Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Bei Eintritt eines Befreiungsgrundes für den ganzen Steuergegenstand kann eine von den allgemeinen Grundsätzen über die Fortschreibung des Einheitswerts und die Neuveranlagung des Steuermeßbetrags abweichende vorzeitige Freistellung von der Grundsteuer gemäß § 16 GrStG nur ausgesprochen werden, wenn der Steuerpflichtige rechtzeitig einen entsprechenden Antrag stellt.
Führt die allgemeine Regelung über die Fortschreibung des Einheitswerts und die Neuveranlagung des Steuermeßbetrags zu einem gegenüber § 16 GrStG günstigeren Ergebnis, so ist hiernach zu verfahren.
Normenkette
GrStG § 4 Ziff. 8, § 16; AO § 225a Abs. 2, § 226/1
Tatbestand
Streitig ist, von welchem Zeitpunkt ab der Grundbesitz der Revisionsklägerin, der für die Zwecke einer Krankenanstalt benutzt wird, von der Grundsteuer freizustellen ist.
Die Revisionsklägerin betreibt auf dem ihr gehörigen Grundbesitz, der aus drei zusammenliegenden, aber als selbständige wirtschaftliche Einheiten angesehenen Grundstücken besteht, eine Krankenanstalt für chronisch Kranke (Sieche). Konzession zum Betrieb der Anstalt nach § 30 der Reichsgewerbeordnung wurde im Juli 1950 erteilt. Für die Grundstücke wurden Einheitswerte festgestellt und Grundsteuermeßbeträge festgesetzt.
Im Zusammenhang mit einem Rechtsmittelverfahren wegen Umsatzsteuer und Gewerbesteuer, das sich an eine im Jahre 1956 durchgeführte Betriebsprüfung anschloß, beantragte die Revisionsklägerin durch Schreiben vom 17. Juli 1960, die Steuerfreiheit auf die Grundsteuer auszudehnen. Daraufhin stellte das Finanzamt (FA) Ermittlungen darüber an, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Grundsteuer als Krankenanstalt nach § 4 Ziff. 8 GrStG in Verbindung mit § 16 GrStDV gegeben sind. Diese Voraussetzungen wurden als gegeben angesehen. Für die drei Grundstücke wurden dementsprechend auf den 1. Januar 1960 die Einheitswerte auf 0 DM fortgeschrieben und die Steuermeßbeträge auf 0 DM festgesetzt.
Mit dem Einspruch begehrte die Revisionsklägerin Befreiung von der Grundsteuer bereits ab 1951. Nach § 225a Abs. 2 AO sei ein Fortschreibungsbescheid erforderlichenfalls auch von Amts wegen zu erlassen. Dies habe unabhängig von der Versäumung einer Antragsfrist auf einen zurückliegenden Zeitpunkt immer zu folgen, wenn es die steuerliche Gerechtigkeit verlange. Im übrigen sei bereits durch Schreiben vom 24. März 1956 Freistellung von der Grundsteuer beantragt worden. Dem Einspruch wurde insoweit stattgegeben, als die auf den 1. Januar 1960 getroffenen Feststellungen auf den 1. Januar 1956 zurückbezogen wurden. Der weitergehende Antrag wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Berufung hat sich die Revisionsklägerin gegen die Auffassung des FA gewendet, die Befreiung von der Grundsteuer sei von der rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Fortschreibung des Einheitswerts abhängig. Die Grundsteuerbefreiung sei von Amts wegen zu gewähren, ohne daß es eines besonderen Antrags bedürfe. Dem FA seien durch die im Jahre 1956 für die Zeiträume 1951 bis 1954 durchgeführte Betriebsprüfung sämtliche Umstände, die für die Besteuerung von Bedeutung gewesen seien, bekanntgeworden. Im Zuge der Auswertung der Feststellungen des Betriebsprüfers sei auch über die Grundsteuer zu entscheiden. Der Auffassung des FA, die Betriebsprüfung habe sich nicht auf die Grundsteuer erstreckt, widerspreche § 204 Abs. 1 AO. Die Vorinstanz hat dahin entschieden, daß