Leitsatz (amtlich)
1. Ansprüche einer GmbH auf ausstehende Stammeinlagen gehören als Kapitalforderungen eigener Art auch dann zum steuerbaren Vermögen der Gesellschaft, wenn ein Einforderungsbeschluß noch nicht vorliegt.
2. Die Bewertung dieser Forderungen hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die ausstehenden Stammeinlagen eingefordert werden. Ist nach den Verhältnissen zum Feststellungszeitpunkt bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung nicht ernstlich damit zu rechnen, daß die ausstehenden Stammeinlagen eingefordert werden, ist das ausstehende Stammkapital mit 0 DM zu bewerten.
2. Bei einer GmbH, die ausschließlich als Geschäftsführerin einer KG tätig ist und deren Gesellschafter zugleich Kommanditisten der KG sind, kann nicht allein aufgrund von Verrechnungsverbindlichkeiten gegenüber der KG ernstlich mit der Einforderung der ausstehenden Stammeinlagen gerechnet werden.
Normenkette
BewG 1965 §§ 95, 97
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH mit einem Stammkapital von 20 000 DM. Die von den Gesellschaftern übernommenen Stammeinlagen waren zu 25 % sofort einzuzahlen. Laut Gesellschaftsvertrag ist der Restbetrag erst nach Beschluß der Gesellschafterversammlung zu leisten. Ein solcher Beschluß wurde bisher nicht gefaßt.
Die Klägerin ist persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer Kommanditgesellschaft (KG), an der sie mit einer Kapitaleinlage von 5 000 DM beteiligt ist. Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG erhält die Klägerin Ersatz aller durch die Geschäftsführung entstehenden Auslagen sowie eine Vergütung in Höhe ihrer eigenen Geschäftsführerkosten. Außerdem ist sie am Gewinn und Verlust der KG beteiligt. Die Guthaben und Schulden der Gesellschafter auf den Sonderkonten, über die die von den ausbedungenen Kapitaleinlagen abweichenden Mehr- oder Minderbeträge verrechnet werden, sind mit 6 % zu verzinsen. Am 31. Dezember 1972 wies das Sonderkonto der Klägerin eine Verrechnungsverbindlichkeit gegenüber der KG in Höhe von 11 069,93 DM aus.
Zum Stichtag 1. Januar 1973 beantragte die Klägerin, den auf den 1. Januar 1972 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens (13 000 DM) auf ./. 5 000 DM fortzuschreiben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag ab, da die vorgeschriebene Wertabweichung (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes 1965 - BewG 1965 -) nicht erreicht sei. Dabei ging das FA davon aus, daß die ausstehenden Einlagen auf das Stammkapital mit dem Nennwert anzusetzen seien. Einspruch und Klage, die sich gegen den Ansatz der ausstehenden Stammeinlagen richteten, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die ausstehenden Stammeinlagen seien mit dem Nennwert anzusetzen, da Tatsachen vorlägen, die nach den Verhältnissen am Stichtag bei vernünftiger kaufmännischer Erwägung die Einforderung derart zweckmäßig erscheinen ließen, daß mit ihr ernstlich zu rechnen sei. Die Klägerin habe am Stichtag 1. Januar 1973 gegenüber der KG Verrechnungsverbindlichkeiten in Höhe von 11 069,93 DM gehabt, die mit 6 % zu Lasten ihres Gewinnanteils zu verzinsen gewesen seien. Von ihrem Standpunkt aus sei es daher nach vernünftiger kaufmännischer Erwägung zweckmäßig, die Verrechnungsschuld gegenüber der KG möglichst bald abzubauen, um Zinsaufwand einzusparen. Da die Klägerin ihre Schulden nur habe verringern können, wenn sie die ausstenenden Einlagen einforderte, sei aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Klägerin am Stichtag mit einer solchen Einforderung zu rechnen gewesen. Wenn die Gesellschafter einen entsprechenden Einforderungsbeschluß dennoch nicht gefaßt hätten, seien dafür eigene Interessen maßgebend gewesen, nicht aber Interessen der Klägerin.
