Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuervergütung bei Vorlage der Zweitausfertigung des Ersatzbelegs
Leitsatz (NV)
§61 Abs. 1 Satz 5 UStDV ist einschränkend dahin auszulegen, daß die Vorlage der Zweitausfertigung des Ersatzbelegs genügt, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden.
Normenkette
UStG 1991 § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 18 Abs. 9; UStDV 1991 § 61 Abs. 1; EWGRL 79/1072 Art. 3 Buchst. a; EWGRL 388/77 Art. 18 Abs. 1 Buchst. b; EGVtr Art. 6 (jetzt Art. 12 EG)
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Großbritannien, lieferte im Januar 1992 Meßgeräte an einen inländischen Abnehmer. Die Grenzabfertigung übertrug sie der C-GmbH, die die angefallene Einfuhrumsatzsteuer beim Hauptzollamt entrichtete. Das Hauptzollamt stellte über die gezahlte Einfuhrumsatzsteuer einen Ersatzbeleg aus, den die C- GmbH zusammen mit ihrer Rechnung an die Klägerin absandte; nach Darstellung der Klägerin ist die Postsendung nicht angekommen.
Danach beantragte und erhielt die C-GmbH eine Zweitschrift des Ersatzbelegs, die das Hauptzollamt "nachträglich ... als Zweitausfertigung für den verlorengegangenen Ersatzbeleg" ausstellte. Unter Vorlage dieser Zweitschrift beantragte die Klägerin beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen -- BfF --) die Vergütung der Einfuhrumsatzsteuer. Das BfF lehnte den Antrag ab, da eine Vergütung von Umsatzsteuer nach §61 Abs. 1 Satz 5 der Umsatzsteuer- Durchführungsverordnung (UStDV 1991) nur bei Vorlage von Originalbelegen zulässig und die vorgelegte Zweitschrift kein Originalbeleg im Sinne dieser Vorschrift sei. Es berücksichtigte lediglich eine -- auf einem anderen Vorgang beruhende -- Vorsteuer in Höhe von ... DM.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung des BfF an, daß die Zweitausfertigung des Ersatzbelegs kein "Einfuhrbeleg im Original" i. S. des §61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991 sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1065 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, auch die Zweitausfertigung der Ersatzurkunde sei ein Einfuhrbeleg im Original, und führt dies im einzelnen aus.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Abänderung des Vergütungsbescheids vom 6. April 1993 die zu vergütende Vorsteuer auf ... DM festzusetzen.
Das BfF ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Das Ruhen des Verfahrens wird für beendet erklärt.
Mit Beschluß vom 3. März 1998 hatte der Senat das Ruhen des Revisionsverfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Rechtssache C-428/97 (Vorlagebeschluß des Senats vom 2. Oktober 1997 V R 102/96) angeordnet. Zu dieser Entscheidung kann es nicht mehr kommen, da der Senat das bezeichnete Vorabentscheidungsersuchen zurückgenommen hat (Beschluß vom 17. September 1998). Die Zurücknahme erfolgte mit Rücksicht auf das Urteil des EuGH vom 11. Juni 1998 Rs. C-361/96 Société générale des grandes sources d`eaux minérales françaises (Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht -- UVR -- 1998, 275, Internationales Steuerrecht -- IStR -- 1998, 401). Damit sind die Voraussetzungen für das Ruhen des Verfahrens entfallen.
III. Die Revision ist begründet.
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die Voraussetzungen des §15 Abs. 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1991) für den begehrten Steuerabzug sind nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt und dem in Bezug genommenen Antrag auf Vergütung der Umsatzsteuer erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann der Unternehmer die entrichtete Umsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen in das Inland eingeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
2. Die Vergügung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer ist auch nach §18 Abs. 9 UStG 1991, §59 UStDV 1991 abweichend von §16 und §18 Abs. 1 bis 4 UStG 1991 nach den §§60 und 61 UStDV 1991 durchzuführen,
-- wenn der Unternehmer im Vergütungszeitraum keine Umsätze i. S. des §1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1991 oder nur steuerfreie Umsätze i. S. des §4 Nr. 3 UStG 1991 ausgeführt hat (§59 Abs. 1 Nr. 1 UStDV 1991) oder
-- nur Umsätze ausgeführt hat, die dem Abzugsverfahren oder der Beförderungseinzelbesteuerung unterlegen haben (§59 Abs. 1 Nr. 2 UStDV 1991).
