Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung der Wertzahl i. S. v. § 2 der VO zu § 90 BewG 1965 für ein Zwecken eines Wasserversorgungsunternehmens dienendes Geschäftsgrundstück mit verschiedenen Gebäuden
Leitsatz (NV)
Ein für Zwecke eines Wasserversorgungsunternehmens genutztes Geschäftsgrundstück, das mit Laboratorien, Werkstätten, Lagergebäuden sowie Büro- und Verwaltungsgebäuden bebaut ist, ist im Rahmen der Bewertung im Sachwertverfahren insgesamt der Grundstücksgruppe i. S. des § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG 1965 (WertzahlVO) zuzuordnen. Dies gilt auch für die auf dem Grundstück befind lichen Verwaltungsgebäude. Dementsprechend ist für das gesamte Grundstück die Wertzahl "60" anzuwenden.
Normenkette
BewG 1965 § 83 S. 2, § 90 Abs. 1-2; VO zu § 90 BewG 1965 (WertzahlVO) § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5; VO zu § 90 BewG 1965 (WertzahlVO) § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 10; VO zu § 90 BewG 1965 (WertzahlVO) § 2 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Wasserversorgungsunternehmen. Sie ist Eigentümerin des Geschäftsgrundstücks X-Straße in Y, das mehrere ha groß ist und mit verschiedenen Laboratorien, Werkstätten und Lagergebäuden sowie Büro- und Verwaltungsgebäuden bebaut ist.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. August 1991 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) den Einheitswert für dieses Grundstück auf den streitigen Feststellungszeitpunkt (1. Januar 1988) im Wege der fehlerbeseitigenden Fortschreibung im Sachwertverfahren auf ... DM fest. Dabei legte er für alle Gebäudeteile die durchschnittliche Wertzahl 70 zugrunde. Diese durchschnittliche Wertzahl ermittelte das FA nach § 2 Abs. 5 der Verordnung (VO) zur Durchführung des § 90 des Bewertungsgesetzes (BewG), da nach seiner Ansicht die einzelnen Teile des Geschäftsgrundstücks zu verschiedenen Grundstücksgruppen gehörten. Bei der Berechnung der durchschnittlichen Wertzahl setzte das FA bei den Laboratorien, Werkstätten und Lagerhallen gemäß § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG die Wertzahl 60 an, da diese Gebäudeteile der unmittelbaren und nicht nur vorübergehenden Gewinnung, Lieferung und Verteilung von Wasser zur öffentlichen Versorgung dienten. Für die beiden Verwaltungsgebäude sei dagegen die Wertzahl nach § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 10 der VO zu § 90 BewG -- also aus der Gruppe "übrige Geschäftsgrundstücke" -- festzustellen.
Mit ihrer (Sprung-)Klage erstrebte die Klägerin den Ansatz der Wertzahl 60 auch für die Verwaltungsgebäude.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Aufhebung des angefochtenen Einheitswertbescheids.
1. Die Vorentscheidung geht zutreffend davon aus, daß auch für die auf dem streitbefangenen Grundstück befindlichen Verwaltungsgebäude die Wertzahl "60" anzuwenden ist.
a) Bei der im Streitfall in Betracht kommenden Bewertung eines Grundstücks im Sachwertverfahren ist vom Bodenwert, vom Gebäudewert und vom Wert der Außenanlagen auszugehen (§ 83 Satz 1 BewG). Dieser Ausgangswert ist durch Anwendung einer Wertzahl an den gemeinen Wert auszugleichen (§ 83 Satz 2, § 90 Abs. 1 BewG).
Die dieser Angleichung dienenden Wertzahlen sind nicht im Bewertungsgesetz selbst festgelegt worden, weil die Vielzahl der bei der Ermittlung des gemeinen Werts in Betracht zu ziehenden wirtschaftlichen Merkmale ein stark differenzierendes Wertzahlensystem notwendig machte (vgl. BTDrucks IV/1488, S. 72). Die Wertzahlen sind deshalb auf der Grundlage der in § 90 Abs. 2 i. V. m. § 123 Abs. 1 BewG enthaltenen Ermächtigung in § 2 der VO zur Durchführung des § 90 BewG festgelegt worden. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 8. März 1989 II R 239/81 (BFHE 156, 239, BStBl II 1989, 495) entschieden hat, genügen sowohl die gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß der VO zu § 90 BewG als auch die Rechtsverordnung selbst den Anforderungen des Art. 80 des Grundgesetzes (GG).
b) Die in § 2 Abs. 1 der VO zu § 90 BewG enthaltene Übersicht über die Wertzahlen sieht zunächst eine Differenzierung nach Grundstücksarten vor. Innerhalb der hier interessierenden, in § 2 Abs. 1 Buchst. a der VO zu § 90 BewG aufgeführten Grundstücksart "Geschäftsgrundstücke" wird weiter zwischen den dort im einzelnen aufgeführten Grundstücksgruppen unterschieden. § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG sieht für (Geschäfts-)Grundstücke, "die unmittelbar und nicht nur vorübergehend der Gewinnung, Lieferung und Verteilung von Wasser zur öffentlichen Versorgung dienen", die Wertzahl "60" vor. Demgegenüber sind gemäß § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 10 der VO zu § 90 BewG für die Grundstücksgruppe der "übrigen Geschäftsgrundstücke", also für diejenigen Geschäftsgrundstücke, die nicht schon unter eine der in § 2 Abs. 1 Buchst. a Nrn. 1--9 der VO zu § 90 BewG bezeichneten Grundstücksgruppen fallen, je nach Alter der Bauten die Wertzahlen 70, 75 und 80 festgelegt.
