Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Für die Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen im Sinne des § 7 b Abs. 4 EStG 1955 durch den Ersterwerber einer Eigentumswohnung ist es gleichgültig, ob der Ersterwerber die Wohnung selbst bewohnt oder sie vermietet.
Zur "Auslegung von Steuergesetzen über den Wortlaut hinaus".
Normenkette
EStG § 7b/4; EStG § 7b/3
Tatbestand
Der Bg. ist Eigentümer einer im Jahre 1955 bezugsfertig gewordenen Eigentumswohnung. Er hat sie von der Herstellerin, einer Wohnungsbau GmbH, auf Grund eines im Jahre 1954 vor der Errichtung des Gebäudes abgeschlossenen Vertrages für 27,300 DM erworben. Er hat sie nicht bezogen, sondern vermietet. Strittig ist, ob er die Sonderabschreibungen nach § 7 b Abs. 4 EStG 1955 beanspruchen kann.
Das Finanzamt, das die Sonderabschreibung bei der Veranlagung des Bg. für das Jahr 1955 berücksichtigt hatte, lehnte sie bei der Veranlagung für das Jahr 1956 unter Hinweis auf Abschnitt 57 EStR 1956/57 ab, weil der Bg. die Eigentumswohnung lediglich vermietet, nicht aber selbst bezogen habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Berufung führte zur Anerkennung der Sonderabschreibung. Das Finanzgericht hielt die Auffassung des Finanzamts weder nach dem Wortlaut noch nach dem Zweck des § 7 b Abs. 4 EStG 1955 für begründet.
In seiner Rb. vertritt der Vorsteher des Finanzamts nach wie vor die der Veranlagung zugrunde liegende Auffassung. Der Bundesminister der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Er hat im wesentlichen wie folgt Stellung genommen:
Aus dem für Kleinsiedlungen und Eigenheime zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen, die Bildung von Kleineigentum im Rahmen der §§ 7 b und 7 c EStG 1953 insoweit zu fördern, daß über die bereits im EStG 1949 zugebilligten Steuervergünstigungen hinaus nunmehr auch der Ersterwerb solcher Wohnungen unter bestimmten Voraussetzungen begünstigt werden sollte, folge bei Stellung des dem Abs. 3 folgenden Abs. 4 des § 7 b EStG 1953 für den Ersterwerb von Eigentumswohnungen und Dauerwohnrechten, daß die für diese vorgesehene Begünstigung nur unter den gleichen Voraussetzungen wie im Abs. 3 zugelassen werden könne. Es wäre unverständlich, wenn auf die nach Abs. 3 notwendige Eigennutzung als Voraussetzung der Steuervergünstigung bei Eigenheimen und Kleinsiedlungen bei dem Erwerb von Eigentumswohnungen hätte verzichtet werden sollen. Die "entsprechende" Aufwendung des Abs. 3 beziehe sich damit nicht nur auf die sonstigen Voraussetzungen wie die Verpflichtungen bei der Errichtung, sondern auch auf den hier angesprochenen Personenkreis der Eigennutzer. Nur wenn die Eigennutzung beim Erwerb von Eigentumswohnungen zur Voraussetzung der durch Abs. 4 zugelassenen erweiterten Steuervergünstigung gefordert werde, liege diese im Rahmen der Bildung von Kleineigentum, die durch diese erweiterten Steuervergünstigungen gefördert werden sollte. Den Bauherrn träfen im Wohnungsbau erhebliche Risiken, die nicht allein die Gefahr von Baukostenverteuerungen umfaßten. Solche Risiken fielen für den Erwerber einer fertiggestellten Wohnung bzw. eines Wohngebäudes fort. Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb der Ersterwerb einer Vielzahl von Eigentumswohnungen steuerlich begünstigt werden sollte, wenn dem Ersterwerb von Neubauten mit einer entsprechenden Zahl von Mietwohnungen diese Steuervergünstigung versagt bliebe. Die Vorschriften der Abs. 3 und 4 des § 7 b EStG 1953 seien Ausnahmevorschriften und könnten nur nach der ihnen zukommenden wirtschaftlichen Bedeutung ausgelegt werden.
