Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Unterhaltspflichtigen für den Privatschulbesuch eines an Legasthenie erkrankten Kindes sind nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG berücksichtigungsfähig, wenn die Privatschule in ihren Bildungs- und Erziehungszielen mit öffentlichen (- staatlichen -) Schulen vergleichbar ist und durch den Privatschulbesuch lediglich die sozialen Folgen eines Hauptschulbesuches vermieden werden sollen.
Orientierungssatz
Die Vorschriften über den sog. Kinderlastenausgleich enthalten typisierende Sonderregelungen, nach welchen --ohne Rücksicht auf die Höhe der im Einzelfall tatsächlich angefallenen Aufwendungen-- alle für Unterhalt und Ausbildung von Kindern angefallenen Kosten pauschal abgegolten sind (vgl. BFH-Urteil vom 1.12.1978 VI R 149/75). Sinn und Zweck dieser typisierenden Pauschalregelungen schließen es grundsätzlich aus, für den Unterhalt und die Ausbildung eines Kindes zusätzlich Kosten gemäß § 33 EStG 1976 zu berücksichtigen. Nur in Ausnahmefällen, wenn einem Steuerpflichtigen durch außergewöhnliche Umstände zusätzliche durch die Pauschalregelungen nicht abgegoltene, besondere Aufwendungen erwachsen, etwa durch die Krankheit des Unterhaltsberechtigten oder dessen Unterbringung in einer Anstalt wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen, können diese zusätzlich als außergewöhnliche Belastung im Rahmen des § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 28.2.1964 VI 314/63 U).
Normenkette
EStG 1975 § 33
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.05.1986; Aktenzeichen XV 47/79 L) |
Tatbestand
Die 1963 geborene Tochter des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) litt im Streitjahr 1976 an Legasthenie, einer krankhaften Störung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit. Wegen der durch die Krankheit bedingten Mängel in den schulischen Leistungen mußte sie das staatliche Gymnasium verlassen. Um psychische Schäden und die sozialen Folgen durch eine vom Schulamt vorgeschlagene Umschulung auf die Hauptschule zu vermeiden, brachte der Kläger seine Tochter auf Anraten einer Psychologin in einer privaten Ganztagsschule unter. Für den Besuch dieser Schule wandte der Kläger im Streitjahr insgesamt 5 371 DM auf.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat die Besteuerungsgrundlagen des Klägers im Streitjahr zunächst wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung geschätzt und die Steuer entsprechend festgesetzt. Hiergegen hat der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren unter Vorlage der Einkommensteuererklärung Klage erhoben. Das FA änderte daraufhin den Steuerbescheid, erkannte die im Klageverfahren erstmals als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen für den Privatschulbesuch der Tochter jedoch nicht an.
Im Gegensatz dazu anerkannte das Finanzgericht (FG), die vom Kläger für den Privatschulbesuch aufgewandten Kosten mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 604 veröffentlichten Urteil als außergewöhnliche Belastung. Die Vorinstanz ist der Ansicht, daß die um die zumutbare Belastung und die im Schulgeld enthaltenen Verpflegungskosten von schätzungsweise 500 DM verringerten Aufwendungen außergewöhnlich und dem Kläger zwangsläufig erwachsen seien.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich in der Revisionsinstanz nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Auffassung des FG, der Kläger sei durch die Aufwendungen für den Privatschulbesuch seiner Tochter außergewöhnlich belastet, hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Nach § 33 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1976 wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs.2 Satz 1 EStG 1976). Handelt es sich bei den Aufwendungen um Kosten für den Unterhalt und die Ausbildung von Kindern, setzt die Gewährung einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG 1976 allerdings voraus, daß die Aufwendungen nicht bereits durch die Gewährung eines kindbedingten Freibetrags oder durch Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz --BKGG-- (zum Ersatz der einkommensteuerrechtlichen Freibetragsregelung durch das Kindergeld vgl. BTDrucks 7/2032 vom 24.April 1974, S.1 - Stichwort Zielsetzung) abgegolten sind. Diese Vorschriften über den sog. Kinderlastenausgleich enthalten typisierende Sonderregelungen, nach welchen --ohne Rücksicht auf die Höhe der im Einzelfall tatsächlich angefallenen Aufwendungen-- alle für Unterhalt und Ausbildung von Kindern angefallenen Kosten pauschal abgegolten sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.Dezember 1978 VI R 149/75, BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78). Sinn und Zweck dieser typisierenden Pauschalregelungen schließen es grundsätzlich aus, für den Unterhalt und die Ausbildung eines Kindes zusätzlich Kosten gemäß § 33 EStG 1976 zu berücksichtigen. Nur in Ausnahmefällen, wenn einem Steuerpflichtigen durch außergewöhnliche Umstände zusätzliche durch die Pauschalregelungen nicht abgegoltene, besondere Aufwendungen erwachsen, etwa durch die Krankheit des Unterhaltsberechtigten oder dessen Unterbringung in einer Anstalt wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen, können diese zusätzlich als außergewöhnliche Belastung im Rahmen des § 33 EStG steuermindernd berücksichtigt werden (BFH-Urteil vom 28.Februar 1964 VI 314/63 U, BFHE 79, 104, BStBl III 1964, 270).