Mit der Revision trägt der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin vor, das FG habe den Begriff "vernünftige kaufmännische Erwägungen" verkannt. Bei einer Komplementär-GmbH seien andere kaufmännische Erwägungen "vernünftig" als bei einer selbst gewerblich tätigen GmbH. Im Streitfall sei es wirtschaftlich sinnvoller gewesen, die benötigten Betriebsmittel der KG darlehnsweise durch die Kommanditisten zur Verfügung zu stellen, als die Verrechnungsverbindlichkeiten der Klägerin durch Einzahlung des ausstehenden Stammkapitals abzubauen. Eine Einforderung sei weder zweckmäßig noch erforderlich gewesen. Das ausstehende Stammkapital sei daher mit 0 DM zu bewerten.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einheitswert des gewerblichen Betriebs zum 1. Januar 1973 auf ./. 5 000 DM fortzuschreiben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend ging das FG davon aus, daß es sich bei dem Anspruch der Klägerin auf Leistung des noch nicht eingezahlten Stammkapitals um steuerbares Vermögen der Gesellschaft handelt. Entgegen der Auffassung des FG sind jedoch im Streitfall die ausstehenden Einlagen auf das Stammkapital nicht mit dem Nennbetrag, sondern mit 0 DM zu bewerten.
1. Zum Betriebsvermögen einer GmbH zählen alle Wirtschaftsgüter, die dieser nach steuerrechtlichen Vorschriften zuzurechnen sind (§ 95 Abs. 1, § 97 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965). Forderungen sind Wirtschaftsgüter i. S. des Bewertungsrechts. Sie sind beim Betriebsvermögen anzusetzen, wenn sie am Stichtag entstanden und noch nicht erfüllt sind. Fälligkeit ist nicht erforderlich. Ob eine Forderung i. S. des Bewertungsrechts entstanden ist, entscheidet sich nicht allein nach zivilrechtlichen Begriffsmerkmalen, sondern auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
a) Der Reichsfinanzhof (RFH) beurteilte die Ansprüche einer GmbH auf ausstehende Stammeinlagen, auch wenn noch kein Einforderungsbeschluß vorlag, grundsätzlich als bewertbare und beim Betriebsvermögen der Gesellschaft anzusetzende Forderungen und nicht als (nicht bewertbare) Anwartschaften auf zukünftigen Vermögenserwerb. War jedoch nach den Verhältnissen am Stichtag mit einer Einforderung der ausstehenden Stammeinlagen auf die Dauer nicht ernstlich zu rechnen, ließ der RFH eine Bewertung mit 0 DM zu (vgl. die ausführliche Darstellung der Rechtsprechung des RFH mit Nachweisen im Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juli 1975 III R 28/74, BFHE 117, 83, BStBl II 1976, 5). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung des RFH fest, der er bereits in den Urteilen vom 13. Mai 1960 III 354/57 U (BFHE 71, 400, BStBl III 1960, 400) und vom 10. Februar 1961 III 56/58 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 145 - HFR 1961, 145 -) gefolgt ist.
