Leitsatz (amtlich)
Einem i. S. des Gesetzes Nr. 47 der Alliierten Hohen Kommission bzw. des Gesetzes über die Abgeltung von Besatzungsschäden schwerbeschädigten deutschen Staatsangehörigen ist die Vergünstigung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu gewähren.
Normenkette
KraftStG § 3 Abs. 1 Nr. 1; BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a, § 5 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 2 Buchst. a; BesAbgeltG §§ 1-2
Tatbestand
Der Kläger, ein städtischer Beamter, wurde Anfang März 1946 durch Verschulden eines Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte überfahren. Er ist hierdurch zu 50 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Da der Unfall als Dienstunfall anerkannt ist, erhält der Kläger nach Art. 152 des Bayerischen Beamtengesetzes vom 18. Juli 1960 (GVBl S. 161) ab 1. September 1960 - dem Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes (Art. 226) - einen Unfallausgleich nach den Sätzen der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Leistungen nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden vom 1. Dezember 1955 - BesAbgeltG - (BGBl I, 734) werden deshalb nicht gewährt.
Den Antrag auf Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG lehnte das FA (Beklagter) ab. Da wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ein Kraftfahrzeugsteuererlaß gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG nicht in Betracht kam, forderte der Beklagte Kraftfahrzeugsteuer an.
Mit Einspruch und Berufung vertrat der Kläger erfolglos die Auffassung, er müsse als Schwerbeschädigter im Sinne des BVG behandelt werden.
Das FG wies die Berufung als unbegründet zurück, da der Kläger wegen des erst nach dem 1. August 1945 erlittenen Körperschadens nicht als Schwerbeschädigter im Sinne des BVG anzusehen sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Es ist zwar richtig, daß der Kläger seinen Versorgungsanspruch als Schwerbeschädigter nicht unmittelbar aus dem BVG geltend machen kann. Vielmehr werden die in der Zeit vom 1. August 1945 bis 5. Mai 1955 (12.00 Uhr mittags) erlittenen Besatzungsschäden - nach Ablösung des Gesetzes Nr. 47 der Alliierten Hohen Kommission vom 8.2.1951 - Ges. Nr. 47 - (ABl. d. Alliierten Hohen Kommission in Deutschland 1951, 767) - nach den Vorschriften des BesAbgeltG (vgl. §§ 1, 2) entschädigt. Das schließt aber nicht aus, den Kläger als "Schwerbeschädigten" im Sinne des BVG gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG zu behandeln. Die Abgrenzung des unter diese Vorschrift fallenden Personenkreises ist zwar insofern eindeutig, als Ausländer - von bestimmten Ausnahmen abgesehen - nicht in den begünstigten Personenkreis einbezogen werden können. Diese Eindeutigkeit läßt insoweit eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift gegen ihren Wortlaut nicht zu (Urteil des Senats II 111/63 vom 17. Januar 1967, BFH 88, 61, BStBl III 1967, 269). Sie verwehrt aber nicht eine ausdehnende Auslegung, die sich im Rahmen des möglichen Wortsinnes hält und einen klar abgrenzbaren Regelungsbereich umfaßt. Das ist aber jedenfalls für deutsche Staatsangehörige zu bejahen, die einen Körperschaden nach Art der durch das BVG erfaßten Schäden erlitten haben.
Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen. Der Begriff "im Sinne" kann (außer im normal-buchstäblichen Wortlaut) auch in der Bedeutung von "Art und Weise" verstanden werden. Steuerbegünstigende Normen sind ohnehin nicht eng, sondern unter Würdigung des mit der Ausnahmevorschrift verfolgten Zweckes auszulegen (vgl. die Nachweise der ständigen Rechtsprechung des Senats in den Urteilen II 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129, 133, BStBl II 1969, 550; II R 93/66 vom 14. Juli 1970, BFH 100, 228, BStBl II 1970, 872). Das gilt gerade auch für die durch § 3 KraftStG begünstigten Körperbehinderten (BFH 88, 61, BStBl III 1967, 269). Ggf. müßte der Wortlaut einer Gesetzesvorschrift sogar zurücktreten, wenn nur so der wahre Gesetzeszweck erreicht, andernfalls also das Ergebnis nicht mehr als Wille des - objektiviert zu denkenden Gesetzgebers - angesehen werden könnte (Urteile des Senats II 142/63 vom 25. Februar 1969, BFH 95, 292, 299, BStBl II 1969, 400; II 56/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 255, 257, BStBl II 1970, 597).
