Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerhinterziehung bei Einschaltung eines Steuerberaters
Leitsatz (NV)
1. Hat das Finanzamt von steuerlich erheblichen Tatsachen i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 keine Kenntnis erlangt, obwohl der Steuerpflichtige seinem steuerlichen Berater die für die Besteuerung erheblichen Informationen zur Verfügung gestellt hat, kann nicht ohne weiteres von einer Steuerhinterziehung des Steuerpflichtigen ausgegangen werden, weil dieser in der Regel darauf vertraut, der steuerliche Berater werde rechtzeitig richtige und vollständige Angaben machen.
2. In einem solchen Fall ist zu prüfen, ob der Steuerberater eine Steuerhinterziehung begangen hat und diese dem Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.
Normenkette
AO 1977 §§ 370, 169 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 19.06.2002; Aktenzeichen 2 K 508/96, 2 K 509/96) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind als Erben die Rechtsnachfolger der Geschwister A und B. Die Geschwister schlossen am 29. September 1987 als Treugeber mit der … Steuerberatungsgesellschaft mbH einen Treuhandvertrag. Danach verpflichtete sich die Treuhänderin, für B eine Beteiligung an der … Schifffahrts KG (im Folgenden: KG) in Höhe von 3 640 000 DM und für A in Höhe von 1 560 000 DM zu übernehmen. Zweck der KG war der Betrieb des Schiffes MS "…". Das Schiff wurde bei der … GmbH (im Folgenden: GmbH) gebaut.
Die Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der KG für 1987 wurde am 13. September 1988 abgegeben. Es erging ein entsprechender Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung. Im Juni 1993 fand bei der KG eine Außenprüfung statt. Die Besteuerungsgrundlagen wurden mit Bescheid vom 24. November 1993 endgültig festgesetzt.
Anlässlich einer Außenprüfung bei der GmbH wurde festgestellt, dass diese mit den Geschwistern am 29. August 1987 unter Mitwirkung von deren Steuerberater Darlehensverträge abgeschlossen hatte. Darin gewährte die GmbH B ein Darlehen in Höhe von 1 306 200 DM und A von 559 800 DM. Die Darlehen waren sofort zur Auszahlung fällig und hatten eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 1989; die vereinbarten Zinsen von 6 v.H. wurden gestundet. Der Darlehensvertrag sollte durch Verrechnung mit der Restkaufpreisforderung der GmbH gegenüber der KG valutiert werden.
Die Geschwister schlossen außerdem am selben Tag mit der GmbH eine Rahmenvereinbarung, wonach die GmbH u.a. auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtete, sofern das Darlehen bis zum 15. November 1989 nicht zurückgezahlt sein sollte. Dabei sollten die Geschwister zur Bedienung der Darlehen ausschließlich Mittel einsetzen, die ihnen aus der KG zufließen; persönliche Rückzahlungsansprüche sollte die GmbH gegen die Geschwister nicht geltend machen können. Nach der vom Steuerberater der KG erstellten Liquiditäts- und Ertragsvorschau vom 28. Oktober 1987 waren bis zum 15. November 1989 keine Erträge aus der KG zu erwarten.
In der Bilanz der KG waren die Zahlungen der Geschwister in voller Höhe auf den Gesellschafterkapitalkonten ausgewiesen. Die Darlehen der GmbH wurden nicht in einer Sonderbilanz berücksichtigt.
Am 27. September 1994 leitete das zuständige Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Steuerhinterziehung zur Einkommensteuer 1989 sowie Gewerbesteuer 1988 und 1989 gegen B ein. Das Ermittlungsverfahren wurde im März 1995 auf A erweitert.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) wertete den Nichtausweis der Darlehen in den Sonderbilanzen als Steuerhinterziehung. Er sah die von der GmbH gewährten Darlehen als Provisionszahlungen an und erfasste sie in dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 1987 vom 6. September 1995 als Sonderbetriebseinnahmen der Geschwister.
Die Kläger haben mit der Klage die Aufhebung des Änderungsbescheides beantragt, hilfsweise, die Darlehen auf die Anschaffungskosten anzurechnen und diese entsprechend zu mindern.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und entschied:
- Der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid habe noch geändert werden können, da die Festsetzungsfrist aufgrund der Steuerhinterziehung der Geschwister gemäß § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 der Abgabenordnung (AO 1977) auf zehn Jahre verlängert worden sei. Die Geschwister hätten zumindest mit bedingtem Vorsatz den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Ihnen sei von Anfang an klar gewesen, dass ihnen die GmbH im Gegenzug für den Erwerb der Kommanditanteile einen nicht rückzahlbaren Betrag von 1 866 000 DM zuwende; sie hätten erkennen müssen, dass diese Zuwendung einen steuerrechtlich beachtlichen Vorgang darstelle und sie hätten die Darlehen zumindest in den Sonderbilanzen angeben müssen.
