Leitsatz (amtlich)
Der Begriff des Gewerbeverlustes (§ 10 a GewStG) setzt voraus, daß der Verlust während des Bestehens eines Gewerbebetriebs i. S. des § 1 Abs. 1 GewStDV verursacht worden ist. Aufwendungen, die vor der Eröffnung eines Gewerbebetriebs entstanden sind, sind nicht als Gewerbeverluste gemäß § 10 a GewStG zu berücksichtigen.
Normenkette
GewStG §§ 2, 10a; GewStDV § 1 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist bei der Gewerbesteuerveranlagung 1971, ob Aufwendungen, die vor Beginn eines Gewerbebetriebes i. S. des Gewerbesteuergesetzes entstanden sind, bei der Ermittlung des Gewerbeertrages angesetzt werden können.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eröffnete am ..... 1970 in X eine Apotheke. Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1969 erklärte sie einen Verlust von 53 678,11 DM, der aus Aufwendungen für vorbereitende Maßnahmen zur Eröfffnung der Apotheke (Maklerprovision, Beratungskosten, Anzeigen, Erwerb von Fachbüchern, Büromaterial, Gebühren) und aus Abschreibungen gemäß § 14 BHG auf Betriebs- und Geschäftsausstattungen herrührte. Für das Kalenderjahr 1970 erklärte sie einen Verlust von 21 383 DM. Die Verluste wurden bei den Einkommensteuerveranlagungen 1969 und 1970 berücksichtigt.
Bei der erstmals für den Erhebungszeitraum 1970 durchgeführten Gewerbesteuerveranlagung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) den für 1970 erklärten Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 21 383 DM an und ermittelte nach Berücksichtigung von Dauerschuldzinsen in Höhe von 1 575 DM einen Gewerbeertrag von ./. 19 808 DM. Bei der Gewerbesteuerveranlagung 1971 kürzte das FA - im Einspruchsverfahren - den Gewerbeertrag in Höhe von 49 600 DM gemäß § 10 a GewStG um den Gewerbeverlust des Jahres 1970, lehnte es aber ab, den Gewerbeertrag 1971 auch um den Verlust des Kalenderjahres 1969 zu mindern.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Als Gewerbeverluste, so führt das FG aus, seien nur negative Gewerbeerträge abzugsfähig; denn nach § 10 a GewStG sei der maßgebende Gewerbeertrag um die Fehlbeträge zu kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrages für die fünf vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben hätten. Da Gewerbeerträge nur bei bestehender Gewerbesteuerpflicht ermittelt würden, müßten die Verluste nach Beginn der Gewerbesteuerpflicht entstanden sein. Das sei bei den Verlusten des Jahres 1969 nicht der Fall, denn die Gewerbesteuerpflicht beginne erst mit dem Zeitpunkt, in dem alle Voraussetzungen erfüllt seien, die nach dem Gewerbesteuergesetz die Annahme eines Gewerbebetriebes rechtfertigten. Bei Einzelgewerbetreibenden sei dies grundsätzlich erst mit der Geschäftseröffnung der Fall, weil es vorher an der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr fehle. Vorbereitungsmaßnahmen allein begründeten die Gewerbesteuerpflicht nicht. Dies erkläre sich aus dem Objektcharakter der Gewerbesteuer, wonach nicht eine bestimmte Person, sondern der stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer unterliege. Da es somit auf die sachliche Steuerpflicht des Unternehmens ankomme, seien die Vorgänge vor dem Beginn der sachlichen Steuerpflicht mit der Betriebseröffnung nicht zu berücksichtigen. Das FA habe demnach zu Recht und in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteile des BFH vom 23. September 1952 I 42/52 U, BFHE 56, 760, BStBl III 1952, 292; vom 5. November 1957 I 325/56 U, BFHE 65, 559, BStBl III 1957, 448; vom 9. Dezember 1960 IV 262/60, HFR 1961, 52, StRK, Gewerbesteuergesetz, § 2 Abs. 1, Rechtsspruch 128) die Ausgaben, die auf die die Betriebseröffnung