Leitsatz (amtlich)
Zahlt wegen des Abrisses eines Gebäudes auf Grund von Baumängeln der Bauhaftpflichtversicherer eine Entschädigung für das Gebäude, so kann grundsätzlich eine Rücklage für Ersatzbeschaffung nach Maßgabe der in Abschn.35 EStR dargestellten Rechtsgrundsätze gebildet werden.
Orientierungssatz
1. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß immer dann, wenn ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, ein Gewinnausweis vermieden werden könne, gibt es nicht. Es entspricht vielmehr dem in den §§ 4 ff. EStG festgeschriebenen System der steuerlichen Gewinnermittlung, daß ein Gewinn, der dadurch entsteht, daß ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und dafür ein Ersatzanspruch erworben wird, dessen Nennbetrag höher ist als der Buchwert des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts, ausgewiesen und versteuert werden muß (Anschluß an BFH-Rechtsprechung). Eine Ausnahme von dieser Pflicht zur Gewinnrealisierung ist in der Rechtsprechung des RFH und des BFH aufgrund des gewohnheitsrechtlichen Instituts der Rücklage für Ersatzbeschaffung entwickelt worden.
2. Zahlt wegen des Abrisses eines Gebäudes aufgrund von Baumängeln der Bauhaftpflichtversicherer eine Entschädigung, so kann eine Rücklage für Ersatzbeschaffung nur insoweit gebildet werden, als durch die Entschädigungszahlung stille Reserven des abgerissenen Gebäudes aufgedeckt worden sind; nur die durch den Abriß des Gebäudes und die hierfür gezahlte Entschädigung erzielten Gewinne sind übertragbar, nicht jedoch die anläßlich des Gebäudeabrisses entstandenen Buchgewinne (vgl. BFH-Urteil vom 29.4.1982 IV R 10/79).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1; EStR Abschn. 35
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrt die Anerkennung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung nach den Grundsätzen des Abschn.35 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) oder einer Rücklage nach § 6b Abs.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 143 104,86 DM.
Der Kläger, der einen Maschinengroßhandel betreibt, ließ auf seinem Betriebsgelände in den Jahren 1972 bis 1974 von der Firma ... (GmbH) in X eine Bearbeitungshalle, eine Lagerhalle und ein Bürogebäude errichten. Die Gesamtherstellungskosten betrugen 2 912 058,36 DM. Bald nach Errichtung der Gebäude traten am Bürogebäude infolge von Baumängeln erhebliche Schäden auf, die im Laufe der Jahre derart zunahmen, daß das Gebäude abgerissen werden mußte. Im Jahre 1980 erklärte sich der Bauhaftpflichtversicherer der GmbH in einem Vergleich bereit, eine Abfindungssumme in Höhe von 720 000 DM an den Kläger zu zahlen. Mit diesem Betrag waren alle Baumängel, die bereits entstanden waren oder in Zukunft bis zum Abriß noch entstehen würden, abgegolten. Die eigentliche Ursache der Bauschäden konnte in den Verhandlungen mit der GmbH und deren Versicherungsgesellschaft nicht festgestellt werden.
Der Kläger führte die Entschädigungszahlung einschließlich der angefallenen Zinsen in Höhe von 743 104,86 DM in der Bilanz per 31.Dezember 1980 einer steuerfreien Rücklage für Ersatzbeschaffung zu. Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Ansicht, daß die Rücklage nicht hätte gebildet werden dürfen, und erhöhte den Gewinn des Klägers für 1980 unter Berücksichtigung der Abschreibung des Buchwerts des Bürogebäudes von 600 000 DM um 143 104,86 DM. Dementsprechend stellte er auch den Gewinn gesondert fest. Gegen die gesonderte Gewinnfeststellung legte der Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage im wesentlichen ab. Es berücksichtigte lediglich eine --vom FA zugestandene-- Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung. Das FG entschied, daß eine Rücklage für Ersatzbeschaffung nicht gewährt werden könne, weil das Bürogebäude nicht infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs aus dem Betriebsvermögen des Klägers ausgeschieden sei. Die Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG sei nicht möglich, weil diese Steuervergünstigung die Veräußerung eines Wirtschaftsguts voraussetze; eine Eigentumsübertragung des Gebäudes durch den Kläger auf eine andere Person habe nicht stattgefunden.
