Entscheidungsstichwort (Thema)
(Form der Nacherhebung von Eingangsabgaben: Steuerbescheid, Leistungsgebot, Vorlage an den EuGH)
Leitsatz (amtlich)
Die in Art.2 Abs.2 der VO (EWG) Nr.1697/79 vorgesehene Mitteilung der Höhe der --nachgeforderten-- Eingangsabgaben an den Betroffenen verlangt im Bereich des deutschen Zollrechts den Zugang jedenfalls eines Steuerbescheids.
Es bleibt dahingestellt, ob daneben auch ein Leistungsgebot erforderlich ist.
Orientierungssatz
Da Art. 2 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1697/79 die Art und Weise der Mitteilung der geschuldeten Eingangsabgaben an den Betroffenen nicht vorschreibt, sondern insoweit auf nationales Recht verweist, sind Streitfragen hinsichtlich der Form der Mitteilung nicht dem EuGH vorzulegen.
Normenkette
EWGVtr Art. 177 Abs. 3; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; AO 1977 §§ 155, 254; EWGV 1697/79 Art. 2 Abs. 2, Art. 4
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.12.1989; Aktenzeichen 3 K 136/86) |
Tatbestand
I. Aufgrund einer Außenprüfung bei der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) --einer Druckerei-- kam der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) zu der Überzeugung, daß die Klägerin vom April 1982 bis 31.Dezember 1983 abweichend von der ihr im Erlaubnisschein Nr.1/79 erteilten Bewilligung über die begünstigte Verwendung von Zeitungsdruckpapier der Tarifst. 48.01 A und 48.01 F nach der zusätzlichen Vorschrift zu Kap.48 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) bestimmte Mengen zollbegünstigt bezogenen Zeitungspapiers zur Herstellung von Druckerzeugnissen verwendet habe, die teils der Tarifnr. 49.11 GZT zuzuordnen seien oder teils weniger als zehnmal im Jahr erschienen. In Tz. 21 des Prüfungsberichts ist ausgeführt, daß für die so verwendeten Mengen Zeitungsdruckpapier gemäß § 39 Abs.3 des Zollgesetzes (ZG) eine Zollschuld in Höhe von X DM (bzw. Y DM ohne bestimmte Warenverkehrsbescheinigungen) entstanden sei. Zollschuldnerin sei die Klägerin als Verwenderin des Papiers.
Nach der Schlußbesprechung sandte das HZA der Klägerin den Bericht mit dem Bemerken zu, daß infolge zweckwidriger Verwendung von Zeitungsdruckpapier eine Zollschuld in der genannten Höhe entstanden sei, daß beabsichtigt werde, den Zollbetrag durch Steuerbescheid von der Klägerin anzufordern und daß ihr im Rahmen des rechtlichen Gehörs Gelegenheit zur Äußerung gegeben werde.
Mit Steuerbescheid vom 19.Dezember 1985 forderte das HZA von der Klägerin X DM Zoll-Euro an. In einem Begleitschreiben vom selben Tag teilte es der Klägerin mit, daß es mit Rücksicht auf eine noch ausstehende verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) bisher vom Erlaß eines Steuerbescheids abgesehen habe. Nachdem inzwischen zwei von drei beantragten vZTAe die Prüfungsfeststellungen bestätigt hätten, sei zu vermuten, daß auch die dritte vZTA kein anderes Ergebnis bringen werde.
