Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des Begriffs charakterbestimmender Bestandteil einer zusammengesetzten Ware in § 15 ZTG 1951.
Ist für die Tarifierung einer zusammengesetzten Ware ihr charakterbestimmender Bestandteil maßgebend, so ist sie so zu tarifieren, als ob sie ganz aus dem charakterbestimmenden Bestandteil bestünde.
Hängt also die Zuweisung einer nach § 15 ZTG 1951 zu tarifierenden zusammengesetzten Ware davon ab, ob sie eine zugelassene oder nichtzugelassene Bearbeitung erfahren hat, so bleiben diejenigen Bearbeitungsvorgänge, die zu der Zusammensetzung der Ware geführt haben, außer Betracht.
Zur Frage der Unterbrechung der Verjährung nach § 147 AO a. F. und der Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben bei Nachforderungen infolge von Fehltarifierungen.
Normenkette
ZTG § 15; AO §§ 146a, 147
Tatbestand
I. -
Gegenstand des Streites ist die Nacherhebung von Zoll und Umsatzausgleichsteuer durch Berichtigungsbescheid des Zollamts (ZA) vom 18. August 1958 für einen Kunststoffußbodenbelag, den die Revisionsklägerin - im folgenden Abgabepflichtige - in der Zeit vom Januar 1956 bis Dezember 1957 in 28 Fällen zum freien Verkehr hat abfertigen lassen.
Die Oberseite der Ware bestand aus Polyvinylchlorid (PVC), einem Polymerisationserzeugnis der Tarifnr. 3902 Zolltarif 1951, die Unterseite aus einer Korkschicht. Sie wurde in Bahnen von rechteckiger Form und in einer Stärke von 2 bis 3 mm als Meterware eingeführt. Das ZA hielt es für zweifelhaft, welcher Bestandteil der Ware nach ihrem Verwendungszweck der wichtigere sei und verzollte deshalb bei sämtlichen Einfuhren den Fußbodenbelag gemäß § 15 des Zolltarifgesetzes (ZTG) als Preßkorkware nach den jeweils gültigen Zollsätzen der Tarifnr. 4504 D, da der insoweit maßgebende autonome Zollsatz dieser Tarifnummer (Allgemeine Tarifierungsvorschriften - ATV - Nr. 4) 25 % des Wertes betrug, während Waren der nach Ansicht des ZA daneben in Betracht zu ziehenden Tarifnr. 3907 C einem autonomen Zollsatz von nur 20 % unterlagen.
Anläßlich einer auf Anregung des ZA vom Hauptzollamt (HZA) beantragten und im Dezember 1957 und März 1958 bei der Abgabepflichtigen durchgeführten Betriebsprüfung beanstandeten die Prüfer diese Tarifierung. Sie vertraten die Auffassung, daß der Charakter der Ware von der Kunststoffschicht bestimmt werde, so daß sie der Tarifnr. 3907 C Zolltarif 1951 hätte zugewiesen werden müssen. Auf Weisung der Oberfinanzdirektion (OFD) erließ das ZA daraufhin den den Gegenstand dieses Streits bildenden Berichtigungsbescheid vom 18. August 1958, wobei die Waren nunmehr für die Zeit bis zum 6. September 1956 der Tarifnr. 3907 C und für die Folgezeit der Tarifnr. 3902 D zugewiesen wurden. Letzteres hielt die OFD im Hinblick auf die Sechste Verordnung über Erläuterungen zum Zolltarif vom 15. August 1956 (Bundeszollblatt - BZBl - 1956 S. 610) für geboten, da von diesem Zeitpunkt ab die nur rechteckig geschnittenen Platten oder Bahnen, auch wenn sie sich als Fertigwaren darstellten, nicht mehr der Tarifnr. 3907 C, sondern der Tarifnr. 3902 D zuzuweisen seien (Ziff. 1 d Allgemeine Erläuterungen zu Kapitel 39 Zolltarif 1951).
Der Einspruch blieb erfolglos, die Berufung führte zu einer Ermäßigung der Nachforderung.