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Gewinnfeststellungsbescheid insoweit zu ändern, daß in Höhe von 143 104,86 DM eine Rücklage für Ersatzbeschaffung anerkannt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß immer dann, wenn ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, ein Gewinnausweis vermieden werden könne, gibt es nicht. Es entspricht vielmehr dem in den §§ 4 ff. EStG festgeschriebenen System der steuerlichen Gewinnermittlung, daß ein Gewinn, der dadurch entsteht, daß ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und dafür ein Ersatzanspruch erworben wird, dessen Nennbetrag höher ist als der Buchwert des ausgeschiedenen Wirtschaftsguts, ausgewiesen und versteuert werden muß. An dieser Rechtsauffassung, die der Bundesfinanzhof (BFH) mehrfach ausgesprochen hat (vgl. Urteile vom 15.Mai 1975 IV R 138/70, BFHE 116, 122, BStBl II 1975, 692; vom 29.März 1979 IV R 1/75, BFHE 127, 397, BStBl II 1979, 412), hält der Senat fest.
2. Eine Ausnahme von dieser Pflicht zur Gewinnrealisierung ist in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH auf Grund des gewohnheitsrechtlichen Instituts der Rücklage für Ersatzbeschaffung entwickelt worden (ständige Rechtsprechung seit RFH-Urteil vom 2.April 1930 VI A 514/30, RStBl 1930, 313; ferner BFH-Urteil vom 29.April 1982 IV R 10/79, BFHE 135, 538, BStBl II 1982, 568 m.w.N.). Danach können die Rechtsfolgen der Gewinnrealisierung dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird.
Die Frage, was unter höherer Gewalt im Sinne dieser Rechtsgrundsätze zu verstehen ist, insbesondere, ob die Ursache für die Schadensfälle in Elementarereignissen (z.B. Brand, Sturm, Überschwemmung) bestehen muß oder ob auch vom Steuerpflichtigen nicht gewollte Zufallsereignisse ausreichen können, ist offen. Der RFH hat sich mit dieser Frage nicht befaßt. Der BFH hat bisher (Urteil in BFHE 116, 122, BStBl II 1975, 692) lediglich entschieden, daß die erfolgsneutrale Übertragung der im Buchansatz einer Maschine (einer hydraulischen Presse) enthaltenen stillen Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut nicht zulässig sei, wenn die Maschine infolge eines Material- oder Konstruktionsfehlers oder eines Bedienungsfehlers aus dem Betriebsvermögen ausscheide und der Steuerpflichtige eine Entschädigung aus einer Maschinenversicherung erhalte; in diesem Urteil ist jedoch nicht ausgesprochen, daß diese Grundsätze auch auf das Unbrauchbarwerden eines Gebäudes übertragen werden können. Nach der langjährigen Praxis der Finanzverwaltung wird andererseits Diebstahl als ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Instituts der Rücklage für Ersatzbeschaffung angesehen (so schon Abschn.47 Abs.2 EStR II 1948 und 1949), obwohl es sich insoweit nicht um ein Elementarereignis handelt. Ebenso wird in ständiger Verwaltungsübung anerkannt, daß die Vernichtung eines Wirtschaftsguts durch Brand selbst dann als höhere Gewalt zu beurteilen ist, wenn die Brandursache von einem Dritten vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt wurde; auch in einem solchen Fall ist die Zerstörung des Wirtschaftsguts primär nicht durch ein Elementarereignis eingetreten.
Der Senat braucht im Streitfall nicht grundsätzlich zu entscheiden, ob und inwieweit über die bisher von der Verwaltungspraxis und der Rechtsprechung anerkannten Fälle hinaus auch dann die durch eine Entschädigungszahlung entstandenen Buchgewinne auf Ersatzwirtschaftsgüter übertragen werden können, wenn Wirtschaftsgüter nicht aufgrund von Naturereignissen aus dem Betriebsvermögen ausscheiden. Er ist aber der Überzeugung, daß jedenfalls der Abriß eines Gebäudes wegen erheblicher, kurze Zeit nach der Fertigstellung aufgetretener Baumängel ertragsteuerrechtlich nicht anders behandelt werden kann als die Vernichtung eines Gebäudes durch Brand. Dabei geht der Senat von der Überlegung aus, daß für die rechtliche Begründung der Zulassung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung wesentlich auf die wirtschaftliche Bedeutung des Verlustes eines Wirtschaftsguts und der Erlangung einer Entschädigung zur Wiederherstellung eines Ersatzwirtschaftsguts abgestellt wird. Schon in seiner Grundsatzentscheidung in RStBl 1930, 313 hat der RFH ausgeführt, daß bei der Vernichtung eines Gebäudes durch Brand die Brandentschädigung nicht nur den Zweck habe, den Verlust zu decken, sondern darüber hinaus dem Geschädigten --vielfach in rechtlich bindender Weise-- zur Wiederherstellung des abgebrannten Gebäudes zu verhelfen, und daß ferner entsprechend diesem Zweck es die wirtschaftliche Bedeutung des Falles gebiete, von einer Realisierung der stillen Reserven abzusehen.
Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein Gebäude kurze Zeit nach Fertigstellung erhebliche Baumängel aufweist und deshalb alsbald abgerissen wird. Ein solcher Fall kann ertragsteuerrechtlich nicht anders beurteilt werden als die Vernichtung des Gebäudes z.B. durch fahrlässige Brandstiftung, vorausgesetzt, daß der Buchwert des Gebäudes stille Reserven enthält, also niedriger ist als die für das Gebäude gezahlte Entschädigung.
Nach dem Urteil in BFHE 116, 122, BStBl II 1975, 692 kommt allerdings die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung beim Unbrauchbarwerden einer Maschine infolge von Material- oder Konstruktionsfehlern oder infolge eines Fehlers bei der Bedienung der Maschine nicht in Betracht, weil es sich hierbei um mehr oder weniger alltägliche, für das Betriebsrisiko typische Schadensfälle handelt, die nichts "außergewöhnliches" an sich haben. Dies trifft nicht auf den Fall zu, daß ein Gebäude kurze Zeit nach Fertigstellung wegen erheblicher Baumängel abgebrochen wird. Beide Fälle unterscheiden sich auch dadurch, daß der Abriß eines Gebäudes mit zusätzlichen Erschwernissen (z.B. Abbrucharbeiten, in der Regel längere Zeitdauer bis zur Wiederbeschaffung des Ersatzwirtschaftsguts) verbunden ist und daß ferner beim Verlust eines Gebäudes die stillen Reserven meist höher und damit die Auswirkungen der Besteuerung schwerwiegender sind als bei dem Verlust einer Maschine.
Der Anerkennung der Rücklage für Ersatzbeschaffung bei Abbruch eines Gebäudes wegen erheblicher Baumängel steht nicht entgegen, daß die Versicherungssumme nicht für den Verlust eines ursprünglich funktionsfähigen Wirtschaftsguts, sondern als Ersatz für eine fehlerhafte Bauausführung gezahlt wird. Entscheidend ist für den Senat allein, daß der Abriß eines Gebäudes kurze Zeit nach Fertigstellung wegen erheblicher Baumängel als ein außergewöhnliches Ereignis anzusehen ist, das seinem wirtschaftlichen Gehalt nach mit anderen Fällen der mangelhaften Erfüllung eines Vertrages nicht verglichen und ertragsteuerrechtlich nicht anders als der Verlust eines Gebäudes durch Brand beurteilt werden darf.
3. Das FG-Urteil entspricht diesen Rechtsgrundsätzen nicht. Es war daher aufzuheben.
Eine Rücklage für Ersatzbeschaffung kann jedoch nur insoweit gebildet werden, als durch die Entschädigungszahlung stille Reserven des abgerissenen Gebäudes aufgedeckt worden sind; nur die durch den Abriß des Gebäudes und die hierfür gezahlte Entschädigung erzielten Gewinne sind übertragbar, nicht jedoch die anläßlich des Gebäudeabrisses entstandenen Buchgewinne (Urteil in BFHE 135, 538, BStBl II 1982, 568), im Streitfall z.B. wegen evtl. Ersatzleistungen für die Bereitstellung von Behelfsunterkünften. Hierzu hat das FG keine Feststellungen getroffen. Der Senat kann diese Feststellungen auch für die Beurteilung der angefallenen Zinsen nach den Grundsätzen des § 118 Abs.2 FGO nicht selbst vornehmen. Die Sache war daher an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 61773 |
BStBl II 1988, 330 |
BFHE 151, 70 |
BFHE 1988, 70 |