Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Havariesachverständigen ist gewerbesteuerpflichtig, da sie keine wissenschaftliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne und auch nicht der Tätigkeit eines der im Katalog des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten Berufsträger ähnlich ist.
Normenkette
GewStG § 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist die Gewerbesteuerpflicht eines Havariesachverständigen.
Das bis zum Todes des Vaters des jetzigen Inhabers am 19. Februar 1954 in der Rechtsform einer OHG geführte Unternehmen wurde im Streitjahr (1955) vom Bf. als Einzelunternehmen geführt. Die Gewerbesteuerpflicht der OHG war zunächst nicht streitig gewesen, nachdem das Finanzamt einen Antrag der OHG auf Freistellung von der Gewerbesteuer wegen freiberuflicher Tätigkeit ihrer Gesellschafter am 28. Juli 1948 unter Hinweis auf § 2 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG abgelehnt hatte. Auf erneute Vorstellungen hin stellte das Finanzamt die OHG mit Verfügung vom 2. Juli 1953 mit Wirkung vom 1. Januar 1952 von der Gewerbesteuerpflicht frei. Es stützte sich dabei auf die Ausführungen von Blümich-Boyens- Steinbring, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 5. Aufl., Anm. 54 (S. 55), nach denen außer den in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten Beispielen als "ähnliche Berufe" unter anderem auch "Sachverständige der verschiedensten Arten" den freien Berufen zuzurechnen seien.
Die beim Bf. im Oktober 1957 durchgeführte Betriebsprüfung ergab, daß der Bf. im Jahre 1955 in größerem Umfang dazu übergegangen sei, "den Minderwert beschädigter Partien durch Verkauf an Interessenten festzustellen". In diesen Fällen erschöpfe sich die Tätigkeit des Bf. nicht in der Nachprüfung und evtl. Bestätigung der von den Abnehmern der einzelnen Partien bei ihren Versicherungsgesellschaften angemeldeten Schäden durch Feuchtigkeit, Geruchsaufnahme usw. Vielmehr bemühe sich der Bf. in den Fällen, in denen die ursprünglichen Empfänger der Partien die Waren nicht selbst verwerteten, um den Absatz dieser Waren entweder im Auftrag der ursprünglichen Empfänger oder im Auftrag ihrer Versicherungsgesellschaften; der Auftrag gehe dabei auf bestmögliche, interessenwahrende Verwertung zur Feststellung des Minderwerts der Ware. Dabei würden alle mit der Verwertung zusammenhängenden Arbeiten vom Bf. erledigt. Der Abnehmer erfahre nach der vom Bf. ausgestellten Rechnung nicht, wer der Auftraggeber zum Verkauf der Partie gewesen sei, umgekehrt erfahre der Auftraggeber nach der vom Bf. gegebenen Abrechnung nicht, wer der Arbeitnehmer gewesen sei. Die auf dieser Grundlage getätigten Umsätze hätten sich auf ca. 850.000 DM belaufen.
Die Berufung des Bf. blieb ohne Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht folgendes aus:
Zu den freien Berufen gehörten nach § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 insbesondere die wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende und erzieherische Tätigkeit, ferner die Berufstätigkeit der im Gesetz aufgeführten Berufszweige und schließlich die Tätigkeit der diesen ähnlichen Berufe. Der Beruf eines Havariesachverständigen sei in der Vorschrift nicht aufgeführt. Er könne deshalb als freiberuflich nur anerkannt werden, wenn er einem der im Katalog aufgeführten Berufe ähnele oder wissenschaftlicher Art sei. Eine ähnlichkeit der Tätigkeit des Bf. mit der Tätigkeit eines der im Katalog aufgeführten Berufe liege nicht vor. Es komme deshalb entscheidend darauf an, ob die Berufstätigkeit des Bf. eine wissenschaftliche Tätigkeit sei. Die Einordnung einer Tätigkeit als eine wissenschaftliche Tätigkeit erfordere ein Mindestmaß von spezialen Kenntnissen nicht so sehr wirtschaftlich-praktischer als vielmehr geistiger Art. Das gelte auch für alle die neu unter den Begriff des freien Berufs eingeordneten Berufe, die angesichts der fortlaufenden wirtschaftlichen Entwicklung nach der Verkehrsanschauung als einem der im Katalog aufgeführten freien Berufe ähnlich anzusehen seien.
