Leitsatz (amtlich)
Erläßt das FA nach Klageerhebung einen neuen, den ursprünglichen (angefochtenen) berichtigenden Bescheid, der dem Klagebegehren des Klägers voll entspricht, erklärt der Kläger jedoch - anders als das FA - trotz Aufforderung durch das Gericht den Rechtsstreit nicht für in der Hauptsache erledigt, so ist die Klage mangels Rechtsschutzinteresses kostenpflichtig als unzulässig abzuweisen.
Normenkette
FGO §§ 40, 135, 138
Tatbestand
Die Sache befindet sich im II. Rechtsgang, nachdem der erkennende Senat im I. Rechtsgang die Entscheidung des FG aufgehoben und die Sache mit Urteil I R 6/68 vom 24. Juni 1970 (BFHE 100, 20, BStBl II 1970, 802) an das FG zurückverwiesen hatte. Im Laufe des neuerlichen Verfahrens vor dem FG kam es zu einer außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits (Erlaß berichtigender Einkommensteuer- und Gewerbesteuerbescheide 1963 vom 2. November 1971 gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 AO). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) erklärte den Rechtsstreit damit in der Hauptsache für erledigt, während der Kläger und Revisionskläger trotz Aufforderung und Erinnerung durch das FG keine Erklärung über die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache abgab. Das FG wies deshalb den Kläger mit seiner Klage kostenpflichtig ab. Seine Entscheidung ist in den EFG 1972, 496 veröffentlicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Klägers mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, hilfsweise die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung läßt er vortragen:
Die für die Entscheidung des FG grundlegende Annahme, daß im Zeitpunkt der Entscheidung mangels Abgabe einer Erledigungserklärung die Anträge aus der Klageschrift als noch gestellt anzusehen seien, sei unrichtig. Nach § 90 Abs. 1 FGO habe das FG - vorbehaltlich hier nicht gegebener Ausnahmen - grundsätzlich auf Grund mündlicher Verhandlung zu entscheiden, deren wesentlichstes Merkmal die Stellung der Anträge seitens der Beteiligten sei (§ 92 Abs. 3 FGO). Im Termin vom 21. März 1972 habe eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden und seien keine Anträge gestellt worden, da keiner der Beteiligten erschienen sei. Habe somit danach ein Urteil nicht ergehen dürfen, so habe das FG auch dem Kläger die Kosten des Verfahrens nicht auferlegen dürfen. Abgesehen davon verkehre das FG mit dieser Kostenentscheidung das Ergebnis des Prozesses in sein Gegenteil.
Wenn der Prozeßbevollmächtigte des Klägers eine Erklärung über die Erledigung der Hauptsache nicht abgegeben habe, so deshalb, weil er den Kläger in seinen allgemeinen steuerrechtlichen Angelegenheiten nicht berate, deshalb an der die berichtigenden Bescheide vorbereitenden Verhandlung vom 21. Oktober 1971 beim FA nicht teilgenommen habe, die Auswirkungen der dort getroffenen Vereinbarungen nicht habe übersehen können und zur Abgabe der Erklärung zunächst der Stellungnahme des Steuerberaters des Klägers bedurft habe.
Das FA hat keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Dem Kläger kann nicht darin gefolgt werden, daß bei Nichterscheinen der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten im Termin ein Urteil nicht ergehen könne. Nach der Vorschrift des § 91 Abs. 2 FGO, deren Verletzung der Kläger nicht gerügt hat, kann bei entsprechendem Hinweis in der Ladung bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden. Das gilt auch dann, wenn beide Beteiligten im Termin nicht erscheinen; der Umstand, daß das finanzgerichtliche Verfahren ein Versäumnisurteil nicht kennt, dessen mögliches Ergehen die Beteiligten zur Wahrnehmung eines vom Gericht anberaumten Termins veranlassen könnte, kann nicht dazu führen, daß die Beteiligten die Terminsanberaumung durch das Gericht ohne rechtliche Folgen (Ergehen eines Urteils ohne ihre Anhörung in der mündlichen Verhandlung) unberücksichtigt lassen dürfen.
