Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Ausgleichszahlung an einen Handelsvertreter nach § 89 b HGB ist weder Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG noch ist sie Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG. Die Tarifvorschrift des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 und 2 EStG findet keine Anwendung.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3, § 24 Ziff. 1, § 34/1, § 34 Abs. 2 Ziff. 1, § 34 Abs. 2 Ziff. 2; HGB § 89b
Tatbestand
Der Bf., der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, war von 1951 bis 31. Dezember 1954 als Verkaufsvertreter für die Firma Z. tätig. Er vertrat daneben auch andere Firmen. Da die Firma Z. ab 1. Januar 1955 ihre Vertreter in das Angestelltenverhältnis übernahm, der Bf. jedoch eine derartige übernahme ablehnte, wurde das Vertragsverhältnis mit der Firma Z. zum 31. Dezember 1954 gelöst. Die Firma Z. zahlte dem Bf. gemäß § 89 b HGB im Jahre 1955 einen Ausgleichsbetrag von 4.500 DM. Der Bf., der zur Einkommensteuer 1955 nach seinem erklärten Einkommen in Höhe von 19.792 DM veranlagt wurde, beantragte in seiner Steuererklärung, den Ausgleichsbetrag "nach § 34 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 EStG in Verbindung mit den §§ 16 und 24 Ziff. 1 EStG mit 10 v. H. zu versteuern". Zur Begründung seines Antrages machte er geltend. Die Ausgleichszahlung sei eine Entschädigung im Sinne des § 24 EStG; denn mit ihr sollten in erster Linie Provisionsansprüche abgegolten werden, die er bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses aus bereits abgeschlossenen Geschäften oder aus Neugeschäften mit den von ihm geworbenen Kunden gehabt haben würde. Außerdem sei die Ausgleichszahlung als Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG zu beurteilen. Bei wirtschaftlicher Beurteilung des Tatbestandes sei die Beendigung des Vertragsverhältnisses ebenso zu beurteilen wie ein "Verkauf des Kundenstammes" an einen Dritten. Unter Hinweis auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15. März 1956 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1956 Nr. 8 S. 250) machte er in diesem Zusammenhang geltend, daß nach dem Sinn des § 89 b HGB die Ausgleichszahlung als Gegenwert für die vom Vertreter durch jahrelange Arbeit geschaffenen stillen Reserven anzusehen sei.
Das Finanzamt hat das Einkommen des Bf. unterschiedslos nach dem normalen Tarif zur Einkommensteuer herangezogen. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Auch die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Das Finanzgericht hat ausgeführt: Die Aufgabe der Vertretung für die Firma Z. sei keine Aufgabe eines Betriebs oder eines Teilbetriebs im Sinne des § 16 Abs. 3 und 4 EStG. Abgesehen davon komme der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG schon deshalb nicht in Betracht, weil der Bf. - entgegen der Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG - den Wert des Betriebsvermögens für den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe nicht nach § 4 Abs. 1 oder nach § 5 EStG ermittelt habe. Auch die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG seien zu verneinen. Die Anwendung der Vorschrift habe zur Voraussetzung, daß die Entschädigung als Ersatz für Einnahmen mehrerer Jahre geleistet werde und daß sich infolge der dadurch bedingten Zusammenballung von Einkünften, die sich sonst auf die in Betracht kommenden Veranlagungszeiträume verteilten, die Tarifprogression zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirke. Das sei aber bei der Ausgleichszahlung nicht der Fall. Der Ausgleichsbetrag sei keine Entlohnung für die Vorjahre. In diesen Jahren habe der Bf. seine Provision in der ihm zustehenden Höhe erhalten. Weitere Provisionen stünden ihm für diese Jahre nicht zu. Der erst nach Vertragsende entstandene Ausgleichsanspruch sei ein Anspruch eigener Art, der sich aus § 89 b HGB unter Berücksichtigung der vertraglichen Beziehungen ergebe, die zwischen dem Bf. als Gewerbetreibenden und der Firma Z. bestanden hätten. Gewinne, die auf dieser Grundlage erzielt seien, gehörten zu den laufenden und üblichen Einnahmen eines Gewerbetreibenden. Sie seien einer tariflichen Vergünstigung nach § 34 EStG nicht zugänglich.