Das Finanzgericht (FG) stimmt der Zollverwaltung zwar darin zu, daß als den Charakter bestimmender Bestandteil der nach § 15 ZTG zu tarifierenden Ware die aus PVC bestehende Oberseite anzusehen sei, ist aber der Auffassung, daß die Ware nicht die Tarifnr. 3902, sondern in allen Einfuhrfällen der Tarifnr. 3907 C zuzuweisen sei, da die Verbindung der Kunststoff- mit der Preßkorkschicht eine Bearbeitung darstelle, die über die nach der Ziff. 1 d der Allgemeinen Erläuterungen zu Kapitel 39 zulässige hinausgehe.
Daß die im Jahre 1956 entstandenen Eingangsabgaben verjährt seien, verneinte es; die Verjährung sei im Streitfall nicht durch den Prüfungsauftrag, sondern erst durch die durchgeführte Betriebsprüfung unterbrochen worden.
Auch die Grundsätze von Treu und Glauben stünden der Geltendmachung der Abgabenforderungen nicht entgegen, da die Abgabepflichtige es unterlassen habe, eine verbindliche Zollauskunft einzuholen. Die Zollbehörden hätten auch nicht die ihnen nach § 204 AO obliegende Ermittlungspflicht verletzt, sondern nur die tatsächlichen Verhältnisse rechtsirrtümlich beurteilt und deshalb die Ware nach einer unzutreffenden Tarifstelle abgefertigt.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der beantragt wird, den Berichtigungsbescheid des ZA vom 18. August 1958 aus Rechtsgründen aufzuheben, weil
der Fußbodenbelag der Tarifnr. 4504 D Zolltarif 1951 zuzuweisen sei, da die Preßkorkschicht nach dem Verwendungszweck der Ware deren Charakter bestimme,
die im Jahre 1956 entstandenen Eingangsabgaben verjährt seien,
die Nachforderung gegen Treu und Glauben verstoße. Zur Begründung wird im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Zu 1. a) Im Hinblick auf die Zweifelhaftigkeit der Tarifierung hätte die Verkehrsanschauung ermittelt werden müssen.
Die Meinung des FG, daß "der wichtigste Teil eines Fußbodenbelags seine Gehfläche" sei, werde zolltariflich recht fraglich im Hinblick auf die Tarifierung des Fußbodenbelags Linoleum.
Der zweischichtige Fußbodenbelag sei ein Kombinationsbelag. Es komme darauf an, welche Schicht bei seiner Verwendung die wichtigere sei. Das sei die Preßkorkschicht; wegen dieser werde er auch gekauft.
Zu 2. a) Es habe sich nicht um eine ordentliche Betriebsprüfung im Sinne des § 162 Abs. 10 AO gehandelt, sondern um eine allgemeine wertzollrechtliche Ermittlung. Eine über diese Aufgabe hinausgehende Tätigkeit der Prüfer habe deshalb die Verjährung der 1956 entstandenen Abgaben nicht unterbrechen können.
Der Prüfungsauftrag sei unwirksam gewesen, weil er nicht vom zuständigen Finanzamt - FA - (HZA oder ZA) erteilt worden sei, sondern vermutlich von der OFD. Er habe sich auch nicht auf die Nachprüfung der Tarifierung bezogen.
Der Besuch der Betriebsprüfer im Dezember 1957 sei keine wirksame Unterbrechungshandlung. Der Unterbrechungswille der Prüfer für die Frage der Zolltarifierung sei jedenfalls im Dezember 1957 nicht erkennbar in Erscheinung getreten.
Zu 3. Das FG habe unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) VII 117/60 U vom 11. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 89, Slg. Bd. 72 S. 237) die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben abgelehnt, weil die Abgabepflichtige - aus welchen Gründen auch immer - es unterlassen habe, vor der Einfuhr eine verbindliche Zollauskunft einzuholen. Die Worte "aus welchen Gründen auch immer" fehlten in dem Urteil. Daraus müsse geschlossen werden, daß es bei besonderen Sachverhalten Ausnahmen geben könne. Ein solcher ganz besonderer Sachverhalt liege hier vor.
Ein weiterer Rechtsgrund für die Aufhebung des Berichtigungsbescheides sei, daß § 94 Abs. 1 AO eine Kannvorschrift sei; die Zollbehörde könne den Zollbescheid ändern, müsse es aber nicht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) seien rückwirkende Steuergesetze unzulässig; dann seien aber zweifellos auch geänderte Tarifauffassungen gegenüber rechtskräftigen Zollbescheiden unzulässig.
