Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung im Urteil V 290/61 U vom 23. Juli 1964 (BFH 80, 172, BStBl III 1964, 536) fest. Wenn ein Unternehmer Aktiven und Passiven in eine Kapitalgesellschaft einbringt, besteht das Entgelt in den ihm gewährten Gesellschaftsanteilen und in der Übernahme der Schulden. Mangels anderer Aufteilungsmaßstäbe ist das Entgelt nach dem Verhältnis der gemäß § 4 Nr. 9 UStG 1951 umsatzsteuerfreien zu den umsatzsteuerpflichtigen übrigen Leistungen aufzuteilen.
Normenkette
UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 4 Nr. 9; UStDB 1951 § 85
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (AG) übernahm auf Grund des Verschmelzungsvertrags vom Juli 1958 das Vermögen der T-GmbH (GmbH) mit allen Rechten und Pflichten - unter Ausschluß der Liquidation - zu den Buchwerten der von der GmbH erstellten Handelsbilanz per 30. April 1958. Sie gewährte den Gesellschaftern der durch Verschmelzung aufgenommenen GmbH aus einer Kapitalerhöhung stammende junge Aktien von 144 100 DM, glich nicht umstellbare Spitzenbeträge durch Zahlung von 5 900 DM aus und verpflichtete sich, die Schulden der GmbH lt. Bilanz zum 30. April 1958 in Höhe von 386 467 DM zu tilgen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) ging bei der Berechnung der Umsatzsteuer 1958 der GmbH von einem Gesamtentgelt für die übertragenen Vermögensgegenstände von 536 467 DM aus. Er ließ den Erwerb der Gesellschaftsrechte an der AG nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 in Verbindung mit § 2 Nr. 1 KVStG steuerfrei (26,86 v. H.), schied die Umsätze von Geldforderungen und Grundstücken aus, ermittelte das nicht unter Befreiungsvorschriften fallende Entgelt auf 329 653 DM und unterwarf neben erklärten unstreitigen Umsätzen einen Anteil von 73,14 v. H. = 241 108 DM gemäß § 85 UStDB 1951 mit 1 v. H. der Umsatzsteuer. Der Bescheid vom 11. Dezember 1963 ist gerichtet an die AG als Rechtsnachfolgerin der GmbH, die am 20. November 1958 mit der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister erloschen war.
Die Sprungklage der AG, mit der sie im wesentlichen geltend machte, nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung sei die Verschmelzung als ein einheitlicher gesellschaftsteuerpflichtiger und daher nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 von der Umsatzsteuer befreiter Vorgang anzusehen, hatte keinen Erfolg.
Mit der Revision beantragt die AG, die Umsatzsteuer 1958 um 2 411,08 DM herabzusetzen. Sie rügt die Verletzung von Bundesrecht und erhebt Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit des § 85 Abs. 3 Satz 3 UStDB 1951. Dazu trägt sie inhaltlich vor: Nach dem im Umsatzsteuerrecht geltenden Grundsatz der Unteilbarkeit einer Leistung dürfe die Verschmelzung, die zu einer Gesamtrechtsnachfolge geführt habe, nicht in einzelne Teile zerlegt werden. Vielmehr unterliege der Gesamtvorgang der Verschmelzung, bei der Vermögen und Schulden kraft Gesetzes gegen Erwerb von Gesellschaftsrechten übergehen, gemäß § 2 Nr. 1 KVStG der Gesellschaftsteuer, so daß nach dem klaren Wortlaut des § 4 Nr. 9 UStG 1951 die Erhebung von Umsatzsteuer ausgeschlossen sei. Dies ergebe sich als Wille des Gesetzgebers auch aus der insoweit unveränderten Fassung des § 4 Nr. 9a UStG 1967. Aus § 5 Abs. 1 Satz 1 UStG 1951 folge ebenfalls, daß als Entgelt lediglich der Wert der jungen Aktien in Betracht komme, weil die liefernde GmbH bzw. deren Gesellschafter nur diese erhalten hätten. Im übrigen sei - trotz Löschung im Handelsregister - von dem wirtschaftlichen Fortbestand des einbringenden Unternehmens auszugehen, das die Schulden aus den übertragenen Besitzposten tilge, im Ergebnis also nur Reinvermögen als Sacheinlage einbringe, so daß nach der Ansicht der Rechtsprechung und Verwaltung Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 in vollem Umfang zu gewähren sei, weil dann nur Besitzposten gegen Erwerb junger Aktien übertragen worden seien. Außerdem beständen Bedenken, ob § 85 Abs. 3 Satz 3 UStDB 1951 rechtsgültig sei, der die vom Erwerber übernommenen Schulden bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für nicht abzugsfähig erkläre und damit die §§ 5 Abs. 1 UStG 1951, 10 UStDB 1951 unzulässigerweise erweitere. Dies werde durch die dem Verordnungsgeber erteilte Ermächtigung nicht gedeckt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die von der AG als Rechtsnachfolgerin der GmbH eingelegte Revision ist unbegründet.
Nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 sind die Umsätze, d. h. im Inland gegen Entgelt ausgeführte Lieferungen und sonstige Leistungen, die unter das KVStG Teil I (Gesellschaftsteuer) fallen, steuerfrei. Der Gesellschaftsteuer unterliegt gemäß § 2 Nr. 1 KVStG der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber. Die Vorinstanz hat entsprechend dem übereinstimmenden Vorbringen der Verfahrensbeteiligten festgestellt, daß die GmbH zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Verschmelzungsvertrag vom Juli 1958 ihr gesamtes Umlauf- und Anlagevermögen der AG übertragen, dieses also, soweit es sich nicht um Forderungen handelte, der AG im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG 1951 geliefert hat. Für die Lieferung der Aktivposten gewährte die übernehmende AG den Gesellschaftern der GmbH vereinbarungsgemäß 1441 Stück neuer Stammaktien zum Nennwert von je 100 DM und glich einen Spitzenbetrag durch Barzahlung aus. Ferner übernahm sie die in der Bilanz der GmbH zum 30. April 1958 ausgewiesenen Verbindlichkeiten von 386 467 DM. Bei dieser Sachlage konnte das FG ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis kommen, daß der wirtschaftliche Vorgang anläßlich der Verschmelzung nicht in seiner Gesamtheit unter das KVStG Teil I (Gesellschaftsteuer) fällt und damit auch nicht in vollem Umfang nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 als steuerfrei zu behandeln ist. Diese Beurteilung verletzt nicht, wie die AG meint, den im Umsatzsteuerrecht geltenden Grundsatz der Unteilbarkeit einer Leistung.
Nach den Ausführungen im Urteil des BFH V 290/61 vom 23. Juli 1964 (BFH 80, 172, BStBl III 1964, 536), auf die sich die Vorinstanz im wesentlichen stützt und an denen der Senat festhält, besteht das Entgelt bei der Einbringung von Aktiven und Passiven in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten einmal in der Übertragung von Gesellschaftsanteilen, zum anderen in der Übernahme der Schulden des Einbringenden. Der Lieferung der Warenvorräte und der zum Anlagevermögen gehörenden Gegenstände als Sacheinlage der GmbH steht im gegebenen Fall die für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung maßgebende Gegenleistung der AG gegenüber, die sowohl in der Gewährung von Aktien als auch in der Übernahme der Verbindlichkeiten besteht. Die handelsrechtlich als einheitliches Ganzes zu betrachtende Verschmelzung löste also, soweit die Gegenleistung der AG in Betracht kommt, nach dem Vertrag vom Juli 1958 zwei verschiedenartige Entgeltbestandteile aus, die umsatzsteuerrechtlich gesondert zu beurteilen sind.