Entscheidungsgründe
Der Senat tritt der Vorentscheidung im Ergebnis bei.
Die Frage der steuerlichen bzw. tariflichen Behandlung der Ausgleichszahlung im Sinne des § 89 b HGB ist umstritten (wegen der im Schrifttum vertretenen Meinungen vgl. bei Littmann: Das Einkommensteuerrecht, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 6. neubarbeitete Aufl., Anmerkung 6 zu § 24, S. 1151, und "Die Information" 1955 S. 4). Es werden unter anderem folgende Auffassungen vertreten:
Die Aufgabe einer Vertretung durch den Handelsvertreter ist als Betriebsaufgabe im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG anzusehen. Im Falle mehrerer Vertretungen ist die Aufgabe einer Vertretung als Aufgabe eines Teilbetriebs (§ 16 Abs. 4 EStG) zu beurteilen, weil jede Vertretung einen in jeder Hinsicht in sich geschlossenen Geschäftskreis darstellt. Erhält ein Handelsvertreter im Zusammenhang mit der Aufgabe seiner Vertretung einen Ausgleichsbetrag, so gehört dieser Betrag zum Gewinn im Sinne des § 16 EStG, der unter der Voraussetzung des § 16 Abs. 4 EStG steuerfrei, sonst auf Antrag nach § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG steuerlich zu begünstigen ist.
Die Ausgleichszahlung ist Entschädigung für entgehende Provisionseinnahmen. Der Ausgleich erfolgt als Entschädigung dafür, daß der Handelsvertreter infolge der durch die Vertragsbeendigung bedingten Aufgabe seiner Tätigkeit Provisionseinnahmen bzw. Gewinn verliert, die er sonst künftig noch bezogen hätte. Der Ausgleichsbetrag ist daher Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG und - weil nicht zum laufenden Gewinn gehörig - unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG tariflich begünstigt.
Der Ausgleichsbetrag ist als "Quasi-Provision" laufender gewerblicher Gewinn und daher weder nach § 16 Abs. 4 EStG noch nach § 34 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 EStG begünstigt (so: Littmann, "Die Information" 1955, S. 4 und 5).
Für die steuerliche Behandlung der Ausgleichszahlung kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung an, die der Ausgleichsanspruch im § 89 b HGB erfahren hat. Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur änderung des Handelsgesetzbuches (Recht der Handelsvertreter) vom 6. August 1953 (BGBl 1953 I S. 771) mit Wirkung ab 1. Dezember 1953 eingeführt worden. Danach kann der Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich unter folgenden Voraussetzungen verlangen:
Der Unternehmer muß aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile haben;
der Handelsvertreter muß infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verlieren, die er bei Fortsetzung des Vertragsverhältnisses aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte;
die Zahlung eines Ausgleichs muß unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entsprechen;
die Beendigung des Vertragsverhältnisses darf nicht auf einer Kündigung durch den Vertreter beruhen, es sei denn, daß der Unternehmer begründeten Anlaß zur Kündigung gegeben hat;
der Vertreter darf nicht durch schuldhaftes Verhalten dem Unternehmer einen wichtigen Grund zur Kündigung gegeben haben.
