Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des Begriffs der bestehenden Verträge im Sinne des § 9 Abs. 3 AbsichG.
Normenkette
AbsichG § 9 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Schmuckwarenfabrik und beliefert in- und ausländische Kunden mit den von ihr hergestellten Schmuckstükken. Die Bestellungen erfolgen in der Regel nach der halbjährlichen Vorlage ihrer neuesten Kollektion, bei der die Klägerin ihre Kunden über Lieferprogramm und Preise informiert. Den Geschäftsbeziehungen liegen die Zahlungs- und Lieferbedingungen der Klägerin zugrunde. Danach unterliegt das Vertragsverhältnis dem deutschen Recht. Als Gerichtsstand sowie Erfüllungsort für Lieferung und Zahlung ist der inländische Unternehmenssitz vereinbart. Weiterhin hat sich die Klägerin das Recht vorbehalten, ihre Preise entsprechend zu erhöhen, soweit bis zur Ausführung des Auftrags Lohn- oder Materialpreiserhöhungen oder sonstige Mehrbelastungen eintreten. Aufgrund von Bestellungen, die von ausländischen Kunden nach dem 23. November 1968 eingingen, lieferte die Klägerin im Jahre 1969 für 3 987 421 DM Schmuckstücke an diese ausländischen Abnehmer.
Im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens für das Jahr 1969 beantragte die Klägerin, angesichts der in den Wirtschaftsjahren 1968/69 und 1969/70 eingetretenen Geschäftsverluste von der Erhebung der auf einen Teil ihrer im Jahre 1969 bewirkten Ausfuhrumsätze entfallenden Sonderumsatzsteuer in Höhe von 105 516 DM abzusehen. In erster Linie stützte sie diesen Antrag auf § 9 Abs. 3 des Absicherungsgesetzes (AbsichG); hilfsweise machte sie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 131 AO geltend.
Zu § 9 Abs. 3 AbsichG führte sie aus, sie habe diese Ausfuhren in Erfüllung von bereits vor dem 23. November 1968 abgeschlossenen Verträgen bewirkt. Dies sei eindeutig in denjenigen Fällen, in denen das Angebot zum Abschluß eines Kaufvertrages vor dem 23. November 1968 angenommen worden sei. Eine andere rechtliche Beurteilung könne aber auch nicht denjenigen Geschäftsvorfällen zuteil werden, bei denen ihre Kunden Bestellungen erst nach dem vorbezeichneten Stichta aufgegeben hätten. Die turnusmäßige Vorlage der Kollektion habe im Hinblick auf die langjährigen Geschäftsbeziehungen zu einem Dauervertragsverhältnis geführt. Zunächst sei wegen des hierbei von ihr abgegebenen Angebots und der faktischen Annahmeerklärung des jeweiligen Vertragspartners ein Vorvertrag oder Rahmenvertrag zustande gekommen. Denn ihre Kunden hätte nach ständiger Übung und tatsächlicher Geschäftsgrundlage das Recht, nachfolgend weitere Abschlüsse auf der Kollektionsbasis zu tätigen. Jedenfalls liege ein bis zur nächsten Kollektionsvorlage bindendes Angebot vor, was für die Anwendung des § 9 Abs. 3 AbsichG genüge. Die in den Lieferungs- und Zahlungsbedingungen vorgesehene rechtliche Möglichkeit einer Preiserhöhung habe sie praktisch nicht realisieren können. Zum einen sei ein Umzeichnen der in den Kollektionen enthaltenen Ware arbeitstechnisch nicht mehr möglich gewesen. Zum anderen aber hätten die Kunden, wie Beispiele bewiesen einen mit der Sonderumsatzsteuer begründeten Aufschlag nicht akzeptiert, zumal ihr Angebot damals keine Neumuster, sondern bekannte und vergleichbare Modelle enthalten habe.
