Leitsatz (amtlich)
Steuersäumniszuschläge sind keine bevorrechtigten Konkursforderungen.
Normenkette
KO § 61 Abs. 1 Nr. 2; AO 1977 § 251 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der A-GmbH. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) meldete Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 472 DM sowie rückständige Lohn- und Kirchenlohnsteuer jeweils mit Vorrecht nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 der Konkursordnung (KO) zur Konkurstabelle der A-GmbH an. Der Kläger erkannte die Forderungen an, bestritt aber das Vorrecht der Säumniszuschläge. Daraufhin stellte das FA durch Bescheid vom 20. Oktober 1979 nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) die Säumniszuschläge als bevorrechtigt nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 116 veröffentlichten Urteil die Klage ab und führte zur Begründung aus: Säumniszuschläge seien nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO bevorrechtigte Konkursforderungen. Als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 3 AO 1977) seien die Säumniszuschläge steuerartige Abgaben und damit "öffentliche Abgaben" i. S. des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. September 1973 III R 153, 154/72 (BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17) sei durch Einführung des § 3 Abs. 3 AO 1977 überholt.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO. Er beantragt, die Vorentscheidung und den Bescheid des FA vom 20. Oktober 1979 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur ersatzlosen Aufhebung der Vorentscheidung und des Bescheids des FA vom 20. Oktober 1979 in Gestalt der Einspruchsentscheidung, weil Säumniszuschläge keine bevorrechtigten Konkursforderungen sind.
Ob eine Abgabe im Konkurs bevorrechtigt ist, entscheidet sich allein nach § 61 KO, da die AO 1977 hierüber keine Vorschriften enthält (vgl. Koch, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A -- DStZ/A -- 1961, 194; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 251 Anm. 2 e). Nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO nehmen "die Forderungen der Reichskasse, der Staatskassen und der Gemeinden ... wegen öffentlicher Abgaben" bevorrechtigt am Konkursverfahren teil. "Öffentliche Abgaben" sind Steuern und steuerartige (steuerähnliche) Abgaben einschließlich der Zölle; Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben fallen nicht darunter (übereinstimmende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum; vgl. Urteile des Reichsgerichts -- RG -- vom 23. Oktober 1913 VI 456/13, RGZ 83, 206; vom 9. Januar 1931 VII 165/30, RGZ 131, 137, und vom 11. Januar 1938 VII 161/37, RGZ 156, 366; Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 1. Oktober 1953 III ZR 351/52, BGHZ 10, 312; Jaeger, Konkursordnung, 8. Aufl., § 61 Anm. 20; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 3 AO 1977 Tz. 5).
Nach Inkrafttreten der KO vom 10. Februar 1877 (RGBl 1877, 351) hat die Zivilrechtsprechung den Begriff "öffentliche Abgaben" in § 61 KO einschränkend ausgelegt. Sie führte zunächst aus, dieser Begriff solle "vielleicht nur Steuern, jedenfalls aber Gebühren nicht bezeichnen" (RG-Urteil vom 15. Oktober 1891 VI 143/91, RGZ 28, 86). In weiteren Entscheidungen hat das RG die "öffentlichen Abgaben" nicht auf die "eigentlichen Steuern im finanztechnischen Sinn" beschränkt, da nach seiner Auffassung von der Vorschrift des (damaligen) § 61 Nr. 2 KO "alle, nicht bloß dem Namen, sondern dem Wesen nach steuerartigen öffentlichen Abgaben umfaßt werden sollten" (vgl. RGZ 83, 206). Seit dem Urteil in RGZ 131, 137 geht die zivilrechtliche Rechtsprechung von der Wesensgleichheit der Steuern und der steuerartigen Abgaben aus. Für Steuern und für steuerartige Abgaben sieht sie als entscheidendes gemeinsames Merkmal an, daß diese von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen auferlegten Geldbeträge keine genaue Beziehung zu bestimmten Vorteilen des Leistungspflichtigen enthalten. Dadurch wurden einerseits Gebühren und Beiträge bestimmungsmäßig aus dem Steuerbegriff ausgeschieden (Knies, Steuerzweck und Steuerbegriff, S. 66; Becker, Die Reichsabgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 1 A, Abs. 1 I 2). Aufgrund der vorstehenden Definition fallen andererseits nicht nur diejenigen öffentlichen Abgaben unter das Konkursvorrecht des § 61 KO, die ausdrücklich als Steuern bezeichnet oder rechtstechnisch als Steuern ausgestaltet sind, sondern darüber hinaus auch solche öffentlichen Abgaben, die durch ihren materiellen Regelungsinhalt einen Akt der Besteuerung darstellen und deshalb als steuerartige Abgaben bezeichnet werden.
Ob steuerartige Abgaben i. S. des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO vorliegen, richtet sich ferner danach, ob die wesentlichen Merkmale einer Steuer nach § 3 Abs. 1 AO 1977 erfüllt sind (vgl. BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17), da sich die steuerartigen Abgaben nach ihrem materiellen Regelungsinhalt nicht von den Steuern unterscheiden. Ein auf § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO übergreifendes Merkmal der Steuern ist es, daß sie nach § 3 Abs. 1 AO 1977 zumindest mit ihrem Nebenzweck der Erzielung von Einnahmen dienen müssen. Diese Zweckbestimmung grenzt Steuern und steuerartige Abgaben von allen außersteuerlichen Geldleistungspflichten -- insbesondere den Ungehorsamsfolgen -- ab, sofern derartige Geldleistungspflichten nicht schon wegen ihrer Eigenschaft als Gegenleistung für eine besondere Leistung Gebühren oder Beiträge betreffen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 4. Februar 1958 2 BvL 31, 33/56, BVerfGE 7, 244, 251; Knies, a. a. O., S. 60 bis 72; Tipke/Kruse, a. a. O., § 3 AO 1977 Tz. 9).
