Leitsatz (amtlich)
Eine Materialbeistellung ist zu verneinen, wenn der beigestellte Stoff ausgetauscht wird und der mit der Herstellung des Gegenstands beauftragte Unternehmer den Auftrag weitergibt.
Normenkette
UStG 1951 § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 3
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Klägerin, Revisionsbeklagte) stellte 1959 Bremsklötze für Lokomotiven her und reparierte verschlissene Bremsklötze. Der Bremsklotz besteht aus einem Metallrücken (7 mm starkes gewölbtes Stahlblech mit aufgeschweißten Nocken und Halterungen) und aus einem Bremsbelag (aufgepreßte Kunststoffsohle). Bei den Reparaturen wurde wie folgt verfahren: Die Kunden erteilten der Steuerpflichtigen den Auftrag, die verbrauchten Bremsbeläge zu erneuern. Die Steuerpflichtige ließ zunächst von Subunternehmern die Reste der abgenutzten Bremsbeläge abbrennen. Sie besserte dann selbst, soweit erforderlich, die Metallrücken aus. Schließlich übergab sie die Klötze der T-GmbH mit dem Auftrag, neue Bremsbeläge auf die Metallrücken zu setzen. Die T-GmbH preßte die Beläge auf die Metallrücken und gab die fertigen Bremsklötze an die Steuerpflichtige zurück. Die Steuerpflichtige leitete die Bremsklötze an ihre Kunden weiter.
Sie sah hierin eine Lieferung lediglich der Bremsbeläge, auf die der ermäßigte Steuersatz von 1 v. H. nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 anzuwenden sei. Das FA (Beklagter, Revisionskläger) war demgegenüber nach einer Betriebsprüfung der Ansicht, diese Handhabung sei nur zutreffend, soweit die Identität zwischen den von den Kunden erhaltenen und an diese zurückgegebenen Bremsklötzen gewahrt sei; das sei der Fall bei Bremsklötzen, die zwecks Ausbesserung der Metallrücken markiert worden seien und bei einigen Spezialtypen, die nicht von mehreren Kunden gleichzeitig übergeben worden sein könnten. Im übrigen seien Werklieferungen von fertigen Bremsklötzen anzunehmen, die mit 4 v. H. zu versteuern seien. Entgelt sei insoweit außer den Rechnungsbeträgen auch der Wert der im Tauschwege von den Kunden erhaltenen verschlissenen Bremsklötze.
Die Sprungberufung (Klage) hatte Erfolg. Das FG hat das Urteil des BFH V 306/59 vom 20. September 1962 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 185, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz, § 3 Abs. 2, Rechtsspruch 29) für anwendbar gehalten. So wie dort die Erneuerung des Bezugs auf Walzen durch einen Drittunternehmer als begünstigte Großhandelslieferung des Beauftragten angesehen worden sei, müsse in der Rückgabe der Bremsklötze eine begünstigte Lieferung der Beläge gesehen werden. Die überlassenen und zurückgegebenen Bremsklötze brauchten nicht identisch zu sein. Es genüge, daß ein gleichartiger und gleichwertiger Stoff zurückgelange (BFH-Urteil V 105/63 vom 10. Februar 1966, BFH 85, 128, BStBl III 1966, 257). Unerheblich sei, ob und wie die Metallrücken bearbeitet worden seien; solche Bearbeitungen könnten nicht die Steuerermäßigung der Bremsbelaglieferungen beeinträchtigen.
Das FA rügt mit der Revision: Das FG habe verkannt, daß das BFH-Urteil V 105/63 vom 10. Februar 1966 (a. a. O.) eine Materialbeistellung dann verneint habe, wenn der beauftragte Unternehmer den bestellten Gegenstand nicht selbst hergestellt habe. Die Steuerpflichtige sei bei der Erneuerung der Bremsbeläge kaum selbst tätig geworden. Die eigentliche Reparaturtätigkeit, das Aufsetzen der neuen Beläge, habe die T-GmbH ausgeführt. Anwendbar sei das BFH-Urteil V 13/63 vom 16. März 1966 (BFH 86, 59, BStBl III 1966, 445), das bei einem gleichgelagerten Sachverhalt einen Materialtausch mit Baraufgabe angenommen habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Die Inanspruchnahme des ermäßigten Steuersatzes von 1 v. H. nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 setzt voraus, daß die im Großhandel gelieferten Gegenstände erworben sind. In den hier streitigen Fällen sind andere Gegenstände geliefert worden, als erworben wurden.
Die Steuerpflichtige lieferte ihren Kunden entgegen der Auffassung des FG nicht Bremsbeläge, sondern fertige Bremsklötze. Die Annahme von Bremsbelaglieferungen setzt voraus, daß die Kunden der Steuerpflichtigen die Bremsklötze beistellten. Eine Materialbeistellung scheitert jedoch in den vorliegenden Fällen daran, daß die Kunden nicht die Bremsklötze zurückerhielten, die sie der Steuerpflichtigen hingegeben hatten, oder daran, daß die Identität zwischen hingegebenen und zurückerhaltenen Bremsklötzen nicht gewährleistet ist. Der Senat hat zwar unter bestimmten Voraussetzungen in dem Urteil V 105/63 vom 10. Februar 1966 (a. a. O.) Materialbeistellungen trotz Austausches des Materials angenommen. Er hat jedoch betont, daß seine Rechtsprechung auf der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beruht und nur anwendbar ist, wenn sich die übrigen Erfordernisse einer Materialbeistellung klar und eindeutig aus dem Sachverhalt ergeben. Eine Materialbeistellung bei fehlender Identität ist abgelehnt worden, sofern der beauftragte Unternehmer den bestellten Gegenstand nicht selbst herstellt (BFH-Urteil V 13/63 vom 16. März 1966, a. a. O.). Daran wird festgehalten. Die Materialbeistellung setzt grundsätzlich voraus, daß der beigestellte Stoff in den Gegenstand der Werklieferung eingeht. Die Ausnahmen auf Grund wirtschaftlicher Betrachtungsweise sind auf die typischen Beistellungsfälle beschränkt. Ist der beauftragte Unternehmer nicht selbst Hersteller, erscheint er vielmehr infolge Weitergabe des Auftrags wie ein Händler, ist ein Austausch des Stoffes nicht statthaft.
Hingegen liegen im Verhältnis der Steuerpflichtigen zu der T-GmbH Materialbeistellungen vor. Die Materialidentität ist gewahrt. Die Steuerpflichtige erhielt dieselben Bremsklötze zurück, die sie ohne Belag der T-GmbH überlassen hatte. Daraus folgt: Die Steuerpflichtige hat Bremsklötze geliefert, aber Bremsbeläge erworben. § 7 Abs. 3 UStG 1951 ist nicht anzuwenden; es sind nicht die erworbenen (nämlichen) Gegenstände geliefert worden. Entgelt für die Lieferungen ist außer dem Barpreis auch der Wert der verschlissenen Bremsklötze, die die Kunden der Steuerpflichtigen überließen.
Das Urteil des Senats V 306/59 vom 20. September 1962 (a. a. O.) steht dem nicht entgegen. Das Urteil geht, ohne es zu erwähnen, von der Annahme aus, daß die Kunden dieselben Walzen zurückerhielten, die sie hingegeben hatten.
Die Vorentscheidung, die diese Rechtslage verkannt hat, ist aufzuheben. Die Klage gegen den Steuerbescheid des FA ist abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1971, 77 |
BFHE 1971, 269 |