vorbereitenden Maßnahmen entfielen, zwar bei der Ermittlung des einkommensteuerrechtlichen Gewinns aus Gewerbebetrieb, nicht aber bei der Ermittlung des Gewerbeertrages als Gewerbeverlust zum Abzug zugelassen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung sachlichen Rechts. Zu Unrecht stelle das FG für den Beginn des Gewerbebetriebes auf den Beginn der Gewerbesteuerpflicht ab; diese setze erst dann ein, wenn positive Gewerbeerträge erzielt worden seien. Der Beginn des Gewerbebetriebes sei vielmehr nicht anders zu beurteilen als im Einkommensteuerrecht; denn der Begriff des Gewerbebetriebes sei nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 GewStG, wonach unter Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen i. S. des Einkommensteuergesetzes zu verstehen sei, nach Gewerbesteuerrecht und nach Einkommensteuerrecht identisch (BFH-Urteile vom 17. Januar 1973 I R 191/72, BFHE 108, 190, BStBl II 1973, 260, und vom 29. März 1973 I R 90-91/71, BFHE 109, 427, BStBl II 1973, 682). Lasse sich danach ein Unternehmen als gewerblich i. S. des Einkommensteuergesetzes bezeichnen, so sei es auch Gewerbebetrieb i. S. des Gewerbesteuergesetzes. Dabei lasse die neuere Rechtsprechung des BFH eine deutliche Tendenz zur Ausweitung der Definition des Gewerbebetriebes erkennen. Im Urteil I R 90- 91/71 sei das Vorliegen des Gewerbebetriebes an den Entschluß geknüpft, Verkäufe zu tätigen. Dieser Entschluß sei schon dadurch nach außen erkennbar geworden, daß ein Antrag auf Baugenehmigung gestellt worden sei. Im BFH-Urteil vom 29. August 1973 I R 214/71 (BFHE 110, 348, BStBl II 1974, 6) bleibe die Feststellung der Vorentscheidung unwidersprochen, daß als Beginn des Gewerbebetriebs der Zeitpunkt angenommen werden müsse, in dem der Steuerpflichtige mit dem "Betreiben des Bebauungsplanes" begonnen habe. Im Streitfall sei durch die Errichtung und Einrichtung der Apotheke der einheitliche Entschluß gefaßt worden, nachhaltig gewerblich tätig zu werden. Lediglich die Entwicklung der Verhältnisse (§ 1 StAnpG) bringe es mit sich, daß die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erst nach einer längeren Vorbereitungszeit möglich werde. Bei der Kompliziertheit der behördlichen Vorschriften über die Ausstattung von Apotheken und bei den langen Lieferfristen sei es heutzutage kaum möglich, innerhalb kurzer Zeit einen verkaufsbereiten Laden einzurichten. Das ändere aber nichts daran, daß aufgrund des einheitlichen Entschlusses eine Apotheke bestanden habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1971 auf 480 DM festzusetzen und die Gewerbesteuer 1971 entsprechend zu ermäßigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für vorbereitende Maßnahmen sowie die erhöhten Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 14 BHG des Jahres 1969 sind bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für den Erhebungszeitraum 1971 nicht zu berücksichtigen; sie stellen keinen Gewerbeverlust i. S. des § 10 a GewStG dar.
1. Nach dieser Vorschrift ist der maßgebende Gewerbeertrag, d. h. also der Gewerbeertrag des Erhebungszeitraumes, für den der einheitliche Steuermeßbetrag festgesetzt wird (§ 10 Abs. 1 GewStG), um die Fehlbeträge zu kürzen, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrages für die fünf vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für die vier vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind (§ 10 a Satz 1 GewStG). Fehlbetrag i. S. dieser Vorschrift ist der Gewerbeverlust, d. h. der negative Ertrag des Gewerbebetriebes; besteht (noch) kein Gewerbebetrieb, so kann demzufolge auch kein (abzugsfähiger) Gewerbeverlust entstehen.