Zu ihrem auf § 131 AO hilfsweise gestützten Erlaßbegehren führt die Klägerin aus, daß durch die in den Wirtschaftsjahren 1968/69 und 1969/70 erlittenen Verluste für ihr Unternehmen eine Lage entstanden sei, in der die Einziehung der Sonderumsatzsteuer die ungehinderte Fortführung des Unternehmens gefährden und somit eine unbillige Härte darstellen würde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) legte diesen Antrag der zuständigen OFD zur Entscheidung vor und befürwortete die Anwendung des § 9 Abs. 3 AbsichG in Höhe derjenigen Sonderumsatzsteuerbeträge, die auf Ausfuhren aufgrund von vor dem 23. November 1968 abgeschlossenen Verträgen beruhten. Die OFD erklärte sich mit der vom FA vorgeschlagenen Nichterhebung eines Betrages von 21 781,88 DM einverstanden. Im übrigen lehnte es den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 AbsichG und des § 131 AO nicht gegeben seien. Diese Verfügung der OFD berücksichtigte das FA bei der Festsetzung der Umsatzsteuer 1969 im Rahmen des Steuerbescheides 1969 vom 7. September 1971.
Gegen die teilweise Ablehnung ihres Antrags im vorbezeichneten Umsatzsteuerbescheid legte die Klägerin hinsichtlich eines Betrages von 55 680 DM Einspruch wegen Verletzung des § 9 Abs. 3 AbsichG ein; hinsichtlich eines weiteren Betrages von 28 053,84 DM rügte sie mit der Beschwerde Verletzung des § 131 AO. Der Einspruch wurde durch Entscheidung des FA vom 18. September 1972, die Beschwerde durch Entscheidung der OFD vom 30. Oktober 1972 als unbegründet zurückgewiesen.
Nunmehr erhob die Klägerin wegen des Steuerbescheids 1969 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. September 1972 Klage zum FG mit dem Antrag, hinsichtlich des Betrages von 55 680 DM gemäß § 9 Abs. AbsichG von der Erhebung von Sonderumsatzsteuer abzusehen und die Umsatzsteuer 1969 entsprechend niedriger festzusetzen. Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen und dazu im wesentlichen ausgeführt, daß die Ausfuhren, welche die Sonderumsatzsteuer von 55 680 DM ausgelöst hätten, nicht auf vor dem 23. November 1968 abgeschlossenen Verträgen beruhten.
Mit der Revision gegen das klageabweisende Urteil trägt die Klägerin unter Berufung auf ihr bisheriges Vorbringen ergänzend vor:
Sie verfüge aufgrund jahrelanger Lieferbeziehungen über einen festen, vorwiegend aus Großhändlern bestehenden Kundenkreis. Mit der halbjährlichen Vorlage der Kollektion lege sie diesen gegenüber die lieferbaren Einzelstücke in Design, Ausführung, Legierung und Preis auf der Grundlage ihrer Lieferbedingungen jeweils verbindlich fest. Aufgrund der Kollektionsvorlage wählten die Abnehmer Einzelstücke aus, die sie ihrerseits in ihre Großhändlerkollektion für Einzelhändler aufnähmen. Nach dem Bedarf, der sich aus den Bestellungen ihrer Kunden für einen Halbjahresturnus ergäben, riefen die Abnehmer auf der Basis des abgegebenen Angebots die tatsächlichen Verkaufsmengen ab. Ohne diese dargelegte, übrigens branchenübliche Bindung an das Kollektionsangebot wäre der geschäftliche Erfolg des Schmuckherstellers in Frage gestellt. Es lägen daher sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Rahmenvertrags vor; die fehlende Mengenangabe sei für Lieferverträge der Branche typisch und bedinge den Rahmenvertrag.
