Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten einer Kur als außergewöhnliche Belastung

 

Leitsatz (NV)

Aufwendungen für eine Kur sind nur dann als Krankheitskosten anzusehen, wenn die Reise nach ihrem Gesamtcharakter eine nach ärztlicher Anordnung und unter ärztlicher Leitung und Überwachung durchgeführte Maßnahme ist.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Aufwendungen der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für ihren vierwöchigen Aufenthalt in Italien und die dortigen Kuranwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

Ein Aufenthalt in Italien war durch amtsärztliche Atteste für beide Kläger als zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung ihrer Gesundheit dringend erforderlich erklärt worden. Dementsprechend reisten die Kläger nach Italien. Sie wohnten in einem Hotel, das unter medizinischer Leitung eines Arztes stand, dessen Dienste die Kläger in Anspruch nahmen, und unterzogen sich dort Behandlungen (jeder 20 Fangopackungen, 20 Allgemeinmassagen, 12 Lymphdrainagen, 22 Inhalationen, 22 Aerosoltherapien sowie 12 mal Krankengymnastik). Hierfür entstanden ihnen (einschließlich Fahrtkosten und Aufenthaltskosten) Aufwendungen in Höhe von insgesamt 16 718 DM, für die sie Beihilfe, jedoch keine Leistungen ihrer Versicherungen erhielten. Die Berücksichtigung der nicht von der Beihilfestelle erstatteten Aufwendungen der Kläger als außergewöhnliche Belastung lehnte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) bei der Einkommensteuerveranlagung 1993 (Streitjahr) ab.

Der hiergegen erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) mit im wesentlichen folgender Begründung stattgegeben: Die von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) für die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für eine Kur aufgestellten Voraussetzungen seien gegeben. Es lägen amtsärztliche Bescheinigungen vor, aus denen sich die Notwendigkeit des Aufenthalts in Italien ergebe. Die Kläger hätten sich dort Behandlungen unterzogen, die als Heilbehandlungen angesehen werden könnten, da die medizinische Leitung des Hotels bei einem Arzt gelegen habe, dessen Dienste die Kläger auch tatsächlich in Anspruch genommen hätten. Dementsprechend hätten die Kläger Beihilfe erhalten. Die Beihilfestelle sei dabei davon ausgegangen, daß das von den Klägern bewohnte Hotel den Anforderungen an ein Sanatorium entspreche. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Beihilfestelle eine staatlich eingerichtete Stelle sei, die nur dann für einen Sanatoriumsaufenthalt Beihilfen gewähre, wenn dieser dringend notwendig sei, habe das FG keine Veranlassung, die Erkenntnisse der Beihilfestelle in Zweifel zu ziehen und den Aufenthalt der Kläger als einen solchen mit Urlaubscharakter zu qualifizieren (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295).

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des FA, mit der die Verletzung des §33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und der Sachaufklärungspflicht des FG (§76 Abs. 1 Satz 1, §96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) gerügt wird. Krankheitskosten lägen nur bei einer Sanatoriumskur vor. In der Unterkunft dürften nur Personen aufgenommen werden, die einer stationären Behandlung bedürfen. Die Krankenanstalt dürfe nicht mit einem Beherbergungsbetrieb räumlich verbunden sein. Die Kläger hätten hingegen nach dem von ihnen vorgelegten Prospekt und den Rechnungen in einem Hotel gewohnt, in dem Kuranwendungen durchgeführt werden konnten. Ferner habe das FG nicht nach seiner eigenen Überzeugung, sondern aufgrund einer nicht bestehenden Bindung an die Beurteilung durch die Beihilfestelle sein Urteil gefällt. Hätte es die ihm vorliegenden Unterlagen selbst geprüft, hätte es erkannt, daß das Hotel die Anforderungen an ein Sanatorium nicht erfüllt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie meinen, die Verfahrensrüge des FA entspreche nicht den vom BFH aufgestellten Voraussetzungen. Es sei nicht dargelegt, welche Tatsache das FG hätte aufklären, welche Beweise es hätte erheben und weshalb sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Im übrigen sei der Vortrag des FA widersprüchlich, wenn dieses die Ansicht vertrete, es bestehe kein Aufklärungsbedarf mehr, die Klage sei abzuweisen. Das FG habe ausdrücklich festgestellt, daß die Kläger sich einer Heilbehandlung in einem unter ärztlicher Leitung stehenden Hotel unterzogen haben; auf die zusätzlichen Erwägungen des FG, in denen auf die Entscheidung der Beihilfestelle verwiesen werde, komme es daher nicht an.

