Leitsatz (amtlich)
Die Steuerbefreiung gemäß § 1 Nr. 5 i. V. m. § 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer i. d. F. vom 17. Februar 1966 (GVBl 1966, 64) setzt voraus, daß die Grundsteuervergünstigung dem Ersterwerber wirklich gewährt wird; nicht erforderlich ist, daß die Grundsteuervergünstigung bereits vom Veräußerer in Anspruch genommen worden ist, daß also das Merkmal der Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung bereits im Zeitpunkt des Erwerbs vorgelegen haben muß.
Normenkette
Nieders. Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer i.d.F. vom 17. Februar 1966 § 1 Nrn. 5, 1
Tatbestand
I.
Durch notariellen Vertrag vom 19. Dezember 1969 erwarben der Kläger und seine Ehefrau ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück je zur ideellen Hälfte. Der Kläger beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer, da es sich um einen Ersterwerb eines im sozialen Wohnungsbau errichteten Gebäudes handele. Das FA -- Beklagter -- setzte die Grunderwerbsteuer mit der Begründung fest, daß im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs durch den Kläger und seine Ehefrau von den Veräußerern keine Grundsteuervergünstigung in Anspruch genommen worden sei. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos.
Mit der Klage machte der Kläger eine Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Nr. 5 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer (GrESWG) vom 17. Februar 1966 (GVBl 1966, 64; BStBl II 1966, 81) unter Vorlage eines Bescheids des Landkreises vom 24. April 1970 über die Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigte Wohnungen nach den §§ 82 und 83 des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes (II. WoBauG) vom 27. Juni 1956 (BGBl I 1956, 523) geltend. Diesem Bescheid ist zu entnehmen, daß er vom Kläger und seiner Ehefrau am 12. März 1970 beantragt wurde, und daß für den am 1. November 1967 bezugsfertig erstellten Wohnraum mit Wirkung ab 1. Januar 1968 die Anerkennung als steuerbegünstigte Wohnung ausgesprochen wurde.
Das FG hob den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf, die Voraussetzungen des § 1 Nr. 5 GrESWG lägen vor, denn nach § 4 Abs. 5 GrESWG könne auch der Kläger (Erwerber) dem FA die Bescheinigung des in Abs. 3 des § 4 GrESWG bezeichneten Inhalts vorlegen, sofern -- wie hier -- der Veräußerer dies nicht getan habe. Eine derartige Bescheinigung sei in dem Bescheid vom 24. April 1970 des Landkreises zu erblicken.
Mit der Revision rügt das FA die unrichtige Anwendung des § 1 Nr. 5 i. V. m. Nr. 1 GrESWG. Eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer komme schon nach dem Wortlaut dieser Vorschriften nur in Betracht, wenn das auf dem Grundstück errichtete Gebäude im Erwerbszeitpunkt bereits grundsteuerbegünstigt sei, d. h. wenn diese Vergünstigung tatsächlich beansprucht und gewährt worden sei (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 9. Dezember 1964 II 89/62, HFR 1965, 276, und vom 1. August 1967 II 92/65, BFHE 89, 545, BStBl III 1967, 709 ). Auf Grund des nach dem Erwerb vom Kläger und seiner Ehefrau beantragten Anerkennungsbescheides könne dem Kläger Grundsteuervergünstigung aber erst nach dem Erwerbszeitpunkt vom 19. Dezember 1969, nämlich frühestens ab 1. Januar 1970, gewährt werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, wenn auch aus anderen als den vom FA geltend gemachten Gründen.
Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz reichen nicht aus, um die Entscheidung zu rechtfertigen, daß der Erwerb der ideellen Hälfte des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks durch den Kläger ein von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ausgenommener Ersterwerb im Sinne von § 1 Nr. 5 i. V. m. § 1 Nr. 1 GrESWG ist.