Im Einspruchs- und Klageverfahren änderte das HZA den Steuerbescheid insoweit, als es den für die Zeit vor dem 27.Juni 1982 entstandenen Zoll nicht mehr anforderte, weil die Höhe der Zollschuld der Klägerin erstmals in der Schlußbesprechung vom 27.Juni 1985 mitgeteilt worden sei und der auf die Zeit vom 1.April bis 26.Juni 1982 entfallende Teil der Zollschuld demgemäß verjährt sei. Der Änderungsbescheid vom 22.Dezember 1988 wurde zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht (§ 68 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage zum Teil für begründet. Für den 1982 entstandenen Teil der nachgeforderten Zollschuld sei die Nachforderungsfrist des Art.2 Abs.1 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr.1697/79 (VO Nr.1697/79) des Rates vom 24.Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1979 L 197/1) betreffend die Nacherhebung usw. abgelaufen, weil der Nachforderungsbescheid der Klägerin erst am 23.Dezember 1985 zugegangen sei und die vor dem 23.Dezember 1982 liegenden Zollschulden somit verjährt seien. Das HZA könne den auf diesen Zeitraum entfallenden Abgabenbetrag daher nicht mehr erheben. (Insoweit wird wegen der Gründe im einzelnen auf den auszugsweisen Abdruck der Vorentscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 250 verwiesen.)
Mit der Revision macht das HZA die Verletzung von Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79, die Verletzung von Art.101 Abs.1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) geltend. Es führt im wesentlichen aus: Zur Fristwahrung nach Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 reiche es aus, wenn dem Betreffenden die Höhe der von ihm geschuldeten Abgaben mitgeteilt werde; es sei nicht erforderlich, daß ihm ein Nachforderungsbescheid (Steuerbescheid und Leistungsgebot) im Sinne des nationalen Abgabenrechts zugehe. Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 stelle eine Fiktion auf, wonach die Mitteilung der Höhe der Abgabenschulden an den Betroffenen als ausreichend gelte. Damit werde unabhängig von den jeweiligen nationalen Abgabenrechten ein in der EG einheitlicher Zeitpunkt für die Anknüpfung der Frist gesetzt. Selbst wenn man den Begriff "mitgeteilt" nach nationalem Abgabenrecht auslege, müsse man zu dem Ergebnis kommen, daß ein Steuerbescheid nach § 155 der Abgabenordnung (AO 1977) ausreiche und nicht zusätzlich noch ein Leistungsgebot nach § 254 AO 1977 erforderlich sei. Die Mitteilung nach Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 sei begrifflich ein "weniger" gegenüber der "Nachforderung" i.S. von Art.2 Abs.1 Unterabsatz 1 VO Nr.1697/79. Diese Mitteilung sei der Klägerin gegenüber im Rahmen der Schlußbesprechung am 27.Juni 1985 abgegeben worden, indem ihr die geschuldeten Abgaben dem Grunde und der Höhe nach eindeutig mitgeteilt worden seien. Ab diesem Zeitpunkt gelte die Nachforderung daher i.S. von Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 als erhoben.
Das FG sei selbst im Zweifel über die richtige Auslegung des Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 gewesen, was sich daraus ergebe, daß es noch in dem Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung der Auffassung des HZA zugeneigt habe. Es sei daher ermessensfehlerhaft gewesen, daß das FG den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht um eine Vorabentscheidung der im EG-Recht begründeten streitigen Rechtsfrage ersucht habe. Dadurch sei Art.101 Abs.1 Satz 2 GG verletzt, weil das HZA durch die Nichtvorlage der Rechtsfrage an den EuGH seinem gesetzlichen Richter entzogen worden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des HZA ist nicht begründet:
Das FG hat im Ergebnis richtig erkannt, daß die bis zum 23.Dezember 1982 angefallenen Abgaben verjährt sind.
Zutreffend sieht das FG das Nachforderungsgebot für nicht erhobene Abgaben in Art.2 Abs.1 Unterabsatz 1 VO Nr.1697/79 begründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 für die Nachforderung --wie das FG und die Klägerin meinen-- zusätzlich zur Bekanntgabe des Steuerbescheids nach § 155 AO 1977 auch die Bekanntgabe des Leistungsgebots nach § 254 AO 1977 verlangt, weil im vorliegenden Fall vor dem 19.Dezember 1982 nicht einmal ein Steuerbescheid ergangen ist. Das ist aber zumindest erforderlich, um die Verjährung nach Art.2 Abs.2 i.V.m. Abs.1 Unterabsatz 2 VO Nr.1697/79 zu unterbrechen.
