Leitsatz (amtlich)
1. Hinterziehen Geschäftsführer einer Personengesellschaft Einkommensteuer zum Vorteil der Gesellschafter, ist über die Frage, ob und in welchem Umfang der von den Gesellschaftern erlangte Vorteil i.S. des § 235 Abs.1 AO 1977 auf einer Hinterziehung beruht, im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung zu entscheiden.
2. Für den Adressaten eines auf der Rechtsgrundlage des § 155 Abs.2 AO 1977 ergehenden Folgebescheides muß aus dem Bescheid selbst oder aus den Umständen eindeutig zu erkennen sein, daß eine bestimmte Besteuerungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig ist.
Orientierungssatz
1. Hat das Wohnsitz-FA nicht im Verfahren nach § 155 Abs. 2 AO 1977 einen Steuerbescheid (Zinsbescheid) mit nach § 162 Abs. 3 AO 1977 geschätzten Festsetzungsgrundlagen erlassen, sondern beim Erlaß dieses Bescheids seine Zuständigkeit zur endgültigen Entscheidung zu Unrecht in Anspruch genommen, so muß das Gericht des Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten (Anschluß an BFH-Rechtsprechung).
2. Hinterziehen Geschäftsführer einer KG Einkommensteuer zum Vorteil des Kommanditisten, ist der durch verspätete Zahlung der Steuer erlangte Zinsvorteil auch dann beim Kommanditisten (Zinsschuldner) abzuschöpfen, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat. Unerheblich ist auch, daß er ggf. seine Kommanditeinlage eingebüßt hat. Bei der Inanspruchnahme des Kommanditisten hat das FA keinen Ermessensspielraum. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, daß als Haftungsschuldner in Betracht kommende Personen die zu verzinsenden Beträge hinterzogen haben (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. Parallelentscheidung: BFH, 19.4.1989, X R 17/88, NV.
Normenkette
AO 1977 § 235 Abs. 1 S. 2, § 239 Abs. 1 S. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 155 Abs. 2; FGO § 74; AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 162 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Jahre 1975 als Kommanditist an der Firma A KG, einer sog. Abschreibungsgesellschaft, beteiligt. Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren B und C. Die A KG reichte im Jahre 1976 beim Finanzamt (FA) D die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Jahr 1975 ein. Sie erklärte einen Verlust in Höhe von ... DM, den dieses FA vorläufig feststellte.
In dem gegen den Kläger erlassenen Einkommensteuerbescheid 1975 vom 29.August 1977 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 29 569 DM.
Anläßlich einer steuerlichen und strafrechtlichen Überprüfung der A KG wurde bekannt, daß deren Geschäftsführer Einlagen der Kommanditisten veruntreut hatten. Die entsprechenden Buchverluste waren auch den Finanzbehörden vorgetäuscht worden. B wurde wegen Betrugs in Tateinheit mit Untreue und Urkundenfälschung sowie wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Aufgrund einer Mitteilung des FA D vom 20.Juni 1983 über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte für 1975 (§ 180 Abs.1 Nr.2 der Abgabenordnung --AO 1977--) erließ das FA einen nach § 175 Nr.1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid, der zu einer Erhöhung der Steuerschuld führte. Durch Bescheid vom 12.Dezember 1983 setzte das FA Hinterziehungszinsen in Höhe von 3 816 DM gegen den Kläger fest. Auf dessen Einspruch hin ermäßigte das FA den Zinsbetrag auf 3 015 DM, da der Anteil des hinterzogenen Betrages an den Mehrsteuern 79 v.H. betrage; im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts und der gerichtlichen Aufklärungspflicht.
Er beantragt, das angefochtene Urteil sowie den Hinterziehungszinsbescheid vom 12.Dezember 1983 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 22.Januar 1985 aufzuheben,
hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FA D hat unter dem 15.Oktober 1987 "Feststellungsbescheide über die Grundlagen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 AO für 1975 - 1977" erlassen. Gegen diese Bescheide ist ein Klageverfahren anhängig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der angefochtene Zinsbescheid ist entgegen dem Revisionsvorbringen nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil das FA durch die Inanspruchnahme des Klägers gegen Rechtsgrundsätze der Ermessensausübung (§§ 5, 44 AO 1977) verstoßen hätte. Die Vorentscheidung ist fehlerhaft, weil sie im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides über gesondert festzustellende Grundlagen des Zinsanspruchs --Hinterziehung von Steuern durch die A KG bzw. deren Geschäftsführer-- ergangen ist, ohne den bestandskräftigen Abschluß eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten. Ein solches Zuwarten ist erforderlich, wenn der Folgebescheid --wie der angefochtene Zinsbescheid-- keinen "vorläufigen" Ansatz einheitlich und gesondert festzustellender Grundlagen steuerlicher Nebenleistungen (§§ 3 Abs.3, 235 AO 1977) enthält.
2. Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs.1 Sätze 1 und 2 AO 1977). Der Zinslauf beginnt nach näherer Maßgabe des § 235 Abs.2 AO 1977 mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils und endet gemäß § 235 Abs.3 AO 1977 mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern.
a) Das FG hat den gegen den Kläger geltend gemachten Zinsanspruch zu Recht nach dieser Vorschrift --nicht nach § 4a des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG)-- beurteilt. Art.97 § 15 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) bestimmt, daß Zinsen für die Zeit nach dem 31.Dezember 1976 nach den Vorschriften der AO 1977 entstehen. Das FA hat Zinsen für die Zeit ab dem 1.September 1977 berechnet. Es ist dabei davon ausgegangen, daß die Verkürzung mit der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides vom 29.August 1977 eingetreten ist. Diese Rechtsauffassung hat das FG zu Recht bestätigt (vgl. Bundesgerichtshof --BGH--, Beschluß vom 7.Februar 1984 3 StR 413/83, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht --wistra-- 1984, 142; Kohlmann, Steuerstrafrecht, 4.Aufl., § 370 Rdnr.136.1, jeweils m.w.N.).
b) Weiterhin hat das FG zutreffend ausgeführt, daß der Kläger nach § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 Zinsschuldner ist. Diese Vorschrift bezweckt, beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteil abzuschöpfen. Einen Vorteil im Sinne dieser Bestimmung erlangt der Schuldner der hinterzogenen Steuer auch dann, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11.Mai 1982 VII R 97/81, BFHE 136, 182, BStBl II 1982, 689; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 235 AO 1977 Tz.4). Dieser Vorteil liegt in der verspäteten Zahlung der geschuldeten Steuer.
c) Zu Unrecht meint der Kläger, er habe deswegen keinen "Vorteil" im Sinne des § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 erlangt, weil er seine Kommanditeinlage verloren habe. Diese Vermögenseinbuße kann mit dem Zinsvorteil nicht verrechnet werden (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 235 AO 1977 Tz.4).
Das vom Kläger zitierte BGH-Urteil vom 4.Juli 1979 3 StR 130/79 (BGHSt 29, 37 = Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Abgabenordnung, § 371, Rechtsspruch 2) befaßt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein an der Steuerhinterziehung Beteiligter im Sinne des § 371 Abs.3 AO 1977 "zu seinen Gunsten" Steuern hinterzogen hat. Der BGH geht davon aus, daß im Regelfall der Steuerschuldner neben dem "nur" steuerlichen auch den wirtschaftlichen Vorteil aus der Tat habe. Fielen aber steuerrechtlicher Vorteil und wirtschaftlicher Vorteil ausnahmsweise auseinander, sei "nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise" zu beurteilen, wem die unmittelbaren Vorteile aus der Tat zugeflossen seien.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Senat dieser zu § 371 Abs.3 AO 1977 ergangenen Entscheidung folgen könnte (vgl. zur Kritik Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 371 AO 1977 Anm.51 b ff.). Die Regelung des § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 will den steuerlichen Vorteil des Steuerschuldners abschöpfen. Dies folgt schon aus den Vorschriften über Beginn und Ende des Zinslaufs. Der Kläger hatte durch die zu niedrige Steuerfestsetzung einen steuerlich bedingten Zinsvorteil, den er nicht mit dem Hinweis darauf, er habe sein gesamtes eingesetztes Kapital verloren, in Frage stellen kann.
