Entscheidungsstichwort (Thema)
Mietverhältnis zwischen Angehörigen in den neuen Bundesländern: Fremdvergleich, Anerkennung trotz zivilrechtlicher Unwirksamkeit, Aufhebung eines Wohnungsrechts, Nebenkostenvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Ist 1991 ein Mietverhältnis zwischen Angehörigen wie unter Fremden vereinbart und in der Folgezeit entsprechend durchgeführt, so kann es steuerrechtlich auch dann anzuerkennen sein, wenn ein zuvor vereinbartes unentgeltliches Wohnungsrecht an demselben Objekt nicht entsprechend den zivilrechtlichen Vorschriften der (ehemaligen) DDR aufgehoben worden ist. Voraussetzung ist jedoch, daß die Vertragsparteien das Wohnungsrecht tatsächlich als aufgehoben behandelt haben.
Orientierungssatz
1. Bei der Prüfung, ob ein Mietvertrag zwischen Angehörigen dem unter fremden Dritten Üblichen entspricht, ist zu berücksichtigen, daß es in den neuen Bundesländern zunächst nicht unüblich war, im Hinblick auf ihre geringe Bedeutung keine Vereinbarung über die Nebenkosten zu treffen.
2. Im Streitfall wurde das in 1991 vereinbarte, zivilrechtlich unwirksame, aber ernsthaft gewollte und tatsächlich durchgeführte Mietvertragsverhältnis zwischen Angehörigen in den neuen Bundesländern ausnahmsweise der Besteuerung zugrunde gelegt, da den Steuerpflichtigen nicht entgegengehalten werden konnte, daß sie in einer Phase der vollständigen Rechtsumwälzung ihren beiderseitigen Willen --hier: Aufhebung des Wohnungsrechts--, nicht in der zivilrechtlich zutreffenden Form zum Ausdruck gebracht haben. Zudem war unklar, ob und ggf. in welcher Form das Wohnungsrecht hätte aufgehoben werden müssen.
Normenkette
AO 1977 § 41 Abs. 1, § 42; EStG § 21 Abs. 1; ZGB DDR § 77
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Oktober 1986 übertrug der Vater der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) dieser ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück. In dem notariell geschlossenen "Grundstücksüberlassungsvertrag" gewährte die Klägerin "als Gegenleistung für die Überlassung" des Grundstücks ihrem Vater und dessen Ehefrau --der Stiefmutter der Klägerin-- ein lebenslanges mietfreies Wohnungsrecht. Das Wohnungsrecht wurde nicht im Grundbuch eingetragen.
Nachdem der Vater 1989 verstorben war, schloß die Klägerin mit ihrer Stiefmutter zum 1. Januar 1991 einen (Formular-)Mietvertrag, wonach sie ihr die bisher aufgrund des Wohnungsrechts überlassene Wohnung vermietete. Die Miete --einschließlich der Nebenkosten-- sollte 150 DM monatlich betragen. Eine ausdrückliche Vereinbarung hinsichtlich des Wohnungsrechts wurde nicht getroffen.
Mit Schreiben vom 29. November 1992 teilte die Klägerin ihrer Stiefmutter mit, daß sich die Miete zum 1. Januar 1993 auf 358 DM (einschließlich Pauschale für Nebenkosten in Höhe von 55 DM) monatlich erhöhe. Mit Schreiben vom 25. November 1993 erhöhte die Klägerin die Miete ab Januar 1994 zusätzlich um 170 DM monatlich für Warmwasser- und Heizungskosten. Die Stiefmutter entrichtete jeweils den erhöhten Mietzins.
Im Streitjahr 1993 wandten die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für Erhaltungsmaßnahmen insgesamt 62 410,96 DM auf. Davon entfielen ca. 33 000 DM auf die Neueindeckung des Daches, ca. 10 500 DM auf Elektroarbeiten und 3 500 DM auf Fensterarbeiten.
Das damals zuständige Finanzamt Cottbus-Mitte erkannte das Mietverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Stiefmutter nicht an und berücksichtigte den geltend gemachten Werbungskostenüberschuß in Höhe von 19 510 DM bei der Einkommensteuerveranlagung 1993 nicht. Der zwischenzeitlich zuständige Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ist der Ansicht, das Wohnungsrecht der Stiefmutter sei nicht wirksam aufgehoben worden. Nach Art. 232 § 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch sei für vor dem 3. Oktober 1990 entstehende Schuldverhältnisse das Recht der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) maßgebend. Danach hätte gemäß § 77 des Zivilgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975 (ZGB) die Aufhebung des Wohnungsrechts der gleichen Form wie seine Begründung und damit der notariellen Beurkundung bedurft. Da dies nicht erfolgt sei, bestehe das mietfreie Wohnungsrecht weiter, so daß der Mietvertrag nicht wirksam habe werden können.
Nach vergeblichem Einspruch erhoben die Kläger Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1997, 68).
Das FG ist der Ansicht, der Mietvertrag vom 1. Januar 1991 halte dem sog. Fremdvergleich stand.
Zur Überzeugung des Senats stehe im übrigen fest, daß die Beteiligten des Mietvertrages unausgesprochen von der Beendigung des Wohnungsrechts ausgegangen seien. Nachdem sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht verändert hatten, hätten die Vertragsparteien lediglich die Berechtigung zur Wohnraumnutzung auf eine neue Rechtsgrundlage stellen wollen. Dies habe zwangsläufig die Aufhebung des ursprünglich eingeräumten Wohnungsrechts vorausgesetzt. Dieser Zusammenhang sei den Vertragsparteien auch bewußt gewesen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG gehe zu Unrecht davon aus, daß ein Mietvertrag, der ein lebenslanges mietfreies Wohnungsrecht in ein mit Mietzins belastetes Mietverhältnis umwandle, dem sog. Fremdvergleich standhalte.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Kläger im Streitjahr 1993 Einkünfte gemäß § 21 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt haben.
Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin lt. Vertrag vom 1. Januar 1991 das ihr gehörende Einfamilienhaus an ihre Stiefmutter vermietet. Der Inhalt des Mietvertrags entspricht dem unter fremden Dritten Üblichen. Insbesondere war es in den neuen Bundesländern zunächst nicht unüblich, im Hinblick auf ihre geringe Bedeutung keine Vereinbarungen über die Nebenkosten zu treffen. Die zunächst festgesetzte Miete ist später zweimal erhöht worden. Die Stiefmutter hat die Miete wie vereinbart gezahlt. Auch im übrigen ist der Vertrag wie unter Fremden tatsächlich durchgeführt worden; an die entsprechenden Tatsachenfeststellungen ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Zulässige und begründete Einwendungen gegen diese Feststellungen hat das FA nicht erhoben.
Das 1986 vereinbarte Wohnungsrecht steht der steuerrechtlichen Anerkennung des Mietverhältnisses nicht entgegen. Der Senat läßt offen, ob es zivilrechtlich wirksam begründet wurde und ob ggf. seine Aufhebung hätte notariell beurkundet werden müssen. Auch wenn beides zu bejahen wäre, so hätte dies im Streitfall ausnahmsweise nicht die steuerrechtliche Unwirksamkeit des Mietverhältnisses zur Folge. Den Parteien stand es zunächst frei, das Wohnungsrecht aufzuheben. Nach den Feststellungen des FG sollte das Mietverhältnis auch nach dem übereinstimmenden Willen beider Vertragsparteien an die Stelle des Wohnungsrechts treten. Die Parteien haben zwar nicht ausdrücklich das Wohnungsrecht aufgehoben. Mit dem Abschluß des Mietvertrages wollten sie es aber aufheben und haben sich seitdem auch konsequent so verhalten, als sei es aufgehoben worden. Die Grundlage der Nutzung des Hauses war nach ihrem Willen fortan nicht mehr das Wohnungsrecht, sondern das Mietverhältnis. Der Senat ist auch an diese Feststellungen gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG ist danach ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß die Klägerin im Streitjahr 1993 den Tatbestand des § 21 Abs. 1 EStG verwirklicht hat, und daß daneben nicht auch noch der Tatbestand des § 21 Abs. 2 EStG von der Stiefmutter verwirklicht worden ist. Aus der Entscheidung des Senats in diesem besonderen Fall kann nicht geschlossen werden, daß darüber hinaus in anderen Fällen vertraglicher Beziehungen zwischen Angehörigen bei zivilrechtlicher Unwirksamkeit entsprechend § 41 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) das ernsthaft gewollte und tatsächlich durchgeführte Vertragsverhältnis der Besteuerung zugrunde gelegt wird. Der Senat hält es aber im Streitfall für geboten, weil den Steuerpflichtigen nicht entgegengehalten werden kann, daß sie in einer Phase der vollständigen Rechtsumwälzung ihren beiderseitigen Willen, das Wohnungsrecht aufzuheben, nicht in der zivilrechtlich zutreffenden Form zum Ausdruck gebracht haben. Hinzu kommt, daß, gemessen an den Ausführungen des FG dazu, unklar war, ob und ggf. in welcher Form das Wohnungsrecht im Streitfall hätte aufgehoben werden müssen.
Der Senat vermag dem FA nicht zu folgen, wenn es geltend macht, das Mietverhältnis sei nur zur Steuerersparnis vereinbart worden. Damit wird im Ergebnis eine rechtsmißbräuchliche Gestaltung gerügt (§ 42 AO 1977). Aus den Feststellungen des FG, die das FA im einzelnen nicht angegriffen hat (§ 118 Abs. 2 FGO), ergibt sich jedoch, daß allgemein umfangreiche Reparaturarbeiten vor allem den Mietern zugute kamen, und daß diese schon deshalb häufig bereit gewesen seien, sich durch erhöhte Mietzahlungen zu beteiligen. Gegen diese tatsächliche Würdigung hat der Senat keine Bedenken, sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Selbst bei einem dinglichen Wohnungsrecht war die Klägerin nicht zu außergewöhnlichen Unterhaltungsmaßnahmen, z.B. Neueindeckung des Daches, verpflichtet (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 1990 V ZR 36/89, BGHZ 113, 179; § 1041 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- gilt auch für das Wohnungsrecht: § 1093 BGB). Wenn sie sie gleichwohl durchführte, war es --anders als im Fall des BFH-Urteils vom 25. Juli 1995 IX R 66/93 (BFH/NV 1996, 123)-- durchaus sachlich (außersteuerlich) gerechtfertigt, wenn sich die Bewohnerin (Stiefmutter) durch Mietzahlungen daran beteiligte.
Fundstellen
Haufe-Index 66842 |
BFH/NV 1998, 525 |
BFH/NV 1998, 525-526 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 108 |
BFHE 184, 470 |
BFHE 1998, 470 |
BB 1998, 414 |
BB 1998, 931 |
DB 1998, 501 |
DStR 1998, 286 |
DStRE 1998, 168 |
DStRE 1998, 168 (Leitsatz) |
HFR 1998, 283 |
StE 1998, 100 |