Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB
Leitsatz (amtlich)
War der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH vor Inkrafttreten des § 35 Abs.4 GmbHG rechtswirksam von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit, so sind Leistungen der Gesellschaft aufgrund später abgeschlossener In-sich-Geschäfte nicht allein deshalb vGA, weil die Befreiung erst nach Abschluß dieser Geschäfte in der Satzung geregelt und im Handelsregister eingetragen wurde.
Normenkette
KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2; GmbHG § 35 Abs. 4 Fassung: 1980-07-04; BGB § 181
Tatbestand
I. 1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde im Jahre 1969 durch S und seine Frau gegründet. In den Streitjahren 1982 bis 1986 war S Alleingesellschafter und Geschäftsführer. Im Geschäftsführervertrag vom 27.September 1972 wurde er vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit. Der Gesellschaftsvertrag und das Handelsregister enthielten bis zum Jahre 1986 keinen Hinweis auf diese Befreiung. Erst aufgrund der Gesellschafterversammlung vom 7.Juli 1986 wurde ein entsprechender Vermerk in das Handelsregister eingetragen.
Im Zuge einer Außenprüfung bei der Klägerin stellte der Prüfer fest, daß S in den Streitjahren im Namen der Klägerin mit sich selbst Darlehens- und Mietverträge abgeschlossen bzw. geändert hatte. Die Klägerin hatte die darauf beruhenden Mieten und Darlehenszinsen als Betriebsausgaben behandelt.
2. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat die Auffassung, daß ab 1.Januar 1981 (Inkrafttreten des § 35 Abs.4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG-- vom 20.April 1892, RBGl 1892, 477 i.d.F. des Gesetzes vom 4.Juli 1980, BGBl I 1980, 836) In-sich-Geschäfte eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers mit der von ihm vertretenen GmbH nur wirksam seien, wenn der Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag (Satzung) vom Verbot des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) befreit und die Befreiung im Handelsregister eingetragen sei. Da die Befreiung des Geschäftsführers S erst nach der Gesellschafterversammlung vom 7.Juli 1986 im Handelsregister eingetragen worden sei, seien die zwischen dem 1.Januar 1981 und dem Monat Juni 1986 abgeschlossenen Verträge (Vertragsänderungen) zwischen der Klägerin und S unwirksam. Das FA rechnete dem Einkommen der Klägerin die in der Zeit vom 1.Januar 1982 bis zum 30.Juni 1986 gezahlten Mieten und Darlehenszinsen insoweit als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) zu, als die Zahlungen auf Verträgen (Vertragsänderungen) aus der Zeit zwischen dem 1.Januar 1981 und dem 30.Juni 1986 beruhten. Am 19.Mai 1988 erließ das FA entsprechend geänderte Körperschaftsteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1982 bis 1986 und geänderte Feststellungsbescheide gemäß § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum 31.Dezember 1982 bis 31.Dezember 1986.
3. Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage der Klägerin als unbegründet ab.
Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verfahrensfehler und auf die Verletzung des § 8 Abs.3 Satz 2 KStG.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des FG vom 13.Dezember 1990 15 K 1437 - 1446/89 aufzuheben,
die Körperschaftsteuerbescheide und Feststellungsbescheide gemäß § 47 KStG
vom 19.Mai 1988 in der Weise abzuändern, daß keine vGA angesetzt würden.
Das FA beantragt,
die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revisionen der Klägerin sind begründet. Sie führten zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe nicht berücksichtigt, daß Frau S erst im Jahre 1974 als Mitgesellschafterin ausgeschieden sei, ist darin die Rüge eines Verstoßes gegen das Gesamtergebnis des Verfahrens zu sehen (§ 96 Abs.1 FGO). Die Verfahrensrüge greift jedoch nicht durch, da die Klägerin nicht dargelegt hat, inwieweit das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruhen kann (§ 120 Abs.2 Satz 2 FGO; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14.August 1986 VIII R 187/85, BFH/NV 1987, 104).
2. Unter einer vGA i.S. des § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht (Urteil des BFH vom 11.Dezember 1991 I R 49/90, BFHE 166, 545, BStBl II 1992, 434). Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der BFH eine Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (BFH-Urteil vom 16.März 1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626). Ist der begünstigte Gesellschafter ein beherrschender Gesellschafter, so kann eine vGA auch dann anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an ihn erbringt, für die es an einer klaren und vonvornherein abgeschlossenen Vereinbarung fehlt oder für die die entsprechende Vereinbarung entweder nicht durchgeführt ist oder zivilrechtlich unwirksam ist (vgl. BFH-Urteile vom 22.September 1976 I R 68/74, BFHE 120, 200, BStBl II 1977, 15; vom 14.März 1990 I R 6/89, BFHE 160, 459, BStBl II 1990, 795; vom 13.März 1991 I R 1/90, BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597).
3. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß S in den Streitjahren als Alleingesellschafter beherrschender Gesellschafter war. Es hat auch ohne Rechtsirrtum angenommen, daß S in den Streitjahren im Namen der GmbH mit sich selbst Verträge nur abschließen konnte, wenn er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit war. Gemäß § 35 Abs.4 GmbHG ist auf In-sich- Geschäfte des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH seit dem 1.Januar 1981 § 181 BGB anzuwenden. Die Vertretungsmacht des Geschäftsführers als Organ der GmbH umfaßt somit bei Einmann-Gesellschaften derartige Geschäfte nur, wenn sie ihm "gestattet" sind (§ 181 BGB).
Das FG hat ferner ohne Rechtsirrtum angenommen, daß eine einem Alleingesellschafter nach dem 31.Dezember 1981 erteilte allgemeine Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot einer Regelung in der Satzung und der Eintragung im Handelsregister bedarf (Bundesgerichtshof --BGH--, Urteil vom 6.Oktober 1960 II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1960, 2285; BGH-Beschluß vom 28.Februar 1983 II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbH-Rundschau --GmbHR-- 1983, 269; BFH in BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597; BGH-Beschluß vom 8.April 1991 II ZB 3/91, BGHZ 114, 167, GmbHR 1991, 261, 262; vgl. auch Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks 8/3908, S.74; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, Kommentar, 15.Aufl., § 35 Rz.79; Mertens in Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Ergänzungsband, § 35 Rz.227 g; Scholz/Schneider, GmbHG, Kommentar, 7.Aufl., § 35 Anm.117; Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der GmbH, 8.Aufl. 1992, S.95; Tiedtke, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1990, 391, 393).
4. Gleichwohl ist die Revision begründet. Das FG hat bei der Feststellung der Tatsachen und bei ihrer rechtlichen Würdigung die besonderen Umstände des Streitfalles nicht ausreichend gewürdigt.
Nach der Rechtsprechung des BGH bedurfte der Gesellschafter- Geschäftsführer einer mehrgliedrigen GmbH im Jahre 1972 einer Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens. Diese Befreiung brauchte jedoch nicht in der Satzung verankert zu sein (vgl. BGH vom 17.Mai 1971 III ZR 53/68, Wertpapier-Mitteilungen/ Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht --WM-- 1971, 1082; vgl. auch Eder in GmbH-Handbuch, Rz.581.4; Scholz/Schneider, a.a.O., 1986, § 35 Rz.99; Zöllner in Baumbach/Hueck, a.a.O., § 35 Rz.75). Daraus folgt, daß S im Jahre 1972 rechtswirksam vom Selbstkontrahierungsverbot befreit war, wenn Frau S --entsprechend dem Vortrag der Klägerin-- erst im Jahre 1974 aus der Klägerin ausschied. Das Ausscheiden der Mitgesellschafterin berührte die Wirksamkeit einer zuvor erteilten Befreiung zumindest bis zum 31.Dezember 1980 nicht (vgl. BFH in BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597; BGH in BGHZ 114, 167, GmbHR 1991, 261).
5. War die im Geschäftsführervertrag enthaltene Befreiung aus diesen Gründen zunächst rechtswirksam, so lag in den Streitjahren keine vGA vor. Selbst wenn die im Streitfall im Anstellungsvertrag enthaltene Befreiung ihre ursprüngliche Wirksamkeit ab dem 1.Januar 1981 wegen Formmangels verloren haben sollte, sind daran keine steuerlichen Folgerungen zu knüpfen.
Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung Vereinbarungen zwischen dem beherrschenden Gesellschafter und seiner Gesellschaft steuerlich nur anerkannt, wenn sie zivilrechtlich wirksam waren (BFH in BFHE 120, 200, BStBl II 1977, 15; in BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597). Die Voraussetzung zivilrechtlicher Wirksamkeit der Vereinbarungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter beruht auf der Überlegung, daß ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter dem Gesellschafter keine Leistungen aufgrund unwirksamer Vereinbarungen erbringen würde. Die Rechtsprechung bedarf jedoch für Fälle von der Art des Streitfalls einer Einschränkung.
Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter konnte auch bei zumutbarer Anspannung seiner Sorgfaltspflichten in Fällen von der Art des Streitfalls von einer fortdauernden Wirksamkeit der Befreiung ausgehen. Wenn ein Mitgesellschafter erst nach Abschluß des die Befreiungsklausel enthaltenden Anstellungsvertrages aus der Gesellschaft ausschied, so stand für den ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter fest, daß der Geschäftsführer zivilrechtlich wirksam vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit war. Einer Regelung in der Satzung bedurfte es für mehrgliedrige GmbHs nicht.