b) Zivilrechtlich stellen ausstehende Einlagen auf das Stammkapital Forderungen der GmbH gegen ihre Gesellschafter dar. Es handelt sich dabei um Kapitalforderungen eigener Art, die durch die zwischen Gläubiger und Schuldner bestehenden gesellschaftsrechtlichen Beziehungen geprägt sind. Kennzeichnend für Forderungen dieser Art ist, daß die GmbH die ausstehenden Stammeinlagen, soweit sie nicht bereits bei Gründung der Gesellschaft in voller Höhe zu entrichten waren, erst verlangen kann, wenn die Beträge eingefordert sind. Ist im Gesellschaftsvertrag ein Einzahlungstermin nicht festgesetzt oder die Einforderung einem anderen Organ überlassen, ist für die Einforderung ein Gesellschafterbeschluß notwendig (§ 46 Nr. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Vorher sind die Gesellschafter grundsätzlich nicht zur Zahlung verpflichtet und haben auch keine Zinsen zu entrichten (§ 20 GmbHG). Allein die Tatsache, daß die Gesellschafter die volle Einzahlung der Stammeinlagen dadurch hinauszögern können, daß sie keinen Einforderungsbeschluß fassen, rechtfertigt es aber nicht, dem ausstehenden Stammkapital wirtschaftlich nur Garantiecharakter und keinen echten Anspruchscharakter beizumessen. Auch wirtschaftlich gehören die Forderungen auf die ausstehenden Stammeinlagen zum Gesellschaftsvermögen der GmbH. Für diese Beurteilung spricht, daß sich die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag verpflichtet und dem Handelsregister gegenüber erklärt haben, die übernommenen Stammeinlagen zu leisten. Nach dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung dürfen die übernommenen Stammeinlagen - außer im Fall der Kapitalherabsetzung - weder erlassen noch gestundet werden (§ 19 Abs. 2 GmbHG). Dafür, daß die ausstehenden Einlagen auf das Stammkapital auch steuerrechtlich als Vermögensgegenstand anzusehen sind, spricht weiterhin, daß die Ansprüche der GmbH auf die ausstehenden Stammeinlagen nach herrschender Meinung abtretbar, verpfändbar und pfändbar sind, soweit der Gesellschaft eine vollwertige Gegenleistung zugeflossen ist, oder wenn die Gesellschaft ihre werbende Tätigkeit eingestellt hat und die Sicherung der Kapitalaufbringung der Gesellschaft zugunsten der Gläubiger wegen der Besonderheiten des Falles nicht mehr veranlaßt ist (Ulmer in Hachenburg, Großkommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7. Aufl., § 19 Rdnr. 67 ff. mit weiteren Nachweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum). Zudem können die Gesellschafter die Einzahlung der ausstehenden Stammeinlagen nicht unbegrenzt hinauszögern. Im Falle des Konkurses und der Liquidation bedarf es keines Einforderungsbeschlusses der Gesellschafter. Konkursverwalter und Liquidator sind auch ohne Beschluß nach § 46 Nr. 2 GmbHG zur Einforderung der Einlagenrückstände befugt, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger und zur Abwicklung der Gesellschaft erforderlich ist. Gleiches gilt, wenn die Einlageforderung gepfändet und zur Einziehung überwiesen ist (Ulmer in Hachenburg, a. a. O., § 19 Rdnrn. 16 und 17; Schilling in Hachenburg, a. a. O., § 46 Rdnr. 10). Es kommt hinzu, daß Vorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals nicht nur Garantiefunktion zum Schutz der Gläubiger haben, sondern es soll dadurch ebenso gewährleistet werden, daß ein Betrag in Höhe des Stammkapitals dem Unternehmen der Gesellschaft zur Verfügung steht. Auch in der Bilanz sind die ausstehenden Stammeinlagen als Forderungen gegenüber den Gesellschaftern auszuweisen (BFH-Urteil vom 29. Mai 1968 I 200/65, BFHE 93, 414, BStBl II 1969, 11). Diese Erwägungen lassen es gerechtfertigt erscheinen, die noch ausstehenden Beträge auf die von den Gesellschaftern übernommenen Einlagen dem Grunde nach bei der Vermögensaufstellung der Gesellschaft als Vermögensposten auch dann anzusetzen, wenn ein Einforderungsbeschluß zwar noch nicht gefaßt ist, bei wirtschaftlicher Betrachtung mit der Einforderung jedoch ernstlich zu rechnen ist.