Von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ist gemäß § 1 Nr. 5 GrESWG der Ersterwerb eines Grundstücks ausgenommen, auf dem ein Gebäude errichtet worden ist, das ein Gebäude der in § 1 Nr. 1 GrESWG bezeichneten Art ist, und wenn zur Zeit des Erwerbs Wohnungen in dem Gebäude noch nicht oder höchstens seit 5 Jahren bezogen sind.
Nach § 1 Nr. 1 GrESWG hängt die Grunderwerbsteuerbefreiung davon ab, daß "das Gebäude ... Wohnungen oder Wohnräume enthält, die ... grundsteuerbegünstigt sind".
Dies setzt voraus, daß das Gebäude der in § 1 Nr. 1 GrESWG bezeichneten Art im Zeitpunkt des Erwerbs die für die Grundsteuerbegünstigung erforderlichen Merkmale besitzen muß, und ferner, daß die Grundsteuerbegünstigung in Anspruch genommen und wirklich gewährt worden ist (vgl. zu den entsprechenden Vorschriften für Bayern BFH-Urteile vom 9. Dezember 1964 II 89/62, HFR 1965, 276, und vom 1. August 1967 II 92/65, BFHE 89, 545, BStBl III 1967, 709 ; für Bremen vom 25. November 1964 II 79/62 U, BFHE 81, 270, BStBl III 1965, 98 ; für Rheinland-Pfalz vom 25. November 1964 II 14/62, HFR 1965, 225). Auch für Niedersachsen gilt, daß die Landesgesetzgebung von Anfang an die Grunderwerbsteuerbefreiung im Grundsatz nur dem sozialen Wohnungsbau hat vorbehalten wollen. Das ergibt sich nicht nur aus der Überschrift der Gesetze ("Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer") vom 2. Juli 1952 (vgl. GVBl-Niedersachsen 1952, 53, BStBl II 1952, 74) bis hin zu dem vom 17. Februar 1966 (vgl. GVBl-Niedersachsen 1966, 64, BStBl II 1966, 81), sondern auch aus den Materialien zur Gesetzgebung (vgl. Niedersächsischer Landtag, 2. Wahlperiode, Landtagsdrucksache Nr. 395 S. 716 Begründung nach dem Text des Entwurfs des Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer und die Begründung zu § 1 dort Abs. 4). Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die Begründungen in den Urteilen II 89/62 und II 92/65.
Die Grunderwerbsteuerfreiheit des Ersterwerbs eines Grundstücks mit einem Gebäude, das die Merkmale des sozialen Wohnungsbaues erfüllt, und dementsprechend des Ersterwerbs des Anteiles an einem solchen Grundstück setzt jedoch nicht voraus, daß die Grundsteuervergünstigung bereits vom Veräußerer in Anspruch genommen worden ist, daß also die Voraussetzung der wirklichen Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung bereits im Zeitpunkt des Erwerbs vorgelegen haben muß. Das Merkmal der Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung kann auch vom Ersterwerber verwirklicht werden, und zwar dann, wenn der Erwerber die Grundsteuervergünstigung von dem Zeitpunkt des Erwerbs an in Anspruch nehmen will, die Wirkungen der Grundsteuervergünstigung bei ihm aber infolge der Bindung der Grundsteuer an den Einheitswert des Grundstücks (§§ 10, 11 GrStG) erst mit dem Beginn des auf den Erwerb folgenden Jahres eintreten können (§ 21 Abs. 2 BewG 1965); der Senat verweist dazu auf die Ausführungen im BFH-Urteil vom 8. August 1973 II R 92/66 (BFHE 110, 373, BStBl II 1974, 38 ).