Eine Unwirksamkeit der Befreiung hätte sich allenfalls aus der Gesetzesänderung des Jahres 1980 ergeben können. Die Sorgfaltspflicht des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters würde jedoch überspannt, wenn man von ihm eine Ergänzung der aus seiner Sicht rechtswirksamen Befreiungsregelung wegen dieser Möglichkeit erwarten würde. Aus der Änderung des GmbHG war für Einmann-GmbHs lediglich die Notwendigkeit einer Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB zu entnehmen. Diese Befreiung lag jedoch bereits vor. War diese Befreiung rechtswirksam erteilt worden, lag es nicht nahe, auf die bereits vor zehn Jahren aufgegebene Rechtsprechung des BGH zum Formerfordernis bei Alleingesellschaftern zurückzugreifen. Für einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter stellte sich zunächst nur die Aufgabe, eine im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung unterbliebene Befreiung nachzuholen. War diese Befreiung jedoch in bisher rechtswirksamer Form erklärt worden, so konnte der Geschäftsleiter bei Anwendung der geschäftsüblichen Sorgfalt davon ausgehen, daß den gesetzlichen Pflichten bereits genügt sei.
Selbst wenn der Geschäftsleiter das Formerfordernis für die nach der Gesetzesänderung gewährten Befreiungen erkannte, brauchte er nicht anzunehmen, daß dieses Erfordernis auch für bereits wirksam erklärte Befreiungen anzuwenden war. Der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter brauchte nicht im Vorgriff auf eine bis heute nicht ergangene Rechtsprechung eine Unwirksamkeit der zunächst wirksamen Befreiung unterstellen. Im übrigen spricht der Beschluß des BGH in BGHZ 114, 167, GmbHR 1991, 261 eher für die fortdauernde Wirksamkeit einer einmal wirksam erteilten Befreiung.
Etwas anderes wäre allenfalls anzunehmen, wenn Anhaltspunkte bestünden, daß die Beteiligten bewußt oder fahrlässig eine Unwirksamkeit der Befreiung in Kauf nahmen, weil sie nicht ernsthaft an einer klaren zivilrechtlichen Regelung interessiert waren.
Das steuerrechtliche Erfordernis einer zivilrechtlich wirksamen Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot gilt deshalb für Alleingesellschafter jedenfalls dann nicht, wenn
a) eine zunächst zivilrechtlich wirksame Befreiung lediglich wegen eines
Formmangels ab 1981 zivilrechtlich unwirksam wird,
b) die Auswirkungen der Änderung des GmbHG auf die Wirksamkeit früher wirksam gewährter Befreiungen nicht eindeutig sind und
c) kein Anlaß besteht, an der Ernsthaftigkeit der Befreiung auch nach 1981 zu zweifeln.
6. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, wenn Frau S entsprechend dem Vortrag der Klägerin erst nach Abschluß des Geschäftsführervertrages aus der Klägerin ausschied. Das FG hat allerdings insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es wird die entsprechenden Feststellungen im zweiten Rechtsgang noch nachholen müssen.
Die übrigen Voraussetzungen der Ausführungen unter Ziffer 5 liegen vor. Insbesondere besteht kein Anlaß, am ernsthaften Willen der Beteiligten zu zweifeln, die Befreiung des Alleingesellschafters vom Selbstkontrahierungsverbot rechtswirksam zu regeln. Die Klägerin hatte in der Zeit nach dem Ausscheiden der Mitgesellschafterin Frau S die In-sich-Geschäfte ihres Geschäftsführers besser abgesichert, als das nach der damaligen Rechtsprechung des BGH erforderlich war. Sie beließ es bei der Befreiungsregelung im Anstellungsvertrag, obgleich nach dem Ausscheiden der Mitgesellschafterin nach der damaligen Rechtsprechung des BGH bei Einmann-GmbHs keinerlei Befreiung mehr erforderlich war (BGH-Urteil vom 19.April 1971 II ZR 98/68, BGHZ 56, 97). Bereits aus diesem Umstand ist zu entnehmen, daß der Klägerin daran gelegen war, die Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter auf eine eindeutige zivilrechtliche Grundlage zu stellen. Diese Annahme wird verstärkt durch die Satzungsänderung des Jahres 1986 und ihrer Eintragung im Handelsregister. Mit dieser Satzungsänderung versuchte die Klägerin möglichen Entwicklungen der Rechtsprechung auch für "Alt-Befreiungen" zuvorzukommen. Auch damit brachte sie ihren Willen nach eindeutiger zivilrechtlicher Regelung zum Ausdruck.
Fundstellen
Haufe-Index 64031 |
BFH/NV 1993, 7 |
BStBl II 1993, 141 |
BFHE 169, 171 |
BFHE 1993, 171 |
BB 1992, 2493 |
BB 1992, 2493-2494 (LT) |
DB 1993, 71-72 (LT) |
DStR 1993, 13 (KT) |
DStZ 1993, 92 (KT) |
HFR 1993, 81 (LT) |
StE 1992, 705 (K) |