Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Dienstaufsichtsbeschwerde gehört zu den zum Bereich des Art. 17 GG gehörenden Rechtsbehelfen.
Wird ein Bescheid gleichzeitig mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln und einer Dienstaufsichtsbeschwerde angefochten, so ist gegen die Dienstaufsichtsentscheidung der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht eröffnet.
Normenkette
AO § 46; GG Art. 17, 19 Abs. 4
Tatbestand
Der Bgin. war ein Zolleigenveredelungsverkehr genehmigt worden. Im Rahmen dieses Zolleigenveredelungsverkehrs wurde durch den Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 30. September 1955 gestattet, die Abfertigung zur Wiederausfuhr der veredelten Waren durch die Binnenzollstelle vornehmen zu lassen.
Für die im Rahmen des Eigenveredelungsverkehrs ausgeführten Waren beantragte die Bfin. Ausfuhrvergütung. Das Finanzamt versagte Ausfuhrvergütung insoweit, als die für Abhollieferungen gesetzlich vorgeschriebenen Ausfuhrnachweise in Form von Bestätigungen durch die Grenzzollstellen fehlten. Gegen die ablehnenden Bescheide legte die Bfin. Einspruch und anschließend Berufung ein. Die Verfahren sind rechtskräftig zugunsten der Bfin. abgeschlossen.
Am 23. Februar 1956 richtete die Wirtschaftsvereinigung X, deren Mitglied die Bfin. ist, eine Eingabe an die Oberfinanzdirektion mit dem Antrag, bei Ausfuhrlieferungen der veredelten Waren den Ausfuhrnachweis in Abholfällen durch eine Bestätigung der Binnenzollstelle anzuerkennen, wie es für den Eigenveredelungsverkehr geregelt sei. Der Bundesminister der Finanzen, dem die Oberfinanzdirektion die Eingabe vorgelegt hatte, lehnte den Antrag ab. Streitig ist, ob das als Klage nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) bezeichnete Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Bundesministers der Finanzen vom 20. Februar 1957 zulässig ist.
Das Finanzgericht behandelte die Klage als Berufung und verwarf diese wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig.
Mit der Rb. rügt die Bfin. die Unzuständigkeit der Oberfinanzdirektion bzw. des Bundesministers der Finanzen. Gegen den ablehnenden Bescheid des Finanzamts sei nicht die Oberfinanzdirektion angerufen worden. Diese hätte vielmehr die Sache zuständigkeitshalber an das Finanzamt zur Entscheidung im Einspruchsverfahren abgeben müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. hat keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hat am 22. Februar 1956 bei der Oberfinanzdirektion eine Vorsprache des Geschäftsführers der Wirtschaftsvereinigung und einer Vertreterin der Bfin. stattgefunden. Gegenstand dieser Unterredung ist die Anerkennung des Ausfuhrnachweises durch Bestätigung der Binnenzollstelle gewesen. Auf Grund dieser Unterredung hat die Wirtschaftsvereinigung am 23. Februar 1956 über die Oberfinanzdirektion eine Eingabe an das Bundesfinanzministerium gerichtet mit der Bitte, den Ausfuhrnachweis für das Vergütungsverfahren ähnlich wie für die Ausfuhrabfertigung im Eigenveredelungsverkehr zu regeln.
Die Bfin. hat demnach sowohl von dem zugelassenen Rechtsmittel des Einspruchs Gebrauch gemacht und anschließend den Rechtsweg beschritten. Sie hat darüber hinaus auch noch einen anderen Weg eingeschlagen, nämlich den der nicht förmlichen Gegenvorstellung (Dienstaufsichtsbeschwerde) nach § 46 Abs. 2 AO. Zur Entscheidung über die Eingabe der Wirtschaftsvereinigung, die das Finanzgericht mit Recht als Bevollmächtigte der Bfin. angesehen hat, ist sachlich der Bundesminister der Finanzen zuständig gewesen. Dies ergibt sich schon allein daraus, daß von diesem der Erlaß vom 30. September 1955 stammt, den die Bfin. auch auf das Vergütungsverfahren angewendet wissen wollte. Im übrigen hat die Wirtschaftsvereinigung ausdrücklich darum gebeten, daß der Bundesminister der Finanzen über ihre Eingabe vom 23. Februar 1956 entscheide. Die Rüge der Unzuständigkeit der Oberfinanzdirektion bzw. des Bundesministers der Finanzen geht deshalb fehl. Im Hinblick auf die Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen und den von der Wirtschaftsvereinigung ausdrücklich geäußerten Wunsch nach einer Entscheidung durch den Bundesminister der Finanzen hätte die Oberfinanzdirektion die Eingabe der Wirtschaftsvereinigung nicht an das zur Entscheidung im Einspruchsverfahren zuständige Finanzamt weitergeben dürfen.
Hat demnach der Bundesminister der Finanzen im Wege der Dienstaufsicht entschieden, so ist gegen eine solche Entscheidung der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG im Streitfall nicht eröffnet. Das ergibt sich schon daraus, daß die Dienstaufsichtsbeschwerde einer der Rechtsbehelfe ist, die zum Bereich des durch Art. 17 GG geschützten Grundrechts gehören. Art. 17 GG setzt jedoch neben die förmlichen Verwaltungsverfahrensrechte, die nach Art. 19 Abs. 4 GG immer in Gerichtsschutz münden müssen, einen weiteren Rechtsbehelf, der ergänzend eingreift, und zwar auch dann, wenn das förmliche Rechtsmittel überhaupt nicht oder nicht mehr möglich ist (vgl. Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 17, Randnr. 19). Es kann nun nicht der Sinn der Regelung sein, daß in den Fällen, in denen der Rechtsweg nach den in Betracht kommenden Verfahrensvorschriften gegen einen Verwaltungsakt eröffnet worden ist, gegen denselben Verwaltungsakt ein weiterer zusätzlicher Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG gegeben sein soll, wenn der Verwaltungsakt im Wege der Dienstaufsicht angegriffen worden ist. Es fehlt insofern, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dies zeigt sich gerade in den Fällen, in denen das gesetzliche Rechtsmittel nicht eingelegt oder über ein eingelegtes Rechtsmittel bereits rechtskräftig entschieden ist. Ist über ein eingelegtes Rechtsmittel noch nicht entschieden, so würde durch die Zulassung des Rechtswegs nach Art. 19 Abs. 4 GG gegen die in derselben Sache ergangene Dienstaufsichtsentscheidung dieselbe Sache erneut gerichtshängig werden. Dies widerspräche aber allgemein geltenden prozeßrechtlichen Grundsätzen.
Fundstellen
Haufe-Index 411617 |
BStBl III 1965, 384 |
BFHE 1965, 377 |
BFHE 82, 377 |