Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge, das FG habe entscheidungserhebliche Beweiserhebungen unterlassen und den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, ist revisionsrechtlich nur dann in zulässiger Form erhoben, wenn dargelegt wird, welche Beweismittel das FG zwar nicht erhoben hat, deren Erhebung sich aber nach Lage der Verhältnisse dem FG hätte aufdrängen müssen.
2. Der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist ein objektiver. Er wird durch die Aufgabe des Geschäftsleiters beeinflußt, für die Kapitalgesellschaft einen Gewinn zu erzielen. Der Geschäftsleiter muß deshalb bestrebt sein, den Marktpreis für die von der Kapitalgesellschaft zu erbringende Leistung zu fordern.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 2; KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin (Klin), eine GmbH, war Eigentümerin eines Ruinengrundstücks. Bis zum 31. 12. 1976 wandte sie einen Betrag von insgesamt rd. 34 000 DM für die Planung eines auf dem Grundstück zu errichtenden Verwaltungsgebäudes auf. Mit notariellem Kaufvertrag vom 31. 12. 1976 verkaufte sie das Grundstück zusammen mit den vorhandenen Bauplänen und Baugenehmigungen an ihre Gesellschafter für 28 000 DM. Die Gesellschafter beantragten im Jahre 1978 eine Verlängerung der Baugenehmigung. Durch notariellen Vertrag vom 1. November 1978 verkauften sie das Grundstück ohne Planungsunterlagen und Genehmigungen an einen fremden Dritten, der das Ruinengrundstück für andere Zwecke verwendete. Die Klägerin schrieb die Planungskosten von 34 000 DM ab. Das FA behandelte die Abschreibung als verdeckte Gewinnausschüttung der Klägerin an ihre Gesellschafter.Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Mit der Revision rügt die Klägerin mangelnde Sachaufklärung, unvollständige Ermittlung der für den Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 erheblichen Tatsachen, das Fehlen ausreichender Tatsachenfeststellungen, Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie die Verletzung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
A. Verfahrensmängel
1. Die Ausführungen der Klägerin auf S. 3 bis 6 ihrer Revisionsbegründung enthalten die Rüge von Verfahrensmängeln nur insoweit, als die Unterlassung beantragter Beweiserhebungen bzw. allgemein mangelnde Sachaufklärung und sinngemäß die Nichtberücksichtigung wesentlicher Teile des klägerischen Vorbringens (Verletzung rechtlichen Gehörs) geltend gemacht wird. Soweit jedoch die Klägerin ausführt, das FG habe zu einer anderen Beweiswürdigung des von ihm festgestellten Sachverhaltes kommen müssen, kommt allenfalls ein Verstoß gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze in Betracht, der sich als materiell-rechtlicher Mangel darstellt.
2. Die Rüge, das FG habe entscheidungserhebliche Beweiserhebungen unterlassen und den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, ist nicht in zulässiger Form erhoben. Nach § 120 Abs. 2 FGO muß die Revision oder die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den gerügten Mangel ergeben. Danach muß die Rüge mangelnder Sachaufklärung den Mangel bei der Aufklärung des Sachverhaltes durch die vorgebrachten Tatsachen bezeichnen. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die ermittlungsbedürftigen Punkte angegeben und die Beweisthemen und Beweismittel angeführt werden. Außerdem ist darzulegen, welche Beweismittel - auch wenn ein Beweisantrag nicht übergangen worden ist - das FG zwar nicht erhoben hat, deren Erhebung sich aber nach Lage der Verhältnisse hätte aufdrängen müssen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Mai 1977 IV R 45/76, BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694), welches Ergebnis die zusätzliche Erhebung aller Voraussicht nach gehabt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489) und warum das Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des FG geführt hätte.
