Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschaffungsnahe Aufwendungen: Voraussetzung der wesentlichen Verbesserung gemäß § 255 Abs. 2 HGB
Leitsatz (NV)
Baumaßnahmen im Anschluss an den Erwerb eines vermieteten Wohngebäudes, die zu einer deutlichen Nutzungserweiterung bei den Fenstern und den Sanitäranlagen führen, haben noch nicht die wesentliche Verbesserung des Gebäudes gemäß § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB zur Folge; ihre Kosten sind daher sofort abziehbare Werbungskosten.
Normenkette
HGB § 255 Abs. 2; EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 21 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb im Dezember 1991 ein Mehrfamilienhaus. Auf das Gebäude entfielen Anschaffungskosten in Höhe von 287 880 DM. Nach dem Gutachten eines Sachverständigen hatte das Haus Holzfenster mit Einfachverglasung, im Bereich der Elektroinstallation waren Sanierungsarbeiten durchgeführt und mit der Sanierung der Balkone war begonnen worden; ein gravierender Reparaturstau habe nicht bestanden.
Im Streitjahr 1993 ließ der Kläger für 44 996 DM neue Fenster einbauen. 1994 wandte er 11 244 DM für die Erneuerung eines Badezimmers auf.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte die Aufwendungen für die Erneuerung der Fenster nicht als sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand, sondern bewertete sie als (anschaffungsnahe) Herstellungskosten und erhöhte entsprechend die vom Kläger beanspruchte Absetzung für Abnutzung (AfA).
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus:
Hohe anschaffungsnahe Aufwendungen begründeten zwar eine Vermutung dafür, dass sie zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes im Vergleich zu dem Zustand im Zeitpunkt des Erwerbs geführt haben. Dieser Umstand entbinde aber nicht von der Prüfung, ob die Aufwendungen Herstellungskosten i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) darstellten. Danach habe der Einbau neuer Fenster sowie die Renovierung eines Badezimmers insgesamt nicht zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes geführt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der § 7 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB.
Das FG verenge seine Sichtweise ausschließlich auf den Herstellungskostenbegriff des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB und lasse die Tatsache der Anschaffungsnähe der Aufwendungen außer Betracht.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat die streitigen Aufwendungen zu Recht zum Abzug als Werbungskosten (Erhaltungsaufwendungen) im Rahmen der Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung (§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 EStG) zugelassen.
1. Aufwendungen, die ―wie die hier streitigen― durch die Absicht veranlasst sind, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen (§ 21 Abs. 1 EStG), sind allerdings dann nicht als Werbungskosten sofort abziehbar (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG), wenn es sich um Anschaffungs- oder Herstellungskosten handelt. In diesem Fall sind sie nur im Rahmen der AfA zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 EStG).
Welche Aufwendungen zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zählen, bestimmt sich für die Gewinneinkünfte und Überschusseinkünfte, mithin auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, nach § 255 HGB. Allein die Höhe der Aufwendungen und ihre Nähe zur Anschaffung des Gebäudes führen noch nicht zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. September 2001 IX R 39/97, BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3. b).
2. Die streitigen Aufwendungen sind keine Anschaffungskosteni.S. des§ 255 Abs. 1 HGB.
Danach sind AnschaffungskostenAufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, ferner die Nebenkosten und nachträglichen Anschaffungskosten.
Ein Vermögensgegenstand (Wirtschaftsgut, hier: Mehrfamilienhaus) ist betriebsbereit, wenn er entsprechend seiner Zweckbestimmung genutzt werden kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 2. b).
Den Zweck, zu dem das angeschaffte Wirtschaftsgut genutzt werden soll, bestimmt der Erwerber. Nutzt er es tatsächlich bereits ab dem Zeitpunkt des Erwerbs, erwirbt er z.B. ein vermietetes Gebäude und erzielt daraus Mieterträge, dann hat er eine Zweckbestimmung getroffen; das genutzte Wirtschaftsgut befindet sich bereits in einem betriebsbereiten Zustand und kann insoweit nicht mehr in diesen Zustand versetzt werden (BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 2. b).
Nach den Feststellungen des FG war das Gebäude bei Erwerb vermietet, der Kläger hat es weiter vermietet. Die streitigen Aufwendungen können danach keine Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 HGB sein.
3. Die Aufwendungen sind auch keine Herstellungskosten i.S. des § 255 Abs. 2 HGB. Es handelt sich vielmehr um Erhaltungsaufwendungen, die als Werbungskosten sofort abziehbar sind (§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 EStG).
a) Nach § 255 Abs. 2 HGB sind HerstellungskostenAufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen.
Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die für sich allein noch als Erhaltungsmaßnahmen zu beurteilen wären, können in ihrer Gesamtheit zu einer wesentlichen Verbesserung i.S. des § 255 Abs. 2 HGB führen, wenn dadurch der Gebrauchswert (das Nutzungspotential) des Gebäudes gegenüber dem ursprünglichen Zustand, d.h. dem Zustand im Zeitpunkt des Erwerbs, deutlich erhöht wird (BFH-Urteile vom 9. Mai 1995 IX R 116/92, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, zu I. 2. c und 3. b cc, und vom 13. Oktober 1998 IX R 38/95, BFH/NV 1999, 603). Eine wesentliche Verbesserung ist danach immer dann gegeben, wenn der Gebrauchswert eines Gebäudes von einem sehr einfachen auf einen mittleren oder von einem mittleren auf einen sehr anspruchsvollen Standard gehoben wird.
Der Standard eines Wohngebäudes wird insbesondere durch die Modernisierung der Einrichtungen gesteigert, die den Nutzungswert einer Wohnung im Wesentlichen bestimmen. Das sind vor allem die Heizungs-, Sanitär- und Eletroinstallationen sowie die Fenster. Wenn daher im Zuge der Baumaßnahmen diese Einrichtungen nicht nur in zeitgemäßer Form ersetzt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, zu I. 3. b bb, m.w.N.), sondern darüber hinaus in ihrer Funktion (Gebrauchswert) deutlich erweitert und ergänzt werden und dadurch der Wohnkomfort des Hauses insgesamt deutlich gesteigert wird, dann wird ein Wohnhaus dadurch wesentlich verbessert (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3. a cc).
Derartig gebündelte Baumaßnahmen, wobei mindestens drei der o.g. wesentlichen Bereiche betroffen sein müssen, und die damit bautechnisch zusammenhängenden Baumaßnahmen (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, zu I. 3. b cc, und vom 16. Juli 1996 IX R 34/94, BFHE 181, 50, BStBl II 1996, 649) können insgesamt zu Herstellungskosten führen. Andere Aufwendungen können daneben als sofort abziehbare Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG oder auch ―als Maßnahmen der Erweiterung― als Herstellungskosten zu beurteilen sein.
Die Baumaßnahmen führen nicht deshalb zu Herstellungskosten, weil sie innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb vorgenommen worden sind (sog. anschaffungsnahe Herstellungskosten, vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3. b).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die streitigen Aufwendungen keine Herstellungskosten; die Baumaßnahmen haben weder einzelne Wohnungen noch das Gebäude insgesamt wesentlich verbessert. Sie betreffen zwar Kernbereiche der Ausstattung der Wohnungen (Sanitärinstallation und Fenster). Aber selbst wenn die Baumaßnahmen den Nutzungswert der Fenster und eines Bades deutlich gesteigert haben sollten, so ist diese Voraussetzung damit nur in zwei von vier Kernbereichen erfüllt; das reicht nicht aus, um den Tatbestand des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB zu erfüllen.
Fundstellen
Haufe-Index 867822 |
BFH/NV 2003, 33 |