Leitsatz (amtlich)
Hat eine natürliche Person auf einem unbebauten Grundstück ein den Erfordernissen des § 1 Nr. 1 GrESWG entsprechendes Wohnhaus oder eine diesen Erfordernissen entsprechende Wohnung errichtet und zunächst selbst (eigen-)genutzt, so bestimmen sich die Voraussetzungen dafür, ob ein grunderwerbsteuerbegünstigter Ersterwerb i. S. des § 1 Nr. 5 GrESWG durch einen Dritten gegeben ist, nach den persönlichen, familiären und beruflichen Verhältnissen des veräußernden Eigentümers vor dem Zeitpunkt des Ersterwerbs.
Normenkette
GrESWG NW 1958 § 1 Nr. 1; GrESWG NW 1958 § 1 Nr. 5
Tatbestand
Die Kläger (und Revisionskläger), Eheleute mit sechs Kindern und Haustochter, hatten durch notariell beurkundeten Vertrag ein bebautes Grundstück gekauft und das Eigentum daran je zur Hälfte erworben. Das aufstehende Wohnhaus hatten die Verkäufer, alleinstehende Eheleute, errichtet und nach Bezugsfertigkeit im Juni 1959 bezogen.
Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) lehnte die von den Klägern begehrte Grunderwerbsteuerfreiheit nach § 1 Nr. 5 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau i. d. F. vom 19. Juni 1958 (GVBl NW 1958, 282; BStBl II 1958, 105) - GrESWG NW 1958 - ab, weil die in dem Gebäude befindliche Wohnung nicht nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG) i. d. F. vom 1. September 1965 (BGBl I 1965, 1617 mit späteren Berichtigungen und Änderungen) von den dafür zuständigen Stellen als steuerbegünstigt anerkannt worden sei. Das FA unterwarf deshalb die Erwerbe der Kläger der Grunderwerbsteuer.
Die Einsprüche der Kläger blieben erfolglos. Die Kläger hatten u. a. vorgetragen, die Wohnflächengrenzen des II. WoBauG seien - bezogen auf ihre persönlichen und beruflichen Verhältnisse sowie auf die ihrer Familie - eingehalten. Gegen die Ablehnung eines Anerkennungsbescheids seien im Verwaltungsrechtsweg Rechtsbehelfe eingelegt worden.
Die Klagen, die das FG zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, blieben erfolglos.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 1 Nr. 5 GrESWG NW 1958 sowie des § 1 Abs. 2 StAnpG.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet. FA und FG haben zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis zutreffend die Grunderwerbsteuervergünstigung für die Erwerbe der Kläger versagt.
1. Der Kaufvertrag unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer, da in ihm die Ansprüche der Kläger auf Übereignung der (hälftigen) Miteigentumsanteile an dem Grundstück (vgl. Urteil des BFH vom 23. Juni 1976 II R 139/71, BFHE 119, 510, BStBl II 1976, 693) begründet wurden.
2. Die Erwerbsvorgänge sind nicht von der Besteuerung ausgenommen. Die Voraussetzungen des § 1 Nr. 5 GrESWG NW 1958 sind im Streitfall nicht alle gegeben. Zwar sind die Beteiligten und das FG zutreffend davon ausgegangen, daß das Gebäude wegen der großen Wohnfläche zugunsten der Veräußerer (Bauherren) weder als steuerbegünstigt anerkannt worden noch als steuerbegünstigt anzuerkennen war. Die Beteiligten und das FG haben zutreffend auch angenommen, daß die Erwerbe der Miteigentumsanteile durch die Kläger als erste Erwerbe des Grundstücks anzusehen sind und diese Erwerbe innerhalb eines Zeitraums von 12 Jahren nach der Gebrauchsabnahme liegen. Es mangelt aber an dem weiteren Tatbestandserfordernis, daß die Wohnung "öffentlich gefördert oder als steuerbegünstigt anzuerkennen" ist.