In Anwendung dieser Grundsätze hat der BFH in ständiger Rechtsprechung die Aufwendungen für den Besuch von Privatschulen, die in ihren Bildungs- und Erziehungszielen mit öffentlichen (--staatlichen--) Schulen vergleichbar sind, regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt (Urteile in BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78, und vom 5.Juli 1962 IV 5/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1963, 98). Diese Kosten stellen typische Ausbildungsaufwendungen dar, die --unabhängig von der Höhe im Einzelfall-- durch die Regelungen über den Kinderlastenausgleich abgegolten sind. Eine Ausnahme hiervon kommt nach der Rechtsprechung nur in Betracht wenn die Aufwendungen für den Privatschulbesuch unmittelbare Krankheitskosten i.S. des § 33 EStG darstellen. In diesem Sinne sind alle Aufwendungen, die ausschließlich zum Zwecke der Heilung einer Krankheit getätigt werden oder den Zweck verfolgen, die Krankheit --in der Person des Kranken-- erträglich zu machen, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (BFH-Urteile in BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78; vom 20.März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596; vom 13.Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, und in BFHE 79, 104, BStBl III 1964, 270).
Bei Anwendung dieser Rechtsprechung, die der Verwaltungsmeinung entspricht (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 26.April 1976 IV B 5 - S 2284 - 303/75, Steuererlasse in Karteiform --StEK--, Einkommensteuergesetz, § 33 Nr.54, und Einkommensteuer-Richtlinien 1987, Abschn.186 Abs.1 Ziff.2 b) und die weitgehend auch im Schrifttum gebilligt wird (vgl. z.B. Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm.78 - Stichwort Krankheitskosten, Legasthenie-Therapie; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 33 EStG Anm.300 - Stichwort Legasthenie-Therapie; Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm.150 - Stichwort Legasthenie-Therapie; Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33, C 63 - Stichwort Legasthenie), auf den Streitfall ergibt sich, daß der Kläger durch den Privatschulbesuch seiner Tochter nicht im Sinne von § 33 EStG außergewöhnlich belastet ist.
Nach den tatsächlichen, mit Revisionsrügen nicht angegriffenen, den erkennenden Senat daher bindenden Feststellungen (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) des FG erfolgte der Privatschulbesuch der Tochter nicht zum Zwecke der Heilbehandlung. Durch den Besuch der Privatschule sollte der aus sozialen und psychologischen Gründen nicht wünschenswerte Übergang in die Hauptschule verhindert werden. Der, nach Aussage der hinzugezogenen Psychologin, überdurchschnittlich intelligenten Tochter des Klägers sollten die mit einem Hauptschulbesuch zu erwartenden sozialen Schwierigkeiten erspart werden. Auch sollte eine möglicherweise dadurch bedingte psychische Belastung vermieden werden, um die mit der Legasthenie einhergehenden Störungen nicht zu verstärken. Eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung fand in der Privatschule jedoch nicht statt. Eine solche wäre jedoch Voraussetzung, um die Zwangsläufigkeit und die Notwendigkeit der damit im Zusammenhang stehenden Kosten zu begründen. Aufwendungen, die --wie im Streitfall-- lediglich die sozialen Folgen einer Krankheit betreffen und durch die nur ganz allgemein einer psychischen Belastung vorgebeugt werden soll, erfüllen hingegen nicht den Tatbestand des § 33 EStG. Diese Kosten stellen vielmehr Ausbildungskosten dar, die im Streitjahr durch die Gewährung von Kindergeld nach dem BKGG steuerlich abgegolten waren (vgl. auch Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 33 EStG Anm. 300 - Legasthenie-Therapie).
Die Vorentscheidung, der eine abweichende Rechtsauffassung zugrunde liegt, ist aufzuheben. Die Streitsache ist spruchreif, der Senat kann daher in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO). Die Klage gegen den Einkommensteueränderungsbescheid 1976 vom 20.Juni 1979 wird abgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 63324 |
BStBl II 1990, 962 |
BFHE 161, 447 |
BFHE 1991, 447 |
BB 1990, 2036 (L) |
DB 1990, 2150 (T) |
DStR 1990, 670 (KT) |
HFR 1991, 28 (LT) |
StE 1990, 375 (K) |