Diesen im Jahre 1953 getroffenen gesetzlichen Regelungen habe das Zweite Wohnungsbaugesetz (2. WoBauG) vom 27. Juni 1956 (BGBl 1956 I S. 523) im § 12 Rechnung getragen, wenn es als "Kaufeigentumswohnung" eine solche umschreibe, die zum Wohnen durch den Eigentümer oder seine Angehörigen bestimmt und von dem Bauherrn mit der Bestimmung geschaffen sei, sie einem Bewerber als eigengenutzte Eigentumswohnung zu übertragen. Auch die EStR 1956/57 folgten in Abschnitt 57 Abs. 2 lediglich dieser Auffassung. Sie enthielten damit keine unzulässige Einschränkung gesetzlicher Vorschriften, sondern dienten lediglich der Klarstellung.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat und auch von den Beteiligten nicht verkannt wird, ist nach § 7 b EStG 1955 zwischen dem Hersteller und dem Ersterwerber zu unterscheiden. Die erhöhten Absetzungen stehen, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind, dem Hersteller immer zu (vgl. § 7 b Abs. 1 EStG 1955), dem Ersterwerber dagegen nur, wenn es sich um ein im Rahmen der Kleinsiedlung oder als Kaufeigenheim mit der Verpflichtung zur Eigentumsübertragung auf eine natürliche Person errichtetes Gebäude (vgl. § 7 b Abs. 3 EStG 1955) oder um eine unter den gleichen Voraussetzungen errichtete Eigentumswohnung handelt (vgl. § 7 b Abs. 4 EStG 1955). Hat der Ersterwerber eines Dauerwohnrechts im Sinne des Zweiten Teils des Wohnungseigentumsgesetzes an einer unter den vorerwähnten Voraussetzungen errichteten Wohnung die Stellung eines Wohnungseigentümers, so stehen auch ihm die erhöhten Absetzungen zu, soweit sie nicht - eine Einschränkung, die in allen Fällen des Ersterwerbs zu beachten ist - bereits durch den Hersteller in Anspruch genommen worden sind (vgl. § 7 b Abs. 4 EStG 1955).
Für die Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen durch den Hersteller ist es gleichgültig, ob das den Erfordernissen des § 7 b EStG genügende Gebäude von ihm selbst bewohnt oder vermietet wird. Insbesondere kann auch, wer ein Einfamilienhaus errichtet und dieses nicht selbst bezieht, sondern vermietet, die erhöhten Absetzungen nach § 7 b Abs. 1 EStG 1955 in Anspruch nehmen.
Wenn der Ersterwerber im Falle des Erwerbs eines unter den erwähnten Voraussetzungen im Rahmen der Kleinsiedlung oder als Kaufeigenheim errichteten Gebäudes zur Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen berechtigt ist, so ist hierbei, wie das Finanzgericht ebenfalls nicht verkannt hat, Voraussetzung, daß er das Gebäude selbst bewohnt. Was unter Kleinsiedlung und was unter Kaufeigenheim zu verstehen ist, ergibt sich nach § 16 Abs. 1 EStDV 1955 aus § 20 des 1. WoBauG in der Fassung vom 25. August 1953 (BGBl 1953 I S. 1047, BStBl 1953, I S. 616). Sowohl der Begriff der Kleinsiedlung als auch der des Kaufeigenheims lassen zwar eine zweite Wohnung und damit eine teilweise Nutzung des Gebäudes durch Vermietung zu, doch muß das zur Siedlung gehörende Einfamilienhaus zunächst dem Siedler selbst dienen und das Eigenheim auch (und in erster Linie) für den Eigentümer oder seine nächsten Familienangehörigen bestimmt sein. Auch nach den §§ 9 und 10 des 2. WoBauG vom 27. Juni 1956 (BGBl 1956 I S. 523, BStBl 1956 I S. 388), auf die § 16 Abs. 1 EStDV 1956/1957 verweist, gilt nichts anderes.