c) Die Eigenart der Einlageforderungen verbietet es jedoch, sie unterschiedslos mit dem Nennbetrag zu bewerten. Die Höhe ihres Ansatzes hängt bei wirtschaftlicher Betrachtung davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, ob und in welcher Höhe die noch ausstehenden Stammeinlagen eingefordert werden. Denn gesellschaftsrechtlich steht der Einforderungsbeschluß im Ermessen der Gesellschaft (Schilling in Hachenburg, a. a. O., § 46 Rdnr. 9). Das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung enthält keine zwingende Verpflichtung, die ausstehenden Beträge auf die Stammeinlagen einzufordern. Insbesondere verstößt es nicht gegen das Stundungsverbot des § 19 Abs. 2 GmbHG, wenn die Einforderung unterbleibt (Ulmer in Hachenburg, a. a. O., § 19 Anm. 29). Das noch nicht eingeforderte Stammkapital steht der Gesellschaft noch nicht in einer Weise zur Verfügung, die ein Arbeiten mit ihm ermöglichen würde (vgl. BFHE 93, 414, 417, BStBl II 1969, 11, 12). Die GmbH bzw. ihre Geschäftsführung kann vor dem Einforderungsbeschluß weder das Kapital abrufen, noch erhält sie Zinsen dafür. Daher ist es gerechtfertigt, die ausstehenden Einlagen auf das Stammkapital bei der Einheitswertfeststellung je nach den Umständen des Einzelfalls mit einem unter dem Nennwert liegenden Wert anzusetzen. Ist nach den tatsächlichen Verhältnissen am Stichtag bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung nicht ernstlich damit zu rechnen, daß die ausstehenden Einlagen eingefordert werden, so sind sie mit 0 DM zu bewerten. Dem entspricht es, daß bei den Gesellschaftern eine wirtschaftliche Belastung durch die Einzahlungsverpflichtung nicht angenommen und deshalb ein Schuldabzug nicht zugelassen wird, solange bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung nach den Verhältnissen am Stichtag nicht ernstlich damit zu rechnen ist, daß die ausstehenden Einlagen eingefordert werden.
d) Handelt es sich um eine GmbH, die nur als Geschäftsführerin einer KG tätig ist, so ist die Frage, ob die Stammeinlagen bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung wahrscheinlich eingefordert werden, nicht ausschließlich aus der Sicht der GmbH zu beurteilen, sondern es sind auch die Beziehungen der GmbH und ihrer Gesellschafter zu der KG zu berücksichtigen.
2. Im Streitfall war es alleinige Aufgabe der Klägerin, die Geschäfte der KG zu führen. Sie hatte nur geringen Kapitalbedarf, da sie Ersatz aller durch die Geschäftsführung entstandenen Auslagen sowie eine Vergütung ihrer eigenen Geschäftsführerkosten erhielt. Das eingezahlte Stammkapital reichte für diese Zwecke aus, so daß wirtschaftlich für die Klägerin kein Anlaß bestand, die ausstehenden Stammeinlagen einzufordern. Auch die aus den Anfangsverlusten der KG entstandenen Verrechnungsverbindlichkeiten erforderten bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung nicht, daß das ausstehende Stammkapital einbezahlt wird. Es war nach den Verhältnissen am Stichtag nicht notwendig, daß die Klägerin ihre Verrechnungsverbindlichkeiten gegenüber der KG tilgte, da die Kommanditisten, die gleichzeitig die Gesellschafter der GmbH waren, der KG die benötigten Betriebsmittel darlehensweise zur Verfügung stellten. Auch die Tatsache, daß die Verrechnungsverbindlichkeiten mit 6 % zu verzinsen waren, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die von der GmbH an die KG verrechneten Zinsen kamen über die Ergebnisverbesserung der KG den Kommanditisten und anteilig der GmbH wieder zugute. Zudem hätte die Resteinzahlung des Stammkapitals Gesellschaftsteuer ausgelöst, die bei der darlehnsweisen Hingabe des gleichen Betrages an die KG entfiel. Zum Feststellungszeitpunkt war daher bei vernünftiger wirtschaftlicher Überlegung nicht ernstlich damit zu rechnen, daß die ausstehenden Einlagen eingefordert würden. Das ausstehende Stammkapital war daher im Streitfall mit 0 DM zu bewerten.
3. Da FA und FG von anderen Grundsätzen ausgingen, waren die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und der ablehnende Bescheid des FA aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FA hat unter Berücksichtigung der Auffassung des Senats - Bewertung der ausstehenden Stammeinlagen mit 0 DM - erneut zu prüfen, ob die Wertgrenzen des § 22 Abs. 1 Nr. 2 BewG 1965 erreicht sind und gegebenenfalls eine Wertfortschreibung nach Maßgabe des § 22 BewG 1965 vorzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 73545 |
BStBl II 1980, 483 |
BFHE 1980, 412 |