Der Revisionsbeklagte - im folgenden HZA - beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. -
Die Revision hat teilweise Erfolg.
Zur Frage der Tarifierung
Zu Unrecht rügt die Abgabepflichtige, daß im Streitfall weder von der Verwaltung noch vom FG die Verkehrsanschauung ermittelt worden sei. Denn es handelte sich im Streitfall um eine zusammengesetzte Ware, deren Bestandteile je für sich durch zolltarifliche Vorschriften bestimmt waren, und bei der nur zweifelhaft sein konnte, ob einer dieser Bestandteile und gegebenenfalls welcher den Charakter der Ware bestimmte. Blieb dies zweifelhaft, so war nach § 15 ZTG 1951 die Ware der Tarifnummer desjenigen Bestandteils zuzuweisen, der zur höchsten Zollbelastung führte. Die Voraussetzungen der ATV 1951 Nr. 2 Abs. 2 lagen somit nicht vor, da die beiden Bestandteile der zusammengesetzten Ware zolltariflich bestimmt waren.
Der für die Tarifierung der strittigen zusammengesetzten Ware anzuwendende § 15 ZTG bestimmt, daß die Tarifierung nach dem Bestandteil der Ware zu geschehen hat, der den Charakter der Ware bestimmt. Was unter charakterbestimmende Bestandteil zu verstehen ist, ist eine Frage der Auslegung dieser Bestimmung, also eines zolltarifrechtlichen Begriffs. Das Gesetz erläutert diesen Begriff nicht. Nach den als Verwaltungsanweisung ergangenen, die Gerichte also nicht bindenden Erläuterungen zum Zolltarif 1951 (Allgemeine Vorschriften Abschn. C 4 c) ist der charakterbestimmende Bestandteil einer Ware derjenige, der nach ihrem Verwendungszweck der wichtigere ist. Der Senat hält diese Auslegung für zu eng. Welcher Teil einer zusammengesetzten Ware für ihre Tarifierung charakterbestimmend ist, läßt sich nicht allein von ihrem Verwendungszweck her bestimmen. Vielmehr sind nach Auffassung des Senats auch andere Merkmale von Wesentlichkeit. So kann z. B. das Mengenverhältnis oder das Wertverhältnis der Bestandteile von Bedeutung sein; auch wird zu berücksichtigen sein, als was die zu tarifierende Ware gehandelt wird. Dem hat auch die spätere Rechtsentwicklung Rechnung getragen. So bestimmt die als Rechtsverordnung erlassene und damit verbindliche Erläuterung zu den ATV 1958 Nr. 3 b, daß das Beschaffenheitsmerkmal, das den Charakter der Ware bestimmt, je nach der Art der Ware verschieden sei. Der Charakter der Ware könne sich z. B. aus der Beschaffenheit des Stoffes oder Art der Bestandteile, aus ihrem Umfang, ihrer Menge, ihrem Gewicht, ihrem Wert oder ihrer Bedeutung in bezug auf die Verwendung der Ware ergeben.
Geht man hiervon aus, so erweisen sich die Ausführungen der Vorinstanz über den charakterbestimmenden Bestandteil der im Streit befindlichen Ware im Ergebnis als zutreffend. Es ist richtig, daß der wichtigste Teil eines Fußbodenbelags seine Gehfläche ist, weil sie nach der Verlegung des Fußbodens der eigentlichen unmittelbaren Beanspruchung unterliegt und an sie hinsichtlich ihres Aussehens, ihrer Gleitsicherheit und ihrer Reinigungsmöglichkeit besondere Anforderungen gestellt werden. Gerade diese Eigenschaften haben, wie gerichtsbekannt, zu einer zunehmenden Verwendung der Kunststoffußbodenbeläge auf allen in Betracht kommenden Gebieten des Bauwesens geführt. Dem entspricht es auch, wenn die strittige Ware in dem von der Abgabepflichtigen vorgelegten Prospekt, abgesehen von der auf den Kunststoffanteil hinweisenden Warenbezeichnung, als "der bewährte Kunststoffbelag für Böden und Treppen" bezeichnet und darauf hingewiesen wird, daß er "unverwüstlich, gleitsicher, leicht zu reinigen und unempfindlich gegen Fette, öle, Laugen und die meisten Säuren" sei. Diese Eigenschaften verdankt die Ware ihrem Kunststoffanteil. Erst in zweiter Linie wird auf die "charakteristische korkartige Unterschicht" mit ihren den Fußbodenbelag verbessernden Eigenschaften hingewiesen.
