Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufigkeitsvermerk bei sog. Mindestbesteuerung
Leitsatz (amtlich)
Die abstrakte Möglichkeit, dass in späteren Veranlagungszeiträumen Ereignisse eintreten, die (als sog. Definitiveffekte) im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung auf den Veranlagungszeitraum zurückwirken könnten, führt nicht zu einer Ungewissheit i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO darüber, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer in diesem Veranlagungszeitraum eingetreten sind.
Normenkette
AO § 165 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 3-4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 11. April 2013 13 K 889/12 aufgehoben, soweit es die Festsetzung der Körperschaftsteuer 2004 und die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2004 betrifft; insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
A. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) verpflichtet ist, Festsetzungen bzw. Feststellungen des Streitjahres 2004 wegen der Anwendung der sog. Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 –KStG 2002– i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 [BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14], § 10a Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 [BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20]) mit einer Nebenbestimmung i.S. des § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu versehen.
Rz. 2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine als geschäftsleitende Holding tätige und in einen französischen Konzern eingebundene GmbH, ist sowohl körperschaftsteuerrechtliche als auch gewerbesteuerrechtliche Organträgerin weiterer GmbH. Nach einer Außenprüfung ergingen –unter Anwendung der sog. Mindestbesteuerung– Änderungsbescheide zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag 2004 sowie zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2004 und zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2004. Gegen diese Bescheide wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass –im Rahmen der Steuererklärungen des Jahres 2008 gegenüber dem FA offenbarte– (ausländische) Umstrukturierungen im Konzern den Bestand der Verlustvorträge nach § 8c KStG 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) –KStG 2002 n.F.– gefährden könnten, müssten die Veranlagungen aller Jahre, in denen die Mindestbesteuerung zur Anwendung gekommen sei (damit auch das Streitjahr), für eine entsprechende Korrektur offen gehalten werden. Sie beantragte deshalb, die Bescheide insoweit nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig zu erlassen. Das FA wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (Finanzgericht –FG– Köln, Urteil vom 11. April 2013 13 K 889/12, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2013, 1374).
Rz. 3
Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt unter Hinweis auf im Revisionsverfahren ergangene Änderungsbescheide zur Körperschaftsteuer und zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer (vom 9. Mai 2014), die ebenfalls keine Nebenbestimmung i.S. des § 165 Abs. 1 AO tragen, sinngemäß, das FA unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verpflichten, die Festsetzungen zur Körperschaftsteuer 2004 und zum Gewerbesteuermessbetrag 2004 bzw. die Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2004 und zum vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2004 hinsichtlich der sog. Mindestbesteuerung für i.S. des § 165 Abs. 1 AO vorläufig zu erklären.
Rz. 4
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
B. I. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen teilweise aufzuheben, da die während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide vom 9. Mai 2014 zur Körperschaftsteuer 2004 und zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2004 an die Stelle der entsprechenden Änderungsbescheide getreten sind, die bisher Gegenstand des klägerischen Verpflichtungsbegehrens waren. Damit liegen dem FG-Urteil nicht mehr existierende Bescheide zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann. Die Bescheide vom 9. Mai 2014 wurden nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da sich durch die Änderungsbescheide der bisherige Streitstoff nicht verändert hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (vgl. z.B. Senatsurteile vom 3. August 2005 I R 94/03, BFHE 210, 398, BStBl II 2006, 20; vom 7. September 2011 I R 12/11, BFHE 235, 225, BStBl II 2012, 194).
Rz. 6
II. Soweit das angefochtene Urteil aufgehoben wurde (s. zu I.), ist die Entscheidung des FG im Ergebnis zu bestätigen; insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass das FA den Festsetzungen bzw. Feststellungen einen Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 AO) beizufügen hat.
