Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer, der Einzelhandel betreibt und unter Fortführung des Einzelhandelsgeschäfts zum Großhandel übergeht, kann auch dann, wenn der Großhandel völlig getrennt von dem Einzelhandelsgeschäft geführt wird, für das Übergangsjahr den ermäßigten Steuersatz nach § 7 Abs. 3 UStG 1934 nur in Anspruch nehmen, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr seine Lieferungen außerhalb des Großhandels nicht mehr als 75 v. H. des Gesamtumsatzes betragen haben. Die Aufnahme des getrennt vom Einzelhandelsgeschäft geführten Großhandels ist umsatzsteuerrechtlich auch vom Standpunkt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus gesehen keine Neugründung eines Unternehmens.
Normenkette
UStG 1934 § 7 Abs. 3 S. 2, § 2 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) betreibt seit einer Reihe von Jahren den Einzelhandel mit Kolonialwaren und Gemischtwaren (Ladengeschäft). Im Jahre 1950 hat er außerdem den Großhandel mit Süßwaren aufgenommen. Streitig ist, ob er für die im Jahre 1950 in Höhe von ... DM getätigten Umsätze von Süßwaren im Großhandel die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 0,75 v. H. nach § 7 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1934 beanspruchen kann. Das Finanzamt hat die Vergünstigung versagt, weil die Lieferungen außerhalb des Großhandels im vorangegangenen Jahre 1949 mehr als 75 v. H. des Gesamtumsatzes betragen hätten, die Voraussetzung des § 7 Abs. 3 Satz 2 UStG also nicht erfüllt sei. Einspruch und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Finanzgericht stützt seine ablehnende Entscheidung im wesentlichen auf die Urteile des Reichsfinanzhofs V 494/38 vom 15. Dezember 1939 (Slg. Bd. 48 S. 66, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1940 S. 294) und V 26/44 vom 19. April 1944 (RStBl. 1944 S. 510).
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Bf., wie schon in den Vorinstanzen, geltend, der Großhandel mit Süßwaren stelle ein in jeder Beziehung völlig getrennt von dem Ladengeschäft geführtes Unternehmen dar; die Aufnahme dieses Handelszweigs im Jahre 1950 müsse deshalb jedenfalls wirtschaftlich als Neugründung eines Unternehmens betrachtet werden; für Neugründungen lasse Ziff. 17 Buchst. c 1 des Erlasses des Reichsministers der Finanzen vom 7. Dezember 1934 S 4030 -- 50 III (RStBl. 1934 S. 1537, 1546) -- jetzt Ziff. 16 Abs. 3 des Erlasses vom 20. Januar 1939 S 4015 -- 1 III (RStBl. 1939 S. 129, 134) -- in Durchbrechung der Norm des § 7 Abs. 3 Satz 2 die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes schon für das Gründungsjahr zu, sofern nur anzunehmen sei, daß der Unternehmer die Voraussetzung der 75 v. H.-Grenze erfüllen werde. Das Urteil der Vorinstanz lasse die gerade auf dem Gebiete des Umsatzsteuerrechts gebotene wirtschaftliche Betrachtung des Streitfalls vermissen und verstoße deshalb gegen das geltende Recht, namentlich gegen § 1 Abs. 2 und 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Die Urteile des Reichsfinanzhofs, auf die sich die Vorinstanz stütze, müßten als durch die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse überholt angesehen werden.
Entscheidungsgründe
Auch der Rb. muß der Erfolg versagt bleiben.