Der Einwand der Abgabepflichtigen, die überlegung des FG, daß der wichtigste Teil eines Fußbodenbelags seine Gehfläche sei, werde zolltariflich fraglich im Hinblick auf die Tarifierung des Fußbodenbelags Linoleum, der in die Tarifnr. 5917 gehöre und für dessen Tarifierung also die Unterschicht maßgebend gewesen sei, geht fehl. Denn für die Zuweisung einer Ware zu einer bestimmten Tarifnummer sind allein zollpolitische Gründe maßgebend, was dazu führen kann, daß für die Zuweisung zusammengesetzter Waren verschiedener Art in bestimmte Tarifnummern - also in nicht nach § 15 ZTG zu behandelnden Fällen - unterschiedliche Gesichtspunkte maßgebend sein können, daß also aus einer solchen Zuweisung nicht gefolgert werden kann, der Gesetzgeber habe damit den einen oder den anderen Bestandteil als charakterbestimmend und deshalb für die Tarifierung als maßgebend angesehen.
Nach allem ist der Vorinstanz darin zuzustimmen, daß charakterbestimmender Bestandteil der strittigen Ware ihr Kunststoffanteil ist und daß sie deshalb in das Kapitel 39 Zolltarif 1951 gehört.
Der Auffassung des FG aber, daß die strittige Ware in allen Einfuhrfällen der Tarifnr. 3907 C zugewiesen werden müsse, weil die Verbindung der Kunststoff- mit der Preßkorkschicht eine Bearbeitung darstelle, die über die nach der als Rechtsverordnung erlassenen Sechsten Verordnung über Erläuterungen zum Zolltarif vom 15. August 1956 Anlage (zu § 1) Nr. 1 d zugelassene hinausgehe, vermag der Senat nicht zu folgen. Zweifellos beruht die Verbindung der beiden Schichten miteinander auf einer Bearbeitung, und zwar einer Bearbeitung jeder der beiden Schichten. Für die Frage aber, ob eine zusammengesetzte Ware, die nach ihrem charakterbestimmenden Bestandteil einer bestimmten Tarifnummer zuzuweisen ist, im Sinne dieser Tarifnummer eine zulässige oder unzulässige Bearbeitung erfahren hat, kommt es darauf an, welche Bearbeitung die zusammengesetzte Ware als solche erfahren hat. Es bleiben also die Bearbeitungsvorgänge, die zu der Zusammensetzung der Ware geführt haben, zolltariflich außer Betracht. Denn wenn für die Tarifierung einer zusammengesetzten Ware ihr charakterbestimmender Bestandteil maßgebend ist, so ist sie so zu tarifieren, als ob sie ganz aus dem charakterbestimmenden Bestandteil bestünde. Da aber die Fußbodenbeläge nur rechteckig geschnitten, also rechteckige Platten und nicht weiterbearbeitet waren, fielen sie schon nach dem Wortlaut der Tarifnr. 3902 Zolltarif 1951 unter diese Tarifnummer.
Zur Frage der Verjährung Mit Recht hat das FG verneint, daß die im Jahre 1956 entstandenen Eingangsabgaben im Zeitpunkt des Erlasses des Berichtigungsbescheides vom August 1958 verjährt gewesen seien. Denn die Verjährung dieser Ansprüche ist unterbrochen worden, allerdings nicht erst, wie das FG meint, durch die Betriebsprüfung selbst, sondern bereits durch eine Handlung des zuständigen HZA gemäß § 147 AO, nämlich durch das auf Veranlassung des ZA vom HZA an die OFD gerichtete Ersuchen vom Oktober 1957, durch eine Betriebsprüfung bei der Abgabepflichtigen deren Beziehungen zu der ausländischen Lieferantin zwecks Feststellung der zutreffenden Zollwerte bei der Einfuhr der Fußbodenbeläge überprüfen zu lassen. Da es sich bei diesem Ersuchen um die Feststellung eines nach Abgabenart und Umfang abgegrenzten Steuertatbestands gehandelt hat, nämlich die Einfuhren der Fußbodenbeläge durch die Abgabepflichtige, hat es die Verjährung unterbrochen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Abgabepflichtige von dem Ersuchen Kenntnis erhalten hat und wann die ersuchte Stelle tätig geworden ist (vgl. Urteile des BFH VII 45/60 vom 22. März 1961, BStBl 1961 III S. 244, Slg. Bd. 72 S. 672, und VII 107/59 U vom 5. Juli 1961, BStBl 1961 III S. 371, Slg. Bd. 73 S. 285). Es kann also im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Prüfer mit der Prüfung im Dezember 1957 begonnen oder, wie die Abgabepflichtige vorträgt, sie erst im Jahre 1958 durchgeführt haben.
