Leitsatz (amtlich)
1. Ob durch den Aufbau eines brandzerstörten Gebäudes ein neues Wirtschaftsgut entsteht oder lediglich das alte Wirtschaftsgut unter Wahrung seiner Identität wiedererrichtet wird, ist danach zu beurteilen, in welchem Maße das beschädigte Gebäude durch die Baumaßnahmen Veränderungen erfahren hat.
2. Das Entstehen eines neuen Wirtschaftsguts ist anzunehmen, wenn die Neubauteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt auf seinem Betriebsgrundstück in B. in mehreren Gebäuden die Fabrikation von Wäsche. Das Hauptgebäude bestand aus einem 531 qm großen Untergeschoß und einem wegen der Hanglage des Grundstücks um 15 m längeren, 743 qm großen Obergeschoß. Im Untergeschoß befanden sich Lager- und Büroräume sowie die Heizungsanlage. Das Obergeschoß diente überwiegend als Nähsaal. Der Raum unter dem Satteldach war nicht ausgebaut; er wurde zur Lagerung von Vorräten benutzt.
Dieser Hauptbau wurde durch einen Brand stark beschädigt. Die gesamte Dachkonstruktion (einschließlich der Holzbalkendecke über dem Obergeschoß) wurde zerstört. Das Obergeschoß brannte völlig aus. Seine Außenwände wurden durch die einstürzende Decke beschädigt und mußten in einer Länge von etwa 34 m bis zur Brüstungshöhe abgetragen werden. Das übrige Mauerwerk der Längsseiten (etwa 9 m) und die beiden Giebelwände konnten belassen werden. Im Untergeschoß waren lediglich Wasserschäden entstanden.
Im Frühjahr 1968 wurde das Hauptgebäude im wesentlichen seiner früheren Form entsprechend wiederaufgebaut. An die Stelle des ursprünglich vorhanden gewesenen 5 m hohen Holzdaches wurde ein nur 2,3 m hohes Stahldach errichtet. Die bisherige Holzbalkendecke über dem Obergeschoß wurde durch eine feuerhemmende Zwischendecke ersetzt. Im Untergeschoß wurden lediglich die Wasserschäden beseitigt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) nahm an, der Kläger habe durch den Wiederaufbau des Hauptgebäudes und dessen Inbetriebnahme im Jahre 1968 den Tatbestand des Selbstverbrauchs verwirklicht, und setzte im Umsatzsteuerbescheid für 1968 insoweit Selbstverbrauchsteuer in Höhe von ...DM fest.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des FG beruht auf der Ansicht, der Kläger habe durch die Inbetriebnahme des wiedererrichteten Gebäudes ein neues körperliches Wirtschaftsgut der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er trägt dazu im wesentlichen vor:
Das FG habe gegen Denkgesetze verstoßen und Auslegungsgrundsätze verletzt. Das FG habe den wiedererrichteten Hauptbau als neues Wirtschaftsgut angesehen, weil die neuen Teile das einheitliche Wirtschaftsgut prägten. Dabei habe es das wiederaufgebaute Gebäude nicht mit dem Zustand vor Ausbruch des Brandes, sondern mit dem Zustand bei Beginn der Baumaßnahme verglichen. Ein derartiger Vergleich könne nur bei Umbauten angestellt werden, die sich entweder als Erweiterung eines vorhandenen Wirtschaftsguts darstellten oder aber zur Schaffung eines neuen Wirtschaftsguts unter Einbeziehung vorhandener Wirtschaftsgüter führten. Wie das FG selbst festgestellt habe, sei beim Wiederaufbau keine Erweiterung vorgenommen, sondern lediglich der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt worden. Bei einer Aufstockung eines Gebäudes, die unzweifelhaft lediglich eine Erweiterung darstelle, würde zunächst notwendigerweise der Dachstuhl entfernt werden. Bei einem Vergleich des Gebäudes ohne Dachstuhl mit dem fertiggestellten aufgestockten Gebäude komme man immer zu dem Ergebnis, daß der Endzustand dem Gebäude das Gepräge gebe. Dies besage, daß auch im Falle einer nicht der Selbstverbrauchsteuer unterliegenden Aufstockung im Wege der notwendigen Entfernung des Dachstuhls zunächst eine Situation entstehe, die vom äußeren Eindruck her den Charakter einer Bauruine aufweise. Es erscheine denkgesetzlich unmöglich, von diesem Zwischenstadium aus einen Vergleich im Sinne des Gepräges mit dem Endzustand herzustellen. Gleiches müsse im Streitfall gelten, weil es unerheblich sei, ob der Dachstuhl planmäßig entfernt oder durch höhere Gewalt zerstört worden sei.