Wird ein Grundstück bebaut, so ist das errichtete Gebäude erst bei der Festsetzung des Einheitswertes am nächsten Stichtag zu berücksichtigen. Die Grundsteuervergünstigung nach § 92 des II. WoBauG kann sich mithin frühestens zu diesem Zeitpunkt auswirken. Erwirbt jemand ein bebautes Grundstück, so kann er ebenfalls erst ab dem folgenden Stichtag in den Genuß der Grundsteuervergünstigung kommen. Es genügt demzufolge, daß der Erwerber die Begünstigung zu diesem nächsten Stichtag beantragt und auch erhält. Wie der Senat im Urteil II R 92/66 dargelegt hat, verlangen weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Grunderwerbsteuerbefreiungsvorschrift, die Begünstigung des Erwerbers von dem Verhalten des Veräußerers in bezug auf die Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung abhängig zu machen, und zwar selbst dann nicht, wenn das Gebäude bereits an mehreren Bewertungsstichtagen vor dem ersten Erwerb bezugsfertig gewesen war. Entsprechendes gilt für den Erwerb des ideellen Anteiles an einem Grundstück. Das Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer enthält keine Regelung, die eine abweichende Auslegung erfordert. Die Auslegung steht vielmehr auch im Einklang mit den weiteren Vorschriften im Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer. § 4 GrESWG bestimmt, wie bei den verschiedenen Erwerbsfällen nachzuweisen ist, ob ein Bauvorhaben den Vorschriften über die Gesetzgebung für den sozialen Wohnungsbau entspricht. Der Erwerber eines Grundstücks, der Steuerfreiheit nach § 1 Nr. 1 oder 4 in Anspruch genommen hat, ist verpflichtet, nach der Errichtung oder Fertigstellung des Gebäudes dem FA eine Bescheinigung darüber vorzulegen, daß die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt worden sind (§ 4 Abs. 3 Satz 1 GrESWG). § 4 Abs. 5 GrESWG bürdet dem Ersterwerber, der die Steuerfreiheit nach § 1 Nr. 5 in Anspruch nimmt, die Verpflichtung auf nachzuweisen, daß die Wohnungen noch nicht oder höchstens seit 5 Jahren bezogen worden sind, und eine Bescheinigung des in Abs. 3 bezeichneten Inhalts vorzulegen, sofern sie der Veräußerer nicht vorgelegt hat. Hieraus ergibt sich, daß -- entgegen der Annahme des FA -- die wirkliche Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung durch den Veräußerer nicht zu den zwingenden Voraussetzungen der Grunderwerbsteuerfreiheit im Sinne von § 1 Nr. 5 GrESWG gehört und daß der Erwerber das Merkmal der Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung in seiner Person erstmalig verwirklichen kann. Den Materialien zu § 4 Abs. 5 GrESWG (Niedersächsischer Landtag, 5. Wahlperiode, Drucksache Nr. 555 S. 9) ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.
Zu Unrecht hat das FA daher aus dem -- vom FG nicht festgestellten -- Unterbleiben der Inanspruchnahme der Grundsteuervergünstigung durch den Veräußerer geschlossen, es könne demgemäß beim Erwerber kein grunderwerbsteuerbefreiter Ersterwerb im Sinne von § 1 Nr. 5 i. V. m. § 1 Nr. 1 GrESWG eintreten.
Die Vorentscheidung war gleichwohl aufzuheben.
Der Kläger hat mit dem Vertrag vom 19. Dezember 1969 die ideelle Hälfte des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks erworben. Das Gebäude ist nach dem Bescheid des Landkreises vom 24. April 1970 als grundsteuerbegünstigt anerkannt worden. Der Kläger hat auch die Grundsteuervergünstigung, wie sich aus dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ergibt, beantragt. Das FG hat jedoch keine Feststellungen darüber getroffen, ob dem Kläger Grundsteuervergünstigung -- wenn auch erst ab dem 1. Januar 1970 -- wirklich gewährt worden ist. Die effektive Gewährung der Grundsteuervergünstigung ist aber -- wie ausgeführt -- ein Merkmal des Grunderwerbsteuerbefreiungstatbestandes.
Fundstellen
Haufe-Index 71806 |
BStBl II 1976, 348 |
BFHE 1976, 241 |