- Bei der Zuwendung seitens der GmbH handele es sich um Sonderbetriebseinnahmen der Geschwister. Die Zuwendung habe nicht zu einer Minderung der Anschaffungskosten geführt.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision eine Verletzung des § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), der §§ 173 Abs. 2 und 370 AO 1977, der §§ 4 Abs. 1, 5 und 6 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie die Nichtberücksichtigung erheblichen Vorbringens.
Sie beantragen, die Vorentscheidung und den angefochtenen Feststellungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, die gewährten Darlehen als Minderung der Anschaffungskosten zu behandeln und die auf das Streitjahr jeweils anteilig auf die Rechtsvorgänger der Kläger entfallenden Abschreibungen entsprechend zu mindern.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht seine Entscheidung, die Geschwister als die Rechtsvorgänger der Kläger hätten im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der KG Steuern i.S. des § 370 Abs. 1 AO 1977 zumindest bedingt vorsätzlich verkürzt.
1. Die Änderung des bestandskräftigen Gewinnfeststellungsbescheides der KG für 1987 vom 24. November 1993 durch den angefochtenen Bescheid vom 6. September 1995 war nur dann zulässig, wenn und insoweit eine Steuerhinterziehung i.S. des § 370 AO 1977 vorlag und die Feststellungsfrist deshalb gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zehn Jahre betrug. Davon ist auch das FG in Übereinstimmung mit den Beteiligten ausgegangen. Da die Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der KG am 13. September 1988 abgegeben wurde, endete die normale Feststellungsfrist von vier Jahren mit Ablauf des Jahres 1992 (§§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Soweit die normale Feststellungsfrist durch die bei der KG durchgeführte Außenprüfung gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 gehemmt worden war, hatte diese Hemmung mit der Bestandskraft des aufgrund der Außenprüfung ergangenen Feststellungsbescheides vom 24. November 1993 geendet.
Der angefochtene Änderungsbescheid hätte auch dann nicht mehr ergehen dürfen, wenn die Steuer nur leichtfertig verkürzt worden wäre (§ 378 AO 1977). In diesem Fall hätte die Feststellungsfrist fünf Jahre betragen (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Diese Frist hatte mit Ablauf des Jahres 1993 geendet und war somit bei Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (vgl. § 171 Abs. 5 AO 1977) gegen B am 27. September 1994 und gegen A im März 1995 sowie im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 6. September 1995 ebenfalls bereits abgelaufen.
2. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen für die Annahme einer Steuerhinterziehung durch die Geschwister nicht aus. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Nach Nr. 2 der Vorschrift begeht Steuerhinterziehung, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Eine Steuerhinterziehung kann nur vorsätzlich begangen werden (§ 15 des Strafgesetzbuches).
a) Der Abschluss der Darlehensverträge und des Rahmenvertrages zwischen der GmbH und den Geschwistern und die damit zusammenhängenden Zahlungen bzw. Verrechnungen waren steuerlich erhebliche Tatsachen. Für die Einkommensteuer des Jahres 1987 waren sie erheblich, wenn der jeweilige Darlehensbetrag im Jahr 1987 --wie das FA meint-- als Sonderbetriebseinnahme (§ 15 EStG) gewinnerhöhend bei den Geschwistern als den Kommanditisten der KG zu erfassen wäre oder wenn er --entsprechend dem Hilfsantrag der Kläger-- zu einer Minderung der Anschaffungskosten und damit zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage für die Verlustzuweisungen geführt hätte (vgl. zur Differenzierung Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Februar 2002 IX R 20/98, BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796). Im letztgenannten Fall wäre die Verlustzuweisung geringer gewesen. Die genannten Verträge wären für die Einkommensteuer des Jahres 1989 erheblich gewesen, wenn sie in diesem Jahr wegen Wegfalls der Bedingung für die Rückzahlung der Darlehen zu Sonderbetriebseinnahmen der Geschwister geführt hätten. Welche steuerliche Bedeutung den Darlehensverträgen und dem Rahmenvertrag richtigerweise beizumessen ist, kann für die Entscheidung der Frage, ob eine Steuerhinterziehung dem Grunde nach vorliegt, offen bleiben.
b) Denn es ist zwar unstreitig, dass der Abschluss und Inhalt dieser Verträge weder dem zuständigen FA noch dem Prüfer bei der Außenprüfung der KG bekannt war. Aber die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht seine Entscheidung, die Geschwister hätten dadurch, dass dem FA der Abschluss dieser Verträge unbekannt geblieben war, zumindest bedingt vorsätzlich Steuern verkürzt. Denn ausweislich der Feststellungsakten des FG ist die Feststellungserklärung für 1987 für die KG nicht von den Geschwistern, sondern von einem Mitgesellschafter als Geschäftsführer der KG unter Mitwirkung eines Steuerberaters erstellt worden. Für den Fall, dass der Steuerpflichtige dem steuerlichen Berater die für die Steuerklärung erforderlichen Informationen verschafft, ist im Regelfall davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige darauf vertraut, der Steuerberater werde rechtzeitig richtige und vollständige Angaben machen (vgl. Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 370 AO 1977 Rz. 226).