Gehören Teile eines Geschäftsgrundstücks zu verschiedenen Grundstücksgruppen, so ist nach § 2 Abs. 5 Satz 1 der VO zu § 90 BewG für das ganze Grundstück eine durchschnittliche Wertzahl zu bilden. Dabei ist von dem Verhältnis der auf die verschiedenen Grundstücksgruppen entfallenden Gebäudewerte oder Teile des Gebäudewerts auszugehen (§ 2 Abs. 5 Satz 2 der VO zu § 90 BewG).
c) Zutreffend hat das FG angenommen, daß auch die auf dem streitbefangenen Grundstück stehenden Verwaltungsgebäude i. S. des § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG "unmittelbar" dem Wasserversorgungsunternehmen der Klägerin dienen (ebenso Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 17. Aufl., § 90 BewG Rdnr. 18 i. V. m. Rössler/Troll, a.a.O., 15. Aufl., § 117 BewG Rdnr. 29; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 90 BewG Rdnr. 14). Wie das FG mit Recht hervorgehoben hat, darf der Begriff des "unmittelbaren Dienens" im Rahmen des § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO nicht derart einengend interpretiert werden, daß nur solche Grundstücke, Gebäude, Grundstücks- und Gebäudeteile von dieser Bestimmung erfaßt werden, die -- wie etwa Wasserwerkgrundstücke mit Pumpen und Aufbereitungsanlagen, Wasserbehälter, Wassertürme usw. -- im unmittelbar technisch-funktionalen Sinne der Gewinnung, Lieferung und Verteilung von Wasser dienen. Vielmehr unterfallen der genannten Bestimmung auch solche Grundstücke und Grundstücksteile, in denen die für die sachgerechte Erfüllung der Aufgaben eines (modernen) Wasserversorgungsunternehmens unerläßlichen Hilfsmittel untergebracht sind. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Darlegung, daß dazu auch die der Größe des Unternehmens entsprechenden Verwaltungseinrichtungen und -gebäude gehören.
d) Die hier vertretene Auffassung deckt sich mit der Rechtsprechung, herrschenden Lehre und Verwaltungauffassung zum Begriff des "unmittelbaren Dienens" bzw. "Benutzens" i. S. des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG in der bis 31. Dezember 1989 geltenden Fassung und des § 7 i. V. m. den §§ 3 und 4 des Grundsteuergesetzes (GrStG).
aa) Nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG a. F., der in seinem Wortlaut mit der hier zu beurteilenden Bestimmung des § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG nahezu identisch ist, war bei der Ermittlung des Gesamtvermögens dasjenige Betriebsvermögen außer Betracht zu lassen, "das unmittelbar und nicht nur vorübergehend der Gewinnung, Lieferung und Verteilung von Wasser zur öffentlichen Versorgung dient". Es entsprach -- soweit ersichtlich -- einhelliger Auffassung, daß zu den dort steuerbefreiten Wirtschaftsgütern auch die zum Betrieb des Wasserversorgungsunternehmens notwendigen Verwaltungseinrichtungen und -gebäude gehörten (vgl. z. B. Rössler/Troll, a.a.O., 15. Aufl., § 117 BewG Rdnr. 29; Gürsching/Stenger, a.a.O., § 117 BewG Rdnr. 11 bis 13; koordinierte Ländererlasse vom 12. Juli 1966, BStBl II 1966, 177, 180, linke Spalte, und vom 25. März 1980, BStBl I 1980, 224, Tz. 1.3; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Oktober 1972 III R 137/71, BFHE 107, 227, BStBl II 1973, 41).
bb) Nach § 7 Satz 1 GrStG tritt eine Steuerbefreiung nach den §§ 3 und 4 GrStG nur ein, "wenn der Steuergegenstand für den steuerbegünstigten Zweck unmittelbar genutzt wird". Auch hier verstehen ständige Rechtsprechung und herrschende Lehre den Begriff des "unmittelbaren Benutzens" nicht in einem restriktiv technisch-funktionalen Sinne. Es genügt vielmehr, daß auf dem betreffenden Grundstück nur eine Hilfstätigkeit zur Verwirklichung des begünstigten Zwecks ausgeübt wird, sofern jene hierfür unentbehrlich ist. Das Merkmal der unmittelbaren Benutzung i. S. von § 7 Satz 1 GrStG erfüllen deshalb in dem erforderlichen Ausmaß auch Verwaltungsräume (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1954 III 78/54 S, BFHE 60, 165, BStBl II 1955, 63; Troll, Grundsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 7 Rdnr. 2; Abschn. 31 Abs. 1 der Grundsteuer-Richtlinien -- GrStR --).