Auch diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin ist eine im Ausland ansässige Unternehmerin. Wie sich aus ihrem Antrag auf Vergütung der Umsatzsteuer ergibt, hat sie die eingeführten Meßgeräte im Januar 1992 an den inländischen Abnehmer im Rahmen einer Werklieferung geliefert. Diese Werklieferung unterlag nach §51 UStDV 1991 dem Abzugsverfahren. Ansonsten hat die Klägerin entsprechend den Angaben in ihrem Antrag nur noch Umsätze i. S. des §4 Nr. 3 UStG 1991 ausgeführt.
3. Das FG hat die begehrte Vergütung der Vorsteuer zu Unrecht aufgrund der Vorschrift des §61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991 abgelehnt.
a) Nach §61 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1991 hat der Unternehmer die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem BfF oder bei dem nach §5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen. Dem Vergütungsantrag sind die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen (§61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991).
b) Das Vergütungsverfahren nach den vorgenannten Vorschriften entspricht im wesentlichen dem Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige nach der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG (Richtlinie 79/1072/EWG).
Nach Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 79/1072/EWG muß der Steuerpflichtige, um die Erstattung zu erhalten, einen Antrag stellen, dem die Originale der Rechnungen oder Einfuhrdokumente beizufügen sind.
Hierzu hat der EuGH in seinem Urteil in UVR 1998, 275, IStR 1998, 401 auf die ihm gestellten Fragen wie folgt geantwortet:
"1. Artikel 3 Buchstabe a der Achten Richtlinie ... ist dahin auszulegen, daß er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem innerstaatlichen Recht die Möglichkeit vorzusehen, daß ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen einer Rechnung oder eines Einfuhrdokuments den Nachweis seines Erstattungsanspruchs durch Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder des fraglichen Einfuhrdokuments führt, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden.
2. Hat ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die Möglichkeit, bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen der ihm zugegangenen Originalrechnung den Nachweis seines Anspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer durch Vorlage einer Zweitschrift oder einer Ablichtung der Rechnung zu führen, so folgt aus dem Diskriminierungsverbot des Artikel 6 des Vertrages (gemeint: des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft -- EGV --), auf das in der fünften Begründungserwägung der Achten Richtlinie hingewiesen wird, daß diese Möglichkeit auch einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einzuräumen ist, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden."
c) Es kann dahinstehen, ob die Zweitausfertigung eines Ersatzbelegs grundsätzlich als "Einfuhrbeleg im Original" i. S. des §61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991 angesehen werden kann. Jedenfalls enthält §18 Abs. 9 UStG 1991 keine Ermächtigung, ausländischen Unternehmern die Vorsteuervergütung unter Verletzung von Art. 6 EGV zu versagen. §61 Abs. 1 Satz 5 UStDV 1991 ist deshalb einschränkend dahin auszulegen, daß die Vorlage der Zweitausfertigung des Ersatzbelegs genügt, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, daß weitere Erstattungsanträge gestellt werden (vgl. Urteil vom 19. November 1998 V R 102/96, BFH/NV 1999, 581).
4. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang hat nach den Feststellungen des FG stattgefunden (vgl. oben unter 1.). Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin wegen der Einfuhrumsatzsteuer, um die es hier geht, weitere Erstattungsanträge gestellt hat.
Fundstellen
BFH/NV 1999, 985 |
BBK 1999, 1037 |
IStR 1999, 569 |