Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Voraussetzungen und Auswirkung der Berichtigung der DM-Eröffnungsbilanz.
Zur Frage der Berücksichtigung bevorstehender unvermeidbarer Aufwendungen infolge Kündigungsschutz und für Geschäftsraummiete bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948.
Normenkette
BewG § 62 Abs. 1, § 103/1; VermBewG § 8 Abs. 1
Tatbestand
Es handelt sich um die Feststellung des Einheitswerts für das Betriebsvermögen des Beschwerdeführers (Bf.) am 21. Juni 1948. Der Bf. hat in seiner dem Finanzamt am 25. Oktober 1950 eingereichten DM-Eröffnungsbilanz ein Kapitalkonto von 10.574,33 DM ausgewiesen. Im Zusammenhang mit der Heranziehung zur Vermögensabgabe hat er am 22. Februar 1954 eine berichtigte DM-Eröffnungsbilanz eingereicht, in der zwei bisher nicht aufgeführte Schuldposten, Löhne in Höhe von 7.479,53 DM und Geschäftsmiete in Höhe von 1.002 DM, ausgewiesen wurden. Das Betriebsvermögen verminderte sich dadurch auf 2.093 DM. Zur Begründung für die nachträglich geltend gemachten Abzüge führte der Bf. aus, er habe ein Spezialgeschäft für Bildverarbeitung. In der RM-Zeit sei er ausschließlich auf Arbeiten für die Besatzungsmacht angewiesen gewesen. Diese Kundschaft sei mit dem Währungsstichtag weggefallen. Andere Kundschaft habe er in der ersten Zeit nach dem Währungsstichtag wegen der Notwendigkeit der Beschaffung lebenswichtiger Dinge bei dem knappen DM-Vorrat nicht erwerben können. Andererseits habe er seine Angestellten wegen des ihnen zustehenden Kündigungsschutzes nicht sofort entlassen können. Er habe ihnen Abfindungen zahlen und auch die Sozialleistungen für sie weiter entrichten müssen. Ebenso habe er die Miete für seine Geschäftsräume weiter zahlen müssen. Einen Gegenwert für diese Aufwendungen habe er nicht erlangt, da das Geschäft stillgelegen habe. Im übrigen seien auch die Waren und das Inventar in seiner ursprünglichen DM-Eröffnungsbilanz unrichtig, nämlich viel zu hoch, bewertet worden. Die Waren hätten aus zugeschnittenen und bearbeiteten Materialien bestanden, die für einen anderen Betrieb wertlos gewesen seien. Um die vereinbarten Abfindungen zahlen und den Betrieb retten zu können, habe er auf Privatvermögen zurückgreifen müssen (insbesondere durch Verkauf von Möbeln). Einspruch und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Finanzgericht führt in der angefochtenen Entscheidung im wesentlichen aus: abzugsfähig seien beim Betriebsvermögen nur Schulden, die bereits am maßgebenden Stichtag bestanden hätten. Die hier nachträglich vom Bf. geltend gemachten Verbindlichkeiten seien erst nach dem 21. Juni 1948 entstanden, könnten daher an diesem Stichtag noch nicht berücksichtigt werden. Einer Minderbewertung der Aktivposten Ware und Inventar stehe die im § 75 des D-Markbilanzgesetzes (DMBG) ausgesprochene Bindung der Ausgangswerte für die Vermögensbesteuerung an die zulässigermaßen in der DM-Eröffnungsbilanz eingesetzten Werte entgegen. Anhaltspunkte dafür, daß der Bf. diese Vermögensgegenstände mit einem höheren Wert angesetzt habe, als er ihnen am Stichtag der DM-Eröffnungsbilanz zukam, seien nicht vorhanden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Bf. Er führt aus, es müßten auch solche Verpflichtungen in die DM-Eröffnungsbilanz aufgenommen werden, die mit Sicherheit zu erwarten waren. Darauf, daß diese Verpflichtungen bürgerlich-rechtlich möglicherweise erst nach dem Währungsstichtag entstanden seien, komme es nicht entscheidend an. Für das Steuerrecht gelte die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Sein weiteres Vorbringen, daß die in der DM-Eröffnungsbilanz mit dem Nennwert bewerteten Waren praktisch völlig wertlos gewesen seien, habe das Finanzgericht unberücksichtigt gelassen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Die vom Bf. geltend gemachten Verbindlichkeiten aus Abfindung der Angestellten sind im Zuge der nach dem 21. Juni 1948 erfolgten Auflösung von Arbeitsverhältnissen entstanden. Die Mietzahlung betraf, soweit ersichtlich, einen Zeitraum nach dem Währungsstichtag. Hiernach ist den Vorbehörden darin zuzustimmen, daß diese Verbindlichkeiten am 21. Juni 1948 rechtlich noch nicht entstanden waren. Ein Schuldabzug war daher bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948 gemäß § 62 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht angängig. Nach § 8 Abs. 1 des Vermögensbewertungsgesetzes vom 16. Januar 1952 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - I S. 22, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 Teil I S. 35) sind jedoch bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte der gewerblichen Betriebe auf den 21. Juni 1948 Rückstellungen in der Höhe zu berücksichtigen, in der sie in die DM-Eröffnungsbilanz auf Grund der Vorschriften des DMBG eingestellt sind. Das DMBG sagt, abgesehen von dem Sonderfall der Pensionsrückstellungen, nichts besonderes über die Zulässigkeit von Rückstellungen. Es läßt die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung entscheiden. So auch Schmölder-Geßler-Merkle, DMBG, Einführung S. 68. Danach kommt es im Streitfall darauf an, ob der Bf. am Stichtag ernsthaft mit Verpflichtungen der von ihm bezeichneten Art zu rechnen hatte. War dies der Fall, so war die Vornahme der Rückstellungen in der DM-Eröffnungsbilanz geboten und die Berichtigung der ursprünglichen DM-Eröffnungsbilanz erforderlich. Wenn der Bf. auch erst nach Kenntnis von seiner Vermögensabgabe mit der Berichtigung der DM-Eröffnungsbilanz hervorgetreten ist, ist hierin keine Verwirkung der Berichtigung zu erblicken. Auf die Urteile des Bundesfinanzhofs I 147/52 U vom 23. März 1953 (Slg. Bd. 57 S. 354, BStBl. 