig meßbare Überschreitung, und sei sie noch so gering, den Ausschluß der Position B der Tarifnr. 20.07 GZT und die Anwendung der Position A zur Folge habe. Aus der Anzahl der Dezimalstellen hinter dem Komma könne grundsätzlich nicht auf eine bestimmte Genauigkeit bzw. tolerierbare Schwankungsbreite bei ihrer Anwendung geschlossen werden.

Das HZA beantragt, in Abänderung der Vorentscheidung auch die Klage gegen die Bescheide vom November 1980 und Januar 1981 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit diese der Klage stattgegeben hat, und zur Abweisung der Klage auch insoweit. Das FG hat die Tarifst. 20.07 A GZT zu Unrecht dahin ausgelegt, daß ein Fruchtsaft mit einer Dichte ,,von mehr als 1,33" erst dann vorliege, wenn wenigstens die Dichte 1,335 oder darüber erreicht worden sei.

Die Positionen A und B der Tarifnr. 20.07 GZT unterscheiden sich nach der Dichte der Obst- und Gemüsesäfte. Beträgt die Dichte (jeweils bei 15° ) ,,mehr als 1,33" (zu ergänzen ist, wie nicht streitig ist, g/ccm; vgl. den entsprechend ergänzten GZT z. B. des Jahres 1987), so trifft die Position A zu, beträgt sie ,,1,33 oder weniger", so ist die Position B anzuwenden. Der Grenzwert ist also 1,33 und ist als solcher der Position B zugeordnet. Die Zahl 1,33 ist gleich groß wie die gleiche Zahl mit einer oder unendlich vielen Nullen ab der dritten Dezimalstelle. Die Zahl 1,33 mit einer 1 in einer der Dezimalstellen nach der zweiten ist größer als die Zahl 1,33, d. h. z. B. 1,331 oder 1,3301 ist größer, oder - in der Diktion des GZT - mehr als 1,33. Damit erweist sich bereits der Ausgangspunkt der Überlegungen des FG als nicht zutreffend, aus dem Wortlaut der Tarifnr. 20.07 GZT ergebe sich keine eindeutige Aussage über die Genauigkeit der Grenze zwischen den beiden Positionen. Die Auffassung des FG, eine Dichte von mehr als 1,33 beginne erst bei 1,335 und mehr und eine Dichte zwischen 1,33 und 1,33499 sei eine solche von 1,33 oder weniger i. S. der Position B, widerspricht dem klaren Wortlaut der Tarifnr. 20.07 GZT.

Für richterliche Rechtsfortbildung jenseits des möglichen Wortsinns der Tarifnr. 22.07 GZT fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Es ist bereits zweifelhaft, ob Rechtsnormen wie die des GZT, die auf internationalen Abmachungen beruhen und weltweit angewendet werden, einer richterlichen Rechtsfortbildung zugänglich sind. Jedenfalls fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme des FG, das Fehlen einer dritten Dezimalstelle in der Zahl 1,33 belege, daß nach dem Willen des GZT Dichteunterschiede, die sich erst in der dritten Dezimalstelle auswirken, für die tarifliche Abgrenzung vernachlässigt werden könnten. Ein solcher grundsätzlicher Zusammenhang zwischen der Anzahl der genannten Dezimalstellen und dem Sinn der Regelung läßt sich dem GZT nicht entnehmen. Das Gegenteil ist der Fall.

Innerhalb der Tarifst. 04.02 A II z. B. unterscheidet der GZT des Jahres 1980 zwischen Erzeugnissen in Umschließungen ,,mit einem Gewicht des Inhalts von 2,5 kg oder weniger" und ,,anderen" (d. h. mit mehr als 2,5 kg Inhalt). Folgte man der Auffassung des FG, so wäre ein Gewicht von 2,5 bis 2,5499 kg ein solches von ,,2,5 kg oder weniger" i. S. der genannten Tarifnummer; es entspräche erst ein Gewicht von 2,55 kg oder mehr einem solchen von ,,mehr als 2,5 kg" i. S. des GZT. Damit bliebe eine Überschreitung des Grenzwerts (2,5 kg) bis zu 49,99 Gramm unberücksichtigt. Bei der Tarifnr. 35.06 GZT 1980, in der das Abgrenzungskriterium ein Behältnisgewicht ,,von 1 kg oder weniger" ist, blieben Überschreitungen des Grenzgewichts von sogar 499,99 Gramm ohne Bedeutung, wenn man die Auffassung des FG zugrunde legte, was mit Sicherheit dem Sinn und Zweck dieser Regelung nicht entspräche.

