Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung der Aufenthaltstage i.S. des Art.15 Abs.2 Buchst.a DBA-Spanien sind Kriterien heranzuziehen, die für den in § 9 AO 1977 geregelten gleichlautenden Begriff entsprechend gelten. Danach bedeutet "aufhalten" die körperliche Anwesenheit einer natürlichen Person an einem bestimmten Ort.
Orientierungssatz
1. Die erstmalige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort setzt stets die dortige körperliche Anwesenheit der natürlichen Person voraus. Die spätere körperliche Entfernung vom Ort des (bisherigen) gewöhnlichen Aufenthalts beendet denselben dagegen nicht notwendigerweise. Der gewöhnliche Aufenthalt setzt insoweit keine ständige Anwesenheit voraus. Da jedoch eine natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt immer nur an einem Ort haben kann, darf die körperliche Entfernung vom Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes nicht mit der anderweitigen Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes verbunden sein, wenn nicht ersterer entfallen soll.
2. Nach Art. 11 Nr. 1 Buchst. d.i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Italien sind die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit steuerfrei, die dem Verhältnis zwischen den tatsächlichen Aufenthaltstagen (Arbeitstagen) in Italien zu den vereinbarten Arbeitstagen pro Jahr entsprechen. Unter den vereinbarten Arbeitstagen pro Jahr sind die Kalendertage (365) abzüglich der Tage zu verstehen, an denen der Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag nicht zu arbeiten verpflichtet war (*= Urlaubstage sowie arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage; vgl. BFH-Urteil vom 29.1.1986 I R 22/85).
Normenkette
AO 1977 § 9; DBA ITA Art. 11 Nr. 1 Buchst. d, Art. 7 Abs. 1 S. 1; DBA ESP Art. 15 Abs. 2 Buchst. a
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger erzielte im Streitjahr 1983 als Angestellter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit seiner Steuererklärung 1983 machte er unter Vorlage einer Arbeitgeberbescheinigung geltend, an 206 Tagen in Spanien und an 89 Tagen in Italien beruflich tätig gewesen zu sein. Auf der Grundlage dieser Angaben erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) am 23.Mai 1984 einen Einkommensteuerbescheid 1983. Darin wurden die auf die Arbeitstage in Spanien und in Italien entfallenden Einkünfte als steuerfreie behandelt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
In einer bei dem Arbeitgeber des Klägers im August 1984 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung stellte das FA fest, daß der Kläger sich in 1983 nur an 177 Tagen in Spanien und nur an 66 Tagen in Italien aufgehalten hatte. Die unterschiedlichen Zahlenangaben sind darauf zurückzuführen, daß der Arbeitgeber des Klägers Wochenenden, die sich an einen Auslandsaufenthalt anschlossen, an denen sich der Kläger jedoch schon wieder in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) aufhielt, der Dauer des Auslandsaufenthaltes zurechnete.
Das FA erließ am 13.Januar 1986 einen nach § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1983. Darin behandelte es nur noch 66/365 des Jahresarbeitslohnes als steuerfreie Einkünfte. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit ihrer vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision machen die Kläger die Verletzung von Art.15 Abs.1 und Abs.2 Buchst.a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Spanien) vom 5.Dezember 1966 (BGBl II 1968, 10) geltend. Sie behaupten, der Kläger habe im Streitjahr seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien gehabt.
Sie beantragen, das Urteil des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz vom 19.Januar 1988 und die Einspruchsentscheidung vom 15.Dezember 1986 aufzuheben und die Einkommensteuer 1983 unter Änderung des Bescheides vom 13.Januar 1986 bei Berücksichtigung eines Spanienaufenthaltes des Klägers von 208 Tagen festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Revisionsrechtlich gesehen bestehen gegen die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1983 vom 23.Mai 1984 dem Grunde nach keine Bedenken. Nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß das FA erst aufgrund einer im August 1984 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung Kenntnis von den tatsächlichen Aufenthaltstagen des Klägers in Spanien und Italien erhielt. Die Zahl der tatsächlichen Aufenthaltstage des Klägers in Spanien und in Italien ist eine Tatsache i.S. des § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Die Tatsache führt ―wie im einzelnen noch darzulegen sein wird― zur Festsetzung einer höheren Steuer als der, die im Bescheid vom 23.Mai 1984 festgesetzt wurde. Da die Tatsache dem FA erst nach dem 23.Mai 1984 bekannt wurde, ist sie "neu" i.S. des § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Damit war das FA verpflichtet, einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1983 zu erlassen.