Auch der Einwand der Abgabepflichtigen, die Prüfer hätten keinen Auftrag gehabt, die Tarifierungsfrage nachzuprüfen, und es sei daher insoweit keine Unterbrechung der Verjährung eingetreten, geht fehl. Denn es verjähren nicht die Besteuerungsgrundlagen - hier also der Zollwert und die tarifmäßige Beschaffenheit der Ware -, sondern der Steueranspruch. Eine wirksame Unterbrechung der Verjährung erstreckt sich auf den Steueranspruch als solchen, und zwar im ganzen. War also nach der bis zum Ende des Jahres 1965 geltenden Rechtslage wie hier eine Handlung des zuständigen HZA auf die Feststellung des Steueranspruchs gerichtet, und sei es auch nur auf die Feststellung der sich aus einer der Besteuerungsgrundlagen ergebenden abgabenrechtlichen Folgen, so unterbricht diese Handlung die Verjährung des Steueranspruchs im ganzen.
Zur Frage von Treu und Glauben Schließlich hat das FG auch zutreffend entschieden, daß der Geltendmachung der Nachforderung auch nicht die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen, und zwar deshalb nicht, weil die Abgabepflichtige es unterlassen hat, vor Beginn der Einfuhr eine verbindliche Zollauskunft einzuholen. Seine Entscheidung beruht auf der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile VII 117/60 U vom 11. Januar 1961, a. a. O., und VII 107/62 vom 31. Juli 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963 S. 41 Nr. 43).
Es kann dahingestellt bleiben, ob es Fälle geben kann, in denen Ausnahmen von diesem Grundsatz anzuerkennen wären, wenn nämlich, wie die Abgabepflichtige vorträgt, der Anlaß für die Nichteinholung der verbindlichen Zollauskunft z. B. ein ungewöhnlicher und selten vorkommender Anlaß ist. Denn ein solcher Anlaß liegt im Streitfall nicht vor. Wie sich aus dem Sachverhalt und dem Vorbringen der Abgabepflichtigen selbst ergibt, hat diese selbst eine Zollauskunft nicht eingeholt, weil sie das deutsche Zollauskunftsrecht nicht gekannt und demzufolge geglaubt hat, sich auf die ihrer ausländischen Lieferantin gegebene Zollauskunft verlassen zu können. Von einem Kaufmann, der sich gewerbsmäßig mit Importgeschäften befassen will, muß erwartet werden, daß er sich mit den zollgesetzlichen Bestimmungen vertraut macht. Unterläßt er dies, dann muß er die Folgen aus dieser Unterlassung selbst tragen und kann sich nicht auf Treu und Glauben berufen.
Der Fall erhält auch nicht, wie die Abgabepflichtige vorträgt, sein besonderes Gepräge durch das Fehlverhalten der Zollverwaltung. Dieses bestand, soweit es für die Nachforderung ursächlich war, allein darin, daß das ZA die eingeführten Waren falsch tarifierte. Daß dies vorkommen kann, hat seinen Grund darin, daß die Abfertigungen im Interesse der Importeure schnell durchgeführt werden müssen und daß es nicht zuletzt infolge der häufigen änderungen auf dem Gebiet des Zolltarifs oft schwierig ist, eine Ware tariflich richtig einzuordnen. Gerade aus diesen Gründen aber und um den Importeuren gleichwohl eine Möglichkeit zu geben, sich für ihre Einfuhren eine gesicherte Kalkulationsgrundlage zu verschaffen und sich vor Nachforderungen zu schützen, hat der Gesetzgeber die Einrichtung der verbindlichen Zollauskunft geschaffen. Wer diese einzuholen unterläßt, kann füglich nicht erwarten, daß eine erst durch diese Unterlassung möglich gewordene Nachforderung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ihm gegenüber nicht geltend gemacht werden dürfte (vgl. die oben zitierten Urteile des BFH.