In materiell-rechtlicher Hinsicht meinen die Kläger, ob eine Unterkunft sich als Hotel bezeichne, sei ohne Bedeutung; entscheidend sei, daß unter ärztlicher Leitung medizinische Anwendungen gewährt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache an das FG begründet (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Nach §33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören zu den nach §33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Diese Voraussetzung fehlt bei Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 1. Dezember 1978 VI R 149/75, BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78, und vom 12. Juni 1991 III R 102/89, BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763). Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise (Kur) sind daher nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann als Krankheitskosten anzusehen, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275; in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, und in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763, jeweils m. w. N.). Die Annahme, daß eine Reise eine Heilbehandlung ist, setzt voraus, daß die Reise nach ihrem Gesamtcharakter eine nach ärztlicher Anordnung und unter ärztlicher Leitung durchgeführte Kurreise und nicht ein Erholungsaufenthalt ist, der der Gesundheit letztlich auch förderlich ist. Gegen die Annahme einer Heilkur kann insbesondere der äußere Ablauf der Reise sprechen, z. B. wenn die Reise normalerweise von Reisebüros für Erholungssuchende vermittelt wird (BFH-Urteil vom 10. März 1972 VI R 256/69, BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534) oder wenn eine (erwachsene) kurbedürftige Person nicht in einem Sanatorium o. ä., sondern in einem Hotel oder Privatquartier untergebracht ist (BFH-Urteil in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763). Ferner ist eine ärztliche Verordnung und Überwachung der eigentlichen Kuranwendungen zwingend erforderlich (BFH-Urteile in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295; vom 23. Oktober 1987 III R 64/85, BFH/NV 1988, 149, und in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763).

Ob für eine Kurreise in dem vorgenannten Sinn, deren Kosten die Anforderungen an eine außergewöhnliche Belastung i. S. des §33 EStG erfüllen, stets sämtliche der vom FA aufgestellten Voraussetzungen (etwa auch eine getrennte Unterbringung von Hotelgästen und Kurgästen) vorliegen müssen oder ob einzelne solcher Umstände lediglich indizielle Bedeutung haben (vgl. Senatsurteil in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763), bedarf keiner Erörterung. Denn jedenfalls steht im Streitfall schon nicht fest, daß die einzelnen Kuranwendungen der Kläger ärztlich verordnet worden sind und daß eine ausreichende Überwachung ihrer Durchführung und ihrer Wirkungen stattgefunden hat (vgl. z. B. Senatsurteil in BFH/NV 1988, 148).