d) Bei der Inanspruchnahme des Klägers als Zinsschuldner hatte das FA keinen Ermessensspielraum (vgl. BFH-Urteil vom 17.Mai 1985 VI R 137/82, BFHE 144, 217, BStBl II 1985, 660; Tipke/Kruse, a.a.O., § 191 AO 1977 Tz.6). Dies gilt ungeachtet des Umstandes, daß als Haftungsschuldner in Betracht kommende Personen die zu verzinsenden Steuern hinterzogen haben. Zwar ist die Inanspruchnahme eines Haftenden unter ermessensrechtlichen Gesichtspunkten regelmäßig gerechtfertigt, wenn dieser vorsätzlich zur Steuerhinterziehung beigetragen hat (BFH-Urteil vom 24.Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58). Indes wird hierdurch die unbedingte Pflicht des FA, eine kraft Gesetzes entstandene Steuer oder steuerliche Nebenleistung nach Maßgabe des Gesetzes beim Schuldner festzusetzen und zu erheben, nicht abgeschwächt. Die Entscheidung des FA, den Kläger als Zinsschuldner zur Zahlung heranzuziehen, wäre auch dann nicht fehlerhaft, wenn aus dem Urteil des VII.Senats des BFH vom 12.April 1983 VII R 3/80 (BFHE 138, 157) zu entnehmen sein sollte, daß es ermessensfehlerhaft ist, den Hinterzieher von der Haftung freizustellen. Das FA hatte festgestellt, daß zugriffsfähiges Vermögen der Hinterzieher nicht zu ermitteln war. Konnte das FA den Zinsbetrag bei den Haftungsschuldnern nicht beitreiben, mußte es den Zinsbetrag beim Schuldner erheben (vgl. BFH-Urteile vom 28.Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573; vom 7.Juli 1983 V R 197/81, BFHE 139, 310, BStBl II 1984, 70). Der Kläger hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß das FA bei seinen Entscheidungen --Zinsbescheid und Einspruchsentscheidung-- von einem fehlerhaft ermittelten Sachverhalt ausgegangen wäre.
3. a) Dem FG ist darin zuzustimmen, daß die Frage, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen gegen die Gesellschafter der A KG auf Hinterziehungshandlungen beruhen, im Verfahren einer einheitlichen und gesonderten Feststellung zu klären ist.
Nach § 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977 sind auf Zinsen die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Hierzu gehören insbesondere §§ 155 ff. AO 1977 betreffend die Steuerfestsetzung und §§ 179 ff. AO 1977, die sich mit der "gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen" (Überschrift zu diesem Unterabschnitt) befassen. Nach § 179 Abs.1 AO 1977 werden abweichend von § 157 Abs.2 AO 1977 die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt, soweit dies in diesem Gesetz oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Gesondert festgestellt werden nach § 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.a AO 1977 u.a. einkommensteuerpflichtige Einkünfte, "wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind". Die erstgenannte Voraussetzung liegt vor, wenn die beteiligten Personen in bezug auf das Erzielen von Einkünften gemeinschafts- oder gesellschaftsrechtlich verbunden und die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen Sachverhaltsmerkmale ein und derselben --gemeinsamen-- Einkunftsquelle sind.
Die Voraussetzungen für eine "entsprechende" Anwendung dieser Regelung (§ 239 Abs.1 Satz 1 AO 1977 i.V.m. den §§ 179 ff. AO 1977) sind im Streitfall erfüllt. "Festsetzungsgrundlagen" sind --in Entsprechung zu den in § 179 Abs.1 AO 1977 definierten "Besteuerungsgrundlagen"-- diejenigen Tatbestandsmerkmale, deren Verwirklichung den Zinsanspruch entstehen läßt (§ 38 AO 1977). Rechtsgrund für die Entstehung des Zinsanspruchs ist --neben der Verkürzung von Steuern oder der Erlangung eines Steuervorteils-- das "Begehen der Steuerhinterziehung" (vgl. § 235 Abs.1 Satz 3 AO 1977). Im Streitfall werden die Rechtsfolgen der nämlichen Hinterziehungshandlung dem Kläger wie auch den übrigen Anlegern nach § 235 Abs.1 Satz 2 AO 1977 zugerechnet.
Dieses Gesetzesverständnis entspricht, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, den mit der einheitlichen und gesonderten Feststellung verfolgten Zwecken einer Gleichmäßigkeit der Abgabenerhebung und der Verwaltungsvereinfachung (vgl. hierzu Tipke/Kruse, a.a.O., § 180 AO 1977 Tz.7).