a) Die Befreiungsvorschrift des § 1 Nr. 5 GrESWG NW 1958 knüpfte an die Bestimmungen in § 1 Nr. 1 GrESWG NW 1958 an. Darin wurde das steuerbegünstigt zu errichtende Gebäude alternativ umschrieben. Die aufgestellten Alternativen unterschieden zwischen Wohnungen (Wohnräumen), die unter das Erste Wohnungsbaugesetz (I. WoBauG) und solchen, die unter das II. WoBauG fallen. Nach der hier maßgebenden, zweitgenannten Möglichkeit - das Haus ist im Jahre 1959 bezugsfertig geworden und fällt deshalb unter das II. WoBauG - genügte es, daß die Wohnung "öffentlich gefördert oder als steuerbegünstigt anzuerkennen" ist (vgl. BFH-Urteil vom 22. März 1972 II R 121/68, BFHE 105, 515, BStBl II 1972, 637). Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Grunderwerbsteuerfreiheit der Ersterwerbe der Kläger nach dem Wortlaut des § 1 Nr. 1 GrESWG NW 1958 im Lande Nordrhein-Westfalen die Grundsteuervergünstigung in Anspruch genommen oder gewährt sein mußte (vgl. dazu die BFH-Urteile für Bayern vom 9. Dezember 1964 II 89/62, HFR 1965, 276; vom 1. August 1967 II 92/65, BFHE 89, 545, BStBl III 1967, 709; vom 8. August 1973 II R 92/66, BFHE 110, 373, BStBl II 1974, 38; für Bremen vom 25. November 1964 II 79/62 U, BFHE 81, 270, BStBl III 1965, 98; für Rheinland-Pfalz vom 25. November 1964 II 14/62, HFR 1965, 225; für Niedersachsen vom 21. Januar 1976 II R 30/71, BFHE 118, 241, BStBl II 1976, 348), und ob dies durch die Veräußerer bzw. zu deren Gunsten oder (nachträglich) durch die Ersterwerber bzw. zu deren Gunsten zu geschehen hatte. Es braucht im Streitfall auch nicht abschließend entschieden zu werden, ob das FA und damit auch das FG in dieser Richtung ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht hatten (vgl. dazu Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., Anhang Sozialer Wohnungsbau Tz. 990).
b) Das von den Klägern erworbene Gebäude ist weder öffentlich gefördert noch war es im Zeitpunkt des Erwerbs als steuerbegünstigt anerkannt, noch ist es als steuerbegünstigt anzuerkennen.
Eine öffentliche Förderung haben die Kläger weder behauptet noch ist eine solche den Akten zu entnehmen. Die Veräußerer hatten eine Anerkennung als steuerbegünstigt offenbar wegen Aussichtslosigkeit im Hinblick auf die nach ihren Verhältnissen erhebliche Überschreitung der zulässigen Wohnfläche gar nicht erst beantragt.
Für die (nachträgliche) Anerkennung der steuerlichen Begünstigung fehlen die gesetzlichen Voraussetzungen. Die zuständigen Verwaltungsstellen haben eine Anerkennung der Steuerbegünstigung unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Verhältnisse der Kläger abgelehnt. Unabhängig davon kann unter den gegebenen Verhältnissen eine Grunderwerbsteuerbegünstigung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht anerkannt werden. § 1 Nr. 5 GrESWG NW 1958 begünstigt "den Erwerb eines den Erfordernissen der Ziffer 1 entsprechenden Wohnhauses ...". Das Gesetz will danach den Ersterwerb grunderwerbsteuerlich nur dann erleichtern, wenn die näher beschriebenen Gebäude die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen wirklich erfüllen. Der Wortlaut der Gesetzesbestimmung kann nur dahin verstanden werden, daß das erworbene Gebäude den "Erfordernissen der Ziffer 1" entsprechen mußte: Das Wohnhaus mußte die "Erfordernisse", wie sie sich aus Nr. 1 ergaben, daher notwendig schon vor dem Zeitpunkt des Ersterwerbs entsprechend den persönlichen und familiären Verhältnissen der Bauherren, die das Haus für eigene Wohnzwecke errichtet hatten, erfüllen. Nicht genügte das Vorliegen dieser Erfordernisse aufgrund des Ersterwerbs oder zeitlich nach diesem. Die so verstandene gesetzliche Regelung zur Erlangung der Grunderwerbsteuerbegünstigung stimmt mit den