Leitsatz (amtlich)
Das Krempeln eines Spinnfasergemisches aus Zellwolle und Baumwolle ist nach § 30 Abs. 1 Ziff. 10 UStDB 1951 eine steuerlich zugelassene Bearbeitungsmaßnahme.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 4; UStDB 1951 § 29 Abs. 2 Ziff. 14, § 30 Abs. 1 Ziff. 10
Tatbestand
Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1950, ob Lieferungen von Watte, die die Steuerpflichtige aus erworbener Zellwolle oder aus einem Gemisch von Zellwolle und erworbener Baumwolle herstellt, nach § 4 Ziff. 4 UStG steuerfrei sind. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts wird das auf der Krempel entstehende lockere Vlies von der Krempelmaschine genommen und lediglich in große Packen verpackt, ohne daß sich weitere Arbeitsvorgänge anschließen. Das Finanzamt hat die Steuerfreiheit im wesentlichen unter Berufung auf das Urteil des erkennenden Senats V 54/51 U vom 30. April 1953 (BStBl 1953 III S. 182, Slg. Bd. 57 S. 470) versagt.
Im Berufungsverfahren ist seitens der Verwaltung geltend gemacht worden, daß sich aus dem für das Jahr 1950 anzuwendenden Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 19. April 1937 S 4138 -- 207 III (RStBl 1937 S. 543), der sich inhaltlich mit § 29 Abs. 2 Ziff. 14 UStDB 1951 decke, nicht eindeutig ergebe, ob der Liefergegenstand des Streitfalls ("Watte") zu den begünstigten Gegenständen des § 4 Ziff. 4 UStG zähle oder nicht. Zur Auslegung dieses Erlasses sei deshalb der für den Veranlagungszeitraum 1950 noch gültige Zolltarif von 1902 hinzuzuziehen. Das amtliche Warenverzeichnis hierzu habe in der Zolltarifnr. 503 B gekrempelte Zellwolle besonders aufgeführt und für Watte in Zolltarifnr. 512 A eine besondere Position zur Verfügung. Für den Gesetzgeber des Zolltarifs stellten also Watte und gekrempelte Zellwolle verschiedene Gegenstände dar. Dieser Abgrenzung müsse das Umsatzsteuerrecht folgen.
Demgegenüber hat die Steuerpflichtige geltend gemacht, daß das Krempeln bei den hier in Betracht kommenden Ausgangsstoffen in dem oben angeführten Erlaß des Reichsministers der Finanzen (jetzt § 29 Abs. 2 Ziff. 14, § 30 Abs. 1 Ziff. 10 UStDB 1951) ausdrücklich zugelassen sei. Sie hat Gutachten darüber vorgelegt, daß "Watte" nur ein anderes Wort für gekrempelte Spinnstoffe sei. Watte sei keine Bezeichnung, die im Wirtschaftsverkehr eindeutig für einen bestimmten Gegenstand mit eindeutig abgegrenzten Merkmalen und Eigenschaften verwendet werde, sondern sei nur eine Sammelbezeichnung für gekrempelte Textilrohstoffe.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hatte Erfolg. Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß für den Veranlagungszeitraum 1950 der erwähnte Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 19. April 1937 noch anzuwenden ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats V 48/55 U vom 23. August 1955, BStBl 1955 III S. 332, Slg. Bd. 61 S. 348). Es ist also davon auszugehen, daß das Krempeln von Zellwolle, das Mischen von Zellwolle mit Baumwolle und das Krempeln dieses Gemisches nach diesem Erlaß ebenso wie nach den oben angeführten UStDB 1951 eine steuerlich unschädliche Bearbeitung ist. Dabei hat der Senat auch geprüft, ob nicht Abs. I Ziff. 4 des oben angeführten Erlasses vom 19. April 1937 (jetzt § 30 Abs. 1 Ziff. 10 zweiter Halbsatz UStDB 1951), wonach die für die Bestandteile eines Spinnfasergemisches besonders zugelassenen Bearbeitungen auch für das Gemisch als besonders zugelassen gelten, der Steuerfreiheit entgegensteht. Der Einwand, daß für den Bestandteil "Baumwolle" des Gemisches das Krempeln nicht besonders zugelassen sei, greift jedoch nicht durch. Der Senat legt diese Vorschrift vielmehr dahin aus, daß bei dem zwischen § 30 Abs. 1 Ziff. 10 und § 29 Abs. 2 Ziff. 14 UStDB 1951 (Abschnitt I Ziff. 1--4 des oben angeführten Erlasses) bestehenden Zusammenhang die Bearbeitungen, die für die Bestandteile zugelassen sind, auch für das Gemisch als zugelassen gelten. Der Nachdruck liegt demnach, wie sich aus der Bezugnahme im § 30 Abs. 1 Ziff. 10 a. a. O. ergibt, auf der Art der Bearbeitungsmaßnahmen, die in den Ziff. 1, 8 und 10 des § 30 Abs. 1 UStDB 1951 aufgeführt sind und die für das Gemisch -- insgesamt gesehen -- als unschädlich zu gelten haben. Der Senat gibt dieser Auslegung als mit Sinn und Zweck der Vorschrift im Einklang stehend deshalb den Vorzug, weil mit der im Jahre 1937 eingeführten Steuerbefreiung der Zellwolle deren weitestgehende Verwendung steuerlich begünstigt werden sollte. Eine etwaige mißbräuchliche Inanspruchnahme der Begünstigungsvorschrift ist jedenfalls für den Veranlagungszeitraum 1950, in dem bei dem Gemisch der Zellwollanteil mindestens 50 % betragen hat, nicht zu befürchten.
