Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die unzulässige Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs steht der Heranziehung des Steuerpflichtigen im Wege der Veranlagung nicht entgegen, auch wenn diese den Lohnsteuer-Jahresausgleich gegenstandslos macht.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 1, § 19 Abs. 1, § 46/2; AO § 96
Tatbestand
Der im Inland wohnende Bg. ist in den Jahren 1955 und 1956 als Schiffselektriker tätig gewesen, und zwar sowohl auf deutschen Schiffen als auch auf ausländischen Schiffen. Auf die Heuer für den Dienst auf den deutschen Schiffen ist Lohnsteuer einbehalten worden, während auf die Heuer für den Dienst auf den ausländischen Schiffen keine Steuer gezahlt worden ist. Im Jahre 1960 veranlagte das Finanzamt den Bg. zur Einkommensteuer für die Jahre 1955 und 1956, weil die auf den ausländischen Schiffen bezogene Heuer dort nach den Feststellungen der Steuerfahndungsstelle der Oberfinanzdirektion keiner Steuer unterlegen habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht gewährte wegen der verspätet eingelegten Berufung Nachsicht und hob die Einkommensteuerbescheide ersatzlos auf: Das Finanzamt habe dem Bg. auf dessen Antrag im Wege des Lohnsteuer-Jahresausgleichs für 1955 und 1956 Lohnsteuer erstattet und ihm dadurch eindeutig zu erkennen gegeben, daß er keine Steuern mehr schulde. Es würde wider Treu und Glauben verstoßen, wenn der Bg. in seinem auf Grund des Vorgehens der Lohnsteuerstelle berechtigten Vertrauen getäuscht würde. Eine Nachforderung sei auch deswegen ausgeschlossen, weil sie einer rückwirkenden Aufhebung des Erstattungsbescheides gleichstehe, die nach § 96 AO unzulässig sei. Von einer Täuschung durch den Bg. könne keine Rede sein.
Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Nach seiner Auffassung hätte das Finanzgericht weder Nachsicht gewähren noch die Bescheide aufheben dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Es ist zwar nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht Nachsicht gewährt hat. Mag den Bedenken des Vorstehers des Finanzamts auch eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen sein, so kann doch nicht gesagt werden, daß das Finanzgericht von einer falschen Rechtsauffassung ausgegangen oder zu einer nicht möglichen Würdigung gekommen sei. Dem Urteil des Finanzgerichts kann aber in sachlicher Hinsicht nicht beigetreten werden.
Der Bg. ist, weil er seinen Wohnsitz im Inland hat, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und unterliegt danach mit seinen sämtlichen Einkünften der Einkommensteuer (vgl. § 1 Abs. 1 EStG). Zu diesen Einkünften rechnet auch die Heuer - und zwar als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (vgl. § 19 Abs. 1 EStG) -, die der Bg. für seine Tätigkeit auf den ausländischen Schiffen erhalten hat. Derartige Bezüge bleiben zwar außer Ansatz, wenn ihre Heranziehung zur deutschen Besteuerung auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens oder nach Abschn. 62 a LStR 1955 trotz Fehlens eines Doppelbesteuerungsabkommens um deswillen ausgeschlossen ist, weil die Bezüge im Ausland einer der deutschen Einkommensteuer ähnlichen Steuer unterworfen worden sind. Im Streitfall ist aber weder die eine noch die andere Voraussetzung gegeben. Ein Doppelbesteuerungsabkommen ist mit den Staaten, um die es hier geht, nicht abgeschlossen worden. Die Bezüge des Bg. sind in diesen Staaten auch nicht einer der deutschen Einkommensteuer ähnlichen Steuer unterworfen worden.
Die Heranziehung des Bg. wird entgegen der Auffassung des Finanzgerichts nicht dadurch ausgeschlossen, daß das für den Lohnsteuer-Jahresausgleich zuständige Finanzamt hinsichtlich der von dem Bg. im Inland bezogenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit auf dessen Antrag für die Streitjahre den Lohnsteuer-Jahresausgleich durchgeführt hat. Dieser hätte zwar, weil der Bg. zu veranlagen war, nicht vorgenommen werden dürfen. Daraus folgt aber nicht, daß, nachdem der Lohnsteuer-Jahresausgleich nun einmal unzulässigerweise durchgeführt worden ist, die Veranlagung nicht mehr statthaft wäre. Der Lohnsteuer-Jahresausgleich betrifft den Lohnsteuerabzug. Ihm kann im Hinblick auf die veranlagte Steuer keine größere Bedeutung beigemessen werden, als dem Lohnsteuerabzug selbst. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und insbesondere auch des erkennenden Senats erwächst aus dem Lohnsteuer-Abzugsverfahren grundsätzlich keine Bindung für das Veranlagungsverfahren (vgl. unter anderem die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 69/55 U vom 12. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 213, Slg. Bd. 61 S. 39, und IV 209/58 U vom 9. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 348, Slg. Bd. 69 S. 225). Der Lohnsteuer-Jahresausgleich bedeutet zwar im Verhältnis zum Lohnsteuerabzug einen Abschluß, nicht aber auch im Verhältnis zur veranlagten Steuer. Ob die den Lohnsteuer-Jahresausgleich durchführende Verfügung als eine begünstigende Verfügung im Sinne des § 96 AO anzusehen und demnach nur unter den von dieser Vorschrift geforderten Voraussetzungen widerrufbar oder änderbar ist, kann hier dahingestellt bleiben; denn es geht hier nicht um den Widerruf oder die änderung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs als solchen, sondern allein um die Zulässigkeit der Veranlagung, mag diese auch im Ergebnis den Lohnsteuer-Jahresausgleich gegenstandslos machen.
Die Heranziehung des Bg. kann auch entgegen der Auffassung des Finanzgerichts nicht als wider Treu und Glauben verstoßend angesehen werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die unzulässige Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs den "begünstigten" Steuerpflichtigen ohne weiteres zu der Annahme berechtigen kann, daß nunmehr keine Veranlagung mehr in Betracht komme. Jedenfalls kann der Bg. sich nicht auf einen Verstoß wider Treu und Glauben berufen. Der Bg. hat zwar dem den Lohnsteuer-Jahresausgleich durchführenden Finanzamt gegenüber nicht verschwiegen, daß er neben den inländischen Einkünften auch ausländische Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit gehabt habe. Die von ihm vorgelegten Bescheinigungen über die steuerliche Behandlung dieser Einkünfte sind aber insofern irreführend gewesen, als sie die Annahme nahelegten, daß die Einkünfte besteuert worden seien. Jedenfalls ist das Finanzamt, wie der bei den Akten befindliche Vermerk zeigt, zu dieser Annahme gekommen; und es konnte zu ihr kommen, ohne daß man ihm wegen des irreführenden Inhalts der Bescheinigung den Vorwurf ungenügender Aufklärung machen könnte. Wie das Finanzgericht ausgeführt hat, kann zwar keine Rede davon sein, daß der Bg. das Finanzamt habe täuschen wollen. Er muß sich aber trotzdem entgegenhalten lassen, daß die Bescheinigungen irreführend gewesen sind (vgl. hierzu die Ausführungen des Urteils des Senats VI 311/60 vom 7. Juli 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 200, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird).
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Berufung wird als unbegründet zurückgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 410952 |
BStBl III 1963, 583 |
BFHE 1964, 716 |
BFHE 77, 716 |