Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezeichnung des Streitgegenstandes in der Klageschrift
Leitsatz (NV)
1. Mit der Bezeichnung der angefochtenen Einspruchsentscheidung in der Klageschrift wird zugleich der ihr zugrundeliegende ursprüngliche Verwaltungsakt als Gegenstand der Anfechtungsklage eindeutig benannt (Anschluß an BFH/NV 1993, 31).
2. Das Stellen eines bestimmten Klageantrags ist auch nach Ablauf der Klagefrist zulässig.
Normenkette
FGO § 44 Abs. 2, § 65 Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig ist in sämtlichen Verfahren ausschließlich die Zulässigkeit der Klagen.
Der Kläger hat in mehreren Verfahren mit Klageschriftsätzen gegen die am ... (jeweiliges Datum) ... zugestellte Einspruchsentscheidung vom ... (jeweiliges Datum) ... innerhalb der Klagefrist Klage erhoben und folgende Anträge gestellt:
1. Das Finanzgericht möge die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Z aufheben,
2. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegen.
Steuerart und Veranlagungszeitraum waren in den Schriftsätzen jeweils bezeichnet (z.B. wegen geänderter Einkommensteuer 1977).
Nach Ablauf der Klagefrist hat der Kläger schriftlich beantragt:
1. Das Finanzgericht möge die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Z aufheben, und die Einkommensteuer (bzw. die Umsatzsteuer und Gewerbesteuer-Meßbeträge) auf ... festsetzen.
2. Ersatzweise wird beantragt, die Verböserung nicht anzuerkennen.
3. Dem beklagten Finanzamt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klagen mit der Begründung abgewiesen, eine Klage gegen die Einspruchsentscheidung allein sei nicht zulässig. Zwar habe der Große Senat des Bundesfinanzhofs - BFH - (Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327) entschieden, daß die Antragserweiterung - wozu auch die Neueinführung des der Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Steuerbescheides in den Prozeß gehöre - nach Ablauf der Klagefrist nur dann unzulässig sei, wenn der Kläger eindeutig zu erkennen gegeben habe, daß er den Streitgegenstand begrenzen wolle. So liege der Fall indes nicht. Die Antragserweiterung setze eine zulässige Klage voraus. Eine solche liege hier nicht vor, weil ein auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränkter Klageantrag ein besonderes rechtliches Interesse voraussetze (BFH-Urteil vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21), das hier nicht dargetan sei. Aus diesem Grunde sei es auch unerheblich, daß sich der Beklagte (das Finanzamt - FA -) sachlich auf die geänderte Klage eingelassen habe.
Mit den vom Senat zugelassenen Revisionen rügt der Kläger die unrichtige Anwendung der §§ 44 Abs. 2, 67, 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Insbesondere habe das FG es fälschlicherweise als unerheblich angesehen, daß das FA jeweils in die Klageänderungen eingewilligt, indem es sich zu den materiell-rechtlichen Fragen geäußert habe.
Entscheidungsgründe
Die Revisionsverfahren XI R 37/92, XI R 38/92, XI R 39/92, XI R 40/92, XI R 41/92 und XI R 42/92, jeweils wegen Einkommensteuer der Jahre 1977 bis 1981 und 1983 sowie die Revisionsverfahren XI R 43/92, XI R 44/92, XI R 45/92, XI R 46/92 und XI R 47/92 jeweils wegen Gewerbesteuer-Meßbetrag 1977 bis 1981 und die Revisionsverfahren XI R 48/92, XI R 49/92, XI R 50/92, XI R 51/92, XI R 52/92, XI R 53/92 sowie XI R 54/92 jeweils wegen Umsatzsteuer 1977 bis 1983 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Denn das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Klageschriftsätze jeweils nur Klagen gegen die Einspruchsentscheidungen und nicht auch gegen die diesen zugrunde liegenden Steuer- bzw. Steuermeßbescheide enthielten.
Gemäß § 44 Abs. 2 FGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Die Vorschrift legt damit fest, gegen welche Einzelfallregelung die Klage zu richten ist, und mit welchem Inhalt die angefochtene Einzelfallregelung in das Verfahren eingeht (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 44 Rz. 31f.). Entsprechend bestimmt § 65 FGO bei Anfechtungsklagen die Angabe des angefochtenen Verwaltungsakts oder der angefochtenen Entscheidung zum notwendigen Inhalt der Klageschrift. Diesem Erfordernis ist der Kläger im Streitfall nachgekommen durch die jeweilige Angabe des Betreffs (z.B. geänderte Einkommensteuer 1977) i.V.m. der Benennung des Datums und Zustelldatums der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Nach Auffassung des Senats hat der Kläger dadurch zugleich die den jeweiligen Einspruchsentscheidungen zugrunde liegenden Verwaltungsakte als Gegenstand der Anfechtungsklagen eindeutig bestimmt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 1992 VIII R 87/90, BFH/NV 1993, 31).
Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidungen sind deshalb aufzuheben.
Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das FG die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht getroffen hat. Die Sachen müssen deshalb an das FG zurückverwiesen werden, das nunmehr über die Klagebegehren sachlich zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 419159 |
BFH/NV 1994, 45 |