Entscheidungsstichwort (Thema)

Kenntlichmachung des Ermessens bei Haftungsinanspruchnahme

 

Leitsatz (NV)

Bei Erlaß eines Haftungsbescheids wegen rückständiger Umsatz- und Lohnsteuer müssen die für die Ermessensausübung bei Inanspruchnahme des Haftungsschuldners maßgebenden Erwägungen spätestens in der Einspruchsentscheidung kenntlich gemacht sein.

 

Normenkette

AO §§ 103, 109, 118 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger war vom 12. März 1975 bis zum 2. Dezember 1975 Geschäftsführer einer GmbH. Neben dem Kläger war der frühere Geschäftsführer als Prokurist für die GmbH tätig.

Das FA hat den Kläger durch Haftungsbescheid vom 11. Januar 1977 in Form der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 1977 nach §§ 109, 103 AO für Steuerschulden der GmbH mit 101 217,69 DM in Haftung genommen. Bei den zugrunde liegenden Steueransprüchen handelte es sich um Lohnsteuer- und Ergänzungsabgabebeträge sowie Umsatzsteuer und um einen Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer.

Auf die Klage, mit der die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt wurde, hat das FG eine Beweisaufnahme durchgeführt, in der der frühere Geschäftsführer und Prokurist der GmbH, D, sowie der Steuerberater als Zeugen vernommen worden sind.

Das FG hat die Haftungssumme auf 81 317,25 DM herabgesetzt und insoweit die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Kläger sei während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH verpflichtet gewesen, die steuerlichen Pflichten der durch ihn repräsentierten GmbH zu erfüllen und insbesondere für ordnungsmäßige Steuerzahlungen zu sorgen. Diese Pflicht habe er schuldhaft verletzt, denn die GmbH habe fällige Steuerzahlungen nicht geleistet und damit Steueransprüche verkürzt. Für das Verschulden reiche nach der für den Streitfall anzuwendenden Haftungsvorschrift der AO (Art. 97 § 11 EGAO 1977) leichte Fahrlässigkeit aus. Diese sehe das Gericht darin, daß der Kläger sich nach seinen Pflichten nicht erkundigt und sich folglich auch nicht darum gekümmert habe.

Den Einwand des Klägers, er sei nur Strohmann des früheren Geschäftsführers und Prokuristen der GmbH, D, gewesen, halte das Gericht nach der Beweisaufnahme für glaubhaft. Dies reiche jedoch nicht aus, den Kläger aus der Haftung zu entlassen, weil es den Gläubigern einer GmbH nicht zuzumuten sei, nach den tatsächlichen - von dem äußeren Anschein abweichenden - Abmachungen und Rechtsverhältnissen zu forschen und der Kläger tatsächlich Geschäftsführeraufgaben übernommen habe.

Auch mit dem Argument, nicht er, sondern der Prokurist D habe die Mittel der GmbH verwaltet, könne der Kläger seine Inanspruchnahme nicht bekämpfen, denn rechtlich sei der Kläger allein verantwortlich gewesen. Er hätte verhindern müssen, daß der Prokurist D unumschränkt schaltete und waltete.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er rügt unrichtige Anwendung der §§ 103, 109, 118 AO. Der Kläger führt aus:

Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß der Prokurist D in der GmbH unumschränkt geschaltet und gewaltet habe, so daß er, der Kläger, die Bezahlung der fälligen Steuern - gegen den Willen des D - nicht habe durchsetzen können. Selbst wenn man davon ausgehe, daß er immerhin seine Überwachungspflicht verletzt habe, so sei ihm allenfalls leichte Fahrlässigkeit anzulasten, wie dies im Urteil des FG auch zum Ausdruck gebracht sei. Es hätte dann aber in Anwendung des Urteils des BFH vom 13. April 1978 V R 109/75 (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508) geprüft werden müssen, ob seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner ermessenskonform gewesen sei. Daran fehle es, weshalb mindestens ein Verstoß gegen § 118 AO gegeben sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

1. Die Entscheidung darüber, ob der Kläger als Geschäftsführer der GmbH bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 109, 103 AO gemäß § 118 AO als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen sei, ist eine Ermessensentscheidung (BFH-Urteile vom 1. Juni 1965 VII 228/63 U, BFHE 82, 689, BStBl III 1965, 495, und vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Diese Ermessensentscheidung ist nach § 102 FGO darauf zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

Eine solche von Amts wegen durchzuführende Überprüfung setzt indessen voraus, daß die Ermessensentscheidung des FA von diesem erkennbar durchgeführt worden ist. Das FA muß folglich seine Ermessenserwägungen spätestens in der Einspruchsentscheidung kundtun, damit sie von dem FG überprüft werden können (vgl. BFH-Urteil vom 18. September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801; Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO/FGO, 8. Aufl., § 191 AO 1977 Anm. 62, 90, 110, 111; Tipke/Kruse, AO/FGO, 11. Aufl., § 191 AO 1977 Tz. 15).

2. Im Streitfall sind der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung, die in dem finanzgerichtlichen Urteil in Bezug genommen sind, in der Frage sachgerechter Ermessensausübung der revisionsrichterlichen Würdigung zugänglich (vgl. Ziemer/Birkholz, FGO, 3. Aufl., Rdnr. 11 zu § 118; BFH-Urteil vom 14. September 1967 V 108/63, BFHE 90, 193, BStBl II 1968, 193). Diese Würdigung ergibt, daß im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung keine Erwägungen zur Ausübung des Ermessens enthalten sind, was bereits für sich allein den Ausführungen in den unter Ziffer 1 genannten Urteilen des BFH zuwiderläuft, zumal nach den finanzgerichtlichen und revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) neben dem Kläger der Prokurist D für die GmbH vertretungsberechtigt war und auch als Vertreter aufgetreten ist. Bei dieser Sachlage wären im Hinblick auf § 108 AO (Haftung des Bevollmächtigten) mindestens Erwägungen hinsichtlich der Auswahl des Klägers als Haftungsschuldner unabdingbar gewesen.

Dies gilt um so mehr, als der Kläger nur vom 12. März 1975 bis 2. Dezember 1975, also etwas über acht Monate als Geschäftsführer bestellt gewesen war und als solcher - was jedenfalls ungewöhnlich ist - kein Gehalt bezogen hat, sondern, wie vor der Übernahme der Geschäftsführung, lediglich Lohnbezüge als Heizungsmonteur erhalten hat. Das FG hat es aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme sogar für glaubhaft erachtet, daß der Kläger nur der Strohmann des Prokuristen D gewesen ist. Bei dieser Sachlage, von der der erkennende Senat auszugehen hat, hätte auf Erwägungen hinsichtlich des Auswahlermessens allenfalls verzichtet werden können, wenn dem Kläger wegen Nichtabführung der verkürzten Steuerbeträge grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Das ist aber zufolge den Ausführungen des FG zur Frage des Verschuldungsgrades nicht der Fall. Denn das FG hat ausdrücklich das Vorliegen von leichter Fahrlässigkeit für gegeben erachtet. Auch die Einspruchsentscheidung geht erkennbar davon aus, daß dem Kläger nur ein ,,geringfügiges Verschulden", also leichte Fahrlässigkeit anzulasten sei. Der Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung hätte daher wegen Fehlens jeglicher Erwägungen zum Auswahlermessen aufgehoben werden müssen.

Da das FG zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils ist der Haftungsbescheid vom 11. Januar 1977 in Form der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 1977 aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414527

BFH/NV 1987, 139

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