c) Im Streitfall hat B im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 17. Januar 1997 in dem Verfahren II 509/96 vorgetragen, der steuerliche Berater der KG und die mit der Erstellung und Einreichung der Feststellungserklärung für 1987 beauftragten Personen hätten Kenntnis von den Darlehensverträgen und dem Rahmenvertrag mit der GmbH gehabt; es habe überhaupt nicht mehr im Verfügungsbereich der Geschwister gelegen, dem FA Informationen vorzuenthalten. Das FG hat sich in seinen Entscheidungsgründen mit diesem Vorbringen nicht auseinander gesetzt. Dies wäre nur dann nicht zu beanstanden, wenn es seine Überzeugung, die Geschwister hätten zumindest bedingt vorsätzlich Steuern hinterzogen, auf hinreichende Hilfstatsachen gestützt hätte. Das ist indessen nicht der Fall.
Eine Kenntnis der Geschwister von der möglichen Unkenntnis der Finanzbehörden über den Abschluss der Verträge mit der GmbH und damit eine zumindest bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung lässt sich nicht bereits daraus ableiten, dass die Darlehensbeträge in den ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheiden für das Streitjahr 1987 weder als Sonderbetriebseinnahmen erfasst noch überhaupt ausgewiesen worden waren. Dieser Umstand und die darauf beruhenden und den Geschwistern bekannt gegebenen Gewinn- bzw. Verlustmitteilungen hätten den Schluss auf eine zumindest bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung nur dann zugelassen, wenn die Geschwister die subjektive Vorstellung gehabt hätten, dass allein die Erfassung der Darlehensbeträge als Sonderbetriebseinnahmen des Streitjahres 1987 oder eine entsprechende Minderung der Einlage steuerlich korrekt gewesen wäre. Entgegen der Ansicht des FA und des FG lässt jedoch weder die Tatsache, dass die Geschwister zahlreiche Schiffsbeteiligungen gehalten haben noch die Kenntnis von der Notsituation der GmbH vor Ablauf der Zeichnungsfrist und die darauf beruhende Abfassung der Darlehenverträge und des Rahmenvertrages ohne weiteres auf eine derartige subjektive Vorstellung schließen. Das FG hätte deshalb z.B. auf der Grundlage der Ausführungen des FA in der Einspruchsentscheidung weitere tatsächliche Feststellungen über die steuerrechtlichen Vorstellungen und Kenntnisse der Geschwister und insbesondere darüber treffen müssen, in welchem Umfang und in welcher Weise sich diese mit der steuerlichen Behandlung ihrer zahlreichen Schiffsbeteiligungen und insbesondere mit der steuerlichen Behandlung der im Streitfall umstrittenen Beteiligung an der KG befasst und diese Fragen nicht ihren steuerlichen Beratern überlassen haben.
3. Da die Vorentscheidung von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang zunächst aufklären müssen, ob gemäß dem Vorbringen der Kläger dem Steuerberater der KG die Darlehensverträge und der Rahmenvertrag der Geschwister mit der GmbH bekannt waren oder ob die Geschwister oder ggf. ihr Steuerberater den Abschluss dieser Verträge oder zumindest des Rahmenvertrags verheimlicht haben. Soweit die steuerlichen Berater der KG oder der Geschwister zu der Aufklärung des Sachverhalts beitragen können, wird das FG bei entsprechender Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht (vgl. zu der Bedeutung einer Versagung der Entbindung das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. April 1983 VIII ZR 46/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 438) diese als Zeugen zu vernehmen haben.
Sollte dem steuerlichen Berater der KG auch der Rahmenvertrag bekannt gewesen sein, wird das FG eine Steuerhinterziehung der Geschwister nur bejahen können, wenn die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinreichende Indizien dafür ergibt, dass sie gleichwohl eine Unkenntnis der Finanzbehörde von diesen Verträgen zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Anderenfalls wird es prüfen müssen, ob sich die Geschwister die Steuerverkürzung durch ihren steuerlichen Berater zurechnen lassen müssen und ob sie ggf. hinsichtlich der KG und ihres Beraters den Exkulpationsbeweis nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 führen können (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Oktober 1990 VII R 18/88, BFH/NV 1991, 721, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1441688 |
BFH/NV 2005, 2145 |
HFR 2006, 115 |