Mit ihrer Revisionsbegründung trägt die Klägerin jedoch lediglich vor, daß das FG die in den Schriftsätzen vom 4. November 1981 S. 3 unter II. und vom 5. Mai 1982 S. 2 erbotenen Beweise nicht erhoben habe. Dabei betrifft das Beweisangebot im Schriftsatz vom 4. November 1981 als Beweisthema die Verkaufsabsichten der Klägerin Ende Dezember 1976. Die Klägerin legt jedoch in der Revisionsbegründung nicht dar, weshalb das FG aus der Tatsache, daß fremde Personen damals kein Interesse an dem Grundstückserwerb fanden, auf die Wertlosigkeit der Pläne und Genehmigungen auch für die tatsächlichen Erwerber (Gesellschafter) hätte schließen können oder müssen. Damit ergibt sich aus der Revisionsbegründung nicht, weshalb sich dem FG eine Beweiserhebung nach der Lage der Verhältnisse hätte aufdrängen müssen. Der Schriftsatz der Klägerin vom 5. Mai 1982 betrifft die Erhebung von Urkundenbeweisen. Die Klägerin hatte die Beweise durch Vorlage unbeglaubigter Fotokopien der Urkunden angetreten (§ 155 FGO i. V. m. § 420 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Ein Urkundenbeweis wird durch Einsichtnahme in die Fotokopien durch das FG erhoben. Einer förmlichen Beweiserhebung bedarf es insoweit nicht. Aus der Revisionsbegründung der Klägerin ergibt sich aber nicht, daß das FG in die vorgelegten Fotokopien nicht eingesehen hätte. Damit ist eine unterlassene Beweiserhebung nicht einmal schlüssig behauptet.
3. Soweit die Klägerin mit der Revisionsbegründung geltend macht, das FG habe ihr Vorbringen nicht berücksichtigt, wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin geltend gemacht. Auch diese Rüge ist jedoch nicht in zulässiger Form erhoben. Zwar beinhaltet der Anspruch auf rechtliches Gehör die Verpflichtung des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, m.w.N.). Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, daß ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, auf jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen einzugehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist deshalb nur dann verletzt, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist. Eine solche Pflichtverletzung kann jedoch nicht schon dann angenommen werden, wenn Tatsachen unrichtig festgestellt wurden. Deshalb gehört es zum schlüssigen Vortrag der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, daß konkrete Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich klar ergibt, daß das Gericht berücksichtigungsfähiges und berücksichtigungswürdiges Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Daran fehlt es im Streitfall. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich lediglich, daß das FG in seiner Würdigung des Sachverhaltes der Auffassung der Klägerin nicht gefolgt ist.
B. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermeßbescheid
Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung durch das FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. a) Unter dem Begriff der verdeckten Gewinnausschüttung sind - entsprechend ihrem Wesen (Kern) und der systematischen Stellung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 - alle Vorgänge zu verstehen, durch die letztlich Vermögen einer Kapitalgesellschaft den Gesellschaftern bzw. diesen nahestehenden Personen zugeführt wird, wobei eine Beurteilung des Sachverhaltes geltend gemacht wird, die diesen nicht als Grundlage einer Ausschüttung erscheinen läßt, vielmehr eine solche verdeckt. Vermögensteile werden damit den Gesellschaftern in einer Form zugeführt, in der sie nicht als Ausschüttung erscheinen, sondern unter anderer Bezeichnung verborgen sind (vgl. BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 294/81, BFHE 141, 266, BStBl II 1984, 673). Im allgemeinen liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor, wenn eine Kapitalgesellschaft einem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte.
b) Der äußere Vorgang einer verdeckten Gewinnausschüttung besteht in einer Vorteilszuwendung. Dabei ist der Vorteilsbegriff weit auszulegen. Grundsätzlich kann jeder geldwerte Vorteil - also auch ein immaterielles Wirtschaftsgut - Gegenstand einer verdeckten Gewinnausschüttung sein. Unter die immateriellen Wirtschaftsgüter fallen alle unkörperlichen Wirtschaftsgüter mit Ausnahme von Anteilen an Kapital- und Personengesellschaften und von Geld- und Sachleistungsforderungen. Zu den immateriellen Wirtschaftsgütern gehören insbesondere Nutzungsrechte dinglicher, schuldrechtlicher und ggf. auch öffentlich-rechtlicher Art. Zu solchen Nutzungsrechten gehört das Recht, ein eigenes Grundstück nach Maßgabe bestimmter Baupläne und bereits erteilter Baugenehmigungen bebauen zu dürfen. In diesem Sinne beinhaltet die Übergabe von Bauplänen und Baugenehmigungen die Zuwendung eines immateriellen Wirtschaftsgutes, wenn das Gesellschaftsverhältnis der maßgebende Anlaß für die Übergabe ist.