Auch daß die OFD als Vorprüfungs- und Aufsichtsbehörde die Tarifierungen während der sich auf über zwei Jahre erstreckenden Einfuhren nicht beanstandet habe, macht den Fall nicht zu einem Sonderfall. Denn abgesehen davon, daß die Verwaltung unmöglich alle Verzollungen nachprüfen kann, sondern sich auf Stichproben beschränken muß, besteht für sie dem Abgabepflichtigen gegenüber, wenn er es nicht z. B. durch Einlegung eines Rechtsmittels beantragt, auch keine Verpflichtung zu einer Nachprüfung, so daß er aus deren Unterlassung auch keine Rechte für sich herleiten kann (siehe Urteil des BFH VII 25/63 vom 17. März 1964, HFR 1964 S. 363 Nr. 330).
Auch trifft es nicht zu, wie die Abgabepflichtige meint, daß die Verwaltung einen nicht mehr anfechtbaren Zollbescheid nur ändern könne, aber nicht ändern müsse. Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, ist die Nachforderung der kraft Gesetzes entstandenen und zu Unrecht nicht erhobenen Eingangsabgaben nicht in das Ermessen der Verwaltung gestellt; diese ist vielmehr verpflichtet, sie geltend zu machen, es sei denn, daß dem auf Grund besonders gelagerter außergewöhnlicher Umstände des einzelnen Falles die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen (vgl. z. B. Urteil des BFH VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 11, Slg. Bd. 68 S. 27).
Die Abgabepflichtige irrt auch, wenn sie glaubt, daß deshalb, weil nach der Rechtsprechung des BVerfG Steuergesetze mit rückwirkender Kraft unzulässig seien, auch eine geänderte Tarifauffassung nicht rückwirkend auf bereits rechtskräftige Steuerbescheide angewendet werden könnte. Denn es handelt sich dabei um zwei rechtlich völlig verschiedene Sachverhalte. Im ersten Fall hat zur Zeit der Verwirklichung des Tatbestandes ein diesen erfassendes Steuergesetz noch nicht bestanden, während im letzteren Fall das Gesetz in diesem Zeitpunkt bereits galt und demzufolge die Abgabenschuld in der vom Gesetz bestimmten Höhe auch bereits entstanden und nur infolge Nichtanwendung oder falscher Auslegung des Gesetzes nicht erhoben worden ist.
III. - Da, wie unter II. 1. ausgeführt, die strittige Ware in allen Einfuhrfällen der Tarifnr. 3902 D und nicht, wie es die Vorinstanz getan hat, der Tarifnr. 3907 C zuzuweisen war, ergibt sich für die Entscheidung folgendes: Da der Ausgleichsteuersatz der Tarifnr. 3907 C, den die Vorinstanz ihrer Abgabenfestsetzung zugrunde gelegt hat, für alle Einfuhrfälle 6 % beträgt, der der zutreffenden Tarifnr. 3902 D dagegen nur 4 %, war der Revision insoweit stattzugeben und die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 1959 und der Berichtigungsbescheid des ZA vom 18. August 1958, soweit sie Ausgleichsteuer betreffen, aufzuheben, um den Weg für eine zutreffende Neufestsetzung der Ausgleichsteuer in Befolgung dieser Entscheidung freizumachen.
Da die von der Vorinstanz auf Grund der Zuweisung der Ware in die Tarifnr. 3907 C festgesetzten Zollbeträge für alle Einfuhrzölle niedriger sind, als sie bei Anwendung der zutreffenden Tarifnr. 3902 D wären, diese Festsetzung also zwar unrichtig ist, die Abgabepflichtige aber hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt ist, war die Vorentscheidung in diesem Punkte zu bestätigen und demzufolge die Revision insoweit als unbegründet zurückzuweisen.
Mithin waren auch die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung im Kostenpunkt aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 424076 |
BStBl III 1966, 341 |
BFHE 1966, 370 |
BFHE 85, 370 |