Die Steuerfreiheit gekrempelter Zellwolle (gekrempelten Gemisches) setzt jedoch weiterhin voraus, daß es sich bei den gelieferten Gegenständen noch um gekrempelte Zellwolle bzw. um gekrempeltes Spinnfasergemisch aus Zellwolle mit Baumwolle handelt (vgl. § 29 Abs. 2 UStDB 1938, § 30 Abs. 2 UStDB 1951). Dies hat das Finanzgericht unter Berufung insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. X. und dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung ohne Rechtsirrtum bejaht. Das Finanzgericht hat weiterhin festgestellt, daß die Steuerpflichtige verschiedene Wirtschaftszweige beliefert und ihre Erzeugnisse nach den Wünschen der Abnehmer je nach Güte und Zusammensetzung des Ausgangsstoffes als Verbandwatte, Polierwatte, Polsterwatte oder technische Watte verwendet und entsprechend in Rechnung gestellt werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme muß davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Liefergegenstand unter all diesen verschiedenen Bezeichnungen immer nur um gekrempelte Zellwolle oder um ein gekrempeltes Gemisch aus Zellwolle und Baumwolle handelt, und daß auch die beteiligten Wirtschaftskreise unter "Watte" nichts anderes verstehen. Wenn demnach feststeht, daß allgemein gekrempelte Spinnstoffasern auch unter der Bezeichnung "Watte" in den Verkehr kommen, und weiterhin feststeht, daß die Steuerpflichtige nur besonders zugelassene Bearbeitungsvorgänge an einem in § 28 Abs. 2 UStDB 1938 -- ergänzt durch den erwähnten Erlaß des Reichsministers der Finanzen (jetzt § 29 Abs. 2 Ziff. 14 UStDB 1951) -- aufgeführten Rohstoffe vorgenommen hat, ohne daß weitere Arbeitsvorgänge im Hinblick auf die spätere Verwendung festgestellt werden konnten, so ist nicht einzusehen, warum nicht das Produkt dieses Bearbeitungsvorganges unter die Begünstigungsvorschrift fallen soll, zumal da die besonders zugelassenen Bearbeitungsvorgänge stets eine Änderung der Marktgängigkeit zur Folge haben. Vom Senat veranlaßte weitere Erörterungen haben ergeben, daß die Steuerpflichtige ihr Erzeugnis vorwiegend an Verbandstoff-Fabriken liefert, die ihrerseits die Ware erst konfektionieren, sterilisieren oder imprägnieren, auch mit anderen Verbandstoffen zu Kompressen, Wundpflastern und dergleichen weiterverarbeiten. Das Erzeugnis der Steuerpflichtigen ist hiernach ein typisches Halberzeugnis. Daß textil-technisch Watte nichts anderes als gekrempelte Zellwolle (gekrempeltes Gemisch) ist, räumt auch die Oberfinanzdirektion ein. Da das Finanzgericht darüber hinaus festgestellt hat, daß dies auch der Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise entspricht, ist für die Anwendung des Zolltarifs kein Raum; denn der Zolltarif wird immer nur als ein Auslegungsbehelf herangezogen, wenn sich nach dem Wortlaut der umsatzsteuerlichen Vorschriften Zweifel ergeben und eine Verkehrsauffassung, die jeden Zweifel ausschließt, nicht festgestellt ist. Zudem hat die Steuerpflichtige in schlüssiger Weise vorgetragen, daß auch nach dem Zolltarif von 1902, obwohl er z. B. für Zellwolle, gekrempelt einerseits und für Watte anderseits, besondere Zolltarifnummern vorsieht, die letztlich entscheidende Verkehrsauffassung davon ausging, daß Watte keine besondere Warengruppe darstellt, die Zuordnung der Watte unter eine besondere Tarifnummer vielmehr nur auf Wunsch der beteiligten Wirtschaftskreise aus Zollschutzgründen geschah. Im Gegensatz zu anderen Sachverhalten (vgl. z. B. Urteile des Reichsfinanzhofs V 56/38 vom 26. April 1940, RStBl 1940 S. 563, und V 212/40 vom 16. Mai 1941, RStBl 1941 S. 661) steht es im Streitfall fest, daß der Liefergegenstand lediglich aus Zellwolle oder einem Gemisch aus Zellwolle und Baumwolle besteht. Daran hat sich auch durch den Bearbeitungsvorgang des Krempelns nichts geändert. Es ist also nicht so, daß die Einreihung in das Verzeichnis der Rohstoffe und Halberzeugnisse im § 28 Abs. 2 UStDB 1938 (§ 29 Abs. 2 UStDB 1951) von vornherein zweifelhaft wäre und deshalb zur Abgrenzung auf den Zolltarif zurückgegriffen werden müßte. Würde man auf ein Produkt das stets und zwangsläufig bei der zugelassenen Bearbeitung des Krempelns anfällt, die Befreiungsvorschrift nicht anwenden, so würde die ausdrückliche Zulassung des Krempelns im Bearbeitungsverzeichnis ihren Sinn ververlieren.