c) Eine verdeckte Gewinnausschüttung liegt nicht vor, wenn der Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters unter sonst gleichen Umständen auch Nichtgesellschaftern zugewendet worden wäre. Der insoweit heranzuziehende Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist jedoch ein objektiver (vgl. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1977 VIII R 191/74, BFHE 123, 475, BStBl II 1978, 109). Er wird durch die Aufgabe des Geschäftsleiters beeinflußt, für die Kapitalgesellschaft einen Gewinn zu erzielen (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 1980 I R 75/78, BFHE 133, 19, BStBl II 1981, 492). Der Geschäftsleiter muß deshalb bestrebt sein, den Marktpreis für die von der Kapitalgesellschaft zu erbringende Leistung zu fordern. Überträgt eine Kapitalgesellschaft zusammen mit einem Grundstück Baupläne und die dazu gehörigen Baugenehmigungen, so hat die Übertragung der immateriellen Wirtschaftsgüter dann einen Marktpreis, wenn die Vertragsschließenden davon ausgehen, daß der Erwerber die Baupläne und die Baugenehmigungen nutzen kann und will. Ist die Nutzung der Baupläne und der Baugenehmigungen ungewiß, so wird sich der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter den Anspruch
auf ein (zusätzliches) Entgelt zumindest für den Fall vorbehalten, daß der Erwerber die Baupläne und die Baugenehmigungen in irgendeiner Weise wirtschaftlich nutzt.
d) Der Höhe nach richtet sich der Wert einer verdeckten Gewinnausschüttung nach dem Betrag, den ein ordnungsgemäß handelnder Geschäftsführer gefordert hätte (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 1975 I R 137/73, BFHE 116, 12, BStBl II 1975, 722, und vom 6. April 1977 I R 86/75, BFHE 122, 98, BStBl II 1977, 569). Auch insoweit ist der Sorgfaltsmaßstab ein objektiver. Deshalb ist zumindest der gemeine Wert i. S. des § 9 des Bewertungsgesetzes (BewG) anzusetzen.
2. Zu diesen Voraussetzungen hat das FG den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht dahin gewürdigt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), daß die Baupläne und Baugenehmigungen am 31. Dezember 1976 einen Wert besaßen, der sich auf 33 917 DM belief und auch von einem fremden Erwerber gezahlt worden wäre. Das FG hat ferner die Absicht der Gesellschafter der Klägerin zum 31. Dezember 1976 festgestellt, die Baupläne und Baugenehmigungen wirtschaftlich zu nutzen, sei es durch Bebauung des erworbenen Grundstücks, sei es durch dessen Veräußerung. Soweit diese Würdigung aus tatsächlichen Feststellungen besteht, ist der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO an sie gebunden, weil die Klägerin insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben hat. Revisionsrechtlich ist eine Überprüfung von Beweiswürdigungen und daraus gezogenen Schlußfolgerungen nur hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze möglich. Ein solcher Verstoß scheidet aber schon dann aus, wenn das FG zu der vorgenommenen Würdigung kommen konnte. Es ist nicht erforderlich, daß es zu ihr kommen mußte bzw. daß der BFH sie als Tatsacheninstanz in gleicher Weise vorgenommen haben würde (vgl. Urteil vom 23. September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188, m.w.N.). Im Streitfall scheidet ein Verstoß der vom FG vorgenommenen Gesamtwürdigung gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze aus. Das FG hat die Absicht der Gesellschafter der Klägerin aus den objektiven Wertverhältnissen einerseits und aus der vertraglichen Vereinbarung sowie der am 30. September 1978 beantragten Verlängerung der Baugenehmigung andererseits gefolgert. Eine solche Schlußfolgerung war möglich. Gingen aber die Vertragsschließenden am 31. Dezember 1976 davon aus, daß die Erwerber die Baupläne und Baugenehmigungen nutzen konnten und wollten, so stellt deren unentgeltliche Überlassung eine verdeckte Gewinnausschüttung im Werte von 33 917,36 DM dar. Die Tatsache, daß die Erwerber die Baupläne und Baugenehmigungen letztlich nur in Höhe von 9 696 DM wirtschaftlich nutzen konnten, ist ein Risiko, das zu Lasten der Erwerber ging.
Fundstellen
Haufe-Index 414718 |
BFH/NV 1987, 63 |