Zu Recht hat das FG den Beginn der Gewerbesteuerpflicht als den entscheidenden Zeitpunkt angesehen, ab dem abzugsfähige Gewerbeverluste entstehen können. Dabei handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um die Gewerbesteuerpflicht i. S. der Gewerbesteuerzahlungspflicht gemäß §§ 212 a Abs. 3, 97 Abs. 1 AO, die positive Gewerbeerträge bzw. positives Gewerbekapital voraussetzt und in § 5 GewStG als Steuerschuldnerschaft bezeichnet ist, sondern um die sachliche Gewerbesteuerpflicht, von der die Anwendbarkeit des Gewerbesteuergesetzes abhängt. Diese richtet sich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG; danach unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Die sachliche Steuerpflicht beginnt demgemäß, wenn alle tatbestandlichen Voraussetzungen eines Gewerbebetriebes (§ 1 Abs. 1 GewStDV) vorliegen. Erst ab diesem Zeitpunkt sind Gewerbeeträge zu ermitteln; Maßnahmen vor diesem Zeitpunkt unterliegen nicht der Regelung des Gewerbesteuergesetzes.
Im Gegensatz hierzu sind nach Einkommensteuerrecht Ausgaben, die vor Eröffnung des Betriebes gemacht werden und in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betrieb stehen, als sog. vorweggenommene Betriebsausgaben zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 3. November 1961 VI 196/60 U, BFHE 74, 319, BStBl III 1962, 123, und vom 18. Juli 1972 VIII R 12/68, BFHE 106, 513, BStBl II 1972, 930). Sie sind, soweit es sich nicht um aktivierungspflichtige Aufwendungen handelt, im Jahr des Anfalls als Verlust aus der Einkunftsart Gewerbebetrieb gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG mit anderen (positiven) Einkünften zu verrechnen; gegebenenfalls kann, soweit ein Ausgleich nicht möglich war, in den folgenden fünf Veranlagungszeiträumen der Verlustabzug nach § 10 d EStG vorgenommen werden. Entscheidend für diese vom Gewerbesteuerrecht abweichende Regelung ist, daß die persönliche Steuerpflicht, d. h. die Anwendung des Einkommensteuergesetzes, nicht - wie nach Gewerbesteuerrecht - davon abhängt, ob ein Gewerbebetrieb i. S. der § 2 GewStG, § 1 GewStDV unterhalten wird, sondern davon, ob die Voraussetzungen des § 1 EStG vorliegen. Danach besteht eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht für jede natürliche Person, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Während es daher für die Anwendung der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 10 d EStG ausreicht, daß die Aufwendungen der Einkunftsart Gewerbebetrieb zuzurechnen sind, ohne daß der Gewerbebetrieb in Gang gesetzt sein muß, erfordert der Abzug des Gewerbeverlustes gemäß § 10 a GewStG, daß es sich nicht nur der Art nach um Verluste aus Gewerbebetrieb handelt, sondern daß diese Verluste in einem Gewerbebetrieb i. S. des § 1 Abs. 1 GewStDV entstanden sind (BFH-Urteil IV 262/60).
Dieses Ergebnis stimmt überein mit der Rechtsprechung des BFH zur Frage der Anrechnung des Gewerbeverlustes in Fällen des Unternehmenswechsels und zur Gewerbesteuerpflicht bei der Verpachtung eines Gewerbebetriebes. Danach ist die Abzugsfähigkeit von Verlusten gemäß § 10 a GewStG nicht nur an die Person des Gewerbetreibenden geknüpft, der den Verlust erlitten hat, sondern setzt außerdem voraus, daß die als Gewerbeverlust absetzbaren Fehlbeträge bei dem gleichen Unternehmen entstanden sind, dessen Gewerbeertrag gemäß § 10 a GewStG gekürzt werden soll (vgl. BFH-Urteile vom 19. Dezember 1957 IV 666/55 U, BFHE 66, 548, BStBl III 1958, 210; vom 23. Juli 1958 I 139/57 U, BFHE 67, 400, BStBl III 1958, 426, und vom 28. April 1977 IV R 165/76, BFHE 122, 307, BStBl II 1977, 666). Mit der Verpachtung eines Gewerbebetriebes im ganzen erlischt regelmäßig auch die Gewerbesteuerpflicht des Verpächters; die Pachteinnahmen gehören zwar, solange der Verpächter nicht die Betriebsaufgabe erklärt, einkommensteuerrechtlich zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb; sie unterliegen jedoch nicht mehr der Gewerbesteuer (BFH-Urteil vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124).
2. Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen des Jahres 1969 sind demnach nicht als Gewerbeverlust gemäß § 10 a GewStG zu berücksichtigen, weil entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung im Kalenderjahr 1969 ein Gewerbebetrieb i. S. des Gewerbesteuergesetzes noch nicht bestand.
Ein Gewerbebetrieb i. S. des Gewerbesteuergesetzes liegt vor, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV erfüllt sind. Bei der Auslegung des Begriffs "Gewerbebetrieb" kann die Verkehrsauffassung nicht außer Betracht gelassen werden. Ferner ist der Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer zu berücksichtigen, deren Aufkommen die Gemeinden für die durch den Betrieb des Gewerbebetriebes verursachten Lasten entschädigen soll (Äquivalenzprinzip).
Im Streitfall hat der Gewerbebetrieb der Klägerin nach ihren eigenen Angaben erst am ..... 1970 mit der Eröffnung des Ladenlokals begonnen. Dem konnte das FG ohne Rechtsverstoß folgen. Abweichende Feststellungen hat das FG nicht getroffen; mangelnde Tatsachenfeststellungen hat die Klägerin nicht gerügt.
Entgegen den Ausführungen der Klägerin ist den Urteilen I R 191/72, I R 90-91/71 und I R 214/71 nicht zu entnehmen, daß bereits die Eröffnung eines Gewerbebetriebes lediglich vorbereitende Handlungen, insbesondere der Entschluß, nachhaltig gewerblich tätig zu werden, einen Gewerbebetrieb i. S. des Gewerbesteuergesetzes begründeten. In den genannten Entscheidungen hat der BFH vielmehr ausdrücklich sämtliche Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV geprüft und als gegeben angesehen. Dem Urteil I R 214/71 kann auch nicht entnommen werden, daß in dem "Betreiben des Bebauungsplans" (BFHE 110, 348 [350]) der Beginn des Gewerbebetriebs i. S. des § 1 GewStDV gesehen worden ist.
Die von der Klägerin angeführten Schwierigkeiten, die vor der Eröffnung einer Apotheke zu überwinden seien, können nicht dazu führen, unter dem Gesichtspunkt der Änderung der Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) vom Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG, § 1 GewStDV abzuweichen (vgl. zur Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut BFH-Urteil vom 1. August 1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357 [359/360], BStBl II 1975, 12).
Im übrigen ist hinsichtlich der erhöhten Absetzungen für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gemäß § 14 BHG im Kalenderjahr 1969 darauf hinzuweisen, daß zu diesem Zeitpunkt noch keine Betriebstätte bestand, deren Anlagevermögen die Wirtschaftsgüter zuzurechnen gewesen wären. Der Begriff der Betriebstätte, der sich auch für § 14 BHG nach § 16 StAnpG richtet (BFH-Urteil vom 18. März 1976 IV R 168/72, BFHE 118, 404 [411], BStBl II 1976, 365), setzt den Betrieb eines stehenden Gewerbes, d. h. eine betriebliche Tätigkeit i. S. des Gewerbesteuergesetzes, voraus (vgl. BFH-Beschluß vom 30. August 1960 I B 148/59 U, BFHE 71, 585 [588], BStBl III 1960, 468), die, wie dargelegt, im Jahr 1969 noch nicht gegeben war.
Fundstellen
Haufe-Index 72589 |
BStBl II 1978, 23 |
BFHE 1978, 352 |