einschlägigen Vorschriften in dem II. WoBauG überein. So schreibt § 83 Abs. 1 Satz 2 des II. WoBauG vor, daß der Antrag auf Anerkennung "von dem Bauherrn" oder mit seiner Einwilligung (vgl. § 183 Satz 1 BGB) von einem Dritten gestellt werden kann; in dem Anerkennungsbescheid soll "der Bauherr" über die eintretende Mietpreisbindung belehrt werden (§ 83 Abs. 4 des II. WoBauG). § 83 Abs. 2 des II. WoBauG läßt die Möglichkeit zu, "die Anerkennung auf Antrag schon vor Baubeginn der Wohnung auszusprechen, wenn die Voraussetzungen hinsichtlich der Größe und der beabsichtigten Nutzungsart ... vorliegen". Aus diesen Gesetzesvorschriften ergibt sich, daß die Merkmale des Gebäudes, die für die Steuerbegünstigung bedeutsam sind, vor dem (späteren) Ersterwerb und unabhängig von diesem sowie unabhängig von der Person des Ersterwerbers und dessen Familienverhältnissen gegeben sein mußte, es sei denn, daß das Gebäude zum Verkauf und nicht zur Eigennutzung errichtet worden ist. Entgegen der Meinung der Kläger werden Veräußerer (Bauherr) und Ersterwerber insoweit nicht als Einheit behandelt. Ob die Voraussetzungen für die Anerkennung des Wohnhauses als (grund-)steuerbegünstigt (schon) im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit vorliegen müssen, wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 14. Mai 1975 VIII C 115.73 (Bundesbaublatt 1976 S. 89) meint, kann offenbleiben. Für die Entscheidung genügt es, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung des Wohnhauses als steuerbegünstigt vor dem (Erst-)Erwerb der Kläger nicht vollständig vorgelegen haben und die fehlende Voraussetzung nicht durch eine (spätere) Anerkennung unter Zugrundelegung der persönlichen und familiären Verhältnisse der Kläger ersetzt werden kann.
c) Zu einer anderen, den Klägern günstigeren Beurteilung der Rechtslage kann auch nicht der Hinweis der Kläger auf § 1 Abs. 2 StAnpG a. F. führen. Die abweichende Auslegung, die die Kläger für § 1 Nr. 5 GrESWG NW 1958 für richtig halten, ist weder durch den Zweck dieser Vorschrift noch durch deren wirtschaftliche Bedeutung noch durch die Entwicklung der Verhältnisse gerechtfertigt. Sie entspricht nicht dem objektivierten Willen des Gesetzgebers. Diesem stand es frei, die Grunderwerbsteuerbegünstigung für den Erwerb bebauter Grundstücke von bestimmten Voraussetzungen, denen das auf dem Grundstück errichtete Gebäude genügen mußte, abhängig zu machen. Wenn er dabei für das Wohnhaus (die Wohnung) auf dem bebauten Grundstück die gleichen Voraussetzungen wie für den Erwerb unbebauter Grundstücke zur Errichtung eines Gebäudes wählte, so erscheint dies folgerichtig und gibt keinen Anlaß zu Bedenken. Dies entspricht auch dem (wohnungs- und eigentumspolitischen) Zweck der steuerlichen Förderung (vgl. dazu die amtliche Begründung zu Art. 1 Nr. 6 (§ 1 Nr. 5 des Gesetzes) des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 4. März 1952, 3. Wahlperiode des Nordrhein-Westfälischen Landtags, Drucksachen Nr. 643 S. 12 und Nr. 757 S. 5), der unmittelbar (§ 1 Nr. 1 bis 4 GrESWG NW 1958) und mittelbar (§ 1 Nr. 5 GrESWG NW 1958) auf die Errichtung von Wohnungen bestimmter Größe gerichtet war.
3. Bei der Rechtsauffassung des Senats ist die Zahl der Personen, die im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs zum Haushalt der Kläger gehörten (§ 82 Abs. 3 des II. WoBauG), für die Entscheidung unerheblich.
Der Senat verkennt nicht, daß die gesetzliche Regelung bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen für die Grunderwerbsteuerbegünstigung in besonderen Fällen zu Härten führen kann. Ob das für den Streitfall zutrifft, hat der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 72344 |
BStBl II 1977, 563 |
BFHE 1978, 155 |