Selbst wenn man das Vorliegen eines Rahmenvertrags verneine, sei gleichwohl in dem nach ihrer Meinung bindend abgegebenen Vertragsangebot eine vertragliche Verpflichtung im Sinne des § 9 Abs. 3 AbsichG und des hierzu ergangenen Erlasses des BdF vom 22. Juli 1969 IV A - 2 - S 7715 - 32/69 (BStBl I 1969, 383) zu erblikken. Ein Vertrag im Sinne des § 145 BGB sei nicht Erlaßvoraussetzung, da das Gesetz nicht wie in § 8 AbsichG auf "abgeschlossene Verträge mit endgültigen Preisabsprachen" abstelle. Auch der Zweck des § 9 Abs. 3 AbsichG, die unechte Rückwirkung des Absicherungsgesetzes in Sonderfällen zu mildern, gebiete eine solche Auslegung.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer 1969 um den Betrag von 55 680 DM Sonderumsatzsteuer herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Gemäß § 9 Abs. 3 AbsichG kann die nach § 2 AbsichG entstandene Sonderumsatzsteuer ermäßigt oder erlassen werden, soweit der Unternehmer nachweist, daß er durch Entrichtung der vollen Steuer aufgrund von bereits am 23. November 1968 bestehenden Verträgen bei den in Betracht kommenden Einkunftsarten im gesamten Veranlagungszeitraum einen Verlust erlitten hat. Die Entscheidung des FA über den Antrag auf Nichtansatz der Sonderumsatzsteuer gemäß § 9 Abs. 3 AbsichG bildet einen Bestandteil des Steuerfestsetzungsverfahrens; sie ist gemäß § 229 AO mit dem gegen den Steuerbescheid gerichteten Rechtsbehelf des Einspruchs anfechtbar. Diese Eingleisigkeit des Rechtsbehelfsverfahrens folgt daraus, daß der Unternehmer bei Vorliegen der in § 9 Abs. 3 AbsichG aufgeführten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Nichtanwendung der Besteuerungsvorschrift des § 2 AbsichG hat, und daß die Entscheidung des FA über die Anwendung des § 9 Abs. 3 AbsichG der vollen Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt (vgl. zu den ähnlich liegenden Fällen des § 16 Abs. 5 EStG 1974 und § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG Urteile des BFH vom 8. Oktober 1970 IV R 69/70, BFHE 100, 305, BStBl II 1971, 16, und vom 7. Mai 1958 II 14/58 U, BFHE 67, 172, BStBl III 1958, 337). Zutreffend hat somit das FG geprüft, ob der Umsatzsteuerbescheid 1969 insoweit rechtmäßig ist, als er die Ablehnung des Antrags gemäß § 9 Abs. 3 AbsichG zum Inhalt hat.
2. Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der bei der Klägerin eingetretene Verlust nicht durch die Entrichtung von Sonderumsatzsteuer bedingt ist, die wegen sonderumsatzsteuerpflichtiger Ausfuhren aufgrund von bereits am 23. November 1968 bestehenden Verträgen entstanden ist. Denn am maßgebenden Stichtag des 23. November 1968 haben die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und ihren ausländischen Vertragspartnern, die den sonderumsatzsteuerpflichtigen Ausfuhren zugrunde gelegen haben, noch nicht bestanden.
a) Nach Auffassung des Senats können als bestehende Verträge im Sinne des § 9 Abs. 3 AbsichG nur solche bis zum 22. November 1968 24.00 Uhr abgeschlossene Vereinbarungen der Vertragspartner angesehen werden, aufgrund derer der sonderumsatzsteuerpflichtige Unternehmer eine bindende und konkretisierte Lieferverpflichtung eingegangen ist. Bei Kaufverträgen im Sinne des § 433 BGB, die im vorliegenden Fall in Betracht kommen, ist die vorbezeichnete Voraussetzung erfüllt, wenn bis zum Stichtag eine Einigung über den Gegenstand des Kaufs und den Kaufpreis vorliegt, wobei eine Einigung über die Art der Bestimmung von Gegenstand und Preis genügen kann (vgl. Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Aufl., § 433 Anm. 18). Solche den Abschluß eines Kaufvertrags herbeiführenden Willenserklärungen sind bis zum maßgebenden Stichtag nicht abgegeben worden. Zutreffend hat das FG die Vorlage der Schmuckwarenkollektion und Preislisten durch die Klägerin lediglich als Aufforderung zur Abgabe eines Angebots auf Abschluß eines Kaufvertrags beurteilt (vgl. Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 11. Aufl. Anm. 1; Soergel-Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., § 145 Anm. 6; Erman, a. a. O., § 145 Anm. 9). Selbst wenn man aber hierin schon ein Angebot der Klägerin auf Abschluß eines Kaufvertrags sehen würde, wäre dieser erst nach dem maßgebenden Stichtag zustande gekommen, da nach den getroffenen Feststellungen die ausländischen Abnehmer ihre Bestellungen erst nach dem 22. November 1968 aufgegeben haben. Damit hätte in jedem Falle ein etwaiges Angebot der Klägerin erst nach diesem Zeitpunkt zum Abschluß eines Kaufvertrags geführt.