Säumniszuschläge sind entgegen der von Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 251 AO 1977 Tz. 69) vertretenen Ansicht keine steuerartigen Abgaben i. S. des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO. Sie erfüllen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AO 1977 nicht. Denn sie dienen weder nach ihrem Hauptzweck noch nach ihrem Nebenzweck der Erzielung von Einnahmen durch die öffentliche Hand. Sie sind vielmehr ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll (BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17; Urteil des Bayerischen Oberlandesgerichts -- OLG -- München vom 4. Juni 1970 1 U 825/69, Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen -- KTS -- 1971, 52; Schwarz, a. a. O., § 3 AO 1977 Tz. 63). Daß auch im Gesetzgebungsverfahren zur AO 1977 die Festsetzung von Säumniszuschlägen nicht als Maßnahme zur Erzielung von Einnahmen angesehen wurde, ergibt sich aus der Stellungnahme des Bundesrates zur AO 1977 (BT-Drucks. VI/1982, Anlage 2, Stellungnahme des Bundesrates, Ziff. 3). Danach dienen die Säumniszuschläge der Abgeltung von Verwaltungsaufwendungen, die aufgrund nicht fristgerechter Zahlung fälliger Steuern entstehen. Das Aufkommen der Säumniszuschläge fließt deshalb im Gegensatz zum Steueraufkommen den die Säumniszuschläge verwaltenden Körperschaften zu (vgl. § 3 Abs. 4 AO 1977).
Es kann nicht der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung gefolgt werden, Säumniszuschläge seien deshalb steuerartige Abgaben, weil sie seit Inkrafttreten der AO 1977 zu den steuerlichen Nebenleistungen gehören (§ 3 Abs. 3 AO 1977) und als solche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO 1977) darstellen (so aber Böhle-Stamschräder/Kilger, Konkursordnung, Kommentar, 13. Aufl., Anm. 5 a; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 9. Aufl., § 61 Tz. 54; Geist, Insolvenzen und Steuern, 3. Aufl., Rz. 57; Möllinger, Abgabenordnung -- AO 1977 --, S. 349; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 251 AO 1977 Tz. 60; anderer Ansicht Klein/Orlopp, a. a. O., § 251 Anm. 2 e; Koch, Abgabenordnung -- AO 1977, 2. Aufl., § 3 Rz. 41; Hampel, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern -- ZfZ -- 1979, 360). Durch § 3 Abs. 3 i. V. m. § 1 Abs. 3 AO 1977 wurde lediglich sichergestellt, daß auf die Nebenleistungen und ihre Verwaltung die AO 1977 anwendbar ist (Tipke/Kruse, a. a. O., § 1 AO 1977 Tz. 10). Diese Auslegung entspricht dem Regierungsentwurf einer Abgabenordnung zu § 2 Abs. 3, der später als § 3 Abs. 3 AO 1977 zum Gesetz wurde. Dort wurde die Einführung des Begriffs der steuerlichen Nebenleistungen in der AO 1977 allein mit Zweckmäßigkeitserwägungen begründet (Entwurf einer Abgabenordnung der Bundesregierung, BT-Drucks. VI/1982 zu § 2, mit BT-Drucks. 7/79 erneut als Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP eingebracht). Auf § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO hat diese Regelung in § 3 Abs. 3 AO 1977 keinen Einfluß, weil § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO auf steuerliche Nebenleistungen nicht ausdrücklich Bezug nimmt und mit der in § 3 Abs. 3 AO 1977 erfolgten Einordnung der Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen auch nicht ihre rechtliche Beurteilung als Steuern oder steuerartige Abgaben i. S. des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO verbunden sein sollte.
Schließlich entspricht es der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO, Säumniszuschläge nicht als bevorrechtigte Konkursforderungen anzuerkennen. Jedes Konkursvorrecht bedeutet eine Durchbrechung des Gebots der Gleichbehandlung aller persönlichen Gläubiger. Im Interesse der Gläubiger sind deshalb die Konkursvorrechte zu beschränken (vgl. Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, a. a. O., § 61 Tz. 1; BGH-Urteil vom 29. Mai 1969 III ZR 172/68, BGHZ 52, 155). Das Interesse der Allgemeinheit an der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben gebietet es aber, das Steueraufkommen durch Bevorrechtigung der Steuern und der steuerartigen Abgaben sicherzustellen. Jede Minderung des Steueraufkommens würde die Erfüllung der staatlichen Aufgaben beeinträchtigen und dadurch die Allgemeinheit benachteiligen. Diese Gründe treffen für Säumniszuschläge nicht zu, da mit ihnen nicht staatliche Aufgaben durch Erzielung von Einnahmen finanziert, sondern entstandene Verwaltungsaufwendungen abgegolten werden sollen (vgl. BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17; Urteil des OLG München in KTS 1971, 52).
Säumniszuschläge gehören auch nicht zu den in § 62 KO genannten Nebenansprüchen. Sie sind weder Vertragsstrafen noch Zinsen (vgl. § 1 Abs. 3 AO 1977; Tipke/Kruse, a. a. O., § 240 AO 1977 Tz. 1).
Fundstellen
Haufe-Index 74648 |
BStBl II 1983, 489 |
BFHE 1983, 169 |