Der Hinweis des FG auf die Zusätzliche Vorschrift 4 zu Kapitel 20 belegt nichts anderes. Danach gilt als konzentrierter Traubensaft bestimmter Tarifstellen jener, ,,dessen Dichte bei 20 °C nicht unter 1,240 g/ccm liegt". Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, das Anfügen der dritten Dezimalstelle (d. h. der rechnerisch wirkungslosen Null) habe seinen Grund darin, hier habe der Gesetzgeber des GZT die Grenze zwischen den in Frage kommenden Tarifstellen anders als in der Tarifnr. 20.07 bestimmen wollen. Auch das FG hat nichts dafür dargetan, warum der GZT bei konzentriertem Traubensaft genauere Anforderungen an die Abgrenzung hätte stellen sollen als bei den Frucht- und Gemüsesäften. Daher ist auch der Umkehrschluß des FG unbegründet, die Dichtezahl in der Tarifnr. 20.07 müsse wegen der fehlenden Null in der dritten Dezimalstelle eine andere Bedeutung haben als die Dichtezahl in der Zusätzlichen Vorschrift 6.

Die Richtigkeit der Auffassung des Senats wird durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 26. April 1972 Rs. 92/71 (EuGHE 1972, 231) bestätigt. In diesem Urteil ist der EuGH davon ausgegangen, daß zubereitete Aprikosen mit einem Zuckergehalt von 9,2 Gewichtshundertteilen (GHT) einen Zuckergehalt hat, der die Grenzmenge von 9 GHT i. S. der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kapitel 20 GZT übersteigt. Das ist mit der Auffassung des FG nicht vereinbar, das folgerichtig einen Zuckergehalt bis 9,499 GHT noch als einen solchen bis einschließlich 9 GHT ansehen müßte. Der EuGH ist zwar in seinem Urteil auf diese Frage nicht ausdrücklich eingegangen, denn sie war nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens. Da die von ihm entschiedene Frage aber nicht entscheidungserheblich gewesen wäre, falls der EuGH die Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kapitel 20 GZT nach den gleichen Grundsätzen wie das FG die Tarifnr. 20.07 GZT ausgelegt hätte, muß davon ausgegangen werden, daß der EuGH einen Zuckergehalt von 9,2 GHT für höher (i. S. der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kapitel 20) als einen Zuckergehalt von 9 GHT gehalten hat. Sonst hätte er in den Gründen seiner Entscheidung diese Frage angesprochen.

Seine Auffassung begründet das FG auch mit Hinweisen auf das Schutzbedürfnis der heimischen Wirtschaft, auf die inhomogene Zusammensetzung der unter die Tarifnr. 20.07 GZT fallenden Säfte und die erheblichen Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung der Dichte. Diese Argumentation überzeugt aber schon deswegen nicht, weil es unter allen diesen Gesichtspunkten keinen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob die Grenze zwischen den beiden Tarifpositionen A und B der Tarifnr. 20.07 GZT bei einer Dichte von 1,33000 (so der GZT) oder von 1,33499 g/ccm (so das FG) gezogen wird. Die besonderen Schwierigkeiten, die die Abhängigkeit der Tarifierung von solchen Grenzwerten mit sich bringt, können im Regelfall für die Auslegung des GZT nicht herangezogen werden, da sie allen solchen Regelungen immanent sind und der GZT auf die Festsetzung solcher Grenzwerte nicht verzichten kann.

Der Senat hält die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts für offenkundig; er ist daher zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nicht verpflichtet (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, und Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417232

BFH/NV 1991, 135

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