Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Sind einem Antragsteller wesentliche Voraussetzungen für einen von ihm beabsichtigten Vergütungsantrag infolge des Verhaltens des Finanzamts unbekannt geblieben und konnten sie ihm aus diesem Grunde auch nicht bekannt sein, so beginnt der Antragsfrist des § 75 Abs. 1 (ß 80) UStDB 1951 zeitigstens mit dem Bekanntwerden.
Normenkette
StAnpG § 1; AO § 86
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin (Bfin.), die ein Schiff am 10. April 1952 zur gewerblichen Verwendung in ihrem Unternehmen in das Ausland verbracht hat, die Anträge auf Umsatzsteuervergütung nach § 16 des Umsatzsteuergesetzes rechtzeitig gestellt hat. Die Vorinstanzen haben dies verneint. Der Antrag auf Ausfuhrhändlervergütung hätte nach Auffassung des Finanzgerichts gemäß § 75 Abs. 1 Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 bis zum 31. Dezember 1952, nämlich binnen sechs Monaten nach Schluß des zweiten Kalendervierteljahres 1952, in dem die Bfin. das Schiff in das Ausland verbracht habe, gestellt werden müssen; der Antrag auf Ausfuhrvergütung hätte gemäß § 80 in Verbindung mit § 75 Abs. 1 Ziff. 1 a. a. O. für die im zweiten Kalendervierteljahre vereinnahmten Entgelte bis zum 31. Dezember 1952 und für die im dritten Kalendervierteljahre vereinnahmten Entgelte bis zum 31. März 1953 gestellt werden müssen. Beide Anträge seien aber erst am 13. Oktober 1953 beim Finanzamt eingegangen.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Versagung der beantragten Vergütungen gerichtete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend geht die Vorentscheidung zwar davon aus, daß Nachsichtgewährung für den hier in Betracht kommenden Vergütungszeitraum nach § 86 der Reichsabgabenordnung (AO) in der damals geltenden Fassung nicht in Betracht kommt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 58/51 U vom 23. Oktober 1952, Slg. Bd. 57 S. 60, Bundessteuerblatt 1953 III S. 22). Daran ändert die Neufassung des § 86 AO durch das Gesetz zur änderung von einzelnen Vorschriften der AO und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 (Bundesgesetzblatt I S. 511) insofern nichts, als dieses Gesetz sich keine rückwirkende Kraft beigemessen hat, sondern nach Art. VI a. a. O. am Tage nach seiner Verkündung, das ist der 17. Juli 1953, in Kraft getreten ist. Es kann deshalb nur für Vergütungszeiträume Anwendung finden, die zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch nicht abgelaufen waren.
Zutreffend ist auch die vom Finanzgericht unter Berufung auf das Urteil des Reichsfinanzhofs V A 173/34 vom 8. April 1935 (Reichssteuerblatt S. 1212) vertretene Auffassung, daß das Finanzamt grundsätzlich nicht verpflichtet sei, den Unternehmer auf die Zulässigkeit von Umsatzsteuervergütungsanträgen hinzuweisen. Dieses Urteil trifft jedoch nicht den Streitfall. Denn die Bfin. behauptet - wie schon in den Vorinstanzen -, daß die zuständigen Beamten des Finanzamts auf Befragen der steuerlichen Bevollmächtigten der Bfin. noch innerhalb der Ausschlußfristen einen Vergütungsantrag als aussichtslos bezeichnet hätten; das Finanzamt habe vielmehr die Lieferung des Schiffes zunächst, wie auch die Umsatzsteuer-Akten ergeben, wie eine steuerpflichtige Inlandslieferung behandelt. Erst nach Erlaß eines Berichtigungsbescheids vom 13. April 1953 nach § 94 AO habe die Bfin. erkennen können, daß die Voraussetzungen für eine Umsatzsteuervergütung gegeben seien. Das Finanzgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob die Bevollmächtigten der Bfin. schon vor Stellung des Antrags über die streitigen Vergütungen mit dem Finanzamt verhandelt hätten. Diese Unterlassung beruht auf einer rechtsirrtümlichen Auffassung.
Voraussetzung für beide Arten der beantragten Vergütungen ist, daß der Antragsteller eine Ausfuhrlieferung (ß 23 UStDB 1951) bewirkt hat (§§ 70 Abs. 1 Ziff. 1 und 77 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB 1951). Wenn das Finanzamt diese Lieferung bei der Veranlagung als steuerpflichtig behandelt und auf ausdrückliches Befragen dem Antragsteller erklärt hat, ein Vergütungsantrag habe keinerlei Aussicht auf Erfolg, so ist eben wegen dieses positiven Verhaltens des Finanzamts dem Antragsteller eine wesentliche Voraussetzung der begehrten Umsatzsteuervergütung unbekannt geblieben. Dann aber ist nicht die Unkenntnis des Antragstellers über die Möglichkeit eines Vergütungsantrages ursächlich für die Versäumung der Antragsfrist gewesen, sondern ein bestimmtes Verhalten des Finanzamts, so daß nach § 1 des Steueranpassungsgesetzes die Berufung auf die Versäumung der Ausschlußfrist mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht im Einklang steht (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs V A 125/31 vom 5. Juli 1931, Steuer und Wirtschaft 1931 Nr. 1088).
Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Ob und zu welcher Zeit die behaupteten Verhandlungen mit dem Finanzamt stattgefunden haben, ist streitig. Das Finanzgericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist, wird die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben. Stellt sich hierbei heraus, daß das Vorliegen der Voraussetzungen einer Umsatzsteuervergütung infolge des Verhaltens des Finanzamts der Bfin. nicht bekannt sein konnte und die rechtzeitige Stellung der Vergütungsanträge aus diesem Grunde unterblieben ist, so wird das Finanzgericht sodann die übrigen Voraussetzungen der beantragten Vergütungen zu prüfen und erneut zu entscheiden haben.
Dem Finanzgericht waren gemäß §§ 318 Abs. 2, 320 Abs. 2 AO auch die Kostenentscheidung und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes zu übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 408101 |
BStBl III 1955, 81 |
BFHE 1955, 214 |
BFHE 60, 214 |