e) Sind demnach die hier streitigen Verwaltungsgebäude ebenso wie die übrigen auf dem streitbefangenen Grundstück vorhandenen Bauten unter § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG einzuordnen, so bleibt insgesamt für eine Klassifikation eines Teils des Grundstücks oder der Gebäude unter die Grundstücksgruppe "übrige Geschäftsgrundstücke" kein Raum. Damit ist zugleich der in dem angefochtenen Einheitswertbescheid vorgenommenen Bildung einer durchschnittlichen Wertzahl gemäß § 2 Abs. 5 der VO zu § 90 BewG der Boden entzogen.
2. Nicht zu folgen ist dem FG darin, daß es sich nicht auf die Aufhebung des angefochtenen Einheitswertbescheids beschränkt hat mit der Folge, daß der auf den 1. Januar 1986 mit Bescheid vom 22. Juli 1991 fortgeschriebene Einheitswert in Höhe von ... DM weiter gegolten hätte, sondern den Einheitswert auf den streitigen Stichtag (1. Januar 1988) auf ... DM herabgesetzt hat.
a) Hierbei hat das FG in materiell-rechtlicher Hinsicht übersehen, daß der in dem angefochtenen Bescheid gemäß § 88 BewG gewährte Abschlag vom Gesamtgebäudewert für Großobjekte (vgl. hierzu Senatsurteil vom 14. November 1990 II R 126/87, BFHE 163, 218, BStBl II 1991, 556) in Höhe von ... DM bei einer Einordnung des gesamten Grundstücks unter die Grundstücksgruppe des § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 5 der VO zu § 90 BewG entfällt. Denn der Abschlag für Großobjekte wird -- bei Vorliegen bestimmter weiterer Voraussetzungen -- nur bei Lagerhausgrundstücken, wenn auf mindestens einen Bauteil die Wertzahl für Lagerhäuser (vgl. § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 2 der VO zu § 90 BewG) anzuwenden ist, und bei den "übrigen Geschäftsgrundstücken" i. S. von § 2 Abs. 1 Buchst. a Nr. 10 der VO zu § 90 BewG berücksichtigt (vgl. z. B. Rössler/Troll, a.a.O., 17. Aufl., § 88 BewG Rdnr. 53 ff.).
b) Zum anderen hat das FG in verfahrensrechtlicher Hinsicht (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) übersehen, daß die Klägerin eine Herabsetzung des Einheitswerts in dem in der Vorentscheidung vorgenommenen Ausmaß auch gar nicht beantragt hatte. Die Klägerin hatte vielmehr (in ihrer Klageschrift) ausdrücklich begehrt, den Einheitswert lediglich auf ... DM zu ermäßigen.
c) Entfällt nach dem zu 2. a) Gesagten der Abschlag für Großobjekte, so ergibt sich zum 1. Januar 1988 folgender Grundstückswert:
Summe der Gebäudewerte
(lt. angefochtenem Bescheid)
. . . DM
./. Abschlag aus sonstigen Gründen (a.a.O.)
. . . DM
Gesamtgebäudewert
. . . DM
Wert der Außenanlagen (7 % von ... DM)
. . . DM
Bodenwert (lt. angefochtenem Bescheid)
. . . DM
Gesamtgebäudewert (s. oben)
. . . DM
Gesamtwert der Außenanlagen (s. oben)
. . . DM
Ausgangswert
. . . DM
Grundstückswert unter Berücksichtigung der Wertzahl 60
. . . DM
Einheitswert
. . . DM
Da der so errechnete Einheitswert mit dem vom FA auf den 1. Januar 1986 festgestellten Einheitswert identisch ist, kommt -- wegen Nichterreichens der Wertfortschreibungsgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BewG -- auf den streitigen Stichtag (1. Januar 1988) eine Wertfortschreibung nicht in Betracht. Der angefochtene Einheitswertbescheid und die Vorentscheidung waren daher aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Die Kosten des Verfahrens der I. Instanz hat das FA in vollem Umfang zu tragen. Die Klägerin hatte vor dem FG beantragt, für das gesamte Grundstück die Wertzahl "60" anzuwenden und daher -- wie sie ausdrücklich in ihrer Klageschrift vom 3. September 1991 ausgeführt hat -- den Einheitswert auf 6 544 700 DM herabzusetzen. Dieses Begehren ist -- wie unter 2. c) dargelegt -- in vollem Umfang begründet.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben das FA zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3 zu tragen, denn das FA hat beantragt, die Klage abzuweisen mit der Folge, daß der angefochtene Bescheid mit einem Einheitswert von ... DM aufrechterhalten werde, während die Klägerin ihrerseits begehrt hat, die Revision zurückzuweisen mit der Folge, daß es bei dem in der angefochtenen Vorentscheidung festgestellten Einheitswert in Höhe von ... DM verbleibe.
Fundstellen
Haufe-Index 421030 |
BFH/NV 1996, 294 |