Zwar enthält Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 im einzelnen keine Vorschriften über die Art und Weise, in der der Beteiligte über die von ihm geschuldeten Abgaben zu unterrichten ist. Die Mitteilung der Höhe der geschuldeten Eingangsabgaben ist aber Teil des Nachforderungsverfahrens, für das Art.4 VO Nr.1697/79 auf die hierfür geltenden Bestimmungen verweist. Dies sind die einzelstaatlichen Bestimmungen, soweit ihnen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen nicht entgegenstehen (Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F IX 5/3-4 Rdnr.2 zu Art.4).
Für den hier streitigen Fall der zweckwidrigen Freigutverwendung sieht § 39 Abs.5 ZG vor, daß der berechnete Zoll vom Zollschuldner schriftlich oder mündlich durch Zollbescheid angefordert wird.
Auch der mündliche Zollbescheid muß die Voraussetzungen erfüllen, die die AO 1977 an einen Steuerfestsetzungsbescheid i.S. von § 155 AO 1977 stellt, d.h. es muß eine Abgabe in bestimmter Höhe gegen einen bestimmten Steuerschuldner festgesetzt werden (§ 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 157 AO 1977 Anm.3 a).
Diese Anforderungen waren jedoch im vorliegenden Fall vor dem Ergehen des Steuerbescheids vom 19.Dezember 1985 nicht erfüllt. Aus dem vom damaligen Sachgebietsleiter Eingangsabgaben des HZA über die Schlußbesprechung gefertigten Vermerk vom 2.Juli 1986 ergibt sich nur, daß die Klägerin über die tatsächlichen Ergebnisse der Prüfung und die sich daraus ergebenden Folgerungen in abgabenrechtlicher Hinsicht --auch zur möglichen Höhe der Abgaben-- unterrichtet worden ist. Es findet sich aber kein Anhaltspunkt dafür, daß das HZA damit einen mündlichen Steuerbescheid hat erteilen wollen, mit dem es einen bestimmten Abgabenbetrag gegen die Klägerin festsetzte. Vielmehr ergibt sich aus Tz.21 des Betriebsprüfungsberichts, aus dem Schreiben des HZA, mit dem es den Prüfungsbericht übersandte, und aus dem Begleitschreiben zum Steuerbescheid vom 19.Dezember 1985 --alle drei vom FG in Bezug genommen--, daß das HZA davon ausging, erst nach einer Äußerung der Klägerin im Rahmen des ihr gewährten rechtlichen Gehörs, der Klärung bestimmter zolltariflicher Fragen sowie der evtl. Vorlage von Ursprungszeugnissen werde ein Steuerbescheid zu erlassen sein. Daraus folgt, daß --wie das FG im Ergebnis richtig erkannt hat-- die Voraussetzungen des Art.2 Abs.2 VO Nr.1697/79 erst mit Zugang des Steuerbescheids vom 19.Dezember 1985 am 23.Dezember 1985 erfüllt gewesen sind, damit die vor dem 23.Dezember 1982 entstandenen Abgaben nicht mehr nachgefordert werden konnten und das FG den angefochtenen Steuerbescheid des HZA insoweit zu Recht aufgehoben hat.
Da die VO Nr.1697/79 --wie dargelegt-- die Art und Weise der Mitteilung nach Art.2 Abs.2 nicht vorschreibt, sondern insoweit auf nationales Recht verweist, brauchte der Senat die streitigen Rechtsfragen dem EuGH nicht nach Art.177 Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorzulegen.
Fundstellen
Haufe-Index 63722 |
BFH/NV 1992, 38 |
BFHE 166, 511 |
BFHE 1992, 511 |
BB 1992, 488 (L) |
HFR 1992, 255 (LT) |
StE 1992, 153 (K) |