Der Streitfall unterscheidet sich von dem Sachverhalt, über den mit Urteil des Bundesfinanzhofs V 54/51 U vom 30. April 1953 (BStBl 1953 III S. 182, Slg. Bd. 57 S. 470) entschieden wurde, dadurch, daß in jenem Falle lediglich Rohbaumwolle gekrempelt wurde und bei Rohbaumwolle das Krempeln nicht besonders zugelassen ist. Der Senat ist seinerzeit der Auffassung der Steuerpflichtigen entgegengetreten, die das Krempeln noch als einen Vorgang des Reinigens ansah. Insoweit hält der Senat am Ergebnis jener Entscheidung fest. Bei erneuter Prüfung ist jedoch der Senat zu der Auffassung gelangt, daß bei dem Ausgangsprodukt des Streitfalls, für das "Krempeln" besonders zugelassen ist, auch das Ergebnis dieser Bearbeitung steuerbegünstigt geliefert werden kann, ohne daß es noch auf den Zolltarif ankäme; denn die bloße Bezeichnung dieses Produkts als "Watte" kann nach der maßgeblichen objektiven Beurteilung nichts daran ändern, daß es sich lediglich um gekrempelte Zellwolle (gekrempeltes Gemisch) handelt.
Die Rb. rügt einen Verfahrensmangel. Es sei dem Antrag des Vertreters der Oberfinanzdirektion in der mündlichen Verhandlung, im Betrieb der Steuerpflichtigen Beweis zu erheben, nicht entsprochen worden. Diese Rüge ist verspätet erhoben, da die Frist zur Einreichung der Rechtsbeschwerdebegründung antragsgemäß bis zum 10. Juli 1958 verlängert worden ist, die Begründungsschrift, datiert vom 12. Juli 1958, aber erst am 12. Juli 1958 beim Finanzgericht eingegangen ist. Nachsicht ist nicht beantragt worden. Nachsichtgründe sind aus den Akten nicht ersichtlich. Die Verfahrensrüge kann deshalb vom Senat nicht beachtet werden (§§ 289 Abs. 2, 290, 296 Abs. 2 AO). Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß der Vertreter der Oberfinanzdirektion in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht ausweislich der Sitzungsniederschrift nur gebeten hat, "zu erwägen, ob es nicht besser ist, sich durch einen Ortstermin und durch einen anderen Sachverständigen Klarheit zu verschaffen". Hierin kann kein förmlicher Antrag auf Beweiserhebung erblickt werden.
In der Sache rügt die Rb. lediglich, das Finanzgericht hätte noch prüfen müssen, ob die Zellwolle (Gemisch) nicht nur gewaschen und gereinigt, sondern auch entfettet oder gebeucht werde. Soweit damit zum Ausdruck gebracht wird, daß die Steuerpflichtige einen besonderen Bearbeitungsvorgang des Entfettens oder Beuchens vorgenommen habe, läge hierin ein neues tatsächliches Vorbringen, das in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht berücksichtigt werden könnte (§ 288 AO). Die Steuerpflichtige hat im Berufungsverfahren (Schriftsatz vom 4. September 1954) ausgeführt: "Entfettet wird der Rohstoff durch den ebenfalls zugelassenen Bearbeitungsvorgang des Waschens und Bleichens." Gegen diese Darstellung sind in der Vorinstanz Einwendungen nicht erhoben worden. Im übrigen hat die Steuerpflichtige im Rechtsbeschwerdeverfahren die von der Rb. als notwendig erachtete Ergänzung der vorliegenden Gutachten und Beibringung neuer Gutachten veranlaßt, aus denen hervorgeht, daß die Bearbeitungsvorgänge im Streitfalle nicht über die zugelassenen Bearbeitungen hinausgehen und insbesondere das Entfetten kein zusätzlicher Arbeitsvorgang, sondern eine Folge des Waschens, Reinigens und Bleichens ist.
Fundstellen
BStBl III 1961, 575 |
BFHE 1962, 852 |