Hinsichtlich des Ersterwerbes einer Eigentumswohnung ist das Finanzgericht zutreffend davon ausgegangen, daß der für die Beurteilung der hier strittigen Frage maßgebliche § 7 b Abs. 4 EStG 1955 nicht ausdrücklich den Hinweis darauf enthält, daß der "Ersterwerber einer Wohnung (Eigentumswohnung) im Sinne des Ersten Teils des Wohnungseigentumsgesetzes" diese, um die Vergünstigung der erhöhten Absetzungen zu erhalten, auch selbst bewohnen müsse. Wenn in § 1 Abs. 2 des Wohnungseigentumsgesetzes vom 15. März 1951 (BGBl 1951 I S. 175) lediglich von "Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum" gesprochen wird, so setzt der Begriff des Wohnungseigentums auch nicht voraus, daß die Wohnung für den Wohnungseigentümer oder seine nächsten Familienangehörigen bestimmt sei. Erst in § 12 Abs. 1 des 2. WoBauG wird eine Eigentumswohnung dieser Art besonders hervorgehoben und als eigengenutzte Eigentumswohnung bezeichnet. Kaufeigentumswohnung im Sinne des § 12 Abs. 2 dieses Gesetzes ist eine Wohnung, die von einem Bauherrn mit der Bestimmung geschaffen worden ist, sie einem Bewerber als eigengenutzte Eigentumswohnung zu übertragen. In § 7 b Abs. 4 EStG 1955 ist aber, wie nochmals hervorgehoben sei, von "Eigentumswohnung" schlechthin die Rede.
Wenn der Bundesminister der Finanzen demgegenüber betont, daß die Regelung des § 7 b Abs. 4 EStG 1955 ausdrücklich auf die Regelung des Abs. 3 der Vorschrift verweise und deshalb nur dahin verstanden werden könne, daß lediglich der Ersterwerber einer eigengenutzten Eigentumswohnung begünstigt werden solle, so ist zuzugeben, daß sich die in solcher Weise verstandene Begünstigung sinnvoll in die Gesamtregelung einfügt. Vergleicht man - ausgehend von dem auch vom Finanzgericht in den Vordergrund gestellten Gedanken, daß durch § 7 b EStG die Schaffung von Wohnungen gefördert werden soll - die Eigentumswohnung mit dem dieser der Zwecksetzung nach gleichstehenden Einfamilienhaus, so ergibt sich hier wie dort die grundsätzliche Förderung dadurch, daß, wie oben ausgeführt, der Hersteller zur Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen berechtigt ist. Nur der Hersteller ist dem Zweck des Gesetzes entsprechend nach dessen ursprünglicher Fassung berechtigt, nicht auch der Erwerber; denn nicht dieser, sondern jener schafft den Wohnraum und dient damit dem Zweck, den das Gesetz fördern will. Wenn durch § 7 b Abs. 3 und 4 EStG 1953 erstmals ausnahmsweise auch der Ersterwerber unter den oben erwähnten Voraussetzungen begünstigt wurde, so lag dem der von dem Bundesminister der Finanzen zutreffend herausgestellte Gedanke zugrunde, daß die Vorteile, die § 7 b EStG bot, auch demjenigen zugute kommen sollten, der zwar seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nach nicht zur Herstellung, wohl aber unter den im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen zum Erwerb in der Lage war. Geht man hiervon aus, so mag die Annahme in der Tat naheliegen, daß der Gesetzgeber ebenso wie den Ersterwerber eines Einfamilienhauses auch den Ersterwerber einer Eigentumswohnung nur für den Fall habe begünstigen wollen, daß es sich um eine