§ 7 Abs. 3 Satz 2 UStG schreibt vor, daß der ermäßigte Steuersatz für Großhandelslieferungen nur unter der Voraussetzung angewendet werden kann, daß in dem letzten vorangegangenen Kalenderjahr die Lieferungen außerhalb des Großhandels nicht mehr als 75 v. H. des Gesamtumsatzes betragen haben. Die ohne Verstoß wider den Inhalt der Akten getroffene, vom Bf. im übrigen auch nicht bestrittene tatsächliche Feststellung, daß diese Voraussetzung im Streitfalle nicht erfüllt ist, bindet den Senat. Die von der Vorinstanz aus dieser Feststellung hergeleitete Versagung der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Einwand des Bf., die Aufnahme des Großhandels mit Süßwaren im Jahre 1950 müsse wirtschaftlich betrachtet als Neugründung betrachtet werden, auf die die oben bezeichnete Verwaltungsanweisung des Reichsministers der Finanzen anzuwenden sei, geht fehl. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Verwaltungsanweisung die Steuergerichte bindet. Jedenfalls schließt der das Umsatzsteuerrecht beherrschende Grundsatz der Unternehmereinheit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG) die Annahme der Neugründung eines Unternehmens in Ansehung des Großhandels mit Süßwaren unzweifelhaft aus. Nach diesem Grundsatz umfaßt ein Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Es stellen sich also, wenn ein Steuerpflichtiger mehrere Arten selbständiger gewerblicher oder beruflicher Tätigkeit ausübt, diese Tätigkeiten auch dann, wenn sie wirtschaftlich oder organisatorisch völlig getrennt voneinander gehalten werden, nur als verschiedene Betätigungsformen des gleichen Unternehmers dar. Daraus folgt hier, daß der Bf., als er im Jahre 1950 den Großhandel mit Süßwaren aufnahm, nicht ein neues Unternehmen gründete, sondern sein seit Jahren bestehendes Unternehmen auf einen weiteren Handelszweig ausdehnte. Mit Recht hat deshalb die Vorinstanz für ihre Entscheidung über die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes auf die -- zutreffend verneinte -- Frage abgestellt, ob im Jahre 1949 die Lieferungen des Bf. außerhalb des Großhandels nicht mehr als 75 v. H. des Gesamtumsatzes betragen haben.
Die Annahme des Bf., daß dieses Ergebnis wirtschaftlich gesehen unhaltbar sei, beruht auf einer Verkennung des inneren Wesens der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, deren Bedeutung gerade für das Umsatzsteuerrecht der Bf. an sich mit Recht betont. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist nicht ein dem Steuerpflichtigen zur Verfügung stehender Behelf für Fälle, in denen eine bestimmte, nach Wortlaut, Sinn und Zweck völlig eindeutige gesetzliche Regelung (wie der § 7 Abs. 3 Satz 2) das wirtschaftlich erreichbare Ergebnis der Tätigkeit des Steuerpflichtigen in gewissen Grenzen nachteilig beeinflußt (hier durch Belastung der Großhandelsumsätze 1950 durch eine Umsatzsteuer von 3 v. H. statt von 0,75 v. H.). Der Kern der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in bezug auf die Umsatzsteuer ist vielmehr in der Erkenntnis der Notwendigkeit einer freieren Stellung gerade des stark wirtschaftlich ausgerichteten Umsatzsteuerrechts gegenüber den herkömmlichen Rechtsbegriffen zu erblicken. Diese Erkenntnis führt dazu, die steuerliche Beurteilung eines umsatzsteuerrechtlich erheblichen Vorgangs, soweit nicht aus besonderen Gründen an der bürgerlich-rechtlichen Beurteilung festgehalten werden muß (wie bei der Miete, der Pacht), loszulösen von bürgerlich-rechtlichen Begriffen und Gestaltungen oder von öffentlich-rechtlichen Begriffen und Gestaltungen nicht steuerlicher Art und das entscheidende Gewicht auf den wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs ("steuerrechtliche Wirtschaftsbegriffe") und auf den steuerlichen Zweck zu legen, um auf diese Weise eine gleiche steuerliche Behandlung ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach gleicher, aber bügerlich-rechtlich oder öffentlich-rechtlich unterschiedlich gestalteter Vorgänge sicherzustellen (zu vgl. Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs II 17/50 vom 12. Mai 1950, Slg. Bd. 54, S. 481, und Urteil des Bundesfinanzhofs V 17/52 S vom 17. Juli 1952, Bundessteuerblatt 1952 III S. 234). Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß eine in diesem Sinne aufgefaßte wirtschaftliche Betrachtungsweise keinesfalls als Mittel dazu dienen kann, den Grundsatz der Unternehmereinheit als einen der tragenden Grundsätze des Umsatzsteuerrechts für Fälle der streitigen Art aus den Angeln zu heben, wie der Bf. es will. Auf dieser Auffassung beruht letzten Endes auch das erwähnte Urteil des Reichsfinanzhofs vom 19. April 1944. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dieses Urteil durch die wirtschaftliche Entwicklung überholt sein soll. Das von der Vorinstanz gleichfalls angezogene Urteil des Reichsfinanzhofs vom 15. Dezember 1939 behandelt den hier unbestritten nicht gegebenen Fall des Übergangs eines Einzelhändlers zum ausschließlichen Großhandel, also einen Fall, der nicht unter den im § 7 Abs. 3 Satz 2 UStG geregelten Tatbestand fällt.
Die Rb. ist nach alledem mit der sich aus § 307 der Reichsabgabenordnung ergebenden Kostenfolge als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1953, 275 |
BFHE 1954, 724 |