Das FG hat zwar in tatsächlicher Hinsicht ausgeführt, die Kläger hätten sich Behandlungen unterzogen, die als Heilbehandlungen anzusehen seien, weil die "medizinische Leitung des Hotels" bei einem Arzt gelegen habe, dessen Dienste die Kläger auch tatsächlich in Anspruch genommen hätten. Tatsachen, die diese tatsächlichen Schlußfolgerungen des FG trügen, sind vom FG indes nicht festgestellt worden. Sollte das FG in rechtlicher Hinsicht angenommen haben, es genüge für eine Heilbehandlung, daß die Kläger im Zusammenhang mit dem Kuraufenthalt irgendwelche (vom FG nicht näher spezifizierten und nach dem Vorbringen der Revision mit insgesamt nur 180 DM in Rechnung gestellten) ärztlichen Leistungen in Anspruch genommen haben, so wäre sein Urteil insoweit nicht frei von Rechtsirrtum. Ebensowenig würde es für die Annahme einer Heilbehandlung ausreichen, daß, was das FG offenbar mit dem Hinweis auf die "medizinische Leitung des Hotels" zum Ausdruck bringen will, die Kurmittelabteilung des Hotels, in dem die Kläger gewohnt haben, als solche unter der Leitung und Aufsicht eines Arztes steht. Denn diese Umstände erfüllen für sich genommen noch nicht die Anforderungen an eine ärztliche Leitung und Überwachung der Kur in dem hier maßgeblichen Sinn. Allenfalls wenn eine solche ärztliche Leitung und Überwachung der Kur stattgefunden hat, kann jedoch der Aufenthalt in einem Hotel mit Kuranwendungen als Heilbehandlung angesehen werden. Dazu hat das FG indes keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die eine revisionsrechtliche Überprüfung seiner Bewertung der von den Klägern unternommenen Reise ermöglichen (vgl. BFH-Urteile vom 25. Mai 1988 I R 225/82, BFHE 154, 7, 10, BStBl II 1988, 944, und vom 26. Juni 1990 VII R 5/88, BFHE 161, 225, insoweit nicht veröffentlicht). Die besonderen Voraussetzungen, unter denen der erkennende Senat in der vorgenannten Entscheidung und in dem Urteil in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763 außergewöhnliche Belastungen bei einer Kur ohne ständige ärztliche Überwachung für möglich gehalten hat (z. B. bei einer "Klimakur"), hat das FG ebenfalls nicht festgestellt; sie werden von den Klägern auch nicht geltend gemacht.

2. Da das Urteil des FG bereits aus diesen Gründen Bundesrecht verletzt und deshalb keinen Bestand haben kann, bedarf es keines weiteren Eingehens auf die vom FA erhobene Verfahrensrüge oder die vom FA in der Revisionsbegründung nicht ausdrücklich wiederholte Rüge aus dem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision, das FG habe den vom FA gestellten Beweisantrag nicht übergehen dürfen, ohne dadurch die Beweiswürdigung unzulässig vorwegzunehmen (BFH-Entscheidungen vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660; vom 21. Mai 1992 VIII B 76/91, BFH/NV 1993, 32; vom 19. Juli 1994 VIII R 60/93, BFH/NV 1995, 717; vom 5. Februar 1992 I R 25/91, BFH/NV 1992, 678; vom 9. Juli 1985 IX R 53/80, BFH/NV 1986, 217, 218; vom 6. Februar 1985 II R 12/84, BFH/NV 1985, 41, und vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311).

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat bislang nicht hinreichend geprüft, ob die einzelnen Kuranwendungen, welche die Kläger erhalten haben, auf ärztlicher Verordnung beruhen und unter ärztlicher Aufsicht verabreicht worden sind. Es wird im zweiten Rechtsgang den Klägern Gelegenheit zu geben haben, dies nachzuweisen, nachdem die von ihnen bisher vorgelegten Unterlagen hinreichende Anhaltspunkte dafür nicht erkennen lassen. Das FG wird ferner nach den oben angeführten Grundsätzen der Rechtsprechung des BFH den Gesamtcharakter der von den Klägern unternommenen Reise zu würdigen und etwaigen dazu von den Beteiligten gestellten (zulässigen) Beweisanträgen nachzugehen haben. Sollte es dabei keine zwingenden Anhaltspunkte dafür gewinnen, daß es sich bei der Reise aus der Sicht des §33 EStG nicht um eine Heilbehandlung, sondern um einen Aufenthalt gehandelt hat, der in nicht nur unbedeutendem Umfang auch der allgemeinen Erholung und Ertüchtigung der Kläger gedient hat, wäre es revisionsrechtlich allerdings unbedenklich, wenn das FG für eine den Klägern günstige Entscheidung als Beweisanzeichen mitberücksichtigt, daß deren Aufwendungen beihilferechtlich als Aufwendungen für eine Krankenbehandlung anerkannt worden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67047

BFH/NV 1998, 839

DStRE 1998, 513

HFR 1998, 557

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