Für die Beurteilung der Tragweite der Vorschrift erscheint dem Senat zunächst der Hinweis wichtig, daß sie - so, wie sie nun ausgestaltet worden ist - nicht nur Bedeutung hat für die Fälle der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses im Wege der Kündigung durch den Unternehmer, sondern auch für diejenigen Fälle, in denen das Vertragsverhältnis aus anderen Gründen sein Ende findet (Zeitablauf, auflösende Bedingung, Aufhebung des Vertrages in gegenseitigem Einvernehmen, Kündigung durch den Handelsvertreter). Der Ausgleichsanspruch entsteht - von den in Abs. 3 der Vorschrift genannten Fällen abgesehen - nach Beendigung des Vertragsverhältnisses grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, wodurch es sein Ende erreicht (vgl. Baumbach-Duden, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, § 89 b Anmerkung 2). Er findet mithin seine Erklärung nicht in den etwaigen Nachteilen, die für den Handelsvertreter in einer zwar form- und fristgerechten, aber aus anderen - zum Beispiel sozialen - Erwägungen zu "mißbilligenden" Kündigung durch den Unternehmer liegen können. Derartige Erwägungen waren für die Gesetzesfassung nicht maßgebend, wie sich aus der Bundestags-Drucksache Nr. 3856 vom 15. November 1952 über den Entwurf eines Gesetzes zur änderung des Handelsgesetzbuches (Recht der Handelsvertreter) ergibt, wo auf S. 33 zu § 89 b des Gesetzentwurfes ausgeführt ist:
"§ 89 b gibt auch nicht ... dem Handelsvertreter einen Anspruch auf Entschädigung, wenn die form- und fristgerecht ausgesprochene Kündigung zu "mißbilligen" ist.
Ein Unternehmer darf in seiner freien Entschließung, ob er mit einem anderen selbständigen Kaufmann weiter zusammenarbeiten will, nicht durch einen "Entschädigungsanspruch wegen zu mißbilligender Kündigung" beeinträchtigt werden".
Damit tritt bei der Auslegung der Vorschrift der auch von Littmann (a. a. O.) hervorgehobene Gesichtspunkt für den Senat entscheidend in den Vordergrund, daß es sich bei der Ausgleichsleistung des Unternehmers um die Gegenleistung für eine Leistung handelt, deren Vorteile ihm aus dem Fortwirken der Tätigkeit des Handelsvertreters über das Vertragsende hinaus, das heißt also nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, zuteil werden. In gleicher Weise beurteilt Schröder (Der Betriebs- Berater, 1954, S. 477, 763) den Ausgleichsanspruch als einen zusätzlichen gesetzlichen Vergütungsanspruch aus dem Handelsvertreterverhältnis, auf den schon während der Dauer des Vertragsverhältnisses eine Anwartschaft besteht, die neben die dem Handelsvertreter nach dem Vertrag sonst noch geschuldeten Leistungen tritt. Demzufolge sieht auch der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf § 354 HGB, wonach ein Kaufmann grundsätzlich für seine Dienste zu entlohnen ist, in der Ausgleichsleistung des Unternehmers dessen Gegenleistung für ihm nach Beendigung des Vertrages "noch zufließende Vorteile" (Urteil des Bundesgerichtshofs II ZR 318/56 vom 13. Mai 1957, "Der Betrieb" 1957, S. 528). Dem entspricht es auch, wenn der V. und der I. Senat des Bundesfinanzhofs bei der umsatzsteuerlichen Behandlung der Ausgleichsleistung bzw. bei der Frage der Rückstellung für den Ausgleichsanspruch in ihren Entscheidungen den Gesichtspunkt in den Vordergrund gestellt haben, daß die Ausgleichszahlung des Unternehmers als Entgelt für seine nach Vertragsende gegebenen Gewinnaussichten bzw. Vorteile anzusehen ist, die durch die Tätigkeit des Handelsvertreters begründet worden sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs V 106/57 U vom 27. Juni 1957, BStBl 1957 III S. 282, Slg. Bd. 65 S. 130, und I 326/56 U vom 4. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 110, Slg. Bd. 66 S. 285). Es erscheint hiernach dem Senat nicht angängig, in der Ausgleichsleistung des Unternehmers eine Entschädigung für "entgehende Gewinnaussichten" des Handelsvertreters zu sehen. Sie muß vielmehr nach der gesetzlichen Regelung unter dem Gesichtspunkt der Gegenleistung des Unternehmers für eine nach Vertragsende fortwirkende Leistung des Handelsvertreters beurteilt werden. Besonders deutlich tritt dies in Erscheinung in den Fällen, in denen eine weitere Tätigkeit des Handelsvertreters für den Unternehmer deshalb ausscheidet, weil das Vertragsende von den Beteiligten für einen festen Zeitpunkt vorbestimmt worden ist und eine weitere Tätigkeit des Handelsvertreters nach diesem Zeitpunkt wegen seines Alters nicht mehr in Betracht kommt (Baumbach-Duden, a. a. O., Anmerkung 2 B zu § 89 b, HGB).