2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die vom Kläger im Streitjahr 1983 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in der Bundesrepublik nicht gemäß Art.15 Abs.1 Satz 2 DBA-Spanien steuerbefreit waren.
a) Nach Art.15 Abs.1 Satz 1 DBA-Spanien können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Arbeitnehmer ansässig ist. Die Ansässigkeit eines Arbeitnehmers bestimmt sich nach Art.4 DBA-Spanien. Danach kommt es in erster Linie darauf an, wo der Arbeitnehmer aufgrund eines Wohnsitzes, seines ständigen Aufenthalts oder eines ähnlichen Merkmales steuerpflichtig ist. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß der Kläger einen Wohnsitz i.S. des § 8 AO 1977 nur in der Bundesrepublik und seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S. des § 9 AO 1977 ebenfalls hier hatte. Deshalb war er in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtig. In Spanien war er nur beschränkt steuerpflichtig. Folglich stand das Besteuerungsrecht i.S. des Art.15 Abs.1 Satz 1 DBA-Spanien der Bundesrepublik zu.
b) Allerdings sieht Art.15 Abs.1 Satz 2 DBA-Spanien abweichend von Satz 1 eine Besteuerung der Einkünfte in Spanien vor, wenn ein in der Bundesrepublik ansässiger Arbeitnehmer seine nichtselbständige Arbeit in Spanien ausübt. Indes verdrängt Art.15 Abs.2 DBA-Spanien unter den dort genannten Voraussetzungen das sich aus Art.15 Abs.1 Satz 2 DBA-Spanien ergebende Besteuerungsrecht Spaniens. Danach verbleibt es bei der ausschließlichen Besteuerung der Einkünfte in der Bundesrepublik, wenn der in der Bundesrepublik ansässige Arbeitnehmer sich nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Steuerjahres in Spanien aufhält (Art.15 Abs.2 Buchst.a DBA-Spanien). Da die Vorschrift auf die "Aufenthalts"-tage im anderen Vertragsstaat abstellt, hat der erkennende Senat schon zu der im wesentlichen gleichgelagerten Problematik des Art.10 Abs.2 Nr.1 DBA-Niederlande entschieden (vgl. Urteil vom 10.Mai 1989 I R 50/85, BFHE 157, 142, BStBl II 1989, 755), daß zur Bestimmung des Begriffes "aufhalten" Kriterien heranzuziehen sind, die für den in § 9 AO 1977 geregelten gleichlautenden Begriff entsprechend gelten. Danach bedeutet "aufhalten" die körperliche Anwesenheit einer natürlichen Person an einem bestimmten Ort. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort bzw. in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO 1977). Daraus folgt, daß die erstmalige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort stets die dortige körperliche Anwesenheit der natürlichen Person voraussetzt. Die spätere körperliche Entfernung vom Ort des (bisherigen) gewöhnlichen Aufenthaltes beendet denselben dagegen nicht notwendigerweise. Der gewöhnliche Aufenthalt setzt insoweit keine ständige Anwesenheit voraus. Da jedoch eine natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt immer nur an einem Ort haben kann, darf die körperliche Entfernung vom Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes nicht mit der anderweitigen Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes verbunden sein, wenn nicht ersterer entfallen soll. Begibt sich deshalb ein Steuerpflichtiger, der seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik hat und der für längere Zeit in Spanien beruflich tätig ist, wieder in die Bundesrepublik, so endet der gewöhnliche Aufenthalt in Spanien mit dem Verlassen dieses Landes. Ob etwas anderes gilt, wenn der Steuerpflichtige zwischen zwei Spanienaufenthalten nur für das Wochenende in die Bundesrepublik zurückkehrt, bedarf keiner Entscheidung. Der Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige seine nichtselbständige Arbeit zwischen zwei Spanienaufenthalten anderswo ausübt.