eigengenutzte Eigentumswohnung handelt. Ob die Voraussetzung dieser Annahme (die Vergleichbarkeit von Eigentum und Eigentumswohnung) und damit die Annahme selbst zwingend ist, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls hat, wie das Finanzgericht mit Recht ausgeführt hat, ein solcher Wille, nämlich auch bei Eigentumswohnungen nur die Ersterwerber von eigengenutzten Eigentumswohnungen zu begünstigen, im Wortlaut des § 7 b Abs. 4 EStG 1955 keinen ausreichend deutlichen Niederschlag gefunden. Im Gegenteil, der Wortlaut, der ausdrücklich auf die keine Einschränkung kennende Begriffsbestimmung des Wohnungseigentumsgesetzes verweist und also den Begriff der Eigentumswohnung ohne jede Einschränkung verwendet, spricht eindeutig gegen einen solchen Willen. Wenn der Bundesminister der Finanzen meint, daß ein solcher Wille sich aus der Bezugnehme des Abs. 4 auf den Abs. 3 des § 7 b EStG 1955 ergebe, so kann dem nicht beigetreten werden. Die Bezugnahme besagt, daß auch Ersterwerber von Eigentumswohnungen ebenso wie Ersterwerber von Kleinsiedlungen und Kaufeigenheimen nur dann begünstigt sein sollen, wenn die Eigentumswohnung ebenso wie das im Rahmen der Kleinsiedlung oder das als Kaufeigenheim erworbene Gebäude "mit der Verpflichtung errichtet worden" ist, das Eigentum daran auf eine natürliche Person zu übertragen. Dagegen läßt sich aus der Bezugnahme nicht ersehen, daß der ganz eindeutig gebrauchte Begriff der Eigentumswohnung im Sinne der Einschränkungen, die den Begriffen "Kleinsiedlung" und "Kaufeigenheim" innewohnen, hätte eingeschränkt werden sollen.
Unter diesen Umständen ist die Auslegung, die § 7 b Abs. 4 EStG durch das Finanzgericht gefunden hat, nicht zu beanstanden. Wie das Finanzgericht zu Recht ausgeführt hat, muß der Steuerpflichtige sich grundsätzlich auf den Wortlaut des Gesetzes verlassen können, sofern dieser eindeutig ist und die wörtliche Auslegung nicht zu einem dem Sinn und Zweck der Vorschrift ganz offenbar widersprechenden Ergebnis führt (vgl. auch das bereits vom Finanzgericht angeführte Urteil des Senats VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 207, Slg. Bd. 66 S. 539). Von einem solchen Ergebnis kann hier aber keine Rede sein, selbst wenn man mit dem Bundesminister der Finanzen der Auffassung sein sollte, daß es der Gesamtregelung des § 7 b EStG besser entspräche, nur die Ersterwerber eigengenutzter Eigentumswohnungen zu begünstigen. Was der Bundesminister der Finanzen in dieser Hinsicht ausgeführt hat, mag wie gesagt sinnvoll sein und im Rahmen dessen liegen, was der Gesetzgeber sich vorgestellt hat. Der Gesetzgeber hätte dies aber ohne jede Schwierigkeit zum Ausdruck bringen können. Jedenfalls geht es nicht an, den eindeutig anderslautenden und bei wörtlicher Auslegung auch sinnvollen Wortlaut in jenem vielleicht gewollten, aber nicht zum Ausdruck gekommenen Sinne auszulegen (vgl. hierzu auch die Urteile des Bundesfinanzhofs I 285/56 U vom 7. Mai 1957 und VI 125/56 U vom 6. September 1957, BStBl 1957 III S. 264 und 387, Slg. Bd. 65 S. 82 und 403).
Fundstellen
Haufe-Index 409770 |
BStBl III 1960, 401 |
BFHE 1961, 406 |
BFHE 71, 406 |