Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird während des Laufes des Rechtsmittelverfahrens gegen die Ablehnung einer Stundung die zu stundende Abgabeschuld freiwillig gezahlt oder beigetrieben, so ist dadurch der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt.
Normenkette
AO §§ 127, 237, 230
Tatbestand
Die Bfin., eine schweizerische Staatsangehörige, erbte im Jahre 1950 als Nacherbin einen Anteil von 25 % eines Grundstückes. Mit Hypothekengewinnabgabe (HGA) - Bescheid vom 22. Februar 1956 wurde die auf dem Grundstück ruhende HGA unanfechtbar festgesetzt.
Mit Verfügung vom 27. August 1957 stundete das Finanzamt die fällig werdenden HGA-Leistungen soweit sie ein Viertel der Gesamtleistung nicht überstiegen, bis zu der von der Bfin. einzuholenden Entscheidung des Bundesministers der Finanzen, ob HGA-Leistungen auch gestundet werden können, wenn der Grundeigentümer erst nach dem Währungsstichtage durch Erbfall das Grundstück erworben hat, längstens aber bis zum 30. November 1957. Die Stundung war unter anderem auch dadurch bedingt, daß sich die Bfin. verpflichtete, ihren HGA-Anteil bis zum 30. September 1960 abzulösen, falls ihre Verpflichtung zur Leistung der HGA zu einem Viertel nicht wegen ihrer schweizerischen Staatsangehörigkeit entfällt. Mit der gleichen Verfügung erklärte sich das Finanzamt mit der von der Bfin. begehrten Pfandhaftentlassung einverstanden, sofern die Bfin. für ein Viertel der Abgabeschuld die persönliche Abgabeverpflichtung übernimmt und zusätzlich Sicherheit geleistet wird.
Nachdem die beauftragte Stelle mit Schreiben vom 11. November 1959 den bis zum 30. Oktober 1959 aufgelaufenen Rückstand an HGA-Leistungen anmahnte, beantragte die Bfin. mit Schreiben vom 23. November 1959, die mit Verfügung vom 27. August 1957 ausgesprochene Stundung bis zum 30. September 1960 zu verlängern. Dieser Antrag wurde mit der den Gegenstand des Rechtsstreites bildenden Verfügung des Finanzamts vom 26. November 1959 abgelehnt.
Beschwerde und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht erklärte die Hauptsache für erledigt, weil sich das Finanzamt aus der im Zusammenhang mit der Pfandhaftentlassung geleisteten Bankbürgschaft befriedigt hatte und der Ablösungsbescheid vom 11. Januar 1961 unanfechtbar geworden war. Im übrigen war das Finanzgericht der Auffassung, daß die Verwaltung bei Ablehnung der Stundung nicht ermessenswidrig gehandelt habe.
In der Rb. bestreitet die Bfin., daß die Hauptsache erledigt sei. Das Stundungsverfahren sei seit langem im Gange. Durch Beitreibungsmaßnahmen könne einem rechtzeitig gestellten Stundungsantrage nicht die Grundlage entzogen werden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zu Unrecht ist die Vorinstanz der Auffassung, daß der Rechtsstreit aus dem Grunde in der Hauptsache erledigt ist, weil infolge der Ablösung und Zahlung der HGA-Schuld eine Stundung nicht mehr in Betracht kommt, da nichts mehr zu stunden sei. Die Frage, ob die Hauptsache erledigt ist, ist in § 94 Abs. 2 AO für den Fall ausgesprochen, daß dem Rechtsmittelantrage des Steuerpflichtigen in vollem Umfange entsprochen wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs ist ein Rechtsstreit in der Hauptsache auch dann erledigt, wenn, wie z. B. bei Arresten, die angefochtene Arrestanordnung während des Rechtsmittelverfahrens aufgehoben wird (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs I A 421/28 vom 5. Februar 1929, Steuer und Wirtschaft 1929 Rechtsspruch 333; Urteil des Bundesfinanzhofs IV 27/52 U vom 17. April 1952, BStBl 1952 III S. 152, Slg. Bd. 56 S. 389). Für den Fall der Aussetzung der Vollziehung (ß 251 AO) hat der Bundesfinanzhof eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache dann verneint, wenn während des Laufes des Rechtsmittelverfahrens gegen die Ablehnung der Aussetzung beigetrieben oder durch den Steuerpflichtigen zur Vermeidung der Beitreibung freiwillig bezahlt wird (Urteil IV 382/60 U vom 25. Januar 1962, BStBl 1962 III S. 319). Im Streitfalle handelt es sich um die Ablehnung einer Stundung (ß 127 AO). Zwar bestehen zwischen der Aussetzung der Vollziehung (ß 251 AO) und zwischen der Stundung (ß 127 AO) gewisse Unterschiede (Urteil des Bundesfinanzhofs II 126/55 U vom 5. September 1955, BStBl 1955 III S. 355, Slg. Bd. 61 S. 406). Da sie aber andererseits in ihren Wirkungen ähnlich sind (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 382/60 U a. a. O.), trägt der Senat keine Bedenken, die vom IV. Senat entwickelten Grundsätze über die Erledigung der Hauptsache bei Ablehnung eines Antrages auf Aussetzung der Vollziehung auch für Stundungen anzuwenden. Wollte man mit dem Finanzgericht annehmen, daß die Hauptsache infolge der Zahlung durch den Bürgen ihre Erledigung gefunden habe, so würde dies gerade in den Fällen, in denen ein Stundungsantrag ermessenswidrig abgelehnt worden ist, den durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewährten Rechtsschutz wertlos machen. Denn es könnte in diesen Fällen die Ermessenswidrigkeit der Ablehnung durch die Steuergerichte nicht mehr als Hauptsache festgestellt und die Verwaltung infolge der Bindung an die Entscheidung nicht mehr zu einer dem Steuerpflichtigen günstigen Entscheidung veranlaßt werden. Soweit in dem Beschluß II 171/52 U vom 17. Februar 1954, BStBl 1954 III S. 131, Slg. Bd. 58 S. 580, und in dem Urteil II 58/59 U vom 26. April 1961, BStBl 1961 III S. 294, Slg. Bd. 73 S. 73, eine andere Auffassung vertreten werden sollte, kann ihr der Senat nicht folgen. Zu Unrecht hat deshalb die Vorinstanz die Erledigung der Hauptsache angenommen. Ihre Entscheidung war daher insoweit aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 410788 |
BStBl III 1963, 332 |
BFHE 1964, 43 |
BFHE 77, 43 |