c) Für die Entscheidung über den Streitfall bedeutet dies, daß die Wochenenden, die entweder vor oder nach einer Dienstreise nach Spanien lagen, jedenfalls dann nicht in die Berechnung der Aufenthaltstage in Spanien miteinbezogen werden können, wenn der Kläger sich an den Wochenenden nicht in Spanien aufgehalten haben sollte. An- und Abreisetage können nur insoweit in die Berechnung miteinbezogen werden, als der Kläger sich an diesen Tagen schon bzw. noch in Spanien aufhielt. Wenn deshalb der Kläger z.B. angibt vom 1.Januar bis 14.Januar 1983 sich in Spanien und vom 17.Januar bis 30.Januar 1983 sich in Indien aufgehalten zu haben, dann können 14 Tage Spanienaufenthalt nur dann angenommen werden, wenn der Kläger sich schon am 1.Januar und noch am 14.Januar 1983 in Spanien aufgehalten haben sollte. Es wäre unerheblich, wenn er sich an dem Wochenende 8./9.Januar 1983 nach Frankreich begeben und seine Übernachtungsmöglichkeit in Spanien beibehalten haben sollte. Für das Wochenende 15./16.Januar 1983 ist ein gewöhnlicher Aufenthalt nur in der Bundesrepublik anzunehmen, wenn der Kläger am 14.Januar 1983 dorthin zurückkehrte und am 17.Januar 1983 nach Indien weiterreiste. Der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers in Indien begann erst mit dem Eintreffen dort.
d) Auf der Grundlage der hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätze einerseits und der tatsächlichen Feststellungen des FG andererseits hielt sich der Kläger im Streitjahr 1983 an höchstens 177 Tagen in Spanien auf. Damit ist die in Art.15 Abs.2 Buchst.a DBA-Spanien aufgestellte Grenze von 183 Tagen nicht erreicht. Deshalb sind die vom Kläger für seine in Spanien ausgeübte Tätigkeit erzielten Einkünfte nur in der Bundesrepublik steuerpflichtig. Dem entspricht die Vorentscheidung. Deshalb ist die Revision insoweit unbegründet.
3. FA und FG haben jedoch die nach Art.11 Nr.1 Buchst.d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz 1 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiet der direkten Steuern vom 31.Oktober 1925 ―DBA-Italien― (RGBl II 1925, 1146) steuerfreien Einkünfte fehlerhaft berechnet. Insoweit ist darauf zu achten, daß Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien an die Ausübung der persönlichen Tätigkeit in Italien, d.h. an die Arbeitstage und nicht an die Aufenthaltstage in Italien anknüpft. Der erkennende Senat hat deshalb in seinem Urteil vom 29.Januar 1986 I R 22/85 (BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479) entschieden, daß die Einkünfte steuerfrei sind, die dem Verhältnis zwischen den tatsächlichen Aufenthaltstagen (Arbeitstagen) in Italien zu den vereinbarten Arbeitstagen pro Jahr entsprechen. Sollte sich der Kläger auch an Tagen in Italien aufgehalten haben, die nicht zu den vereinbarten Arbeitstagen zählen (z.B. arbeitsfreie Wochenenden), so fallen diese Tage aus der Berechnung der Aufenthaltstage in Italien heraus. Unter den vereinbarten Arbeitstagen pro Jahr sind dagegen die Kalendertage (365) abzüglich der Tage zu verstehen, an denen der Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag nicht zu arbeiten verpflichtet war (*= Urlaubstage sowie arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage).
4. Das FG hat die für 1983 vereinbarten Arbeitstage nicht ermittelt. Es hat auch nicht festgestellt, ob alle 66 Aufenthaltstage des Klägers in Italien als Arbeitstage zu behandeln sind. Nur wenn in tatsächlicher Hinsicht entsprechende Feststellungen getroffen sind, können die nach Art.11 Nr.1 Buchst.d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien steuerfreien Einkünfte berechnet werden. Dabei wird sich aller Voraussicht nach ein für den Kläger günstigerer Betrag ergeben. Deshalb ist die Sache nicht entscheidungsreif. Die fehlenden Feststellungen nachzuholen ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 63108 |
BFHE 161, 482 |
BFHE 1991, 482 |
BB 1990, 2037 (L) |
DB 1990, 2570-2571 (LT) |
HFR 1991, 75 (LT) |
StE 1990, 386 (K) |