die Wertfortschreibungen der Einheitswerte auf den 1. Januar 1956 ersatzlos aufgehoben werden und die Grundstücke mit Wirkung vom 1. April 1956 ab von der Grundsteuer freigestellt werden. Im übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Die Vorinstanz führte unter anderem aus, die bisherigen, wertmäßig nicht umstrittenen Einheitswerte seien gemäß § 214 AO wieder herzustellen, weil sie "der Besteuerung zugrunde zu legen" seien. Die Grundstücke unterlägen der Vermögensteuer. Weitere Auswirkungen könnten sich bei der Gewerbekapitalsteuer und der Einkommensteuer (Bilanzansätze, Bemessung der Absetzungen für Abnutzung) ergeben. Die Entscheidung, daß die Grundstücke nicht zur Grundsteuer heranzuziehen seien, sei nicht im Einheitswertverfahren, sondern im Steuermeßbetragsverfahren zu treffen (Urteil des BFH III 248/55 S vom 20. Januar 1956, BFH 62, 186, BStBl III 1956, 69). Aus der Wiederherstellung der Einheitswerte folge, daß die Entscheidung über den Zeitpunkt der Freistellung von der Grundsteuer sich nicht nach § 225a AO richte, sondern nach § 16 Abs. 1 Satz 3 GrStG. Hiernach sei die Steuerbefreiung nur auf Antrag auszusprechen. Da der Antrag erstmalig im ersten Kalendervierteljahr 1956 gestellt worden sei, sei die Freistellung ab 1. April 1956 auszusprechen. Darauf, ob die Revisionsklägerin grundlos jahrelang mit der Antragstellung gewartet habe, komme es nicht an.
Mit der Rb., die nach der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO als Revision zu behandeln ist, wird auf das bisherige Vorbringen Bezug genommen. Die Rb. hebt insbesondere hervor, der Betriebsprüfer habe in seiner Stellungnahme bestätigt, daß eine Entscheidung über Umsatz-, Gewerbe- und Grundsteuer nur einheitlich erfolgen könne. Durch den Betriebsprüfungsbericht sei dem FA bekanntgeworden, daß eine Grundsteuerfreiheit in Betracht komme. Die Freistellung habe von Amts wegen erfolgen müssen, zumal auch in dem Betriebsprüfungsbericht aus dem Jahre 1951 die Grundsteuerfreiheit bejaht wurde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. -
Das Grundsteuerrecht ist auf das engste mit der Einheitsbewertung des Grundbesitzes verknüpft. Die für den Grundbesitz im Einheitswertbescheid getroffenen Feststellungen, wie über den Wert, die Art des Steuergegenstandes sowie darüber, wem der Steuergegenstand bei der Besteuerung zuzurechnen ist, sind auch für die Grundsteuer maßgebend. In den §§ 13, 14 und 15 GrStG ist ausdrücklich bestimmt, daß die Steuermeßbeträge im Anschluß an die Feststellung der Einheitswerte (Hauptfeststellung, Fortschreibung oder Nachfeststellung) festgesetzt werden, und daß der Veranlagung der Steuermeßbeträge jeweils der maßgebende Einheitswert sowie die anderen im Einheitswertbescheid getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen sind. Diese Verkoppelung der Grundsteuer mit der Einheitsbewertung hat zur Folge, daß der Stichtag, auf den der Einheitswert festgestellt ist, auch grundsätzlich Stichtag für die Beurteilung der Grundsteuerpflicht und für die Grundsteuerbefreiung ist. Da Feststellungszeitpunkt für die Einheitsbewertung stets der Beginn eines Kalenderjahres ist, ist auch für die Grundsteuer entscheidend, ob an diesem maßgebenden Stichtag die Voraussetzungen für eine Befreiung gegeben sind oder nicht. Die Verhältnisse an diesem Stichtag bleiben mindestens für die Grundsteuer des Kalenderjahres maßgebend, auf dessen Beginn der Einheitswert festgestellt und ein Steuermeßbetrag