Rz. 7
1. Da § 165 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO es in das Ermessen der Finanzbehörde stellt (s. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 7. Februar 1992 III R 61/91, BFHE 167, 279, BStBl II 1992, 592; vom 11. Februar 2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892), ob einem Steuer- oder einem Feststellungsbescheid ein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird, kann die entsprechende Entscheidung im Finanzprozess nur eingeschränkt überprüft werden: Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt und hat das FA den für die Ermessensausübung maßgeblichen Sachverhalt vollständig ermittelt sowie seine Entscheidung hinreichend begründet (§ 121, ggf. i.V.m. § 126 AO; vgl. auch § 102 Satz 2 FGO), ist die gerichtliche Kontrolle (bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung) nach § 102 Satz 1 FGO darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (sog. Ermessensüberschreitung), ob das FA von seinem Ermessen in einer dem Zweck der (Ermessens-)Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (sog. Ermessensfehlgebrauch) oder ein ihm zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hat (sog. Ermessensunterschreitung) oder ob die Behörde die verfassungsrechtlichen Schranken der Ermessensbetätigung, insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, missachtet hat (z.B. Senatsurteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BFHE 239, 1, BStBl II 2013, 266; BFH-Urteil vom 24. April 2014 IV R 25/11, BFHE 245, 499, BStBl II 2014, 819).
Rz. 8
2. Die Ermessensentscheidung des FA ist schon deswegen fehlerfrei ergangen, weil der Gegenstand des klägerischen Begehrens –eine hinsichtlich der Anwendung der sog. Mindestbesteuerung vorläufige Steuerfestsetzung bzw. Feststellung im Hinblick auf den möglichen zukünftigen Verlust der Verlustvorträge der Klägerin– den Tatbestand des § 165 Abs. 1 AO nicht erfüllt.
Rz. 9
a) Zwar kann nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind. Dieser Regelungsinhalt gilt sinnentsprechend für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine solche Ungewissheit bei der Entstehung der Steuer und im Zusammenhang mit der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen des Streitjahres 2004 bestand jedoch nicht.
Rz. 10
aa) Die im Gesetz angesprochene Ungewissheit bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH auf die Tatsachengrundlage eines Steuertatbestands; eine Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung eines feststehenden Sachverhalts rechtfertigt die Anordnung der Vorläufigkeit nicht (z.B. Senatsbeschluss vom 8. Juli 1998 I B 111/97, BFHE 186, 313, BStBl II 1998, 702, m.w.N.; s.a. BFH-Urteil vom 4. September 2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335). Diese Auffassung wird im Schrifttum geteilt (z.B. Buciek in Beermann/ Gosch, AO § 165 Rz 17 f.; Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 165 AO Rz 7; Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 165 Rz 5, 16; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 165 AO Rz 7 f.). Dass § 165 Abs. 1 Satz 2 AO erweiternd auch rechtliche Gesichtspunkte in den Tatbestandsbereich des § 165 AO einbezieht, indem „diese Regelung” (als Satz 1) für die dort (in Nr. 1 bis 4) explizit angeführten Situationen „auch anzuwenden (ist)”, berührt den durch Satz 1 der Regelung auf die tatsächlichen Sachumstände beschränkten Anwendungsbereich des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO nicht.
Rz. 11
bb) An einem solchen „vorübergehenden Aufklärungshindernis” (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 165 AO Rz 8) im Rahmen der Sachverhaltsermittlung fehlt es. Die Steuerfestsetzungen und die Feststellungen beruhen auf einem vollständig ermittelten und unstreitigen Sachverhalt, der nach Maßgabe des im Veranlagungs- und Feststellungszeitraum geltenden Rechts (§ 38 AO) zur Anwendung der sog. Mindestbesteuerung führt.