Aus diesen Erwägungen gelangt der Senat zunächst zur Verneinung des § 24 EStG. Die Ausgleichszahlung ist kein "Ersatz" im Sinne dieser Vorschrift. Sie wird - wie dargelegt - weder als "Ersatz" für die Aufgabe bzw. die Nichtausübung der Tätigkeit des Handelsvertreters noch als "Ersatz" für entgehende oder entgangene Einnahmen geleistet. Letzteres auch schon deshalb nicht, weil die dem Unternehmer während der Vertragsdauer aus der Tätigkeit des Handelsvertreters zugeflossenen Vorteile durch die gezahlten Provisionen abgegolten sind. Wenn auch nach der Entscheidung des erkennenden Senats IV 260/52 U vom 11. Dezember 1952 (BStBl 1953 III S. 57, Slg. Bd. 57 S. 144) der Begriff "Entschädigung" im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG weit zu fassen ist, so kann doch nach der gleichen Entscheidung von einer Entschädigung im Sinne der genannten Vorschrift immer dann nicht gesprochen werden, wenn es sich - wie hier - bei der Zahlung des Unternehmers um die Anerkennung geleisteter Dienste handelt (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs IV 259/39 vom 26. Januar 1940, RStBl 1940 S. 473).
Es besteht für den Senat auch keine Möglichkeit, im Wege der wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu einer anderen Beurteilung zu gelangen. Das steuerliche Ergebnis beruht entscheidend auf der Auslegung der handelsrechtlichen Vorschrift des § 89 b HGB. Da die Ausgleichszahlung hiernach als Gegenleistung für eine Leistung bzw. für Leistungen des Handelsvertreters aufzufassen ist, bietet auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise keine Handhabe, die Ausgleichszahlung des Unternehmers als Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG zu beurteilen. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist kein Behelf, der dem Steuerpflichtigen ganz allgemein im Hinblick auf steuerliche Belastungen, die sich aus einer bestimmten gesetzlichen Regelung ergeben, zur Verfügung steht (Urteil des Bundesfinanzhofs V 153/52 U vom 22. Juli 1953, BStBl 1953 III S. 275, Slg. Bd. 57 S. 724).
Der Vorentscheidung ist im Ergebnis auch insoweit beizutreten, als sie die Voraussetzungen für eine tarifliche Begünstigung nach § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG verneint hat. Allerdings würde - entgegen der in der Vorentscheidung vertretenen Auffassung - einer solchen Begünstigung nicht schon der Umstand entgegenstehen, daß der Bf. seinen laufenden Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Unter § 16 EStG fallen auch solche Betriebe, die ihren laufenden Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln (Littmann, a. a. O., Anmerkung 18 zu § 16 EStG, S. 995). Eine tarifliche Begünstigung der dem Bf. im Jahre 1955 zugeflossenen Ausgleichszahlung nach der genannten Vorschrift entfällt deshalb, weil der Ausgleichsbetrag, wie es das Finanzamt getan hat, den laufenden gewerblichen Einkünften des Jahres 1955 zuzurechnen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 409522 |
BStBl III 1960, 21 |
BFHE 1960, 52 |
BFHE 70, 52 |