b) Der Senat vermag auch nicht der Auffassung der Klägerin beizutreten, die Vorgespräche und -verhandlungen mit den ausländischen Abnehmern aus Anlaß der halbjährlichen Vorlage der Schmuckwarenkollektion hätten Lieferverpflichtungen dergestalt herbeigeführt, daß diese Verpflichtung den bestehenden Verträgen im Sinne des § 9 Abs. 3 AbsichG gleichzuachten seien. Das von der Klägerin geltend gemachte Vorliegen von Vorverträgen kann schon deswegen nicht anerkannt werden, weil die Klägerin mit ihren Vertragspartnern keine Einigung über den wesentlichen Inhalt eines (später abzuschließenden) Hauptvertrags herbeigeführt hat (vgl. Urteil des RG vom 24. Januar 1910 V 324/08, RGZ 72, 385). Es sind weder die Kaufgegenstände konkretisiert noch die Preise festgelegt worden (vgl. RG-Urteil vom 8. April 1929 VI 701/28, RGZ 124, 81). Die Klägerin hat sich im Gegenteil die Bestimmung des endgültigen Kaufpreises durch den entsprechenden Hinweis in den Lieferungsbedingungen offengehalten.
Es sind auch keine Optionsverträge zustande gekommen. Der Optionsvertrag gibt einem Vertragsteil das Recht, durch einseitige Erklärung den beabsichtigten und bereits festgelegten Vertrag zustande zu bringen. Teilweise wird hier auch das Recht eines Vertragspartners eingeordnet, ein bestehendes langfristiges und bindendes Vertragsangebot des anderen durch einseitige Erklärung anzunehmen (vgl. Erman, a. a. O., Anm. VII vor § 145; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 35. Aufl., Einf. vor § 145 Anm. 4 c). Da im vorliegenden Fall weder ein Vertrag, der Gegenstand eines Optionsrechts der ausländischen Abnehmer hätte sein können, abgeschlossen worden ist, noch die Klägerin ein langfristig bindendes Angebot abgegeben hat, kann es auf sich beruhen, ob derartige Optionsvereinbarungen als bestehende Verträge im Sinne des § 9 Abs. 3 AbsichG anzusehen wären.
Letztlich beruft sich die Klägerin auch ohne Erfolg auf den Gesichtspunkt der Rahmenvereinbarungen. Für Vereinbarungen solcher Art ist kennzeichnend, daß sie Teile von Einzelrechtsverträgen aus diesen ausklammern und gemeinsam regeln (vgl. Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, Berlin-Tübingen 1965, S. 117; Erman, a. a. O., Einl. § 305 Anm. 2 h). Nach den getroffenen Feststellungen ist nicht ersichtlich, über welche Punkte die Klägerin mit ihren ausländischen Abnehmern derartige Rahmenverträge abgeschlossen hat. Aus solchen Verträgen - wären sie geschlossen worden - könnte die Klägerin aber auch keine für sie günstige Rechtsfolge herleiten; denn die von der Klägerin bewirkten sonderumsatzsteuerpflichtigen Ausfuhren beruhen allein auf den jeweils nach dem Stichtag abgeschlossenen Einzelkaufverträgen. Ob Rahmenvereinbarungen - wären sie geschlossen worden - in die Beurteilung hätten ergänzend einbezogen werden müssen, kann auf sich beruhen, weil sich die Klägerin in einem entscheidenden Punkte jedenfalls nicht gebunden hatte, nämlich in ihrer Preisgestaltung. Denn nach den Lieferungsbedingungen war Frel für postalische Zwecke die Klägerin berechtigt, ihre Preise im Falle zwischenzeitlich eingetretener Mehrbelastungen zu erhöhen. Rahmenvereinbarungen mit Preisgleitklauseln dieser Art, die vor dem maßgebenden Stichtag abgeschlossen worden sind, verpflichten den Unternehmer nicht, Einzelkaufverträge auf der alten Preisbasis abzuschließen. Der Senat ist jedenfalls der Auffassung, daß Rahmenvereinbarungen dieser Art nicht als bestehende Verträge im Sinne des § 9 Abs. 3 AbsichG angesehen werden können. Über die Frage, ob Einzelrechtsverträge mit Preisgleitklauseln von der vorbezeichneten Regelung erfaßt werden, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu befinden.
Fundstellen
Haufe-Index 71986 |
BStBl II 1976, 740 |
BFHE 1977, 516 |