Rz. 12
aaa) Ansatzpunkt für das klägerische (Verpflichtungs-)Begehren ist die Frage, ob ein aus der Perspektive des Steuerentstehungszeitpunktes (Ablauf des 31. Dezember 2004) in der Zukunft möglicherweise eintretendes Ereignis aus verfassungsrechtlichen Gründen auf das Streitjahr zurückwirken wird (s. insoweit Senatsbeschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826) und dort zu einer veränderten Steuerfestsetzung und Feststellung führt. Sie verweist insoweit darauf, es drohe der Eintritt eines sog. Definitiveffekts durch ihr zwar bisher nicht bekannte, aber wegen der in das Ausland reichenden Beteiligungskette ihrer Gesellschafter nicht ausgeschlossene „schädliche Beteiligungserwerbe” i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 n.F. (als tatbestandsrelevante mittelbare Beteiligungserwerbe) in 2008, die im Zuge der wegen einer Außenprüfung noch offenen Veranlagung dieses Jahres Anlass für eine Kürzung des Verlustvortrags sein könnten (s. dazu allgemein z.B. Dötsch/Pung, Der Betrieb 2008, 1706; Suchanek/ Jansen, GmbH-Rundschau –GmbHR– 2009, 412; Kraft/Kraft, Finanz-Rundschau 2011, 841).
Rz. 13
bbb) Ob ein –aus der Sicht des Streitjahres– zukünftiges Ereignis in 2008 (oder in Folgejahren) eintreten wird, das den Steueranspruch möglicherweise –und in Abhängigkeit von einer bisher ungeklärten Rechtsfrage zur verfassungskonformen Auslegung der Mindestbesteuerung– rückwirkend beeinträchtigt, begründet aber eine Ungewissheit, die bezogen auf den Entstehungszeitpunkt der Steuer (§ 38 AO) unaufklärbar und nicht –wie für eine „Ungewissheit im Tatsächlichen” erforderlich– „nur” mit einem Aufklärungshindernis behaftet ist (s. insoweit auch Buciek in Beermann/Gosch, AO § 165 Rz 32; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 165 AO Rz 10; Klein/Rüsken, a.a.O., § 165 Rz 16; im Ergebnis auch Klomp, GmbHR 2012, 675, 680). Insoweit besteht keine Parallele zur materiell-rechtlichen Grundlage für die Rückwirkung eines zukünftigen verlustvortragsgefährdenden Ereignisses (zu Grenzen für eine Wirkung eines prognostizierten zukünftigen sog. Definitiveffekts im Rahmen der Steuerfestsetzung s. aber auch das Senatsurteil vom 22. August 2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512). Auch wenn ein etwaiges tatsächliches Ereignis (hier: ein schädlicher Beteiligungserwerb in 2008) Ausgangspunkt der Beurteilung sein mag, geht es im Kern doch immer um eine Rechtsfrage, welche sodann in mehreren voneinander zu unterscheidenden Ebenen der rechtlichen Subsumtion zu beantworten ist (sog. Definitivsituation; verfassungswidriger Eingriff in den Kernbereich des Verlustabzugs; Möglichkeit der verfassungskonformen Einschränkung der Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung).
Rz. 14
b) Auch die Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO sind nicht erfüllt.
Rz. 15
aa) Zwar können eine Steuerfestsetzung und Feststellung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO (i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften –Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz– vom 26. Juni 2013, BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 790) auch dann vorläufig ergehen, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder einem obersten Bundesgericht ist. Doch ist dieser Anwendungsgrund im Streitjahr nicht einschlägig, weder im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz durch eine Ermessensbindung infolge einer entsprechenden allgemeinen behördlichen Weisung (s. insoweit Nr. 6 Satz 2 des sog. AO-Anwendungserlasses zu § 165 AO), noch im Hinblick auf die ansonsten bestehende Notwendigkeit, ein entsprechendes Klageverfahren nach § 74 FGO auszusetzen (BFH-Urteil in BFHE 167, 279, BStBl II 1992, 592).