Das Urteil des BFH vom 27.April 1982 VIII R 131/80 (BFHE 136, 42, BStBl II 1982, 636) und der Beschluß des BFH vom 30.September 1986 IX B 47/86 (BFHE 147, 482, BStBl II 1987, 10), auf die sich das FA beruft, stehen der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Diese Entscheidungen sind ergangen zu § 180 Abs.2 AO 1977 in der bis zur Neufassung durch Art.1 Nr.31 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) geltenden Fassung (§ 180 Abs.2 AO 1977 a.F.); sie betreffen die auch für eine entsprechende Anwendung des § 180 AO 1977 nicht einschlägige Frage, wann mehrere Personen "an dem Gegenstand der Einkünfte beteiligt sind".
b) Soweit der angefochtene Zinsbescheid die einheitlich und gesondert zu treffende Feststellung vorwegnimmt, ist er nicht durch § 155 Abs.2, § 162 Abs.3 AO 1977 gedeckt.
Durch diese Vorschriften ist das Erfordernis der gesonderten Feststellung (§ 180 Abs.1 AO 1977) nicht beseitigt, sondern nur modifiziert worden. Hieraus sowie aus dem Wortlaut des § 155 Abs.2 AO 1977 folgt, daß die Erteilung des angefochtenen Zinsbescheides und die Schätzung der einheitlich und gesondert festzustellenden Festsetzungsgrundlagen nur als vorläufige Maßnahme unter der Voraussetzung zulässig ist, daß sich der Erlaß des Grundlagenbescheids zwar verzögerte, seine Erteilung aber beabsichtigt war (BFH-Urteil vom 26.Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, 339, BStBl II 1984, 290). Die Maßnahme des Wohnsitz-FA muß "vorläufig" sein. Bei der Anwendung der genannten Vorschriften genügt es nicht, daß sich das FA intern der Notwendigkeit eines Grundlagenbescheides bewußt ist. Für den Adressaten des Folgebescheids muß aus diesem Bescheid selbst oder aber aus den Umständen eindeutig zu erkennen sein, daß eine bestimmte Besteuerungs- bzw. Festsetzungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig ist. Insoweit gelten die zu § 165 AO 1977 entwickelten Rechtsgrundsätze (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 165 AO 1977 Tz.7 m.w.N.). Der Adressat des Bescheides muß verläßlich beurteilen können, ob und in welchem Umfang der Bescheid materiell bestandskräftig wird, insbesondere, ob ihm ein endgültiger Rechtsverlust droht, wenn er den Bescheid nicht anficht. Dies erfordert das aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitete Prinzip der Rechtsmittelklarheit (vgl. Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschluß vom 9.August 1978 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, 163 ff.). Diesen Anforderungen des § 155 Abs.2 AO 1977 genügt der angefochtene Bescheid nicht.
Die Auffassung des FG, das FA habe erkennbar die Zinsen nur "vorläufig" schätzen wollen, beruht auf einer durch seine tatsächlichen Feststellungen nicht gedeckten rechtlichen Wertung. Das FG hat sich auf den Zinsbescheid bezogen, der somit Bestandteil der tatsächlichen Feststellungen ist. Der Zinsbescheid aber enthält keinen Hinweis darauf, das FA werde den Bescheid nach Ergehen eines Grundlagenbescheides ändern oder aufheben.
4. Das noch nicht abgeschlossene Feststellungsverfahren ist vorgreiflich im Sinne des § 74 FGO. Hat das Wohnsitz-FA nicht im Verfahren nach § 155 Abs.2 AO 1977 einen (Zins-)Bescheid mit nach § 162 Abs.3 AO 1977 geschätzten Festsetzungsgrundlagen erlassen, sondern beim Erlaß dieses Bescheides seine Zuständigkeit zur endgültigen Entscheidung zu Unrecht in Anspruch genommen, so muß das Gericht das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines Verfahrens der gesonderten Feststellung abzuwarten (Urteil in BFHE 139, 335, 340, BStBl II 1984, 290; seither ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteile vom 5.März 1985 IX R 11/85, BFH/NV 1987, 341; vom 29.April 1987 I R 167/83, BFH/NV 1987, 629). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Die Sache geht an das FG zurück, das bei der hier gegebenen Verfahrenslage wegen der noch nicht bestandskräftigen gesonderten Feststellung der Festsetzungsgrundlagen das Verfahren nach § 74 FGO aussetzen muß.
Fundstellen
Haufe-Index 62847 |
BStBl II 1989, 596 |
BFHE 156, 383 |
BB 1989, 2245-2246 (LT) |
DB 1989, 1707-1708 (LT) |
DStR 1989, 573 (K) |
HFR 1989, 474 (LT) |