1953 Teil III S. 140) und I 204/53 U vom 28. Juni 1955 (BStBl. 1955 Teil III S. 262) wird Bezug genommen. In dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 50/54 U vom 7. September 1954 (Slg. Bd. 59 S. 311, BStBl. 1954 Teil III S. 330) ist allerdings ausgesprochen worden, daß ein Unternehmen im allgemeinen nicht berechtigt ist, für Verpflichtungen auf Grund des Kündigungsschutzgesetzes vom 10. August 1951 (BGBl . I S. 499) eine Rückstellung vorzunehmen. In den Gründen dieses Urteils wird ausgeführt, daß das Gesetz den Kündigungsschutz bei schwebenden Verträgen zum Gegenstand habe, deren Inhalt ein Arbeitsverhältnis sei. Es seien daher die Grundsätze der Rechtsprechung über die Bilanzierung schwebender Verträge zu beachten. Der Kündigungsschutz stelle keine von den schwebenden Verträgen getrennte zusätzliche Belastung dar. Bei schwebenden Verträgen, bei denen Leistung und Gegenleistung erst in der Zukunft lägen, bestände die Vermutung der Ausgeglichenheit. Lediglich dort, wo dies nicht der Fall sei, wo sich aus dem schwebenden Vertrag eine den Wert des Anspruchs übersteigende Verpflichtung und damit ein Verlust ergebe, sei dieser Verlust als passivierungsfähige Last anzusehen. Im Streitfall hat nun der Bf. gerade geltend gemacht, daß ein solcher Fall bei ihm gegeben sei. Trifft dies zu, so würde in übereinstimmung mit dem Urteil vom 7. September 1954 eine passivierungsfähige Last für den 21. Juni 1948 beim Bf. anzuerkennen sein.
Der Bf. hat auch geltend gemacht, daß Ware und Inventar in seiner ursprünglichen DM-Eröffnungsbilanz zu hoch bewertet worden seien. Das Finanzgericht ist auf dieses Vorbringen nicht näher eingegangen, sondern hat sich mit der Bemerkung begnügt, daß Anhaltspunkte für eine zu hohe Bewertung dieser Vermögensgegenstände nicht vorhanden seien. Diese Begründung reicht gegenüber dem bestimmten Vorbringen des Bf. über die Wertlosigkeit von Waren und Inventar nicht aus. Die Koppelung der Wertansätze gemäß § 75 Abs. 1 DMBG gilt für die gemäß den Vorschriften des DMBG in der DM-Eröffnungsbilanz eingestellten Werte. Widersprach die ursprüngliche Bewertung dieser Wirtschaftsgüter den Vorschriften der DM-Eröffnungsbilanz, so griff insoweit die Koppelungsbestimmung nicht durch. Das Finanzgericht hätte daher prüfen müssen, ob die nachträgliche Berichtigung der ursprünglichen Bilanzansätze zu erfolgen hatte.
Hiernach waren das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird an das Finanzamt zur Prüfung zurückverwiesen, ob die ursprünglichen Bilanzansätze unrichtig waren.
Bisher ist diese Frage nicht geklärt. Was der Bf. zur Begründung der Unrichtigkeit der Bilanzansätze in seiner ursprünglichen DM-Eröffnungsbilanz vorgebracht hat, bedarf noch weiterer Erläuterung. Insbesondere ist nicht einzusehen, weshalb die Angehörigen der Besatzungsmacht nach der Währungsreform als Kundschaft ausgefallen sein sollen. Ferner wäre vom Bf. darzulegen, wie sich seine aus der ursprünglichen DM-Eröffnungsbilanz ergebende wesentlich günstigere Beurteilung der Geschäftslage mit den in diesem Rechtsmittelverfahren aufgestellten Behauptungen über die vernichtenden Folgen der Währungsreform für sein Geschäftsunternehmen erklären. Eine Rückstellung für Abfindungen an die Arbeitnehmer sowie für Aufwendungen für Geschäftsraummiete könnte nur zugelassen werden, wenn die Stillegung des Geschäftsbetriebs nach der Währungsreform für einen nicht nur vorübergehenden, kurzen Zeitraum bereits am Stichtag mit Sicherheit zu erkennen war und die Notwendigkeit der Zahlungen für Abfindungen und weitere Geschäftsraummiete feststand. Außerdem müßte der Bf. bei Anerkennung der Zulässigkeit einer Berichtigung seiner DM-Eröffnungsbilanz und danach Zugrundelegung eines niedrigeren Betriebsvermögens am 21. Juni 1948 die sich hieraus ergebenden einkommensteuerlichen Auswirkungen (§§ 74, 75 DMBG) in Kauf nehmen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob sich die Berichtigung der DM-Eröffnungsbilanz lediglich auf die noch nicht rechtskräftig durchgeführten Einkommensteuerveranlagungen (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. März 1953) oder in Anwendung des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes auch auf bereits rechtskräftig gewordene Veranlagungen auswirkt.
Fundstellen
Haufe-Index 408300 |
BStBl III 1955, 343 |
BFHE 1956, 370 |
BFHE 61, 370 |