Bei konsequenter Fortführung des vom FG vertretenen Rechtsgrundsatzes würde jeder Wiederherstellungsaufwand zur Verwirklichung des Selbstverbrauchs führen. Bei einem durch einen Verkehrsunfall stark beschädigten Auto würde nach der Wiederherstellung das Gepräge von den neu lackierten Teilen bestimmt werden. Da dieses Ergebnis nicht richtig sein könne, sei die Auslegung des FG denkgesetzlich unzutreffend.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer 1968 um ...DM niedriger auf ...DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer - (UStG 1967) liegt unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen Selbstverbrauch vor, wenn selbständige körperliche Wirtschaftsgüter der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt werden.
Im Zusammenhang mit Um-, Aus- und Anbauten bei Gebäuden hat der Senat schon wiederholt entschieden (vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654), daß der Tatbestand des Selbstverbrauchs nur erfüllt sein kann, wenn ein selbständiges, neben das bisherige Gebäude tretendes Wirtschaftsgut entsteht oder wenn die Baumaßnahme zur Schaffung eines neuen Wirtschaftsguts unter Einbeziehung des bisherigen Bauwerks geführt hat.
Unter Anwendung der diese Rechtsprechung tragenden Grundsätze ist das FG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger durch den Wiederaufbau des durch Brand teilweise zerstörten Hauptgebäudes ein neues selbständiges Wirtschaftsgut geschaffen hat.
Die Rechtsprechung des Senats zu § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 geht davon aus, daß nur Bauaufwendungen, die nach ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen als Herstellungskosten zu beurteilen sind und zur Entstehung eines neuen Wirtschaftsguts beigetragen haben, zur Annahme von Selbstverbrauch führen können.
Die einkommensteuerrechtlichen Grundsätze zur Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand gelten auch für die Beurteilung von Aufwendungen zur Beseitigung von Katastrophenschäden. Dies ist hinsichtlich der Beseitigung von Kriegsschäden in den BFH-Urteilen vom 29. Januar 1963 I 151/61 U (BFHE 76, 505, BStBl III 1963, 185) und vom 3. Februar 1959 I 163/57 U (BFHE 69, 151, BStBl III 1959, 320) besonders ausgesprochen worden. Der Grundsatz gilt aber für die Beseitigung aller ungewöhnlichen Schadensfälle - Feuer, Sturm, Überschwemmung - (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 6 EStG Anm. 91 und § 21 EStG Anm. 77). Herstellungsaufwand ist danach anzunehmen, wenn das Gebäude in seinem Zustand wesentlich geändert wird. Dabei kommt es für die Frage der wesentlichen Änderung im Falle der Schadensbeseitigung nicht darauf an, ob das wiedererstellte Gebäude dem Gebäude vor der Beschädigung entspricht, sondern allein darauf, in welchem Maße das beschädigte Gebäude durch die Baumaßnahmen Veränderungen erfahren hat (vgl. BFH-Urteile vom 12. Februar 1960 VI 201/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform, - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 9 Sätze 1 und 2, Rechtsspruch 109, und I R 151/61 U).