festgesetzt oder (wegen Befreiung des Steuergegenstandes) nicht verlangt worden ist. Dies gilt entsprechend für die Stichtage, für die der festgestellte Einheitswert und der festgesetzte Steuermeßbetrag weiterhin maßgebend bleiben. Dieser allgemeine Grundsatz des Stichtagsprinzips bewirkt bei der Grundsteuer, daß derjenige, der zu Beginn eines Kalenderjahres steuerpflichtigen Grundbesitz hat, hierfür Grundsteuer noch für das ganze laufende Kalenderjahr zahlen muß, unabhängig davon, welche änderungen bei diesem Steuergegenstand während dieses Kalenderjahres eintreten. Zugunsten der Steuerpflichtigen (Stpfl.) wird dieser Grundsatz durch die Vorschrift des § 16 Abs. 1 GrStG in zwei Fällen durchbrochen. § 16 Abs. 1 Satz 1 GrStG bestimmt zunächst, daß die Steuerpflicht für den ganzen Steuergegenstand wegfällt, wenn dieser untergeht oder für ihn ein Befreiungsgrund (§§ 4 bis 6 GrStG) eintritt. Dies ist selbstverständlich. Die Ausnahme von dem vorstehend angeführten Grundsatz des Stichtagsprinzips liegt in § 16 Abs. 1 Satz 2 GrStG der eine Vorverlegung des Endes der Steuerentrichtung enthält. Hiernach ist bei Wegfall der Steuerpflicht für den ganzen Steuergegenstand - auch während eines Kalenderjahres - die Grundsteuer von dem maßgebenden Ereignis ab nur bis zum Schluß des laufenden Kalendervierteljahres zu bezahlen; das setzt jedoch voraus, daß der Antrag auf Freistellung von der Grundsteuer bis zum Schluß dieses Kalendervierteljahrs gestellt wird. § 16 Abs. 1 GrStG weist ausdrücklich auf § 225 Abs. 1 AO hin, der vorschreibt, daß, sofern ein Steuermeßbescheid ergangen ist, das FA auf Antrag des Steuerpflichtigen durch schriftlichen Bescheid auszusprechen hat, von wann ab die Steuer nicht mehr zu entrichten ist. Wird der für die vorzeitige Freistellung erforderliche Antrag erst nach Ablauf des Kalendervierteljahrs gestellt in dem die Steuerpflicht weggefallen ist, dann muß die Steuer bis zum Schluß des Kalendervierteljahrs weitergezahlt werden, in dem der Antrag gestellt wird. Aus dieser gesetzlichen Regelung ergibt sich somit, daß bei Eintritt eines Befreiungsgrundes für den ganzen Steuergegenstand eine von dem allgemeinen Grundsatz des Stichtagsprinzips (Fortschreibung des Einheitswerts und Neuveranlagung des Steuermeßbetrags) abweichende vorzeitige Freistellung von der Grundsteuer nur ausgesprochen werden kann, wenn ein Steuerpflichtiger rechtzeitig einen Antrag auf Freistellung stellt. Dies ergibt sich aus der Besonderheit der Grundsteuer, bei der keine Steuererklärungen abzugeben sind. Deshalb sind auf dem Gebiet der Befreiungen gewisse Anzeigen und Anträge erforderlich. Hiernach ist der Einwand der Revisionsklägerin, das FA habe von Amts wegen die Freistellung ab 1. April 1951 aussprechen müssen, im Rahmen der Vorschrift des § 16 GrStG unbegründet. Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurde der Antrag auf Freistellung erstmals durch das Schreiben vom 24. März 1956 gestellt. Dementsprechend wurde die Freistellung von der Grundsteuer ohne Rechtsirrtum mit Wirkung vom 1. April 1956 ausgesprochen.
II. - Die Vorschrift des § 16 Abs. 1 GrStG stellt auch eine Ausnahmeregelung von dem Grundsatz dar, daß änderungen in der Steuerpflicht eine änderung des Einheitswerts und Steuermeßbetrags voraussetzen. Diese Ausnahmeregelung konnte deshalb getroffen werden, weil bei einem Wegfall der Grundsteuerpflicht für den ganzen Steuergegenstand keine Rücksicht auf die Einheitswertfeststellung genommen werden muß.