2. Gleichwohl unterliegt die angefochtene Entscheidung - wenn auch aus anderen Gründen - der Aufhebung.
a) Erläßt im Laufe eines Klageverfahrens das FA im Einvernehmen mit dem Kläger (§ 94 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 AO) einen neuen, den ursprünglichen (angefochtenen) berichtigenden Bescheid, den der Kläger weder mit Einspruch anfechten noch gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des beim FG anhängigen Verfahrens machen will, so endet die Rechtshängigkeit der Streitsache, wenn beide (Haupt-)Beteiligte übereinstimmend - dem FG gegenüber (vgl. Urteil des BFH VI R 184/68 vom 5. März 1971, BFHE 101, 483, BStBl II 1971, 461) - erklären, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei. In eine Prüfung über die tatsächliche Erledigung der Hauptsache tritt das FG nicht ein (BFH-Beschlüsse VI R 35/67 vom 23. Februar 1968, BFHE 91, 403, BStBl II 1968, 352; III B 26/66 vom 21. Juni 1968, BFHE 93, 212, BStBl II 1968, 742).
b) Erklärt nur der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, nicht aber auch das FA, hat das FG die tatsächliche Erledigung der Hauptsache zu prüfen; stellt es die Erledigung fest, entscheidet es hierüber durch Urteil (vgl. BFH-Urteil VII R 32/69 vom 19. Januar 1971, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307); stellt es fest, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt ist, entscheidet es in der Sache selbst, wobei die Erklärung des Klägers je nach den Umständen des Falles als Klagerücknahme oder Einschränkung seines ursprünglichen Klageantrags gewertet werden kann.
c) Erklärt - wie im vorliegenden Streitfalle - nur das FA, nicht aber auch der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, hat das FG die tatsächliche Erledigung der Hauptsache - immanent - zu prüfen und, falls das FA dem Klagebegehren in vollem Umfang entsprochen hat, die Klage mangels Rechtschutzinteresses kostenpflichtig als unzulässig abzuweisen (vgl. Urteil des BVerwG V C 150/59 vom 30. September 1959, Deutsches Verwaltungsblatt 1960 S. 140; Urteil des BGH IV ZR 62/60 vom 18. November 1960, Juristenzeitung 1961 S. 127, für den Fall, daß der Kläger der Erledigungserklärung des Beklagten ausdrücklich widersprochen hat); das gilt insbesondere dann, wenn der Kläger vom Vorsitzenden des FG gemäß § 76 Abs. 2 FGO auf die Abgabe der Erledigungserklärung hingewiesen worden ist. Stellt das FG fest, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt ist, entscheidet es in der Sache selbst, wobei die Erklärung des FA je nach den Umständen des Falles und nach Maßgabe der im berichtigenden Bescheid festgesetzten Steuer als teilweise Anerkennung des Klagebegehrens gewertet werden kann. Durch den Erlaß des berichtigenden Bescheides geht der ursprüngliche Bescheid nicht unter; der berichtigende Bescheid nimmt den ursprünglichen in sich auf, soweit er keine Änderung des ursprünglichen Bescheides enthält, insbesondere bei Festsetzung einer höheren als im ursprünglichen Bescheid geforderten Steuer. Das Rechtsschutzinteresse des Klägers bleibt in diesem Falle insoweit bestehen, als seinem Klagebegehren nicht in vollem Umfang entsprochen wurde, es sei denn, daß der berichtigende Bescheid unanfechtbar geworden ist; mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des berichtigenden Bescheides ist das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Hinblick auf den ursprünglichen Bescheid entfallen. Wird dagegen der berichtigende Bescheid nicht unanfechtbar, besteht die Möglichkeit, daß er aufgehoben und sodann das Verfahren bezüglich des ursprünglichen Bescheides weiterbetrieben wird.
Soweit dem BFH-Urteil I R 12/69 vom 5. August 1970 (BFHE 100, 14, BStBl II 1970, 785) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, hält der Senat daran nicht mehr fest.
d) Ob diese Grundsätze auch dann zu gelten hätten, wenn das FA den berichtigenden Bescheid im Laufe des Revisionsverfahrens erläßt, braucht der Senat nicht zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil IV 162/65 vom 29. Januar 1970, BFHE 99, 157, BStBl II 1970, 623).
3. Der Ansicht des Klägers, daß die Kostenentscheidung aus § 135 FGO das Ergebnis des Rechtsstreits in sein Gegenteil verkehre, vermag der Senat nicht zu folgen. Der Kläger hätte einmal unter Darlegung seiner Gründe beim FG Fristverlängerung nachsuchen, zum anderen spätestens in der von ihm nicht wahrgenommenen mündlichen Verhandlung am 21. März 1972 eine Erledigungserklärung abgeben können.
Da das FG im vorliegenden Streitfall indes keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen hat, ob mit den Bescheiden vom 2. November 1971 dem Klagebegehren des Klägers in vollem Umfang oder nur zum Teil entsprochen worden ist, war die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Prüfung und erneuten Entscheidung über die Kosten an das FG zurückzuqeben.
Fundstellen
Haufe-Index 70298 |
BStBl II 1973, 189 |
BFHE 1973, 7 |