Abweichend vom UStG knüpft nämlich die Gesellschaftsteuer nicht an die Sacheinlage im Rahmen der Verschmelzung als Wertübertragung (Lieferung) an, sondern an den Erwerb von Gesellschaftsrechten als Gegenwert. Es kann also nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 nur der Teil der Vermögensübertragung von der Umsatzsteuer befreit sein, dem ein gesellschaftsteuerbares Entgelt entspricht (BFH-Urteil V R 94/67 vom 5. November 1970, BFH 100, 478). Der unter das KVStG Teil I (Gesellschaftsteuer) fallende Umsatz ist demzufolge auf den Erwerb von Gesellschaftsrechten beschränkt. Der andere der GmbH zuzurechnende Entgeltanteil ist die Schuldübernahme. Die AG hat ihr Vermögen mit den übernommenen Passivposten belastet und der GmbH als Erstschuldner durch Befreiung von der Schuld einen Vermögenswert zugewendet, der eine Entgeltsentrichtung darstellt. Diese Folgerung ergibt sich entgegen der Meinung der AG auch aus § 5 Abs. 1 UStG 1951 in Verbindung mit § 10 UStDB 1951. Die AG als Empfänger der von der GmbH gelieferten Gegenstände des Umlauf- und Anlagevermögens hat nicht nur die Aktien und einen Spitzenausgleich gewährt, sondern auch die am 30. April 1958 bestehenden Verbindlichkeiten mit schuldbefreiender Wirkung übernommen. Sie mußte also, wie FA und FG zutreffend angenommen haben, insgesamt 536 467 DM aufwenden, um die Lieferung der Vermögenswerte zu erhalten (§ 10 Satz 1 UStDB 1951).
Bei dieser Rechtslage sind die Bedenken der AG gegen die Rechtsgültigkeit des § 85 Abs. 3 Satz 3 UStDB 1951 nicht begründet. Durch das Verbot des Abzugs übernommener Schulden von der Besteuerungsgrundlage werden §§ 5 Abs. 1 UStG 1951, 10 UStDB 1951 nicht erweitert. Vielmehr wird der in diesen Vorschriften enthaltene Rechtsgedanke für die Entgeltbemessung bei Geschäftsveräußerungen, ohne eine abweichende Regelung einzuführen, lediglich ausdrücklich klargestellt.
Mit Recht weist die AG darauf hin, daß weder § 4 Nr. 9 UStG 1951 noch § 4 Nr. 9a UStG 1967 die Steuerfreiheit beschränken auf Umsätze, "soweit" sie unter Teil I des KVStG fallen. Sie verkennt jedoch, daß es für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 in Verbindung mit § 2 Nr. 1 KVStG - wie oben ausgeführt - nicht auf die mit der Verschmelzung verbundene Einbringung (Einlage, Lieferung) von Vermögenswerten ankommt, sondern daß dafür allein maßgebend ist der Erwerb von Gesellschaftsrechten. Der Verschmelzungsvorgang zwischen der GmbH und der AG, der den Erwerb von Gesellschaftsrechten ausgelöst hat, fällt in diesem Umfang unter die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 9 UStG 1951. Der weitere in der Übertragung des Vermögens gegen Übernahme von Schulden bestehende Umsatz unterliegt den allgemeinen umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften (§ 1 Nr. 1 UStG 1951, § 85 UStDB 1951), da die Übernahme der Verbindlichkeiten durch die AG zum Entgelt für die von der GmbH eingebrachten (gelieferten) Aktivwerte gehört.
Das Vorbringen der AG, die im Wege der Verschmelzung einbringende GmbH müsse als fortbestehendes Unternehmen angesehen werden, das aus den übertragenen Besitzposten seine am 30. April 1958 bestehenden Schulden tilge, greift nicht durch. Bei der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Vorgängen kommt es allein auf die tatsächlich und wirtschaftlich gegebenen Verhältnisse an. In dieser Beziehung hat die Vorinstanz festgestellt, daß die GmbH nach der Verschmelzung erloschen ist, also nicht fortbestand und demzufolge weder über eigene Besitzposten verfügte noch eigene Schulden hatte, die sie aus ihr zustehenden Vermögenswerten tilgen konnte. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise kann nicht dazu führen, bewußt gewählte und eindeutig getroffene Vereinbarungen, die in tatsächlicher Beziehung entsprechend gestaltet worden sind, in eine völlig andere Gestaltung mit abweichenden bürgerlich- bzw. handelsrechtlichen Wirkungen umzudeuten.
Da die AG gegen die Höhe der vom FA berechneten und von der Vorinstanz als richtig bestätigten Besteuerungsgrundlagen keine Einwendungen erhoben hat, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1971, 657 |
BFHE 1971, 419 |