Durch § 16 Abs. 1 GrStG werden aber die allgemeinen Grundsätze über die Fortschreibung des Einheitswerts und die Neuveranlagung des Steuermeßbetrags bei änderung im Umfang der Steuerpflicht nicht berührt. Führt die allgemeine Regelung über die Fortschreibung des Einheitswerts und die Neuveranlagung des Steuermeßbetrags gegenüber § 16 GrStG zu einem günstigeren Ergebnis, so ist hiernach zu verfahren; denn Sinn und Zweck der Vorschrift des § 16 Abs. 1 GrEStG ist es nicht, dem Steuerpflichtigen in einem solchen Fall die günstigere Regelung zu versagen (vgl. auch Abschn. 85 Abs. 3 GrStR). Im Streitfall ist deshalb zu prüfen, ob für Zwecke der Grundsteuer die Einheitswerte der Grundstücke wegen ihrer Benutzung für steuerbefreite Zwecke auf einen früheren Stichtag als den 1. Januar 1956 oder auf den 1. Januar 1951, wie es der Revisionskläger begehrt, auf 0 DM festgestellt und dementsprechend die Steuermeßbeträge auf 0 DM festgesetzt werden können (§ 22 BewG, § 14 GrStG). Nach § 225a AO wird der Fortschreibungsbescheid auf Antrag, erforderlichenfalls auch von Amts wegen erteilt. Der Antrag kann nur bis zum Ablauf des Kalenderjahrs gestellt werden, auf dessen Beginn die Fortschreibung begehrt wird. Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurde vor dem Jahre 1956 kein Antrag auf Fortschreibung des Einheitswerts für Zwecke der Grundsteuer oder ein Antrag auf Freistellung von der Grundsteuer gestellt. Die Betriebsprüfung, die die Jahre 1951 bis 1954 umfaßte, fand ebenfalls erst im Jahre 1956 statt, so daß sich weitere Stellungnahmen, ob und inwieweit hierdurch überhaupt die Grundsteuer berührt wurde, erübrigen. Auch aus der Betriebsprüfung, die im Jahre 1951 stattfand, ergibt sich kein Antrag auf Freistellung von der Grundsteuer. Somit verbleibt als einziger Punkt die Frage, ob von Amts wegen eine Fortschreibung der Einheitswerte auf Stichtage vor dem 1. Januar 1956 vorzunehmen war. Der Begriff "erforderlichenfalls" in § 225a AO bedeutet, daß die steuerliche Gerechtigkeit die Fortschreibung verlangt. Dieser Fall ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Steuerpflichtige einen ausreichenden Grund für die begehrte Fortschreibung auf den angegebenen Stichtag hat und nicht jahrelang grundlos mit seiner Antragstellung gewartet hat. Auch ein objektiv überlanger Zeitablauf kann einer Fortschreibung auf einen zurückliegenden Stichtag entgegenstehen (vgl. unter anderem Urteile des BFH III 239/59 U vom 12. Mai 1961, BFH 73, 445, BStBl III 1961, 430, und die dort angeführte Rechtsprechung; III 450/59 U vom 26. Oktober 1962, BFH 76, 81, BStBl III 1963, 29; III 392/60 U vom 17. Juli 1964, BFH 80, 397, BStBl III 1964, 618). Die nach dieser Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen für eine rückwirkende Fortschreibung der Einheitswerte auf den 1. Januar 1951 von Amts wegen, wie sie die Revisionsklägerin begehrt, liegen hier nicht vor. Für die mit der Veranlagung des Steuermeßbetrags befaßte Stelle des FA bestand vor der Anregung der Revisionsklägerin auf Freistellung von der Grundsteuer im Jahre 1956 kein Anlaß, tätig zu werden, insbesondere nicht rückwirkend auf den 1. Januar 1951 eine Fortschreibung durchzuführen. Wie der Senat bereits im Urteil III 392/60 U vom 17. Juli 1964 (a. a. O.) ausgeführt hat, sind in erster Linie die Antragsfristen (Ausschlußfristen) des § 225 a Abs. 2 AO maßgebend, wenn der Steuerpflichtige eine rückwirkende Fortschreibung begehrt. Im übrigen hat der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall III 170/57 U vom 8. November 1957 (BFH 66, 121, BStBl III 1958, 48) entschieden, daß es grundsätzlich Sache der Steuerpflichtigen sei, die Steuerbefreiung geltend zu machen, wenn ein Steuergegenstand bisher zur Grundsteuer herangezogen wurde. Von dieser Rechtsprechung im Streitfalle abzugeben, besteht keine Veranlassung. Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Fundstellen
Haufe-Index 412419 |
BStBl III 1967, 267 |
BFHE 1967, 52 |
BFHE 88, 52 |