Als nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge (§ 5 Abs. 1 Buchst. e BVG) und damit als unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG gelten dem Grund und der Art nach auch Schäden, die in Verbindung mit dem Zweiten Weltkrieg durch Angehörige oder sonstige Beschäftigte der Besatzungsmächte oder durch Verkehrsmittel der Besatzungsmächte (§ 5 Abs. 2 Buchst. a BVG) verursacht worden sind; dies allerdings mit der Einschränkung, daß diese Schäden vor dem Tage verursacht worden sind, von dem an Leistungen nach anderen Vorschriften gewährt werden. Diese Einschränkung war aber bereits - entsprechend der vorangegangenen besatzungsrechtlichen Regelung - deshalb geboten, weil Schäden, die nach dem 31. Juli 1945 bis zum 5. Mai 1955 (dem Tage der Beendigung des Besatzungsregimes mit Ratifizierung der Pariser Verträge; vgl. Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE 13, 206, 211, 212 -; Urteil des Senats II 135/56 U vom 20. März 1957, BFH 64, 575, 580, BStBl III 1957, 216) verursacht worden sind, nach Maßgabe der Vorschriften des Gesetzes Nr. 47 (vgl. Art. 4 Buchst. a) und anschließend des BesAbgeltG (vgl. §§ 1, 2) zu entschädigen sind. Somit hat sich zwar schon aus gesetzestechnischen Gründen die Anspruchsgrundlage verschoben; geblieben ist aber der sachliche Zusammenhang, daß das BVG auch Besatzungsschäden von Zivilpersonen dem Grunde nach ebenfalls als durch die Einwirkungen des Krieges verursacht betrachtet (vgl. Wilke, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, 3. Aufl., § 5 Anm. A, B VI) und daß auch das BesAbgeltG als ein Teil der Gesetzgebung zur Liquidation der Kriegsfolgen gesehen werden muß ("Die Kriegsfolgenschlußgesetzgebung", herausgegeben von Féaux de la Croix, Vorbemerkungen A S. 20). Wesentlich für den gerade durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG begünstigten Beschädigtenkreis erscheint, daß aus dessen Sicht und Verhältnis zum eigenen Staat der Besatzungsschaden zu dem Komplex der Kriegs- und Kriegsfolgeschäden gehört (Féaux de la Croix, a. a. O., S. 26), in der Schadensart dem Grunde nach also ein Unterschied nicht besteht, daß es sich vielmehr bei den nach dem BesAbgeltG zu Versorgenden um Beschädigte handelt, die (auch) nach der Art des BVG zu versorgen sind. Es handelt sich um Schadensfälle der Art, wie sie als Lebenssachverhalte in die Regelung des BVG einbezogen sind. (Zur Verknüpfung des BesAbgeltG mit dem BVG vgl. - wenn auch für besondere Fälle - §§ 22 ff., § 32 BesAbgeltG.) Es zeigt sich sowohl durch das BVG als auch durch das BesAbgeltG, daß der deutsche Staat sich seinen Kriegs- und Kriegsfolgeopfern (anders als Ausländern gegenüber: BFH 88, 64, BStBl III 1967, 270) gleichermaßen zu besonderer Fürsorge verpflichtet fühlte. Unter diesem Blickwinkel kann nicht angenommen werden, daß der Steuergesetzgeber gerade die nach Gesetz Nr. 47 bzw. nach dem BesAbgeltG zu Entschädigenden bewußt von der Vergünstigung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG ausschließen wollte. Das Gegenteil erscheint nach dem Sinnzusammenhang des Gesetzes um so zutreffender, als gegenüber dem Zwischenzustand während der Besatzungszeit durch § 3 KraftStG in der Fassung des Abschn. I Art. 1 Nr. 2 des Verkehrsfinanzgesetzes vom 6. April 1955 (BGBl I S. 166) eine "für die Schwerkriegsbeschädigten günstigere Regelung" wieder hergestellt werden sollte (vgl. Begründung zum Entwurf des Verkehrsfinanzgesetzes, Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucksache 573 zu Abschn. I, Art. 1 in Verbindung mit den Änderungsvorschlägen und Entschließungen des Bundesrates zu Abschn. I, 2). Es kommt hinzu, daß das BesAbgeltG erst einige Monate nach dem Verkehrsfinanzgesetz 1955, unter dem Datum des 1. Dezember 1955 ergangen ist.
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG setzt nicht voraus, daß der Schwerbeschädigte eine Versorgung nach dem BVG tatsächlich beantragt (§ 1 BVG) oder erhalten hat oder ob der Anspruch ruht (§ 65 BVG) oder unter Umständen entzogen worden ist (vgl. § 60 Abs. 4, § 63 BVG; BFH 88, 62, BStBl III 1967, 270). Das gilt entsprechend für das Gesetz Nr. 47 bzw. für das BesAbgeltG (vgl. auch Wilke, a. a. O., § 5 Anm. B VI). Deshalb ist es unerheblich, daß der Kläger, obwohl er Besatzungsgeschädigter gemäß Gesetz Nr. 47/BesAbgeltG ist, seinen Unfallausgleich nach dem Bayerischen Beamtengesetz erhält.
Nach allem kann dem Kläger die Steuervergünstigung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG nicht mit der Begründung versagt werden, er sei nicht "Schwerbeschädigter im Sinne des BVG".
Die Vorentscheidung, die von anderen rechtlichen Erwägungen ausgeht, war aufzuheben. Das FG hat aus seiner rechtlichen Beurteilung Feststellungen darüber, ob die anderen Voraussetzungen zur Gewährung der Steuervergünstigung erfüllt sind (vgl. § 3 Abs. 2 KraftStG), nicht getroffen. Die Sache war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413014 |
BStBl II 1972, 232 |
BFHE 1972, 249 |