Rz. 16
Insoweit hat das FG zu Recht darauf verwiesen, dass das zum Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 ergangene Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19. Oktober 2011 (BStBl I 2011, 974) nur für bestimmte Konstellationen die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angewiesen, aber keine Ausführungen zu einem Vorläufigkeitsvermerk gemacht hat. Es besteht auch keine Verpflichtung für die Aussetzung eines gerichtlichen Verfahrens nach § 74 FGO. Eine solche Aussetzung kann ausgelöst werden, wenn ein nicht offensichtlich aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist, dessen Gegenstand die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall entscheidungserheblichen gesetzlichen Regelung und nicht (nur) die Verfassungsmäßigkeit der Auslegung und Anwendung an sich verfassungsgemäßer Normen ist, und zahlreiche Parallelverfahren anhängig sind. An alldem fehlt es im Streitfall. So betrifft das von der Klägerin angeführte Verfahren beim BVerfG 2 BvR 2998/12 (Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512) die Steuerfestsetzung (begehrt wird die Nichtanwendung der streitbefangenen Mindestbesteuerungsvorschriften) und nicht die Frage der Anwendung des § 165 Abs. 1 AO, und damit einen davon zu unterscheidenden Streitgegenstand (s. z.B. BFH-Urteil in BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892; Senatsurteil vom 23. Januar 2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508). Selbst wenn man aber der Auffassung wäre, dass der vorgreifliche Rechtsstreit, dessentwegen der Vorläufigkeitsvermerk erfolgen soll, seinerseits nicht die Anwendung des § 165 Abs. 1 AO zum Gegenstand haben muss, ändert sich für die hier zu beurteilende Situation nichts. Denn Gegenstand des beim BVerfG anhängigen Verfahrens ist die Frage, ob ein sog. Definitiveffekt schon aus einer aktuell und voraussichtlich auch zukünftig gewinnlosen Geschäftstätigkeit erwächst; es ist dies nicht die Frage der in die Vergangenheit zurückwirkenden künftigen Definitivsituation.
Rz. 17
bb) Gleichermaßen scheidet im Streitfall eine Vorläufigkeitserklärung nach Maßgabe des Anwendungsgrundes des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO aus. Dafür müsste die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem BFH sein. Auch daran aber fehlt es hier.
Rz. 18
3. Der Senat hat in seinem Beschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 allerdings eine verfassungskonforme Auslegung der Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung erwogen und in diesem Zusammenhang ausgeführt, ein solches Auslegungsergebnis ließe sich „verfahrensrechtlich … durch die Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 … (AO) … in den Fällen einer Besteuerung … absichern” (dort Rz 21). Ein Anspruch der Klägerin auf Vorläufigkeitserklärung kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Es handelte sich insoweit um eine für das dortige Verfahren um AdV nicht entscheidungserhebliche Äußerung, die nicht unbesehen auf alle Fallgestaltungen übertragbar ist.
Rz. 19
4. Schließlich kann der Klägerin auch nicht geholfen werden, sollte ihr für den Fall eines späteren „Definitivwerdens” der Verlustabzugserschwernisse, welche durch die Mindestbesteuerung ausgelöst werden, möglicherweise keine anderweitige verfahrensrechtliche Handhabe zur Bescheidänderung zur Verfügung stehen. Die Klägerin macht dazu geltend, eine rückwirkende Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO drohe wegen Zeitablaufs zu scheitern, obschon die Festsetzungs- und Feststellungsfrist nach Maßgabe von § 175 Abs. 1 Satz 2 AO hinausgeschoben werde. Denn die Fristen begännen danach mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt; das aber sei bei einem schädlichen Beteiligungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 n.F. in 2008 der Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums und nicht der Zeitpunkt, in welchem der den gesetzlich entstandenen Steueranspruch lediglich konkretisierende Änderungsbescheid unter erstmaliger Anwendung des § 8c KStG 2002 n.F. für das Jahr 2008 bekanntgegeben werde. Dem braucht hier indessen nicht weiter nachgegangen zu werden. Selbst wenn das zuträfe, könnten die Tatbestandsvoraussetzungen des § 165 Abs. 1 AO auch dadurch nicht erweitert werden.
Rz. 20
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 7701174 |
BFH/NV 2015, 875 |
BFH/PR 2015, 237 |
BStBl II 2015, 575 |
BFHE 2015, 110 |
BFHE 248, 110 |
BB 2015, 1044 |
DB 2015, 1204 |
DB 2015, 6 |
DStR 2015, 828 |
DStRE 2015, 565 |
DStZ 2015, 506 |
HFR 2015, 537 |