Der Bf. habe die für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse nicht in schulischer oder akademischer (wissenschaftlicher) Ausbildung erworben. Er habe die höhere Schule bis zur Obersekundareife und anschließend eine kaufmännische Lehre im Im- und Exporthandel durchlaufen. Danach sei er als Volontär der Insurance Company of North America tätig gewesen, um ausschließlich Versicherungsvorschriften und die Havarie-Grosse-Rechte kennenzulernen und habe an der Besichtigung von Waren teilgenommen und im Zusammenhang damit Versuche gemacht. Ein besonderer Zweig seiner Ausbildung habe der Verpackung der verschiedenen Güter gegolten, die er an Hand von Fachliteratur und praktischen Versuchen eingehend geprüft und studiert habe. Nach seiner Rückkehr habe er fünf Jahre lang in der Firma seines Vaters mit diesem zusammen Waren besichtigt und an Hand von vorgenommenen Versuchen die Regeln und die Handhabung der Feststellung von Beschädigungsursachen und der Höhe der Schäden studiert. Es habe mithin langjähriger praktischer Erfahrungen bedurft, um den Bf. in den Stand zu setzen, seinen Beruf in einer den Anforderungen seiner Auftraggeber entsprechenden und genügenden Weise ausfüllen zu können. Daraus folge, daß die eigentliche Grundlage seiner Berufstätigkeit die in praktischer Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten seien und nicht die Beherrschung einer auf Grund theoretischen Studiums erworbenen wissenschaftlichen Methode.
Soweit der Bf. selbst Verkäufe beschädigter Ladegüter vorgenommen habe, sei seine Tätigkeit schon wegen der hierin liegenden Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr gewerblicher Natur. Daran ändere es nichts, wenn der Verkauf nicht in seinem eigenen, sondern im Interesse der Ladungsgemeinschaft erfolge, um den Grad der Beschädigung der Ladegüter über den bestmöglichen Verkauf festzustellen, falls über den Schadensgrad eine Einigung nicht erzielt werden könne.
Hiergegen wendet sich der Bf. mit der Rechtsbeschwerde (Rb.); er beantragt Freistellung von der Gewerbesteuer, hilfsweise Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht zur weiteren Sachaufklärung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Verfügung des Finanzamts vom 2. Juli 1953 ist gegen die vom Bf. und seinem am 19. Februar 1954 verstorbenen Vater gebildete OHG ergangen. Diese ist als Steuerrechtssubjekt gemäß § 5 Abs. 2 GewStG mit dem 19. Februar 1954 erloschen. Es ist daher zweifelhaft, ob der Bf. sich auf die Verfügung vom 2. Juli 1953 berufen kann. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, weil diese Verfügung schon aus anderen Gründen der Heranziehung des Bf. zur Gewerbesteuer 1955 nicht entgegensteht. Die Verfügung vom 2. Juli 1953 fällt nach Auffassung des Senats nicht unter die Vorschrift des § 96 AO. Diese erfaßt lediglich Verfügungen, mit denen eine Anerkennung, Genehmigung, Bewilligung oder Erlaubnis ausgesprochen worden ist, die den Beteiligten Befugnisse oder Vergünstigungen gewährt oder sie von Pflichten befreit. Aber selbst wenn § 96 AO, einer gelegentlich vertretenen Meinung entsprechend, auch deklaratorische Verfügungen umfaßte, die Verfügung vom 2. Juli 1953 enthält jedenfalls nur eine äußerung einer Rechtsansicht über die Steuerpflicht der damaligen OHG. Einer solchen formlosen Verfügung kann aber keine sachlich oder zeitlich weiterreichende Wirkung beigemessen werden als sie einem Freistellungsbescheid für die Gewerbesteuer 1953 zugekommen wäre, wenn das Finanzamt ihn erteilt hätte. Das Finanzamt kann deshalb auch im vorliegenden Fall an seine einmal geäußerte Rechtsansicht nicht bis auf Widerruf gebunden erachtet werden, wenn es diese seine Ansicht für einen späteren Veranlagungszeitraum auf Grund zwischenzeitlich gewonnener besserer Erkenntnis nicht mehr aufrechterhält (Urteile des Bundesfinanzhofs I 224/60 U vom 14. März 1961, BStBl 1961 III S. 363, Slg. Bd. 73 S. 263; VI 215/61 U vom 26. Oktober 1962, BStBl 1963 III S. 86, Slg. Bd. 76 S. 239). Ein Anspruch auf die Aufrechterhaltung einer unrichtigen Rechtsansicht besteht nicht (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 215/63 U vom 4. Dezember 1964, BStBl 1965 III S. 169, Slg. Bd. 81 S. 467).
Daß die Verfügung als eine Auskunftserteilung zu werten sei, hat der Bf. selbst nicht behauptet. Ist eine Erteilung eines Steuerbescheids vorgeschrieben, so könnte im übrigen eine unrichtige Auskunft den Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht von der ihm durch Gesetz auferlegten Steuerpflicht entbinden (Urteil des Bundesfinanzhofs III 66/58 U vom 20. Februar 1959, BStBl 1959 III. S. 159, Slg. Bd. 68 S. 415). Es kann deshalb auch nicht als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gewertet werden, wenn das Finanzamt in einem solchen Fall die nach dem Gesetz geschuldete Steuer bis zum Eintritt der Verjährung nachholt.
Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß eine freiberufliche Tätigkeit des Bf. nur dann in Betracht kommen kann, wenn seine Tätigkeit entweder einem der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgeführten Berufe ähnlich ist oder eine "wissenschaftliche" Tätigkeit darstellt. Ist die ähnlichkeit mit einem der angeführten Berufe zu bejahen, so ist es nicht erforderlich, daß es sich um eine wissenschaftliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne handelt (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 120/62 U vom 18. Juli 1963, BStBl 1963 III S. 557, Slg. Bd. 77 S. 646). Das Gesetz führt in seinem Katalog nicht nur akademische Berufe auf, sondern auch solche, die zum Teil keine bestimmte Vorbildung erfordern. Erfordert indes die im Katalog aufgeführte Vergleichstätigkeit eine akademische Ausbildung, so muß grundsätzlich auch der ähnliche Beruf auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Daß der ähnliche Beruf auf Grund einer entsprechenden Vorbildung ausgeübt werde, ist nicht erforderlich, sofern es sich um einen rechtlich nicht geschützten Beruf handelt, der auch ohne eine vorgeschriebene Berufsausbildung ausgeübt werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 54/61 U vom 12. Dezember 1963, BStBl 1964 III S. 136, Slg. Bd. 78 S. 349). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Mit Recht hat das Finanzgericht die ähnlichkeit der Tätigkeit eines Havariesachverständigen mit der eines Handelschemikers oder Landmessers, die allein als Vergleichsberufe in Betracht kommen, verneint; dem Beruf eines Wirtschaftsprüfers ist er nicht ähnlich. Der Handelschemiker übt einen freien Beruf auf wissenschaftlicher Grundlage und mit entsprechender Vorbildung aus. Ein ihm ähnlicher Beruf muß ebenfalls auf wissenschaftlicher Grundlage beruhen. Daß dies für die Tätigkeit eines Havariesachverständigen zutreffe, hat das Finanzgericht auf Grund des ihm vom Bf. und vom Sachverständigen gegebenen Gesamtbildes dieser Tätigkeit zutreffend verneint. Soweit das Finanzgericht dabei auch auf das Fehlen einer akademischen Vorbildung des Bf. abstellte, tritt ihm der Senat nicht bei. Auch der Landmesser übt einen freien Beruf auf wissenschaftlicher Grundlage aus; aber selbst bei übernahme des später vom Gesetz verwendeten Begriffs des Vermessungsingenieurs läßt sich eine ähnlichkeit zwischen diesem Beruf und dem eines Havariesachverständigen nicht feststellen, ohne daß es dabei auf die Vorbildung der Berufsträger im einzelnen ankommt.
Der Beruf des Dispacheurs ist im Katalog des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht aufgeführt; er wird vom Finanzgericht Hamburg im Urteil vom 12. Dezember 1958 (Die Information - A - 1959 S. 139) als freier Beruf angesehen. Der Senat konnte die Richtigkeit dieser Auffassung dahingestellt lassen. Denn auch die Feststellung einer ähnlichkeit der Tätigkeit des Bf. mit der eines Dispacheurs könnte mangels Aufzählung dieser Tätigkeit im Katalog nicht zur Einordnung der Tätigkeit des Bf. als freier Beruf führen. Dazu bedarf es vielmehr der Feststellung, daß auch die Tätigkeit des Bf. eine wissenschaftliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne ist. Diese Feststellung zu treffen, hat sich das Finanzgericht außerstande gesehen. Die Tätigkeit eines Havariesachverständigen beruht nach den Ausführungen des vom Finanzgericht beigezogenen Gutachters im wesentlichen auf seiner besonderen Warenkunde, seiner Kenntnis der Reaktion der verschiedenen Waren auf äußere Einflüsse wie Süß- und Salzwasser, chemische Feuerlöschmittel, Rauch und spezifische Gerüche anderer Waren, mit denen sie gemeinsam verfrachtet werden. Diese Kenntnisse, die vorwiegend auf der Grundlage praktischer Erfahrungen beruhen, setzen ihn instand, Schäden, die die Waren auf Grund dieser Einflüsse erlitten haben, nach Ursache und Umfang festzustellen. Versuche, eingetretene Schäden - wie z. B. Geruchsschäden bei Kaffee durch Ozonisieren anstelle von reiner Lufttrocknung - zu beheben, liegen neben dem Gebiet der Schadensfeststellung. Aus ihnen lassen sich Schlüsse auf eine wissenschaftliche Grundlage der Tätigkeit des Havariesachverständigen nicht ziehen. Auch die erforderlichen speziellen Rechtskenntnisse aus dem Gebiet des deutschen Seerechts und der York-Antwerp-Rules sowie der ADS lassen diese Tätigkeit nicht als auf wissenschaftlicher Grundlage ausgeübt erscheinen. Bestimmte spezielle Rechtskenntnisse sind auch bei Versicherungskaufleuten, Handelsvertretern und Angehörigen anderer Berufe gegeben, die als gewerblich anerkannt sind.
Fundstellen
Haufe-Index 411696 |
BStBl III 1965, 593 |
BFHE 1966, 256 |
BFHE 83, 256 |