Die allgemeinen ertragsteuerrechtlichen Grundsätze gelten aber auch bei der Beurteilung der Frage, ob durch die Wiederherstellung des beschädigten Gebäudes ein neues Wirtschaftsgut geschaffen wurde. Dies führt dazu, daß die Errichtung eines neuen Gebäudes nicht nur angenommen werden muß, wenn die Wiederherstellung als Generalüberholung oder durchgreifende Modernisierung des Wirtschaftsguts zu beurteilen ist (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 5 EStG Anm. 58 h), sondern auch dann, wenn sie praktisch einem Neubau gleichkommt. Ausschlaggebend ist, ob die Alt- oder die Neuteile dem wiedererstandenen Gebäude das Gepräge geben. Dabei sind auch im Falle der Beseitigung von Katastrophenschäden in erster Linie die Größen- und Wertverhältnisse der in das einheitliche Wirtschaftsgut eingegangenen Teile zueinander maßgebend. Denn ebensowenig wie bei der Abgrenzung zwischen Herstellungs- und Erhaltungsaufwand der Zustand des Gebäudes nach der Baumaßnahme mit dem Zustand vor der Beschädigung verglichen werden kann, darf auch bei der Entscheidung der Frage, ob ein neues Wirtschaftsgut entstanden ist oder lediglich Schäden des beeinträchtigten Wirtschaftsguts unter Beibehaltung seiner Identität ausgebessert wurden, das wiedererstellte einheitliche Wirtschaftsgut dem früheren, unbeschädigten Wirtschaftsgut gegenübergestellt werden.
Die Feststellung des FG, daß die Neubauteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben, weil sie größen- und wertmäßig die Altteile überwiegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es bedeutet entgegen der Ansicht der Revision insbesondere keinen Verstoß gegen die Grundsätze formal richtigen Denkens, wenn sowohl im Falle eines planmäßigen Umbaues als auch im Falle der Beseitigung von Katastrophenschäden die Frage nach dem Entstehen eines neuen Wirtschaftsguts durch eine Gegenüberstellung der in das einheitliche Wirtschaftsgut eingegangenen Alt- und Neuteile entschieden wird. Denn ein neues Wirtschaftsgut kann nicht nur entstehen, wenn gegenüber dem bisherigen Zustand etwas anderes geschaffen wird, sondern auch dann, wenn die bisherige Form und der bisherige Umfang des Wirtschaftsguts erhalten bleiben (vgl. Herrmann-Heuer, a. a. O., Anm. 58 b).
Die vom Kläger angeführten Beispiele können eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Der Kläger geht davon aus, daß die Aufstockung eines Gebäudes den Tatbestand des Selbstverbrauchs nicht erfüllen könne. Ohne Einschränkung vermag der Senat dieser Ansicht nicht zuzustimmen. Denn eine Aufstockung ist nur dann als eine nicht selbstverbrauchsteuerbare Erweiterungsinvestitition anzusehen, wenn die Altbauteile dem erweiterten einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben. Wenn dagegen die Neubauteile wert- und größenmäßig überwiegen und auch keine besonderen Merkmale vorhanden sind, die nach dem Gesamteindruck das Gebäude als lediglich erweitert erscheinen lassen, entsteht durch die Aufstockung ein neues, Alt- und Neuteile umfassendes Wirtschaftsgut.
Wenn das FG zum Ausdruck bringt, daß man auch beim Vergleich des äußeren Bildes zu dem Ergebnis komme, das wiedererstellte Hauptgebäude sei ein neues Wirtschaftsgut, ergibt sich daraus nicht, wie der Kläger anzunehmen scheint, daß immer dann, wenn das äußere Bild eines Wirtschaftsguts verändert wird, ein neues Wirtschaftsgut entstehe. Der Hinweis des FG kann nur im Zusammenhang mit den die Entscheidung tragenden Gründen gesehen werden. Er bedeutet daher lediglich eine Bekräftigung der bereits zutreffend begründeten Entscheidung.
Fundstellen
BStBl II 1975, 467 |
BFHE 1975, 154 |